Arbeitsrecht

Beamter, ergänzende Versorgungsabfindung nach Wechsel zur Europäischen, Kommission, modifizierende Anwendung des Art. 99a BayBeamtVG aufgrund der Rechtsprechung des EuGH im Fall, Pöpperl, 15%-Abschlag europarechtswidrig, bei der Berechnung der Lebenserwartung sind die Sterbetafeln für Frauen zugrunde zu legen, Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes sind bei den Vordienstzeiten zu berücksichtigen, ansonsten Beschränkung auf Vordienstzeiten, die als Beamter zurückgelegt wurden, mit Europarecht vereinbar

Aktenzeichen  W 1 K 21.705

Datum:
15.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 7234
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 99a
AEUV Art. 45

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 14.04.2020 wird abgeändert und der Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine ergänzende Versorgungsabfindung gemäß Art. 99a BayBeamtVG mit der Maßgabe zu gewähren, dass der Abschlag gemäß Art. 99a Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG zu unterbleiben hat, die Zeit des Zivildienstes zu berücksichtigen sowie bei der Lebenserwartung die Sterbetafel für Frauen anzuwenden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
II. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und der Beklagte jeweils zur Hälfte. 
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet. 
IV. Die Berufung wird zugelassen. 

Gründe

Die Klage ist im Antrag zu 1) zulässig und in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Nachteilsausgleich für den Verlust in der Altersvorsorge, der ihm durch seine wegen seines Wechsels auf eine Stelle bei der Exekutivagentur des Europäischen Forschungsrates erfolgte Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zum Freistaat Bayern zum 15.07.2019 und die danach erfolgte Nachversicherung in der Deutschen Rentenversicherung entstanden ist. Weitergehende Ansprüche wie im Klageantrag gefordert bestehen dagegen nicht und auch der Feststellungsantrag (Antrag zu 2)) ist unbegründet, so dass die Klage im Übrigen abzuweisen war.
1. Rechtsgrundlage für den Nachteilsausgleich ist Art. 99a BayBeamtVG, der allerdings nach Maßgabe der Entscheidung des EuGH vom 13.07.2016 (C-187/15 – Rechtssache Pöpperl – bei juris) nur modifiziert anzuwenden ist. Nach Art. 99a BayBeamtVG erhalten nachzuversichernde Beamte auf Lebenszeit, die nach Erfüllung einer Wartezeit nach Art. 11 Abs. 1 Nr. 1 BayBeamtVG (i.d.R. 5 Jahre) auf Antrag entlassen wurden, dann eine ergänzende Versorgungsabfindung, wenn sie im unmittelbaren Anschluss eine im Inland herkömmlich in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis ausgeübte Beschäftigung im öffentlichen Dienst eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union aufnehmen.
Art. 99a BayBeamtVG ist auf den Fall des Klägers unstrittig anwendbar. Die Voraussetzungen Art. 99a BayBeamtVG liegen beim Kläger vor. Insbesondere hat er die Leistungen auch mit Schreiben vom 26.06.2019 beantragt. Der Kläger ist im unmittelbaren Anschluss an seine Beamtenlaufbahn in Bayern zur Exekutivagentur des Europäischen Forschungsrates, einer Dienststelle der Europäischen Kommission (vgl. https://ec.europa.eu/info/departments/european-research-council_de), gewechselt.
Der Kläger hat damit bei unmodifizierter Anwendung des Art. 99a Abs. 3 BayBeamtVG Anspruch auf eine ergänzende Versorgungsabfindung, die sich nach dem Unterschiedsbetrag der um einen Abschlag von 15 v.H. verminderten Versorgungsanwartschaft und der durch Nachversicherung begründeten Anwartschaft zum Zeitpunkt der Beendigung des Beamtenverhältnisses bemisst. Angerechnet werden als Dienstzeiten gemäß Art. 99a i.V.m. Art. 97 BayBeamtVG die Zeiten, die beim abgebenden Dienstherrn in einem Beamtenrechtsverhältnis i.S.d. Art. 1 Abs. 1 und 2 BayBeamtVG zurückgelegt werden, sofern sie ruhegehaltsfähig sind, beim Kläger also 12,34 Jahre. Hieraus errechnet sich eine rechnerische Versorgungsanwartschaft zum Austrittszeitpunkt (15.07.2019) von 1.480,88 EUR abzüglich des 15%-igen Abschlags 1.249,79 EUR. Hierauf wird die Rentenanwartschaft aus der Nachversicherung angerechnet, mithin 592,61 EUR, so dass ein abzufindender Monatsbetrag in Höhe von 657,18 EUR verbleibt. In der Folge muss der gefundene Betrag dynamisiert werden, was auf der Grundlage der in der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und für Heimat vom 28.05.2019 (Ergänzungsabfindungsbekanntmachung) festgelegten Faktoren geschieht. Unter Berücksichtigung des pauschalen Aufschlags von 40 v.H. hat das Landesamt daraus einen Betrag von 126.535,00 EUR errechnet und diesen Betrag auch an den Kläger ausgereicht.
2. Da dieses Ergebnis aus mehreren Gründen gegen die Grundsätze verstößt, die der EuGH in seiner Entscheidung vom 13.07.2016 (a.a.O.) aufgestellt hat, ist Art. 99a BayBeamtVG indes modifiziert anzuwenden.
Der EuGH hat in dieser Entscheidung unter anderem ausgeführt, dass die europäischen Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit den Bürgern der Europäischen Union die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern und Maßnahmen entgegenstehen, die die Unionsbürger benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als ihrem Herkunftsmitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen. Zwar könne das Unionsrecht einem Versicherten nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat im Hinblick auf die soziale Sicherheit neutral sei, doch sei nach ständiger Rechtsprechung eine nationale Regelung für den Fall, dass ihre Anwendung weniger vorteilhaft sei, nur mit dem Unionsrecht vereinbar, soweit unter anderem diese nationale Regelung den betreffenden Erwerbstätigen im Vergleich zu Personen, die ihre gesamte Tätigkeiten in einem Mitgliedstaat ausüben würden, nicht benachteilige. Eine Regelung, nach der ein Beamter eines deutschen Bundeslandes, wenn er vor dem Eintritt in den Ruhestand aus dem Dienst ausscheide um eine Beschäftigung im einem anderen Mitgliedstaat auszuüben und deshalb auf seinen Beamtenstatus verzichten müsse, woraus sich der Verlust der Ruhegehaltsansprüche aus der Beamtenversorgung und die Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung ergebe, die erheblich niedriger als die verlorenen Ansprüche seien, stelle eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar. Nach gefestigter Rechtsprechung könnten nationale Maßnahmen, die geeignet seien, die Grundfreiheiten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, nur dann zugelassen werden, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt werde, wenn sie geeignet seien dessen Erreichung zu gewährleisten und wenn sie nicht über das hinausgingen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich sei. Ein legitimes Ziel sei dabei die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung sicherzustellen. Eine Beschränkung müsse allerdings geeignet sein, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten und dürfe nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich sei. Es sei letztlich Sache des nationalen Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts sowie für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig sei, zu bestimmen, ob und inwieweit eine Regelung diesen Anforderungen entspreche. Die Regelung, wonach sich ein Beamter im Falle seiner Versetzung innerhalb Deutschlands Ansprüche auf ein Ruhegehalt erwerben könne, das höher sei als die Altersrente, die ihm aufgrund der Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung zustünde, wenn er ausscheide, sei unter Umständen geeignet, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung in Deutschland allgemein sicherzustellen, gehe aber über das hinaus, was hierzu erforderlich sei. Deshalb stehe einer nationalen Regelung, die einer verbeamteten Person bei Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis, um eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, ihre Ansprüche auf Ruhegehalt aus der Beamtenversorgung entziehe und auf Altersrentenansprüche, die niedriger als die Ruhegehaltsansprüche seien, verweise, das Unionsrecht entgegen. Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts finde seine Schranke dann, wenn er als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts führen würde. Wenn eine europarechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts nicht möglich sei, sei das nationale Gericht verpflichtet, das Unionsrecht im vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräume, zu schützen, indem es notfalls jede Bestimmung unangewendet lasse, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem unionsrechtswidrigen Ergebnis führen würde.
Damit ist klargestellt, dass ein Beamter, der ins europäische Ausland wechselt, nicht erheblich schlechter gestellt werden darf als derjenige, der innerhalb Deutschlands zu einem anderen Dienstherrn wechselt. Da der bayerische Gesetzgeber mit der Bestimmung des Art. 99a BayBeamtVG ein gewolltes und gültiges Bezugssystem geschaffen hat, ist diese Bestimmung auch grundsätzlich anzuwenden, wobei die erkennende Kammer die Bestimmung unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH in unionsrechtkonformer Auslegung anzuwenden bzw. eventuell in Teilen unangewendet zu lassen hat.
2.1 Unter Anwendung der vom EuGH aufgezeigten Grundsätze sieht sich die Kammer gezwungen, die Bestimmung des Art. 99a Abs. 3 BayBeamtVG unangewendet zu lassen, wonach der Kläger einen 15%-igen Abschlag bei der Berechnung der der ergänzenden Versorgungsabfindung zugrunde zu legenden Versorgungsanwartschaft (Diktion des Gesetzgebers) hinnehmen muss. Diese Vorschrift verstößt gegen Art. 45 AEUV, weil sie Unionsbürger benachteiligt, die als Beamte eines deutschen Bundeslandes eine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedsland der europäischen Union ausüben wollen und deshalb einen Nachteil gegenüber solchen Personen erleiden, die ihren Dienstherrn innerhalb Deutschlands wechseln, da diese ihre Versorgungsanwartschaften erhalten würden, während die ins europäische Ausland wechselnden Personen auf aus der Nachversicherung folgende Rentenansprüche verwiesen würden, die unbestritten erheblich niedriger sind als die erworbenen Versorgungsanwartschaften. Der 15%-ige Abschlag würde dazu führen, dass die ergänzende Versorgungsabfindung, die das Ziel hat, die Unterschiede, die sich aus der Nachversicherung für solche in das europäische Ausland wechselnde Personen ergeben, auszugleichen, erheblich niedriger ausfallen würde als ohne den Abschlag und deshalb auch die Ausgleichswirkung der ergänzenden Versorgungsabfindung nicht mehr geeignet wäre, die Benachteiligung der ins Ausland wechselnden Bürger auszugleichen.
Der 15%-ige Abschlag kann auch nicht mit dem Schutz eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Der EuGH hat bereits in der grundlegenden Entscheidung vom 13.07.2016 (a.a.O., juris Rn. 37) darauf verwiesen, dass der Zweck, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung eines Bundeslandes sicherzustellen, nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird, wenn bei einer Versetzung in ein anderes Bundesland oder zum Bund kein vergleichbarer Nachteil entstünde wie bei einem Wechsel ins europäische Ausland. Genau dies ist aber mit der vorliegenden Bestimmung des Art. 99a Abs. 3 BeamtVG der Fall, da dieser Abschlag einem innerhalb Deutschlands den Dienstherrn wechselnden Beamten gerade nicht träfe.
Ein erheblicher Abschlag bei der Altersversorgung würde auch über das hinausgehen, was erforderlich wäre um das Ziel, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung in Deutschland insgesamt sicherzustellen, zu erreichen. Soweit der BayVGH in einer Entscheidung vom 25.04.2019 (14 BV 17.2353 – bei juris) in einem obiter dictum ausgeführt hat, der Abschlag in § 7 Abs. 1 Satz 1 AltGG, der dem hier in Streit stehenden Abschlag vergleichbar ist, sei wegen des Lebenszeitprinzips des Art. 33 Abs. 5 GG sowie, um übermäßige Anreize für eine vorzeitige Entlassung aus dem Dienst zu vermeiden und die für das vorzeitige Ausscheiden für den Dienstherrn entstehenden Kosten zu kompensieren, gerechtfertigt, steht dem die zitierte Rechtsprechung des EuGH entgegen. Das Lebenszeitprinzip ist auch bei einem Wechsel innerhalb Deutschlands nicht gewahrt, weil die Dienst- und Treuepflicht sowie der spiegelbildliche Fürsorgegrundsatz immer zwischen dem konkreten Dienstherrn und dem Beamten zum Tragen kommt, es also kein abstraktes „deutsches“ Beamtenverhältnis gibt. Auch die Kosten, die einem Dienstherrn bei einem Wechsel des Beamten dadurch entstehen, dass er neues Personal gewinnen, gegebenenfalls ausbilden und einarbeiten muss, können in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen, weil diese Kosten auch dann anfallen, wenn der Beamte innerhalb Deutschlands wechselt. Soweit der BayVGH in der genannten Entscheidung die Vermeidung übermäßiger Anreize für eine vorzeitige Entlassung aus dem Dienst anspricht, kann dieses Argument nicht nachvollzogen werden, weil dadurch, dass der wegziehende Beamte keinen Nachteil erleidet, noch kein übermäßiger Anreiz entstehen kann; ein solcher könnte allenfalls dann eintreten, wenn der ins europäische Ausland wechselnde Beamte besser gestellt würde als der innerhalb Deutschlands wechselnde bzw. der bei seinem Dienstherrn verbleibende. Dieser Gesichtspunkt wird unter 2.2.2 noch zu behandeln sein.
2.2 2.2.1 Soweit der bayerische Gesetzgeber durch den Verweis in Art. 99a Abs. 3 Satz 2 BayBeamtVG (nur) auf Art. 97 BayBeamtVG dem Kläger die Möglichkeit genommen hat, die Dienstzeit des Zivildienstes (Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 BayBeamtVG) berücksichtigt zu bekommen, ist aufgrund des anzulegenden Vergleichsmaßstabes mit den Beamten, die einen Dienstherrnwechsel innerhalb Deutschlands durchführen, ebenfalls ein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit anzunehmen, da insoweit im Unterschied zu den Ausbildungszeiten (vgl. dazu unten 2.2.2) eine Anrechnung durch den neuen Dienstherrn außerhalb Deutschlands ausgeschlossen sein dürfte. Im Unterschied zu den Ausbildungszeiten gelten die Zivil- oder Wehrdienstzeiten zudem gemäß der gesetzlichen Regel des Art. 17 BayBeamtVG grundsätzlich als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten (und „können“ nicht nur als solche anerkannt werden), was ebenfalls dafür spricht, dass die Nichtanrechnung bei der ergänzenden Versorgungsabfindung sich als ein gesetzgeberisches Versehen darstellt, so dass insoweit durch eine entsprechende Auslegung des Art. 99a BayBeamtVG dahingehend, dass bei der Berechnung der Dienstzeit nicht nur Art. 97 BayBeamtVG, sondern auch Art. 17 BayBeamtVG heranzuziehen ist, eine europarechtskonforme Lösung gefunden werden kann.
2.2.2 Soweit der bayerische Gesetzgeber durch den Verweis in Art. 99a Abs. 3 Satz 2 BayBeamtVG (nur) auf Art. 97 BayBeamtVG dem Kläger indes die Möglichkeit genommen hat, darüber hinaus andere Dienstzeiten bei der Berechnung der ergänzenden Versorgungsabfindung berücksichtigt zu bekommen, etwa Ausbildungszeiten (Art. 20 BayBeamtVG), Zeiten im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst (Art. 18 BayBeamtVG), sonstige Zeiten (Art. 19 BayBeamtVG) oder wissenschaftliche Qualifikationszeiten (Art. 22 BayBeamtVG), kann dagegen kein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit angenommen werden. Diesen genannten Zeiten ist gemeinsam, dass sie im Normalfall der Ruhestandsversetzung eines bayerischen Beamten als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten berücksichtigt werden können bzw. sollen. Nach einer in der Literatur vertretenen Meinung (vgl. Ruland, Das Ende der herkömmlichen Nachversicherung von Beamten, NVwZ 2017, 422, 427) ist eine solche Regelung unproblematisch, wenn sie sich auf alle Beamten bezieht, die den Dienstherrn wechseln, da der neue Dienstherr diese Dienstzeiten ja in eigener Verantwortung als Vordienstzeiten anerkennen kann. Dies gilt natürlich auch für einen Dienstherrn außerhalb Deutschlands. Unter welchen Voraussetzungen diese Zeiten im Rahmen der jeweiligen auswärtigen Regeln berücksichtigt werden, kann im Einzelfall keine Rolle spielen, da der abgebende deutsche Dienstherr die jeweiligen ausländischen Regeln nicht nachvollziehen muss. Da nicht nur Art. 97 BayBeamtVG, sondern auch der Versorgungslastenteilungs-Staatsvertrag vom 06.05.2010 (GVBl. 2010, 206) die bei einem Dienstherrnwechsel innerhalb Deutschlands fällig werdende Abfindungszahlen gemäß § 6 nur auf die abgeleisteten Dienstzeiten bezieht und alle anderen Vordienstzeiten (abgesehen vom Zivildienst) dann nach dem Recht des aufnehmenden Dienstherrn von diesem zu berücksichtigen sind, wird der ins europäische Ausland wechselnde Beamte im Ergebnis von der Regelung nicht belastet.
Eine Anerkennung dieser Zeiten würde vielmehr zu einer möglichen Besserstellung des Klägers gegenüber den in Deutschland verbleibenden Beamten führen, da ihm u.U. dann gewisse Vordienstzeiten gleich zweifach angerechnet würden bzw. werden könnten.
2.3 Soweit der Kläger moniert, durch die Barwertabfindung des Art. 99a BayBeamtVG würden zentral bedeutsame individuelle Verhältnisse wie eine höhere Lebenserwartung nicht berücksichtigt sowie sämtliche zukünftigen Versorgungserhöhungen wegfallen, außerdem entstünden steuerliche Nachteile, führt diese Argumentation nur hinsichtlich der Berechnung der Lebenserwartung zu einer aus europarechtlichen Gründen notwendigen Modifikation der Berechnungsmethode des Beklagten (s.u. 2.3.1). Im Übrigen verkennt der Kläger den Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers (2.3.2).
2.3.1 Die Anwendung des Art. 99a BayBeamtVG bzw. der Ergänzungsabfindungsbekanntmachung in der Weise, dass bei den finanzmathematischen Grundlagen der Differenzbetrag auf der Grundlage der Lebenserwartung des Klägers, die anhand der Sterbetafel für Männer bestimmt wurde, verstößt ebenfalls gegen europarechtliche Grundsätze. Das BVerwG hat in seiner Entscheidung vom 07.10.2020 (2 C 5/20 – bei juris Rn. 52) dazu Folgendes ausgeführt:
„Soweit Ruhensbescheide auf einer geschlechtsspezifischen Verrentung der Kapitalbeträge beruhen, ist seit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem Verfahren C-318/13 vom 3. September 2014 hinreichend geklärt, dass die statistisch unterschiedlich lange Lebenserwartung von Männern und Frauen unionsrechtlich grundsätzlich keine Ungleichbehandlung rechtfertigt (vgl. EuGH, Urteil vom 3. September 2014 – C-318/13 – VersR 2015, 349 Rn. 25 ff.; Generalanwältin Kokott, Schlussantrag vom 15. Mai 2014 – C-318/13 – juris Rn. 50 ff.; vgl. nunmehr auch BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2020 – 2 C 19.19 – Rn. 18 ff. ). Seit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem Verfahren C-171/18 vom 7. Oktober 2019 ist zudem – eindeutig – geklärt, dass dies bis zu einer Herstellung der Gleichheit zur Anwendung des für Soldatinnen geltenden Vervielfältigers für Frauen führt (sog. Angleichung „nach oben“, vgl. EuGH, Urteil vom 7. Oktober 2019 – C-171/18, Safeway – NZA 2020, 33 Rn. 33 ff.; BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2020 – 2 C 19.19 – Rn. 31 ff.). Hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Verrentung ist das Datum der letztgenannten Entscheidung des Gerichtshofs vom 7. Oktober 2019 maßgeblich für die Ermessensreduzierung (mit Wirkung ab dem Folgemonat).“
Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die geschlechtsspezifische Zugrundelegung der Lebenserwartung zumindest ab den in der Entscheidung des BVerwG genannten Zeitpunkten nach oben anzugleichen war, so dass im vorliegenden Fall mangels anderer Regelungen die höhere Lebenserwartung von Frauen zugrunde zu legen ist.
2.3.2 Bezüglich der sonstigen vom Kläger gerügten Pauschalierungen ist Ausgangspunkt der Überlegungen der vom EuGH entwickelte Prüfungsmaßstab, dass der Kläger als entlassener Beamter gegenüber einem innerhalb Deutschlands wechselnden Beamten nicht gleichheitswidrig belastet werden darf. Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber allerdings einen weit reichenden Entscheidungsspielraum, wobei auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen gerechtfertigt sein können (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerfG, B.v. 18.07.2019 – 1 BvR 807/12, 1 BvR 2917/13). Dies zugrunde gelegt ist es nicht zu beanstanden, wenn der bayerische Gesetzgeber eine Regelung getroffen hat, die einen Nachteilsausgleich pauschalierend gewährleistet und dabei künftige Entwicklungen wie die Entwicklung der Besoldungs- bzw. Versorgungsbezüge nicht in vollem Umfang nachzeichnet. Da der EuGH in seiner Entscheidung im Fall Pöpperl nur wesentliche Ungleichbehandlungen im genannten Vergleich für unzulässig erklärt hat, erscheint es nicht notwendig, dass der bisherige Dienstherr verpflichtet wäre, den Kläger auch nach der Entlassung (die vom EuGH als solche nicht kritisiert wurde) weiterhin wie einen Beamten zu behandeln, so wie der Kläger zu meinen scheint wenn er moniert, die ergänzende Versorgungsabfindung wäre im Beamtenrecht systemfremd. Auch ist der bisherige Dienstherr nicht gezwungen, eine weitere monatliche Zahlungsverpflichtung einzugehen wie dies mit dem AltGG des Bundes geschehen ist. Den inländischen steuerlichen Nachteil einer Zahlung in einem Betrag hat der Gesetzgeber durch den großzügigen pauschalen Aufschlag von 40 v.H. (Art. 99a Abs. 3 S. 4 BayBeamtVG) berücksichtigt. Darüber hinaus würde es die Verpflichtungen des Dienstherrn erheblich übersteigen, wenn dieser auch noch die jeweiligen steuerrechtlichen Regelungen in dem Staat, in den der Beamte wechselt, berücksichtigen müsste. Insoweit wäre fraglich eine Verpflichtung auch des aufnehmenden Staates aus Art. 45 AEUV, einen Wechsel nicht zu erschweren. Darüber hinaus gilt im Rahmen der Beamtenbesoldung und -versorgung das Bruttoprinzip (vgl. VG Würzburg, U.v. 16.01.2018 – W 1 K 17.465 – juris, m.w.N.; VG Düsseldorf, U.v. 26.02.2018 – 23 K 6871/13 – juris Rn. 72). Das erkennende Gericht hält die Ausführungen des EuGH in der genannten Entscheidung im Übrigen für ohne weiteres auslegungsfähig und auf den vorliegenden Fall für anwendbar, so dass eine weitere Vorlage an den EuGH, wie vom Kläger angeregt, nicht erforderlich ist.
Der bayerische Landesgesetzgeber konnte im Ergebnis auch im Sinne der Verwaltungsvereinfachung den Weg der ergänzenden Versorgungsabfindung beschreiten. Inwieweit das im Einzelfall für den Beamten einen Vorteil oder einen Nachteil darstellt, ließe sich ohnehin erst in einer ex-post Betrachtung klären. Deshalb kann es auch keine Rolle spielen, ob die Auszahlung in einer Hochzins- oder einer Niedrigzinsphase erfolgt. Keinesfalls ist der vom bayerischen Landesgesetzgeber gewählte Weg einseitig zu Lasten des entlassenen Beamten negativ und nicht mehr hinnehmbar. Die vom Kläger vorgetragene Summierung verschiedener Nachteile zu seinen Lasten ist – jedenfalls nach der Modifizierung, die durch die hiesige Entscheidung erfolgt – ebensowenig erkennbar wie Zweifel an den sonstigen Berechnungen des Beklagten.
3. Der vom Kläger unter 2) zur Entscheidung gestellte Feststellungsantrag ist jedenfalls unbegründet, da Gegenstand der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Pöpperl, wie bereits ausgeführt, mitnichten die Verpflichtung das abgebenden Dienstherrn beinhaltet, die einem ins europäische Ausland wechselnden Beamten die durch die beamtenrechtliche Entlassung entstandenen Nachteile in vollem Umfang auszugleichen, sondern nur feststellt, dass wesentliche Nachteile unzulässig sind.
4. Der Klage war daher nur in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen bzw. Unterliegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vorliegen.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben