Arbeitsrecht

Berücksichtigung von Ausbildungszeiten als ruhegehaltsfähige Dienstzeit

Aktenzeichen  Au 2 K 19.55

Datum:
5.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55988
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtVG § 85 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 1 S. 1, § 69k
RL 2000/78/EG  Art. 2 Abs. 2a

 

Leitsatz

Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a. F. kann die nach Vollendung des siebzehnten Lebensjahres verbrachte Mindestzeit der außer der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebenen Ausbildung (Fachschul-, Hochschul- und praktische Ausbildung, Vorbereitungsdienst, übliche Prüfungszeit) als ruhegehaltsfähige Dienstzeit berücksichtigt werden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Parteien hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Ablehnungsentscheidung der … vom 2. Mai 2017 und der Widerspruchsbescheid derselben Behörde vom 30. November 2017 erweisen sich als rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Neufestsetzung seiner Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung seiner vor Vollendung des 17. Lebensjahrs absolvierten Ausbildungszeit als ruhegehaltsfähige Dienstzeit (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ein dahingehender Anspruch des Klägers scheitert vorliegend daran, dass die von der Beklagten unberücksichtigt gelassene Ausbildungszeit vom 1. September 1971 bis 27. Dezember 1972 Zeiten betrifft, die vor der Vollendung des siebzehnten Lebensjahres des Klägers liegen und diese Zeiten aus diesem Grund nicht als ruhegehaltsfähige Dienstzeit anerkannt werden können.
Maßgebliche Rechtsvorschrift für das Begehren des Klägers ist vorliegend § 12 Abs. 1 Satz 1 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 150), zuletzt geändert durch Art. 4 Nr. 7 des Gesetzes zur Unterstützung der Fachkräftegewinnung im Bund und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 15. März 2012 (BGBl. I S. 462) (im Nachfolgenden: § 12 BeamtVG a. F.).
Keine Anwendung findet demgegenüber § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 150), zuletzt geändert durch Art. 3 Nr. 6 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des Versorgungsrücklagegesetzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 5. Januar 2017 (BGBl. I S. 17), weil insoweit bereits die Übergangsregelung in § 69k BeamtVG ausdrücklich klarstellt, dass für Versorgungsfälle, die vor dem 11. Januar 2017 eingetreten sind, § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG in der bis zum 10. Januar 2017 geltenden Fassung anzuwenden ist. Dies trifft auf den Kläger zu, weil die Beklagte diesen mit Ablauf des 30. Dezember 2010 in den Ruhestand versetzte und entspricht letztlich auch dem Grundsatz, dass im Beamtenversorgungsrecht grundsätzlich das bei Eintritt des Versorgungsfalls geltende Recht anzuwenden ist (vgl. BVerwG U.v. 25.8.2011 – 2 C 22.10 – juris Rn.8; B.v. 6.5.2014 – 2 B 90.13 – juris Rn. 6).
Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a. F. kann die nach Vollendung des siebzehnten Lebensjahres verbrachte Mindestzeit der außer der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebenen Ausbildung (Fachschul-, Hochschul- und praktische Ausbildung, Vorbereitungsdienst, übliche Prüfungszeit) als ruhegehaltsfähige Dienstzeit berücksichtigt werden. Die Zeiten, deren Berücksichtigung der am 27. Dezember 1955 geborene Kläger begehrt, liegen jedoch vor der Vollendung seines 17. Lebensjahrs, so dass bereits aus diesem Grund eine entsprechende Berücksichtigung ausscheiden muss.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger angeführten RL 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (im Nachfolgenden: RL 2000/78/EG). § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. steht in Einklang mit der RL 2000/78/EG mit der Folge, dass es vorliegend nicht – wie der Kläger meint – zu einem Anwendungsvorrang des Unionsrechts (zum Begriff näher Streinz in Streinz EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 4 EUV Rn. 37) und demnach zu einer Nichtanwendung der Einschränkung in § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a.F., dass nur Zeiten nach Vollendung des 17. Lebensjahres zu berücksichtigen sind, kommt. Die in § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a.F. normierte Einschränkung auf Zeiten nach Vollendung des siebzehnten Lebensjahres stellt eine nach Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG gerechtfertigte Altersdiskriminierung dar (s. hierzu VG Ansbach, U.v. 12.9.2019 – AN 16 K 17.02720 – juris).
Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf die durch Bescheid der … vom 13. Dezember 2010 bzw. 1. Februar 2011 bestandskräftig abgeschlossene Festsetzung der Versorgungsbezüge zu.
Ein solcher Anspruch des Klägers ergibt sich weder aus § 51 Abs. 1 VwVfG noch aus § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG. Ein Wiederaufgreifensgrund im Sinn des § 51 Abs. 1 VwVfG wurde vom Kläger weder vorgetragen noch ist ein solcher sonst ersichtlich. Ein Anspruch des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Neufestsetzung seiner Versorgungsbezüge ergibt sich auch nicht aus § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG. Die Voraussetzungen für eine Reduzierung des der Behörde nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG eingeräumten Rücknahmeermessens auf Null liegen nicht vor. Die Aufrechterhaltung des Versorgungsfestsetzungsbescheids vom 13. Dezember 2010 bzw. 1. Februar 2011 ist nicht schlechthin unerträglich. Ob sich die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsaktes als schlechthin unerträglich darstellt und die Behörde zur Rücknahme des angegriffenen Verwaltungsakts verpflichtet ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 – 5 C 9.11 – juris Rn. 29 f. m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte mit der Entscheidung, den Versorgungsfestsetzungsbescheid nicht aufzuheben, gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen hat, den Kläger durch die Aufrechterhaltung des Versorgungsfestsetzungsbescheids unzumutbare (finanzielle) Nachteile (Differenzbetrag 69,78 EUR) entstehen oder sonstige Umstände vorliegen, die eine Berufung der Beklagten auf die Unanfechtbarkeit des Bescheids als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen ließen, bestehen nicht (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 13.12.2011 – 5 C 9.11 – juris Rn. 30). Im Übrigen ergäbe sich eine Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Bescheids auch nicht aus dem Unionsrecht. Ob § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG a.F. aufgrund des Ausschlusses der Anerkennung von Ausbildungszeiten, die vor dem 17. Lebensjahr verbracht wurden, unionsrechtswidrig ist, kann dahingestellt bleiben. Ein Verstoß gegen Unionsrecht wäre jedenfalls nur bei der Frage nach dem Umfang der berücksichtigungsfähigen Zeiten relevant und nicht bei der – primär zu beantwortenden – Frage, ob die Ausbildungszeiten des Klägers bei der Bemessung seines Ruhegehalts überhaupt im Grunde nach berücksichtigungsfähig wären (so Nds OVG, B.v. 11.3.2019 – 5 LA 86/18 – juris).
Damit erweist sich die Entscheidung des Beklagten das Versorgungsfestsetzungsverfahren nicht wiederaufzugreifen als ermessensfehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat ihr Rücknahmeermessen nach § 48 Abs. 1 VwVfG ausdrücklich ausgeübt und sich nicht pauschal auf die Unanfechtbarkeit des Bescheids zurückgezogen. Auch die in § 48 Abs. 1 VwVfG angelegte Abwägung zwischen dem Gebot der Rechtssicherheit und dem Gebot der materiellen Gerechtigkeit (vgl. BVerwGE, U.v. 13.12.2011 – 5 C 9.11 – juris Rn. 29) erfolgte unter Berücksichtigung der persönlichen Interessen des Klägers und lässt keine Mängel erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124a, § 124 VwGO).


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