Arbeitsrecht

Aberkennung des Ruhegehalts eines Studiendirektors wegen wiederholter Untreue zu Lasten des Schulvermögens

Aktenzeichen  16a D 19.8

Datum:
21.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32712
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 6 Abs. 1, Art. 11, Art. 13, Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, Art. 25 Abs. 1, Art. 55 Hs. 1, Art. 63 Abs. 1 S. 1
StGB § 20, § 21, § 266 Abs. 1, Abs. 2, § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 4
BeamtStG § 34 S. 2, S. 3, § 47 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Strafgerichtliche Feststellungen zu § 21 StGB im Rahmen des disziplinaren Zumessungskriteriums „Schwere des Dienstvergehens“ (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG) sind nicht bindend (Rn. 44). (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, greift der Senat auch bei innerdienstlich begangenen Straftaten auf den Strafrahmen zurück (Rn. 58). (redaktioneller Leitsatz)
3. Ist die Frage der Schuldunfähigkeit mit bindender Wirkung verneint, bleibt es Sache des erkennenden Gerichts, für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme festzustellen, ob bei Vorliegen der Eingangsvoraussetzung des § 20 StGB ein Fall verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB gegeben ist und welchen Grad die Minderung gegebenenfalls erreicht (Rn. 63 – 82). (redaktioneller Leitsatz)
4. Aufgrund der beamtenrechtlichen Treuepflicht darf erwartet werden, dass Beamte fehlende innerdienstliche Kontrollen nicht zur Begehung von Pflichtwidrigkeiten nutzen (Rn. 84 – 87). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

13b D 17.1237 2018-11-21 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.    Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
II.    Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) erkannt. Da der Beklagte in den Ruhestand getreten ist, bevor die Entscheidung über die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unanfechtbar geworden ist, gilt die Entscheidung als Aberkennung des Ruhegehalts (Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BayDG).
Der Senat kommt bei der Bemessungsentscheidung zu dem Ergebnis, dass der Beklagte ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen hat (1.), das bei Abwägung aller disziplinarrechtlich relevanten Gesichtspunkte mit der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis/Aberkennung des Ruhegehalts zu ahnden ist (2.). Die grundsätzliche Zuordnung des Dienstvergehens nach seiner Schwere zu einer Disziplinarmaßnahme nach Art. 6 BayDG richtet sich nach dem gesetzlich bestimmten Strafrahmen (2.1). Ein stellvertretender Schulleiter, der sich wiederholt der Untreue zu Lasten des Schulvermögens (68.000 Euro) schuldig gemacht hat, beeinträchtigt das für die Ausübung seines Berufs erforderliche Vertrauen seines Dienstherrn und sein Ansehen in der Öffentlichkeit aufs Schwerste und macht sich untragbar. In diesem Fall ist die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens geboten (2.2). Die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände (2.3) ergibt, dass der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen war, was nach seiner Ruhestandsversetzung als Aberkennung seines Ruhegehalts gilt. Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
1. Indem der Beklagte ab dem Jahr 2010 wiederholt Gelder von Schulkonten und aus Bargeldbeständen der Schule missbräuchlich zu seinem eigenen Vorteil für private Zwecke verwendete (1.1) und sich dadurch der Untreue in elf tatmehrheitlichen Fällen strafbar machte (1.2) hat er eine innerdienstliche Pflichtverletzung (1.3) begangen.
1.1 Der dem Beklagten im Disziplinarverfahren zur Last gelegte Sachverhalt, der dem rechtskräftigen Strafurteil des zuständigen Amtsgerichts vom 10. Oktober 2016 zugrunde liegt, steht nach Art. 25 Abs. 1, Art. 55 Halbsatz 1, Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayDG für den Senat bindend fest. Danach sind tatsächliche Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren, das denselben Sachverhalt wie das Disziplinarverfahren betrifft, auch im Berufungsverfahren bindend. Dem steht nicht der Umstand entgegen, dass die Gründe gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzt gefasst sind (BayVGH, U.v. 13.7.2011 – 16a D 09.3127 – juris Rn. 100). Der Beklagte hat den Sachverhalt auch in vollem Umfang eingeräumt (vgl. Einlassungen des Beklagten v. 30.5.2016, 10.10.2016 – Strafakte S. 172, 207; v. 14.10.2016 – Disziplinarakte S. 252 ff.).
Danach sind Gegenstand des Verfahrens elf Fälle der Untreue mit einem Schaden von insgesamt 68.000 Euro, die mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten und 2 Wochen geahndet wurden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zudem wurde dem Beklagten im Bewährungsbeschluss auferlegt, binnen neun Monaten 240 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Es steht fest, dass der Beklagte zwischen dem 25. Mai 2010 und dem 8. März 2013 wiederholt Gelder von Konten und aus Bargeldbeständen der Schule auf seine privaten Konten transferierte, um auf diese Weise eigene Liquiditätsengpässe zu überbrücken.
Die Bindungswirkung strafgerichtlicher Urteile umfasst auch die Feststellung, dass der Beamte vorsätzlich und schuldhaft gehandelt hat. Dies folgt aus der Tatsache der Verurteilung, die eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Betroffenen voraussetzt (BVerwG, B.v. 25.2.2016 – 2 B 1.15 – juris Rn. 9).
Aus der Feststellung des Strafgerichts, die bei dem Beklagten bestehende Spielsucht (ICD-10 F63.0) habe zu den einzelnen Tatzeitpunkten „nicht den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des Eingangsmerkmals des § 20 StGB erreicht“ (Strafurteil S. 3), folgt damit zwar eine Bindungswirkung hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Beklagten i.S.v. § 20 StGB zu den einzelnen Tatzeitpunkten; das Vorliegen einer verminderten Schuldfähigkeit als Bemessungsumstand ist damit allerdings nicht mit bindender Wirkung für das Disziplinargericht verneint worden (ausdrücklich offen gelassen: OVG NW, U.v. 26.4.2016 – 3d A 1785/14.O – juris Rn. 109). Denn es bleibt auch in dem Fall, in dem das Strafgericht die Frage der Schuldunfähigkeit mit der oben genannten Begründung verneint hat, Sache und Aufgabe des Disziplinargerichts für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme festzustellen, ob bei Vorliegen einer der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB ein Fall verminderter Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB gegeben ist (BVerwG, B.v. 23.5.2017 – 2 B 51.16 – juris Rn. 15; U.v. 29.5.2008 – 2 C 59.07 – juris Rn. 29). Denn die Bindung des Disziplinargerichts erstreckt sich nicht auf Feststellungen, die für die Frage einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB Bedeutung haben (BVerwG, B.v. 17.10.2019 – 2 B 79.18 – juris Rn. 9; B.v. 23.5.2017 – 2 B 51.16 – juris). Dies umfasst (sämtliche) Tatsachen, die der Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit entgegenstehen oder diese stützen (BVerwG, B.v. 29.8.2017 – 2 B 76.16 – juris Rn. 11; U.v. 29.5.2008 – 2 C 59.07 – juris Rn. 29). Kriminalstrafe und Disziplinarmaßnahme verfolgen unterschiedliche Zwecke (vgl. BVerfG, B.v. 2.5.1967 – 2 BvL 1/66 – juris Rn. 44 ff.; BVerwG, U.v. 6.7.2000 – 2 WD 9.00 – juris). Daher kann es nicht Sinn des Art. 25 Abs. 1 BayDG sein, die Disziplinargerichte bei ihrer ureigensten Aufgabe, das angemessene Disziplinarmaß zu finden (Art. 14 BayDG), an die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts zum Strafmaß zu binden (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 13.3.2003 – 1 WD 2.03 – juris Rn. 12). Somit ergibt sich, dass strafgerichtliche Feststellungen zu § 21 StGB im Rahmen des disziplinaren Zumessungskriteriums „Schwere des Dienstvergehens“ (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG) nicht bindend sind.
Der Senat hat keinen Anlass, sich aufgrund des Vorbringens des Beklagten von den Feststellungen des Strafgerichts zu lösen (Art. 55 Halbsatz 2 i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayDG). Danach sind die Disziplinargerichte nur an offenkundig unrichtige Feststellungen in einem rechtskräftigen Strafurteil nicht gebunden. Tatsächliche Umstände, aus denen sich die offenkundige Unrichtigkeit ergeben kann, wurden weder dargetan noch sind solche ersichtlich.
1.2 Der durch das Strafgericht bindend festgestellte und dem Beklagten im Disziplinarverfahren zur Last gelegte Sachverhalt ist rechtlich wie folgt zu bewerten:
Der Beklagte hat aufgrund des unberechtigten und eigenmächtigen Transfers von Schulgeldern auf seine privaten Konten eine Untreue in elf tatmehrheitlichen Fällen gemäß § 266 Abs. 1, Abs. 2, § 263 Abs. 3 Nr. 4, § 53 StGB begangen. Untreue i.S.d. § 266 Abs. 1 StGB begeht, wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt. Gemessen daran erfüllen die dem Beklagten im Strafurteil zur Last gelegten Abhebungen und die Verwendungen des Bargeldes zu privaten Zwecken den Treubruchtatbestand des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB (BayVGH, U.v. 28.6.2017 – 16a D 15.1484 – juris Rn. 72; SächsOVG, U.v. 7.3.2014 – D 6 A 555/10 – juris Rn. 74).
Als stellvertretendem Schulleiter war dem Beklagten durch die Schulleitung die Befugnis eingeräumt worden, Verfügungen über die Gelder auf den schulischen Konten zu treffen. Damit oblag ihm in verantwortlicher Stellung die selbständige Wahrnehmung von Vermögensangelegenheiten der Schule. In seiner Funktion erfüllte er somit, wie andere Amtsinhaber im öffentlichen Dienst, deren Amt typisch vermögensfürsorgerische Aufgaben mit sich bringt, die täterschaftlichen Voraussetzungen des Untreuetatbestandes („tauglicher Untreuetäter“, vgl. BGH, U.v. 6.5.1986 – 4 StR 124/86 – juris Rn. 7; vgl. Hübner in Leipziger Kommentar zum StGB. 12. Aufl. 2012 § 266 StGB Rn. 129; Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 266 Rn. 11).
Seine ihm obliegende Vermögensbetreuungspflicht hat der Beklagte dadurch verletzt, dass er in elf Fällen nach den bindenden Feststellungen im Urteil des zuständigen Amtsgerichts vom 10. Oktober 2016 Geldbeträge von dem Schulkonto auf sein eigenes Konto überwiesen oder schulische Gelder seiner privaten Verwendung zugeführt hat, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Dies stellt der Beklagte auch nicht in Abrede. Durch die Vereinnahmung und zumindest vorübergehende private Nutzung der für schulische Zwecke bestimmten Geldbeträge ist ein Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB eingetreten. Dieser liegt – wie bereits ausgeführt – in der unberechtigten privaten Nutzung von Geldern, die dem Beklagten dienstlich anvertraut worden waren.
In diesem Zusammenhang wirft die Berufung keine Bedenken gegen das angefochtene Urteil (UA S. 28 – juris Rn. 132) auf; solche sind auch sonst nicht ersichtlich, so dass der Senat insoweit den Entscheidungsgründen folgt und sie sich zu eigen macht (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 117 Abs. 5 VwGO), ohne dass hier weitere Ausführungen veranlasst sind.
Ferner kann offenbleiben, ob der Beklagte durch sein Verhalten auch eine Untreue in einem besonders schweren Fall (§ 266 Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB) begangen hat, weil er seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a StGB) missbraucht hat, obwohl die Amtsträgereigenschaft erst die Täterqualifikation des § 266 StGB begründet (vgl. BGH, U.v. 13.7.2000 – 4 StR 172/00 – juris Rn. 4; kritisch dazu h.L. Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 266 Rn. 53; Schünemann in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl. 2012, § 266 Rn. 218; Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 266 Rn. 190).
1.3 Der Beklagte hat durch die Begehung der Straftaten zugleich gegen die ihm obliegenden Dienstpflichten verstoßen, durch sein Verhalten innerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordert (§ 34 Satz 3 BeamtStG), und sein Amt uneigennützig zu führen (§ 34 Satz 2 BeamtStG).
Mit den vorgenannten Pflichtverletzungen hat er ein innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, weil sein pflichtwidriges Verhalten in sein Amt und in seine dienstlichen Pflichten eingebunden war (BVerwG, U.v. 15.11.2018 – 2 C 60.17 – juris Rn. 19). Der Beklagte hat nicht als Privatperson, sondern in seiner Funktion als stellvertretender Schulleiter Geldbeträge verwaltet, die ihm zur Verwendung für schulische Zwecke bzw. Anlässe anvertraut worden waren, so dass ein kausaler und funktionaler Zusammenhang mit dem bekleideten Amt besteht.
2. Das Fehlverhalten des Beklagten wiegt schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BayDG. Es hat zur Folge, dass der Beklagte das Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Deshalb ist nach Art. 14 Abs. 2 BayDG auf die Höchstmaßnahme zu erkennen.
Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist nur zulässig, wenn der Beamte wegen der schuldhaften Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht das für die Ausübung seines Amts erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG). Nur so können die Integrität des Berufsbeamtentums und das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung der Beamten aufrechterhalten werden. Ist die Weiterverwendung eines Beamten wegen eines von ihm begangenen schweren Dienstvergehens nicht mehr denkbar, muss er durch eine Disziplinarmaßnahme aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12 ff.).
2.1 Da die Schwere des Dienstvergehens nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 Abs. 1 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzungen, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 16).
Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, greift der Senat auch bei innerdienstlich begangenen Straftaten auf den Strafrahmen zurück (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2018 – 2 B 5.18 – juris Rn. 18; U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 19; B.v. 5.7.2016 – 2 B 2.16 – juris Rn. 14). Begeht ein Beamter innerdienstlich eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht (hier sind es bis zu fünf Jahre bzw. bei Untreue in einem besonders schweren Fall zehn Jahre), reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 20), bei Ruhestandsbeamten dementsprechend bis zur Aberkennung des Ruhegehalts (Art. 13, 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG). Bei innerdienstlichen Dienstvergehen kommt dem ausgeurteilten Strafmaß (hier elf Monate zwei Wochen Freiheitsstrafe) dabei keine „indizielle“ oder „präjudizielle“ Bedeutung für die Bestimmung der konkreten Disziplinarmaßnahme zu (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Rn. 15 f.).
2.2 Die in Ausfüllung dieses Rahmens zu treffende Ermessenentscheidung führt zur Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis bzw. Aberkennung seines Ruhegehalts, weil er durch sein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und auch der Allgemeinheit endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 BayDG). Eine vollständige Zerstörung des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit eines Beamten, die seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. bei Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhegehalts erforderlich macht, ist bei innerdienstlichen Betrugs- oder Untreuehandlungen in der Regel anzunehmen, wenn entweder das Eigengewicht der Tat besonders hoch ist oder eine zusätzliche Verfehlung mit erheblichem disziplinarischem Eigengewicht vorliegt und durchgreifende Milderungsgründe fehlen. Erschwernisgründe können sich z.B. aus der Anzahl und Häufigkeit der Taten, der Höhe des Gesamtschadens und der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse ergeben.
Die vollständige Ausschöpfung des Orientierungsrahmens ist hier wegen der konkreten Umstände des Dienstvergehens geboten. Es handelt sich bei dem Dienstvergehen nicht um ein einmaliges Fehlverhalten, sondern um insgesamt elf Untreuehandlungen, die knapp drei Jahre andauerten. Ein Beamter, der seinen Dienstherrn zur eigenen Bereicherung durch eine Untreuehandlung schädigt, begeht ein schwerwiegendes Dienstvergehen. Der Dienstherr kann seine Bediensteten nicht auf Schritt und Tritt kontrollieren. Für eine effiziente Aufgabenerfüllung ist er darauf angewiesen, ihnen Vertrauen entgegenzubringen. Ein Beamter, der dies ausnutzt, um sich zu bereichern, belastet das unverzichtbare Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit in die ordnungsgemäße und uneigennützige Aufgabenwahrnehmung empfindlich.
Zu Lasten des Beklagten musste die erhebliche Höhe des ursprünglichen Schadens (68.000 Euro) und die vielen Fälle, begangen über einen langen Zeitraum berücksichtigt werden. Der Beklagte war zum Tatzeitpunkt stellvertretender Schulleiter eines Gymnasiums und hatte in dieser Funktion eine Vorgesetztenfunktion und Vorbildfunktion über den Kollegenkreis hinaus inne. Seine (inner-)dienstliche Stellung wirkt sich erschwerend aus, weil die Verletzung insbesondere innerdienstlicher Pflichten durch Vorgesetzte größere Auswirkungen auf die Dienstmoral und das Ansehen der öffentlichen Verwaltung auslöst als bei Beamten in untergeordneter Dienststellung (vgl. Conrad in Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: Aug. 2019, Art. 14 Rn. 10). Zudem handelt es sich bei der Pflicht, Eigentum und Vermögen des Dienstherrn nicht zu schädigen, um die Verletzung von leicht einsehbaren Kernpflichten und selbstverständlichen Grundpflichten eines Beamten.
2.3 Mildernde Umstände von solchem Gewicht, die trotz der Schwere des Dienstvergehens die Verhängung der Höchstmaßnahme als unangemessen erscheinen lassen, liegen entgegen der Ansicht des Beklagten nicht vor.
2.3.1 Bei der Bewertung der Schwere der Tat wäre eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten heranzuziehen und zu prüfen, ob noch die schärfste Disziplinarmaßnahme geboten ist. Wäre das Ergebnis, dass eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit wegen des Vorliegens eines der in § 20 StGB genannten Eingangskriterien (§ 21 StGB) zu beachten ist, so käme die Höchstmaßnahme regelmäßig nicht mehr, sondern nur im Ausnahmefall in Betracht (BVerwG U.v. 25.3.2010 – 2 C 83.08 – juris Ls 1, Rn. 34; U.v. 20.10.2011 – 2 B 61.10 – juris Rn. 9; U.v. 11.1.2012 – 2 B 78.11 – juris Rn. 5; Zängl a.a.O. MatR/I Rn. 46).
Ist wie hier die Frage der Schuldunfähigkeit (wegen seelischer Störungen, § 20 StGB) mit bindender Wirkung verneint, bleibt es Sache des erkennenden Gerichts, für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme festzustellen, ob bei Vorliegen der Eingangsvoraussetzung des § 20 StGB ein Fall verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB gegeben ist und welchen Grad die Minderung gegebenenfalls erreicht (zum Ausmaß der Bindungswirkung s.o. unter 1.1).
Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2008 – 2 B 48.08 – juris Rn. 7; BGH, U.v. 27.11.1959 – 4 StR 394/59 – juris Rn. 10; U.v. 21.11.1969 – 3 StR 249/68 – juris Rn. 30). Eine Suchtkrankheit führt nicht notwendigerweise zu einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn die Erkrankung zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder wenn der Betroffene Beschaffungstaten nur unter starken Entzugserscheinungen oder im Zustand eines akuten Rausches verübt (BVerwG, U.v. 3.5.2007 – 2 C 9.06 – juris Rn. 32; U.v. 16.3.1993 – 1 D 69.91 – juris Rn. 16 Bulimie; BGH, U.v. 20.9.1988 – 1 StR 369/88 – juris Rn. 6; U.v. 6.6.1989 – 5 StR 175/89 – juris Rn. 2).
Die daran anknüpfende Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung „erheblich“ war, ist eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben (BVerwG, B.v. 11.1.2012 – 2 B 78.11 – juris Rn. 6; U.v. 29.5.2008 – 2 C 59.07 – juris Rn. 30). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise (stRspr, vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 16.7.2020 – 2 B 8.20 – juris Rn. 20; U.v. 25.3.2010 – 2 C 83.08 – juris Rn. 29 m.w.N.; B.v. 11.1.2012 a.a.O.; U.v. 29.5.2008 a.a.O.). Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer die in Streit stehende Verfehlung wiegt (Gansen in: Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, 30. Update Juli 2020, 3.2.3.2 Erheblich verminderte Schuldfähigkeit Rn. 33; BVerwG; U.v. 3.5.2007 – 2 C 30.05 – juris Rn. 35; BGH, U.v. 21.1.2004 – 1 StR 346/03 – juris Rn. 34; U.v. 22.10.2004 – 1 StR 248/04 – juris Rn. 10). Für die Annahme einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit sind schwerwiegende Gesichtspunkte heranzuziehen wie etwa Psychopathien, Neurosen, Triebstörungen, leichtere Formen des Schwachsinns, altersbedingte Persönlichkeitsveränderungen, Affektzustände sowie Folgeerscheinungen einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten. Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab (BVerwG, B.v. 19.2.2018 – 2 B 51.17 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 22.7.2020 – 16a D 18.1918 – juris 49; U.v. 3.5.2017 – 16a D 15.1777 – juris Rn. 40; Zängl a.a.O. MatR/I Rn. 46 m.w.N.). Daher wird man bei Zugriffsdelikten nur in Ausnahmefällen von der Erheblichkeit einer festgestellten verminderten Schuldfähigkeit ausgehen können (vgl. BVerwG, U.v. 15.7.2019 – 2 B 8.19 – juris Rn. 11; U.v. 29.5.2008 – 2 C 59.07 – juris Rn. 30; U.v. 3.5.2007 – 2 C 9.06 – juris Rn. 34; BayVGH, U.v. 29. 7. 2015 – 16b D 14.1328 – juris Rn. 43).
Gemessen daran lag bei dem Beklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten keine erheblich verminderte Schuldfähigkeit vor, die zu einem Absehen von der disziplinarischen Höchstmaßnahme führen würde. Es fehlt an dem Vorliegen eines der in § 20 StGB genannten Eingangskriterien (a) sowie an der Erheblichkeit einer verminderten Schuldfähigkeit (b).
a. Obgleich die Pflichtverletzungen – zumindest mittelbar – im Zusammenhang mit seiner Spielsucht (ICD-10 F63.0) gestanden haben dürften, kann sich der Beklagte nicht mit Erfolg auf eine suchtbedingte Enthemmung, namentlich auf eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB als durchschlagenden Milderungsgrund berufen. Denn nach der Überzeugungsgewissheit des Senats handelte der Beklagte nicht aufgrund einer krankhaften seelischen Störung gemäß §§ 20, 21 StGB im Zustand erheblich eingeschränkter Steuerungs- und damit Schuldfähigkeit. Es bestehen weder belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die Spielsucht bei dem Beklagten zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hätte, noch, dass sich die Erkrankung in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat (BGH, U.v. 13.3.2019 – 1 StR 424/18 – juris Rn. 23).
Hier sprechen zunächst die Vorbereitung der Tat und das konkrete Einsetzen der veruntreuenden Geldbeträge gegen eine völlige Einengung des Verhaltensspielraums auf das Glücksspiel. Nach seinen eigenen Einlassungen (Schr. v. 14.10.2016 – Behördenakte S. 252) habe der Beklagte „zu keiner Zeit mit den Geldern gewirtschaftet, sondern sie lediglich auf (…) [seine] Privatkonten umgebucht, und dort,geparkt‘, um Sollzinsen für (…) [seine] privaten Liquiditätsprobleme zu sparen“. Die Straftaten dienten damit schon nicht unmittelbar der Fortsetzung des Spielens (BGH, U.v. 13.3.2019 – 1 StR 424/18 – juris Rn. 23). Dabei verkennt der Senat nicht die naheliegende Vermutung, dass die Taten mittelbar auch der Spielsucht geschuldet gewesen sein dürften, weil sie der Verbesserung der Kreditwürdigkeit dienten, um zukünftig fürs Spielen leichter an Gelder zu gelangen. Gleichwohl muss hierbei auch Berücksichtigung finden, dass auch andere Ursachen, wie sein aufwendiger Lebensstil (u.a. wollte er „seiner Frau den gleichen materiellen Wohlstand ermöglichen (…), wie es in ihrem gemeinsamen, sehr wohl situierten Freundeskreis üblich gewesen sei“ – Gutachten S. 13) und seine teuren Urlaubsreisen, mit denen er sich im Lehrerzimmer gebrüstet habe (Schulleiterin v. 14.2.2017, Behördenakte S. 278), zu seiner finanziellen Schieflage geführt haben und damit maßgebliche Triebfeder seines Handelns gewesen sein dürften. Angesichts der nach eigenen Aussagen seit 25 Jahren bestehenden Spielleidenschaft, in denen er 250.000 Euro verspielt habe (Oberbergkliniken v. 26.9.2016; bereits 1990/1991 „die ersten 100.000 DM“ – Gutachten S. 23), erscheint ein ursächlicher Zusammenhang zwischen seiner Erkrankung und den sich zwischen Mai 2010 und März 2013 begangenen Straftaten nach Überzeugung des Senats als nicht gesichert. Diese Annahme wird gestützt durch seine Tatmotivation. Erst aufgrund der Finanzkrise 2008/2009, die ihm „den Hals (…) gebrochen“ (S. 23) habe, sei es zu den „ersten Unterschlagungen gekommen, da [er] es (…) kaum noch geschafft habe, die hohen Zinsen der Kreditkarten zu zahlen“. Trotz seiner Spielsucht und den seit 2003 bestehenden Zugriffsmöglichkeiten auf die schulischen Konten (Protokoll S. 2, VG-Akte S. 50), beging er die Untreuetaten (erst) im Jahr 2010, so dass ein Zusammenhang zu der seit Jahren bestehenden pathologischen Spielsucht nicht zwingend erscheint.
Ungeachtet dessen, fehlt es aber auch an belastbaren Anhaltspunkten dafür, dass die vorliegende Suchtkrankheit zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen bei dem Beklagten geführt, und dieser damit die Untreuetaten im Zustand verminderter Schuldfähigkeit verübt hat. Gegenteiliges ergibt sich weder aus den vorgelegten ärztlichen Befundberichten (aa) noch aus dem vom Beklagten in Auftrag gegebenen psychiatrischen Sachverständigengutachten des Prof. Dr. V. (bb).
aa. Die vorgelegten Befundberichte wurden bereits durch die Erstinstanz ordnungsgemäß gewürdigt (UA – juris Rn. 162). Sie enthalten keine Ausführungen zur Schuldfähigkeit oder zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen des Beklagten. Ausweislich des Berichts der Oberbergkliniken GmbH vom 26. September 2016 gab der Beklagte in der damaligen Anamnese zwar an, in den letzten 25 Jahren mit Roulette-Spielen und Börsenspekulationen insgesamt ca. 250.000 € verspielt zu haben. Feststellungen zu einer schwersten Persönlichkeitsveränderung oder einer verminderten Schuldfähigkeit werden allerdings nicht getroffen, noch nicht einmal erwogen. Vielmehr wird darin festgestellt, dass der Beklagte bis vor kurzem in seinem Spielverhalten kein „psychisches Problem gesehen“, sich auch nicht als „süchtig“ erlebt, vielmehr gedacht und gehofft habe, noch alles „unter Kontrolle zu haben“ und durch neue Spiele, Investitionen o. ä. die entstandenen Schulden wieder ausgleichen zu können. Bis Mai 2016 sei „all dies“ zudem ohne das Wissen seiner Ehefrau erfolgt.
Nach den Befundberichten der Diplom-Psychologin R. (v. 12.11.2018 und 7.7.2017), in denen im Wesentlichen das Vorliegen der Suchterkrankung begründet wird, sei die Veruntreuung der schulischen Gelder durch die Spielsucht (Impulskontrollstörung) des Beklagten, die den „Hintergrund für sein Tun“ dargestellt habe, „zu erklären“. Aufgrund der Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie S. (v. 10.7.2017) „sei davon auszugehen, dass die Veruntreuung der Schulgelder in unmittelbarem Zusammenhang mit der Grunderkrankung (Spielsucht) des Beklagten stehe“. Diese Aussagen bestätigen allerdings (lediglich) die Feststellungen des Amtsgerichts, dass der Transfer von Schulgeldern seinen Grund in der beim Beklagten bestehenden Spielsucht und der Überbrückung der hierdurch entstandenen Liquiditätsengpässe gehabt habe. Dass beim Beklagten jedoch die oben genannten qualifizierten Voraussetzungen für eine verminderte Schuldfähigkeit aufgrund der Spielsucht vorgelegen haben könnten, lässt sich den ärztlichen Stellungnahmen nicht entnehmen. Vor diesem Hintergrund war abgesehen davon, dass schon kein förmlicher Beweisantrag im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO gestellt wurde (BVerwG, B.v. 5.10.1993 – 11 B 62.93 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 20.4.2016 – 15 ZB 14.2686 – juris Rn. 67; B.v. 7.8.2012 – 15 ZB 11.434 – juris Rn. 24), eine Zeugenvernehmung der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie S. weder im erstinstanzlichen noch im Berufungsverfahren angezeigt.
bb. Der im Rahmen des Berufungsverfahrens vom Beklagten beauftragte Sachverständige Prof. Dr. V. hat in seinem Psychiatrischen Gutachten vom 9. September 2020 zwar ausdrücklich festgestellt, dass es zu „Fehlhandlungen gekommen [sei], die dem Probanden wesensfremd sind, so dass hier eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit anzunehmen“ sei. Dieser Schlussfolgerung schließt sich der Senat jedoch nicht an; denn das Gutachten ist nicht geeignet, die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen für das Vorliegen eines Eingangsmerkmals nach § 20 StGB zu vermitteln. Die letzte Verantwortung für die Annahme voller Schuldfähigkeit liegt beim Tatrichter. Kann er die sichere Überzeugung davon, dass eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auszuschließen ist, nachvollziehbar nicht gewinnen, so ist dies grundsätzlich hinzunehmen (BGH, U.v. 18.5.1995 – 4 StR 698/94 – juris Rn. 10).
Der Gutachter äußert sich bereits nicht ausdrücklich zu den gesetzlichen Eingangsmerkmalen für eine Annahme der Schuldunfähigkeit des §§ 20, 21 StGB. Es bleibt ungeklärt, inwieweit eine „krankhafte seelische Störung“ oder „schwere andere seelische Abartigkeit“ vorliegt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann für die Anwendung der §§ 20, 21 StGB regelmäßig aber nicht offenbleiben, welche der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB vorliegt. Die bloße Angabe einer Diagnose im Sinne eines der Klassifikationssysteme ICD-10 oder DSM-IV ersetzt nicht die Feststellung eines der Merkmale des § 20 StGB (BGH, B.v. 12.11.2004 – 2 StR 367/04 – juris Rn. 13).
Der Gutachter bestätigt vielmehr, dass „aufgrund der komplexen Handlungsabläufe, die mit den Transaktionen verbunden waren, (…) keine aufgehobene Steuerungsfähigkeit vorgelegen haben [kann], wie auch eine relevante Alteration der Einsichtsfähigkeit für die Taten ausscheidet“ (Gutachten S. 38). Für eine dennoch anzunehmende verminderte Schuldfähigkeit findet sich keine nachvollziehbare Begründung. Die vom Gutachter lediglich apodiktisch festgestellten Schlussfolgerungen werden überwiegend freischwebend und ohne Benennung der Anknüpfungs- und Befundtatsachen gezogen. Entscheidend für die inhaltliche Brauchbarkeit des Gutachtens ist aber, ob es wissenschaftlich hinreichend begründete Aussagen über den Zusammenhang zwischen einer diagnostizierten psychischen Störung und der Tat enthält, welche Gegenstand des Verfahrens ist. Es ist also – unabhängig von der Einordnung unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB – im Einzelnen konkret darzulegen, ob und ggf. wie sich die Störung auf das Einsichts- oder Hemmungsvermögen des Beschuldigten tatsächlich ausgewirkt hat (vgl. BGH, B.v. 12.11.2004 – 2 StR 367/04 – juris Rn. 25 m.w.N.). Hieran fehlt es offensichtlich.
In dem Gutachten fehlen zudem belastbare Anknüpfungstatsachen dafür, dass die Suchtkrankheit des Beklagten bei ihm zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat. Die bloße Behauptung, dass die Persönlichkeit des Probanden „eindimensional“ wird und „depravierte Züge“ zeige (Gutachten S. 37) ist aus sich heraus kaum nachvollziehbar, weil nicht aufgezeigt wird, auf welchen Erkenntnissen diese Schlussfolgerung basiert. Obwohl der Gutachter mehrfach unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Ausdruck bringt (Gutachten S. 4, 35), dass nur ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit anzunehmen sei, wenn die Spielsucht zu „schwersten Persönlichkeitsveränderungen“ führe oder der Täter bei Geldbeschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten habe, unterlässt er es, diese besonderen Voraussetzungen anhand des von ihm selbst aufgezeigten Bewertungsmaßstabs (Gutachten S. 33 ff. anhand Müller/Nedopil oder Foerster/Bork) zu belegen. Damit mangelt es dem Gutachten an Tatsachen, die es rational nachvollziehbar und für das Gericht verständlich und überprüfbar machen. Indem der Gutachter behauptet, dass „insofern (…) mit der Zeit eine deutliche Persönlichkeitsdeformation eingesetzt“ habe (S. 37), entspricht dies schon terminologisch nicht den Anforderungen der Rechtsprechung. Zudem bringt der Gutachter durch das Wort „insofern“ zum Ausdruck, dass er seine Schlussfolgerung aus seiner in dem vorherigen Satz getroffenen Aussage bezogen wissen will, wonach der Beklagte „nach Entdeckung der Tat (…) depressiv“ geworden sei; dabei wird allerdings verkannt, dass es vorliegend bei der Bewertung der Frage nach einer womöglich vorliegenden verminderten Schuldfähigkeit auf die jeweiligen Tatzeitpunkte ankommt.
Nicht nachvollziehbar ist ferner, aus welchen Gründen die narzisstisch akzentuierte Persönlichkeit des Beklagten (Gutachten S. 37) zu einer „schwersten Persönlichkeitsveränderung“ geführt haben sollte. Eine nähere Erläuterung hierzu unterbleibt. Darüber hinaus enthält das Gutachten im Hinblick auf die behauptete deutliche Persönlichkeitsdeformation des Beklagten erhebliche Lücken, indem es gänzlich ausblendet, dass weder der Ehefrau des Beklagten noch seinem beruflichen Umfeld seine pathologische Spielsucht aufgefallen sind und sich auch der Beklagte selbst „nicht als süchtig erlebt“ und gedacht habe, „alles unter Kontrolle zu haben“ (Oberbergkliniken v. 26.9.16, S. 1, 4). Weder hierzu noch zu den dienstlichen Leistungen (dienstliche Beurteilung 2010), den teilweisen im Tatzeitraum erfolgten Beförderungen (August 2004 zu Mitarbeitern der Schulleitung, am 13.12.2007 zum Studiendirektor – Besoldungsgruppe A 15, am 20.2.2012 zum Konrektor – Besoldungsgruppe A 12 mit Amtszulage) oder den vom Beklagten vorgelegten Leumundszeugnissen und Referenzen (Behördenakte S. 254 ff.), die keinen Anhaltspunkt für eine Persönlichkeitsveränderung des Beklagten beinhalten, sondern im Gegenteil ihm Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Engagement bescheinigen, wird Stellung bezogen. Zudem setzt sich der Gutachter nicht mit den von ihm selbst aufgeworfenen Kriterien fundiert und nachvollziehbar auseinander. Unter Berücksichtigung von Müller und Nedopil (Forensische Psychiatrie, Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht, 5. Aufl. 2017) spreche „gegen eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit (…) [ein] kontrolliertes, besonnenes Verhalten (…) sowie, wenn beim Tathergang ein klar identifizierbares Ziel oder eine Intention, eine Zielgerichtetheit im Tatablauf, vorbereitende Handlungen, ein komplexer Handlungsablauf und eine Konstellation der Tatsituation durch den Täter erkennbar“ seien (Gutachten S. 35). Unter Bezugnahme auf Foerster und Bork („Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle nach ICD-10 in Dreßing und Habermayer Psychiatrische Begutachtung – Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen, 2015, S. 331 ff.) deute es auf eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit hin, wenn „das Delikt bzw. die delinquenten Handlungen impulsiv, ohne Vorplanung und Organisation“ erfolgt seien (Gutachten S. 36). Zu diesen Kriterien verhält sich das Gutachten ebenfalls nicht. Die vorliegenden Erkenntnisse über den Tatablauf zeigen auch nicht ansatzweise Anhaltspunkte auf, die insoweit eine verminderte Schuldfähigkeit stützen würden. Die planvolle Vorgehensweise des Beklagten über Jahre hinweg, sein Überweisungsbetreff „TGA“ (Tagesgeldanlage), um kenntlich zu machen, dass das Geld zurückbezahlt werde (Protokoll S. 3, VGH-Akte S. 198) und seine rationale Handlungsmotivation, (lediglich) vorübergehende Liquiditätsengpässe überbrücken zu wollen ohne die Tatbeute unmittelbar zur Befriedigung seiner Spielsucht zu verwenden, weisen vielmehr auf eine zielgerichtete, kontrollierte und besonnene Vorgehensweise hin, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der bestehenden Spielsucht gestanden und der (zwanghaften) Fortsetzung des Spielens gedient hat (vgl. BGH, U.v. 7.11.2013 – 5 StR 377/13 – juris Rn. 23 f.). Der Tatablauf spiegelt damit ein langjähriges planvolles Vorgehen des Beklagten und die bewusste Verschleierung der finanziellen Transaktionen zulasten der Schule wider.
Darüber hinaus bleibt die weitere Behauptung des Gutachters, es handele sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der Tathandlungen um einen „chronischen, progredienten, selbstzerstörerischen Verlauf“, der Beklagte bringe „sich und seine Familie an den Rand der (ökonomischen) Vernichtung“ und habe „die bürgerliche Reputation (…) in der Tat tatsächlich weitgehend vernichtet“ ebenfalls ohne substantielle Begründung. Im Zeitraum der Untreuehandlungen beliefen sich die Schulden des Beklagten auf ca. 160.000 Euro (Gutachten S. 9). Gleichwohl stand die Familie des Beklagten dadurch nicht am Rand der (ökonomischen) Vernichtung. Dies belegt die dem Einbehalt der Dienstbezüge zugrunde gelegte Einkommenssituation der Eheleute (vgl. Bescheid v. 21.10.2019, S. 20 – VGH-Akte S. 128). Selbst unter Berücksichtigung der um 30% gekürzten Versorgungsbezüge des Beklagten und seinen monatlichen Aufwendungen und Belastungen, darunter Miete, Krankenkasse, Versicherungen, Tilgung von Bausparverträgen und sonstigen Schulden in Höhe von allein 2.180 Euro/Monat verbleibt den Ehegatten ein monatliches Einkommen in Höhe von 1.203,74 Euro.
Soweit der Gutachter daneben meint, es würden zusätzlich belastende Faktoren auf den Beklagten gewirkt haben, räumt er selbst ein, dass diese Behauptung „spekulativ“ sei (Gutachten S. 38). Die zeitliche Diskrepanz zwischen dem Beginn der Nierenerkrankung der Tochter im Jahr 2007 und den Untreuehandlungen (2010 bis 2013) wird nicht aufgelöst, das wohl dominante Handlungsmotiv (Finanzkrise und hohe Zinsbelastung der Kreditkarten – Gutachten S. 23) ausgeblendet. Widersprüchlich erscheint zudem, wenn der Gutachter ohne nähere Darlegungen „die sich zunehmend abkühlende Beziehung zu seiner Ehefrau“ als belastenden Faktor berücksichtigen will, wenn seine „zweite Ehe (…) insgesamt sehr gut gewesen“ sein soll (Gutachten S. 20). Dies gilt insbesondere deshalb, weil die zusätzlichen Belastungen nach Foerster und Bork zu einer „erheblichen Erschütterung der Ich-Funktion geführt haben“ (Gutachten S. 36) müssten. Vor dem Hintergrund des Verschweigens seiner Spielsucht bleibt auch die gutachterliche Aussage (S. 37) unschlüssig, dass „persönliche Beziehungen, selbst zur Ehefrau, ausbeuterisch der Spielsucht geopfert“ worden sein sollen.
Das vorliegende Gutachten weist aber nicht nur die aufgezeigten unlösbaren inhaltlichen Widersprüche auf, sondern geht auch von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus. Der Gutachter nimmt fälschlicherweise an, dass der Beklagte zu spekulieren und zu spielen „beginnt“, als „keine [beruflichen] Steigerungen mehr möglich erscheinen“ (Gutachten S. 36). Der Beklagte begann bereits vor 25 Jahren mit Roulette-Spielen und Börsenspekulationen (Gutachten S. 3, 9) und wurde in den darauffolgenden Jahren laufend – sogar noch während seines straffälligen Verhaltens – befördert (zum 1.8.2004: Mitarbeiter in der Schulleitung; zum 13.12.2007: Studiendirektor; zum 1.2.2012: ständiger Vertreter der Schulleitung; zum 1.1.2013: Studiendirektor A 15 mit Amtszulage).
Bei alldem bleibt außer Betracht, dass die Ausführungen des Gutachters allein auf den Angaben des Beklagten basieren und Aussagen zu einem Zustand des Beklagten getroffen werden, der vor bis zu zehn Jahren bestanden haben soll.
b. Aber auch unabhängig vom Fehlen eines Eingangsmerkmales war die vom Sachverständigen behauptete verminderte Schuldfähigkeit nicht erheblich. Bei dem Dienstvergehen des Beklagten geht es nicht um rechtlich oder tatsächlich schwierige Pflichtentatbestände. Vielmehr handelt es sich um eine jedem Beamten, der mit amtlichen Geldern zu tun hat, ohne weiteres einsichtige Pflicht, sein Amt uneigennützig zu verwalten, d.h. nicht auf amtlich anvertrautes Geld für eigene Zwecke zuzugreifen (BVerwG, U.v. 19.1.1993 – 1 D 68.91 – juris Rn. 24). Warum der Beklagte beim Erkennen oder Befolgen gerade dieser einfachen Grundpflichten unvermeidbar versagt haben soll, während er anderen beruflichen oder privaten Pflichten vollauf genügt hat, ist nicht nachvollziehbar. Hingegen wäre zu erwarten gewesen, dass er trotz seiner Spielsucht noch genügend Widerstandskraft gegen die Dienstpflichtverletzungen hätte aufbringen können.
2.3.2 Des Weiteren führt auch eine vermeintlich fehlende Dienstaufsicht nicht zum Absehen von der disziplinarischen Höchststrafe.
Denn eine unzureichende Kontrolle wirkt sich regelmäßig nicht entlastend für einen Beamten aus (vgl. dazu Weiß, GKÖD Band II, Stand Juli 2020, J 270 Rn. 38; BayVGH, U.v. 30.9.2020 – 16a D 18.1764 – UA Rn. 64 ff.). Gerade Beamte müssen aufgrund ihres dienstrechtlich gesteigerten Vertrauens und Treueverhältnisses auch dann zuverlässig Dienst tun, wenn eine lückenlose Kontrolle der Betriebsabläufe und des Personals nicht durchführbar ist. Von einem Beamten muss erwartet werden, dass er sich auch dann ehrlich verhält, wenn er nicht besonders überwacht wird. Aufgrund der beamtenrechtlichen Treuepflicht darf erwartet werden, dass Beamte fehlende innerdienstliche Kontrollen nicht zur Begehung von Pflichtwidrigkeiten nutzen (BVerwG, U.v. 25.6.1997 – 1 D 72.96 – juris Rn. 18; U.v. 12.7.1994 – 1 D 39.93 – juris Rn. 19). Der Beamte hat seine Pflichten ohne Rücksicht darauf zu erfüllen, inwieweit er überwacht wird. Zweck der Dienstaufsicht ist nicht, den Beamten vor pflichtwidrigem Verhalten zu bewahren, sondern die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung sicherzustellen (Findeisen, BayDG, Stand Mai 2017, Art. 14 Erl. 2.3 S.6). Auch eine nur lückenhafte Überwachung gibt ihm „keinen Freibrief“, seine Pflicht zu verletzen. Er muss in der unterlassenen Überwachung vielmehr einen Beweis des in ihn gesetzten Vertrauens sehen; dies muss ihm ein Ansporn sein, der sich in ihn gesetzten Vertrauens würdig zu erweisen (Weiß, GKÖD Band II, Stand Juli 2020, J 270 Rn. 38).
Nur in Sonderlagen kann eine unzureichende Dienstaufsicht durch Vorgesetzte unter dem Blickwinkel der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des „Mitverschuldens“ als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden. Hierfür müssen aber konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorliegen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich machten, solche aber pflichtwidrig unterblieben oder nur unzureichend durchgeführt wurden (BVerwG, U.v. 10.1.2007 – 1 D 15.05 – juris Rn. 22; B.v. 11.7.2014 – 2 B 70.13 – juris Rn. 9).
Solche konkreten Anhaltspunkte lagen der Vorgesetzten des Beklagten nicht vor. Sein Verhalten gab keinen Anlass zu dienstlichen Beanstandungen oder Zweifeln an dessen Zuverlässigkeit. In der dienstlichen Beurteilung 2010, die maßgeblich dazu beigetrug, dass die Schulleiterin – entgegen ihrer ursprünglichen Absicht – dem Beklagten doch die Kontoführung überließ (Protokoll S. 3, VG-Akte S. 145), wurde ihm bescheinigt, dass er seine Aufgabenfelder im Schulleitungsteam eigenständig, souverän, zielorientiert und mit hoher Akzeptanz im Kollegium bearbeite. Als Mitarbeiter in der Schulleitung habe er sich sehr gut bewährt. Die eigenverantwortliche Betreuung der schulischen Konten verlief durchwegs beanstandungsfrei und ohne offen zu Tage tretende, gravierende Unregelmäßigkeiten.
Mit der Errichtung eines Kassenprüfungsausschusses gemäß § 24 Satz 5 GSO in der bis zum 31. Juli 2016 gültigen Fassung (§ 25 Abs. 1 Satz 6 i.V.m. § 7 Abs. 3 BaySchO) war eine ordnungsgemäße Dienstaufsicht installiert. Nach Aussage der Schulleiterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht (Protokoll S. 3 f., VG-Akte S. 145) sei im Jahr 2011 bei der Kassenprüfung das Schulkonto geprüft worden. Es habe dann bis zum Jahr 2014 gedauert, bis die nächste Kassenprüfung habe erfolgen können, da der Beklagte die Kontoprüfung verschleppt habe und seitens des Beklagten keine aufbereiteten Unterlagen vorgelegt worden seien. Das Unterlassen der in den Schuljahren 2012 und 2013 gesetzlich vorgeschriebenen Prüfung führt vor diesem Hintergrund – wie das Verwaltungsgericht zu Recht feststellte (UA – juris Rn. 181 ff.) – zu keiner Entlastung des Beklagten, da er durch sein Verhalten maßgeblich mit dazu beigetragen hat, dass es zu den Verzögerungen bei der Kassenprüfung gekommen ist. Er selbst hat in den mündlichen Verhandlungen (Protokoll S. 7, VG-Akte S. 147; Protokoll S. 4; VGH-Akte S. 199) eingeräumt, kein Interesse an der Durchführung der Kassenprüfung gehabt und versucht zu haben, Kontoprüfungen möglichst hinauszuschieben. Dies ist ohne weiteres nachvollziehbar, da der Beklagte mit der Entdeckung der von ihm vorgenommenen unberechtigten Abhebungen vom Schulkonto hätte rechnen müssen. Da er damit die unzureichende Kontrolle maßgeblich mitverursacht und zielgerichtet ausgenutzt hat (Findeisen, BayDG, Stand Mai 2017, Art. 14 Erl. 2.3 S.6), kann er sich darauf nicht als Milderungsgrund berufen. Die Eigenverantwortung des Beklagten für sein Handeln wiegt somit schwerer als die ggf. mangelhafte Kontrolle des Dienstherrn (vgl. BayVGH, U.v. 29.7.2015 – 16b D 13.778 – juris Rn. 62; U.v. 24.9.2014 – 16a D 13.118 – juris Rn. 103).
2.3.3 Anhaltspunkte für das Vorliegen weiterer sog. anerkannter Milderungsgründe, wie eine einmalige persönlichkeitsfremde Augenblickstat, bestehen nicht. Die Pflichtverletzungen an unterschiedlichen Tagen über einen Zeitraum von knapp drei Jahren schließen die Annahme einer persönlichkeitsfremden Tat aus. Von einem durch Spontaneität und Kopflosigkeit bestimmten Verhalten als Charakteristika der persönlichkeitsfremden Augenblickstat kann angesichts der mehrfachen „Entgleisungen“ des Beklagten nicht ausgegangen werden (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2016 – 2 WD 19.15 – juris Rn. 55). Die spätere Einräumung des Fehlverhaltens und die Wiedergutmachung des Schadens durch Erstattung des Betrages nach der Entdeckung, wozu der Beamte ohnehin zivil- und beamtenrechtlich verpflichtet ist, stellt keinen beachtlichen Milderungsgrund dar (BayVGH, B.v. 31.7.2017 – 16a DS 16.2489 – juris Rn. 11; BVerwG, U.v. 29.8.2001 – 1 D 8.00 – juris Rn. 69; Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: Aug. 2019, MatR/II, Rn. 324d).
2.3.4 Der Milderungsgrund einer unverschuldeten ausweglosen wirtschaftlichen Notlage greift im vorliegenden Fall – wie das Verwaltungsgericht (UA S. 34 – juris Rn. 164) zu Recht festgestellt hat – schon deshalb nicht ein, weil es sich hier jedenfalls nicht um ein vorübergehendes, zeitlich und zahlenmäßig eng begrenztes Fehlverhalten gehandelt hat. Wiederholte Zugriffs- oder zugriffsähnliche Handlungen über einen längeren Zeitraum erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2002 – 1 D 5.02 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 3.5.2017 – 16a D 15.2087 – juris Rn. 54). Schließlich hat der Beamte schon nicht dargetan, dass er sich seinerzeit in einer „existenzbedrohenden“ Notlage befunden habe. Eine solche folgt angesichts der Einkommensverhältnisse des Beklagten nicht schon daraus, dass er im Tatzeitraum mit 160.000 Euro verschuldet gewesen sei. Sogar unter Berücksichtigung einer Schuldentilgung in Höhe von monatlich 2.180 Euro lässt sich angesichts der Dienstbezüge des Beklagten und seiner Ehefrau nicht erkennen, dass die wirtschaftliche Existenz des Beamten und seiner Familie „auf dem Spiele gestanden“ hätte (s. dazu 2.3.1).
2.3.5 Als in der gerichtlichen Praxis entwickelten Milderungsgrund kann sich der Beklagte auch nicht auf eine „Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase“ berufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 12.7.2018 – 2 B 1.18 – juris Rn. 15) setzt dies außergewöhnliche Verhältnisse voraus, die den Beamten während des Tatzeitraums oder im Tatzeitpunkt „aus der Bahn geworfen“ haben. Die mildernde Berücksichtigung liegt vor allem dann nahe, wenn sich der Pflichtenverstoß als Folge dieser Verhältnisse darstellt. Dabei wird nicht verkannt, dass sich der Beklagte aufgrund seiner Spielsucht in einer schwierigen Lebenslage befunden hat. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die Nierenerkrankung seiner Tochter in kausalem Zusammenhang zu den Verstößen gegen die Dienstpflichten gestanden hätten, bestehen schon in zeitlicher Hinsicht nicht (s. dazu 2.3.1). Hinzu kommt, dass das dienstliche Verhalten des Beamten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten in keiner Hinsicht auffällig gewesen ist, so dass auch insoweit keine Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, der Beamte sei aufgrund von außergewöhnlichen Umständen „zeitweilig aus der Bahn geworfen“ (vgl. BVerwG, B.v. 15.6.2016 – 2 B 49.15 – juris Rn. 11).
2.3.6 Dass der Beklagte zwischenzeitlich in den Ruhestand versetzt wurde (mit Ablauf des 31.7.2019) und nunmehr – wie er meint – keine schädigenden Handlungen mehr vornehmen könne und nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit stehe, führt nicht zu einem mildernden Umstand. Da sich der Zweck einer Disziplinarmaßnahme nicht darin erschöpft, den Beamten zu mahnen, sich künftig pflichtgemäß zu verhalten, sondern auch der Integrität des Berufsbeamtentums dient, rechtfertigt die Pensionierung des Ruhestandsbeamten es nicht, allein wegen der fehlenden Wiederholungsgefahr von einer Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen. Vielmehr ist die Aufrechterhaltung der Integrität des Berufsbeamtentums als Zweck der Disziplinarmaßnahmen auch dort legitim, wo es sich um Maßnahmen gegen Ruhestandsbeamte handelt. Dabei sind neben der Pflichtenmahnung auch die Gesichtspunkte der Generalprävention und der gerechten Gleichbehandlung der Ruhestandsbeamten mit den aktiven Beamten von Bedeutung. In Anbetracht dessen, dass das Beamtenverhältnis in der Regel „auf Lebenszeit“ begründet ist, wird ein Beamter durch seinen Eintritt in den Ruhestand nicht zu einer völlig außerhalb der Beamtenschaft stehenden Person und muss auch als Ruhestandsbeamter für Dienstvergehen einstehen, die er während des aktiven Beamtenverhältnisses begangen hat (BVerwG, U.v. 11.4.2000 – 1 D 1.99 – juris Rn. 28; U.v. 23.1.1973 – 1 D 25.72 – BVerwGE 46, 64-69).
2.3.7 Es liegen auch keine sonstigen entlastenden Umstände vor, deren Gewicht in der Gesamtheit dem Gewicht anerkannter Milderungsgründe vergleichbar sind. Bei der Schwere des vom Beklagten begangenen Dienstvergehens, aufgrund dessen er sich als Beamter untragbar gemacht hat, können weder die guten dienstlichen Leistungen (wie sie sich aus den dienstlichen Beurteilungen ergeben; kritisch hierzu Stellungnahme der Schulleiterin v. 14.2.2017 – Behördenakte S. 278 ff.) noch die Tatsache, dass er straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist, zur Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme führen. Diese Umstände stellen das normale Verhalten zur Erfüllung der Dienstpflichten dar und sind nicht geeignet, die Schwere des Dienstvergehens derart abzumildern, dass bei einem Beamten, der das in ihn gesetzte Vertrauen von Grund auf erschüttert hat, von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte (BayVGH, U.v. 29.7.2015 – 16b D 14.1328 – juris Rn. 40; BVerwG, B.v. 5.4.2013 – 2 B 79.11 – juris Rn. 27).
3. Die Verhängung der disziplinarischen Höchstmaßnahme gegen den Beklagten ist auch nicht unverhältnismäßig und verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Schuldprinzip (vgl. BVerfG, B.v. 18.1.2008 – 2 BvR 313/07 – juris Rn. 11). Danach muss die dem Einzelnen staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und auch erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Darüber hinaus darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den von dem Beamten hinzunehmenden Einbußen stehen. Disziplinarmaßnahmen verfolgen neben der Pflichtenmahnung die Zwecke der Gleichbehandlung und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Ist der durch das Gewicht des Dienstvergehens eingetretene Vertrauensschaden – wie vorliegend – mangels Milderungsgründen so erheblich, dass bei aktiven Beamten die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, erweist sich die Aberkennung des Ruhegehalts gegenüber Ruhestandsbeamten als geeignete und erforderliche Maßnahme, den aufgezeigten Zwecken von Disziplinarmaßnahmen gegenüber Ruhestandsbeamten Geltung zu verschaffen. In derartigen Fällen ist die Aberkennung des Ruhegehalts auch angemessen. Ist das Vertrauensverhältnis – wie vorliegend – endgültig zerstört, erweist sich die Aberkennung des Ruhegehalts als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Sie beruht auf der schuldhaften Pflichtverletzung während der aktiven Dienstzeit und ist dem späteren Ruhestandsbeamten daher als bei Begehung vorhersehbar zuzurechnen (vgl. BVerwG, U.v. 8.3.2005 – 1 D 15.04 – juris Rn. 49; BVerfG, B.v. 9.8.2006 – 2 BvR 1003/05 – juris Rn. 9).
Der Senat verkennt nicht, dass der Beklagte und seine Familie durch die Aberkennung des Ruhegehalts existentiell betroffen sein können. Dies ist jedoch allein die Folge der von ihm begangenen gravierenden Dienstpflichtverletzungen. Der Beklagte ist in der gesetzlichen Rentenversicherung nachzuversichern (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI).
Nach Abwägung aller be- und entlastenden Umstände ist deshalb nach Überzeugung des Senats die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. Aberkennung des Ruhegehalts angemessen und geboten.
Nach alldem war die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.
4. Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG, Art. 3 BayDG i.V.m. § 116 Abs. 1 VwGO).


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