Arbeitsrecht

Anspruch auf Ausgleich von (Ruhe-)Bereitschaftsdienst als Zuvielarbeit eines Justizvollzugsbeamten

Aktenzeichen  Au 2 K 18.961

Datum:
14.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3986
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 87 Abs. 2
BayBesG Art. 61 Abs. 3
BGB § 242

 

Leitsatz

1. Die Geltendmachung eines Anspruchs auf rückwirkenden Ausgleich der vorher rügelos erbrachten Zuvielarbeit ist im Hinblick auf das im Beamtenverhältnis geltende gegenseitige Pflichten- und Treueverhältnis als unangemessen anzusehen und widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben; der Dienstherr hat ein berechtigtes Interesse daran, nicht nachträglich mit ggf. hohen Ausgleichsforderungen belastet zu werden. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vorsprache bei den jeweiligen Dienstleitern und das erfolglose Äußern von Bedenken in Bezug auf die Arbeitszeitgestaltung stellt keine ausreichende Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs dar, da lediglich mündlich vorgebrachte Bedenken hierfür nicht genügen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Einteilung eines Justizvollzugsbeamten zum (Ruhe-)Bereitschaftsdienst im regulären Dienstplan stellt auch dann, wenn die Leitung der Justizvollzugsanstalt als höhere Dienstvorgesetzte hiervon Kenntnis hat, keine förmliche Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit durch den hierfür zuständigen Dienstvorgesetzten dar. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die statthafte (vgl. VG Ansbach, U.v. 20.12.2016 – AN 1 K 16.00595 – juris Rn. 95) und auch sonst zulässige (Verpflichtungs-)Klage hat in der Sache weder im Haupt- noch im Hilfsantrag Erfolg.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die Verpflichtung des Beklagten, ihm 261 Stunden Dienstbefreiung zu gewähren, noch kann er – hilfsweise – verlangen, den Beklagten zu verpflichten, ihm statt der Gewährung von Dienstbefreiung 4.494,23 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Der Ablehnungsbescheid der Justizvollzugsanstalt … vom 29. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 5. Oktober 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO).
Nach Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayBG ist innerhalb eines Jahres für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren, wenn der Beamte durch dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht wird. Dabei ist der Beamte zur Vermeidung der Verwirkung seiner Ansprüche auf Gewährung von Dienstbefreiung verpflichtet, seine vermeintlichen Ansprüche wegen geleisteter Mehrarbeit unverzüglich anzumelden, wenn der Dienstherr – wie hier – nur einen Teil ausgleicht. Der Kläger war deshalb gehalten, bereits bei seiner Einteilung zum Bereitschaftsdienst, spätestens aber im Zeitpunkt der Ableistung des Bereitschaftsdienstes, die auf der Verwaltungsvorschrift zum Bereitschaftsdienst und zur Rufbereitschaft der Justizvollzugsbeamten vom 22. Juli 1981, zuletzt geändert durch JMS vom 5. August 1994, beruhende hälftige Anrechnung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit als ungenügend zu rügen und die vollständige Anrechnung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit zu beantragen (BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 6 CE 18.2332 BeckRS 2018, 30678 Rn. 9; B.v. 5.10.2016 – 3 ZB 14.2462 – juris Rn. 9; B.v. 23.11.1982 – 3 B 82 A.1793 – ZBR 1983, 152; VG München, U.v. 3.5.2018 – M 21 K 16.3858 – BeckRS 2018, 8126 Rn. 34; VG Ansbach, U.v. 20.12.2016 – AN 1 K 16.00595 – juris Rn. 110 f.).
Da vor diesem Hintergrund die erstmals durch Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 19. Juli 2016 erfolgte nachträgliche Anmeldung von – zusätzlichen – Ansprüchen auf Dienstbefreiung gegenüber dem Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 18. Juli 2016 den dargestellten Anforderungen an eine rechtzeitige Geltendmachung nicht genügt, sind etwaige Ansprüche des Klägers auf Dienstbefreiung als verwirkt anzusehen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 6 CE 18.2332 – juris Rn. 9; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 53 Rn. 41 ff.). Dass der Kläger von seinen Vorgesetzen wider besseres Wissen davon abgehalten wurde, die Ansprüche auf Dienstbefreiung rechtzeitig geltend zu machen, ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
Der Anspruch auf Gewährung von Dienstbefreiung ergibt sich auch nicht aus dem in § 242 BGB wurzelnden beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch (vgl. hierzu z.B. EuGH, U.v. 25.11.2010 – C-429/09 – juris Rn. 47 ff.; BVerwG, U.v. 28.5.2003 – 2 C 28.02 – juris) bzw. auf der Grundlage des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs (vgl. hierzu z.B. z.B. OVG SH, B.v. 23.4.2018 – 2 LA 60/16 – juris Rn. 6), da nach diesen Anspruchsgrundlagen nur die rechtswidrige Zuvielarbeit ausgleichspflichtig wäre, die ab dem auf die Geltendmachung folgenden Monat geleistet worden ist (BVerwG, U.v. 20.7.2017 – 2 C 31.16 – juris Rn. 43 ff.; VGH BW, U.v. 20.11.2018 – 4 S 1000/18 – juris Rn. 27).
Für diese Ansprüche gilt das Erfordernis der zeitnahen Geltendmachung (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 2 C 40.17 – juris Rn. 27), d.h. der Anspruch auf Ausgleich von Zuvielarbeit muss von dem Beamten gegenüber seinem Dienstherrn ausdrücklich geltend gemacht werden und löst eine Ausgleichspflicht ausschließlich für die Zuvielarbeit aus, die der Beamte nach der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs leisten muss (VGH BW, U.v. 20.11.2018 – 4 S 1000/18 – juris Rn. 27). Ein rückwirkender Ausgleich der vorher rügelos erbrachten Zuvielarbeit ist im Hinblick auf das im Beamtenverhältnis geltende gegenseitige Pflichten- und Treueverhältnis als unangemessen anzusehen und würde dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen. Dies folgt aus der sich aus dem Beamtenverhältnis ergebenden Pflicht, auch im Rahmen des Ausgleichs für rechtswidriges Verhalten auf die Belange des Dienstherrn Rücksicht zu nehmen und ihm die Möglichkeit zu geben, sich auf die gegen ihn erhobenen Ansprüche einzustellen. Der Dienstherr hat ein berechtigtes Interesse daran, nicht nachträglich mit ggf. hohen Ausgleichsforderungen belastet zu werden. Auch der Zweck des Anspruchs, vor allem durch gesonderte Freizeitgewährung die besonderen gesundheitlichen Belastungen der Zuvielarbeit auszugleichen, spricht für das Erfordernis einer ausdrücklichen Geltendmachung im zeitlichen Zusammenhang mit der Belastung. Hiervon unabhängig ist es dem Beamten in dem von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägten Verhältnis zu seinem Dienstherrn zuzumuten, seinem Begehren auf Gewährung von zeitlichem Ausgleich frühzeitig Ausdruck zu verleihen, zumal an einen solchen Antrag keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind (BVerwG, U.v. 27.5.2010 – 2 C 33.09 – juris; U.v. 13.11.2008 – 2 C 16.07 – juris; VGH BW, U.v. 20.11.2018 – 4 S 1000/18 – juris Rn. 27; VG München, U.v. 3.5.2018 – M 21 K 16.3858 – BeckRS 2018, 8126 Rn. 35).
Hier hat der Kläger seine Ansprüche auf vollständigen zeitlichen Ausgleich der geleisteten Bereitschaftsdienste in Form von Dienstbefreiung erst nachträglich geltend gemacht. Soweit er vorträgt, in diesem Zusammenhang mit den jeweiligen Dienstleitern gesprochen und erfolglos Bedenken in Bezug auf Arbeitszeitgestaltung, insbesondere in den Dienstplänen, geäußert zu haben, stellt dies keine ausreichende Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs dar, da lediglich mündlich vorgebrachte Bedenken hierfür nicht genügen (s. hierzu BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 2 C 40.17 – juris Rn. 25 ff.; U.v. 29.9.2011 – 2 C 32.10 – juris Rn. 19; OVG NW, U.v. 8.11.2018 – 6 A 9/16 – juris Rn. 20 ff.). In Bezug auf die Geltendmachung der arbeitszeitrechtlichen Ausgleichsansprüche wäre es im vorliegenden Fall als ausreichend anzusehen gewesen, dass der Kläger schriftlich zum Ausdruck bringt, er halte den Umfang der gegenwärtigen Anrechnung der (Ruhe-)Bereitschaftsdienste auf die Arbeitszeit für zu gering (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2018 – 3 BV 15.2492 – juris Rn. 41 ff.).
Im Übrigen stellen die vom Kläger im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis 18. Juli 2016 im Rahmen seiner regulären Dienstplan-Einteilung geleisteten – zur Hälfte als Dienstzeit angerechneten – (Ruhe-)Bereitschaftsdienste keine angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit im Sinn von Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayBG dar. Mehrarbeit liegt vor, wenn von dem einer Arbeitszeitregelung unterliegenden Beamten aufgrund dienstlicher Anordnung oder Genehmigung Dienst zur Wahrnehmung der Obliegenheiten des Hauptamts über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus, d.h. nicht im Rahmen des normalen Arbeitsumfangs, verrichtet wird (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23.15 – juris Rn. 14; U.v. 23.9.2004 – 2 C 61.03 – BVerwGE 122, 65). Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit unterliegt zwar keinem Schriftformerfordernis, muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen. Nicht erforderlich ist, dass im Zeitpunkt der Anordnung oder Genehmigung die Anzahl der zu leistenden oder bereits geleisteten Mehrarbeitszeitstunden bekannt ist. Der Dienstherr entscheidet über die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nach Ermessen. Dabei hat er insbesondere zu prüfen, ob nach dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 2.4.1981 – 2 C 1.81 – juris Rn. 20).
Die Einteilung des Klägers zum (Ruhe-)Bereitschaftsdienst im regulären Dienstplan (durch den seinerzeitigen Dienstleiter …) stellt, auch wenn die Leiterin der Justizvollzugsanstalt als höhere Dienstvorgesetzte hiervon Kenntnis hat, keine förmliche Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit durch den hierfür zuständigen Dienstvorgesetzten dar (so z.B. VGH BW, U.v. 20.11.2018 – 4 S 1000/18 – juris Rn. 22; OVG NW, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1421/16 – NVwZ-RR 2019, 63; OVG SH, U.v. 8.2.2018 – 2 LB 37/15 – juris Rn. 36; Conrad in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand September 2018, Art. 87 BayBG Rn. 67).
Keiner Entscheidung mehr bedurfte daher die Frage, ob die vom Kläger geleisteten (Ruhe-)Bereitschaftsdienste solche sind, die in vollem Umfang als Arbeitszeit angerechnet werden müssten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt Bereitschaftsdienst in diesem Sinn vor, wenn der Beamte sich an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat und erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist (so z.B. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 23.15 – juris Rn. 15; OVG RhPf, B.v. 11.12.2017 – 2 A 11328/17 – juris Rn. 5). Da bei den vom Kläger geleisteten Bereitschaftsdiensten nach jahrelangen – auch im hier relevanten Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis 18. Juli 2016 bestätigten – Erfahrungen praktisch keine tatsächliche Heranziehung zum Dienst erfolgt, erscheint – nur gemessen an der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung – fraglich, ob bei der Ableistung dieser Art von Bereitschaftsdienst die Voraussetzung, dass erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist, erfüllt wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).


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