Arbeitsrecht

Bestandskräftige Versorgungsfestsetzung, keine Ruhegehaltfähigkeit der vor Vollendung des 17. Lebensjahres im Beamtenverhältnis zurückgelegten Dienstzeit, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Auslegung des Klagebegehrens

Aktenzeichen  14 BV 19.580

Datum:
28.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16900
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 88
VwVfG §§ 51, 48, 49
BeamtVG § 69k S. 1
§ 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BeamtVG i.d.F.v. 15.3.2012 (a.F.)
RL 2000/78/EG Art. 2, 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 und 2
§ 10 AGG.

 

Leitsatz

Die mit § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. verbundene unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters ist nach Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG zulässig und damit unionsrechtskonform (im Anschluss an BAG, U.v. 26.9.2017 – 3 AZR 72/16 – BAGE 160, 255 Rn. 40 entgegen VGH BW, U.v. 17.12.2015 – 4 S 1211/14 – juris Rn. 82 zum inhaltsgleichen § 6 Abs. 1 BeamtVG i.d.F.v. 30.6.1989).

Verfahrensgang

B 5 K 17.895 2019-02-12 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 12. Februar 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Da der Kläger (Schriftsatz vom 22.4.2021) und die Beklagte (Schreiben vom 3.5.2021) jeweils das Einverständnis hierzu erklärt haben, kann der Senat über die Berufung der Beklagten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil ist aufzuheben und die Klage ist abzuweisen, weil diese Klage, die bei sachgerechter Auslegung (1.) im Hauptantrag (2.) abzielt auf die Verpflichtung der Beklagten zum Wiederaufgreifen des bestandskräftig durch den Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 22. Juni 2016 abgeschlossenen Versorgungsfestsetzungsverfahrens mit dem Ziel ihrer Verpflichtung zur Neufestsetzung der klägerischen Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung der vom Kläger vor Vollendung seines 17. Lebensjahres im Beamtenverhältnis zurückgelegten Dienstzeit und die im Hilfsantrag (3.) auf die Verpflichtung der Beklagten zur ermessensfehlerfreien Entscheidung über den klägerischen Korrekturantrag hinsichtlich des Versorgungsfestsetzungsbescheids abzielt, zwar sowohl im Hauptantrag als auch im Hilfsantrag zulässig, aber jeweils nach nationalem Recht und nach Unionsrecht unbegründet ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).
1. Die Klage ist so zu verstehen (§§ 88, 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 133, 157 BGB analog), dass sie im Hauptantrag als Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO) auf die Verpflichtung der Beklagten zum Wiederaufgreifen des bestandskräftig abgeschlossenen Versorgungsfestsetzungsverfahrens gerichtet ist, womit der Kläger prozessrechtlich legitim (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.1982 – 8 C 75.80 – NJW 1982, 2204/2205; B.v. 22.2.2010 – 4 B 69.09 – BeckRS 2010, 47839 Rn. 10; U.v. 14.6.2017 – 8 C 7.16 – BVerwGE 159, 136 Rn. 19) letztlich die Neufestsetzung seiner Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung der Dienstzeit vom 1. Oktober 1986 bis 2. August 1987 verfolgt, die er vor Vollendung seines 17. Lebensjahres im Beamtenverhältnis zurückgelegt hat. Hilfsweise erstrebt der Kläger mit einer Versagungsgegenklage die Verpflichtung der Beklagten, ermessensfehlerfrei über die von ihm beantragte Rücknahme der Versorgungsfestsetzung zu entscheiden mit dem Ziel, seine Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung der Dienstzeit vom 1. Oktober 1986 bis 2. August 1987 neu festzusetzen. Für diese Auslegung der Klage spricht die Gesamtheit des Klägervorbringens, insbesondere der erstinstanzliche Klageantrag, die Klagebegründung sowie die erkennbare Interessenlage des Klägers (vgl. BVerwG, B.v. 27.4.2020 – 2 B 48.19 – juris Rn. 15).
1.1. Der Klägerbevollmächtigte hat in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll des Verwaltungsgerichts (dort S. 3 unten) beantragt, die Beklagte zu verpflichten, den Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 22. Juni 2016 zurückzunehmen, soweit die vom Kläger vor Vollendung des 17. Lebensjahres zurückgelegten Dienstzeiten als nicht ruhegehaltfähig berücksichtigt wurden, und sie ferner zu verpflichten, die Versorgungsbezüge des Klägers unter Berücksichtigung seiner besagten Dienstzeiten neu festzusetzen. Damit begehrt der Kläger in der Sache die Verpflichtung der Beklagten zum Wiederaufgreifen des Versorgungsfestsetzungsverfahrens, wobei er im Zuge des Wiederaufgreifens die letztlich von ihm erstrebte günstigere Neufestsetzung seiner Versorgungsbezüge erreichen könnte. Die im protokollierten Klageantrag verwendete Formulierung „zurückzunehmen“ bewirkt dabei keine Einschränkung der gerichtlichen Prüfung des Klagebegehrens etwa allein auf den § 48 VwVfG, da ein Klagebegehren nicht etwa nur unter den klägerseits angeführten rechtlichen Aspekten, sondern auch unter allen weiteren in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten (hier auch §§ 51, 49 VwVfG) zu würdigen ist (vgl. BVerwG, B.v. 24.10.2006 – 6 B 47.06 – NVwZ 2007, 104 Rn. 13). Für das besagte Verständnis des klägerischen Hauptbegehrens spricht auch das erstinstanzliche Vorbringen zur Klagebegründung (vgl. nur Schriftsatz vom 6.11.2017), mit dem die Bescheide der Beklagten vom 28. August 2017 und vom 25. Oktober 2017 als angegriffen bezeichnet werden, wobei klägerseits schwerpunktmäßig gegen die Möglichkeit der Beklagten, sich auf die Bestandskraft des Versorgungsfestsetzungsbescheids zu berufen, argumentiert wird.
1.2. Dass (implizit) hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur ermessensfehlerfreien Entscheidung über den klägerischen Korrekturantrag (§ 51 Abs. 5, §§ 48, 49 VwVfG) zur Versorgungsfestsetzung erstrebt wird, entspricht der Interessenlage des Klägers, weil dieser Hilfsantrag in dieselbe Richtung der begehrten Neufestsetzung der klägerischen Versorgungsbezüge zielt und nur hinsichtlich der Korrektur hinter der mit dem Hauptantrag erstrebten Verpflichtung zurückbleibt (vgl. BVerwG, U.v. 31.3.2004 – 6 C 11.03 – BVerwGE 120, 263 Rn. 43; B.v. 24.10.2006 – 6 B 47.06 – NVwZ 2007, 104 Rn. 13). Dementsprechend ist im erstinstanzlichen Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 5. Februar 2019 (dort S. 2 vorletzter Absatz) auch vom klägerischen Begehren einer „Neuverbescheidung“ durch die Beklagte die Rede.
1.3. Nichts Anderes ergibt sich daraus, dass ursprünglich in der Klageschrift vom 6. November 2017 auch ein Hilfsantrag zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Widerspruchsfrist des Versorgungsfestsetzungsbescheids vom 22. Juni 2016 angekündigt worden war. Denn angesichts des Schwerpunkts des Klagebegründungsvorbringens zu einem klägerischen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Versorgungsfestsetzungsverfahrens war von Anfang an deutlich, dass es dem Kläger mit seiner Klage im Kern um die – von den Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Versorgungsfestsetzungsverfahrens unabhängige – Verpflichtung der Beklagten zur Neufestsetzung der durch den Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 22. Juni 2016 geregelten Versorgungsbezüge ging, und zwar unter Korrektur der ursprünglichen Versorgungsfestsetzung.
2. Im Hauptantrag ist die wie dargelegt zu verstehende Klage zwar zulässig, aber unbegründet, weil der Kläger weder nach nationalem Recht (2.1.) noch nach Unionsrecht (2.2.) einen Anspruch darauf hat, dass das Verfahren zur Festsetzung seiner Versorgungsbezüge von der Beklagten wiederaufgegriffen wird.
2.1. Nach nationalem Recht ergibt sich ein solcher Anspruch für den Kläger weder aus § 51 noch aus §§ 48, 49 VwVfG.
2.1.1. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (im engeren Sinne) nach § 51 Abs. 1 bis 4 VwVfG sind nicht erfüllt.
2.1.1.1. Zwar fehlt es nicht an dem für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 4 VwVfG erforderlichen „Antrag“ i.S.d. § 51 Abs. 1 VwVfG. Denn das Schreiben des Klägers vom 27. Oktober 2016, das sich in seinem Antragsteil nur auf § 48 VwVfG, „hilfsweise § 32 VwVfG“ stützt, ist – so wie es auch die Beklagte im Bescheid vom 28. August 2017 und im Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2017 gesehen hat – interessengerecht auszulegen sowohl als Antrag auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne i.S.d. § 51 Abs. 1 VwVfG als auch als Antrag auf Korrektur (§ 51 Abs. 5, §§ 48, 49 VwVfG) der Versorgungsfestsetzung. Ausschlaggebend dafür ist, dass das Schreiben ersichtlich auf eine Korrektur des nach Ablauf der Widerspruchsfrist am Montag, den 25. Juli 2016 bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheids unter allen dafür verwaltungsverfahrensrechtlich in Betracht kommenden Gesichtspunkten abzielt.
2.1.1.2. Jedoch kommt ein Anspruch des Klägers auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 4 VwVfG schon deshalb nicht in Betracht, weil es an einem hierzu erforderlichen Wiederaufgreifensgrund i.S.d. § 51 Abs. 1 VwVfG fehlt, sodass es nicht darauf ankommt, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 VwVfG vorliegend erfüllt sind oder nicht. Die Voraussetzungen des vorliegend einzig in Betracht kommenden § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liegen nicht vor, weil sich die dem bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 22. Juni 2016 zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nicht nachträglich entscheidungserheblich zugunsten des Klägers geändert hat.
Auf den Versorgungsfall des Klägers, welcher durch dessen Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des 30. November 2015 und damit vor dem 11. Januar 2017 eingetreten ist, ist entgegen dessen Ansicht nicht der erst ab 11. Januar 2017 geltende § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG i.d.F.v. 5. Januar 2017 (n.F.) anzuwenden, der die vor Vollendung des 17. Lebensjahres im Beamtenverhältnis zurückgelegte Dienstzeit nicht (mehr) von ihrer Ruhgehaltfähigkeit ausnimmt. Vielmehr bestimmt § 69k Satz 1 BeamtVG für den Versorgungsfall des Klägers, dass auf diesen (weiterhin) § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG in der bis zum 10. Januar 2017 geltenden Fassung (a.F.) anzuwenden ist, welcher die vor Vollendung des 17. Lebensjahres im Beamtenverhältnis zurückgelegte Dienstzeit als nicht ruhegehaltfähig qualifiziert, was der bestandskräftige Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 22. Juni 2016 so auch zugrunde legt. Der klägerische Einwand, § 69k Satz 1 BeamtVG sei vorliegend nicht einschlägig, weil die Antragstellung des Klägers vom 27. Oktober 2016 noch vor der Gesetzesänderung zum 11. Januar 2017 erfolgt sei, greift nicht durch. Denn § 69k Satz 1 BeamtVG stellt für die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG n.F. nicht auf den Zeitpunkt einer Antragstellung, sondern allein darauf ab, ob der Versorgungsfall vor dem 11. Januar 2017 eingetreten ist oder nicht.
Zur Anwendbarkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG n.F. auf den Versorgungsfall des Klägers führt auch nicht seine Behauptung, § 69k BeamtVG sei verfassungsrechtlich bedenklich. Es spricht vielmehr für die Verfassungsmäßigkeit dieser Stichtags- und Übergangsregelung, dass es in Fällen der Überleitung bestehender Rechtslagen und Rechtsverhältnisse unmöglich ist, die unter dem alten Recht entstandenen Rechtsverhältnisse vollständig dem neuen Recht zu unterstellen. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt klare schematische Entscheidungen über die zeitliche Abgrenzung zwischen altem und neuem Recht. Der Gesetzgeber ist daher berechtigt, Stichtage einzuführen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, B.v. 13.1.2003 – 2 BvL 9/00 – juris Rn. 14 m.w.N.) in einer Entscheidung zu einer bundesbeamtenversorgungsrechtlichen Stichtags- und Übergangsregelung zur Berücksichtigung der Zeit einer Kindererziehung bei der Berechnung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit betont, deren besagte Aussagen auf § 69k BeamtVG übertragbar sind.
Schließlich stellt – entgegen der Ansicht des Klägers, der sich dabei insbesondere auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 17. Dezember 2015 – 4 S 1211/14 – (juris) und auf die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (U.v. 17.4.2020 – 1 A 135/18 – juris) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (U.v. 14.7.2020 – 5 LC 133/18 – juris) stützt – eine Gerichtsentscheidung keine Änderung der Sach- oder Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Satz 1 VwVfG dar (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – BVerwGE 169, 318 Rn. 41 m.w.N.). Deshalb scheidet ein Anspruch des Klägers auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 4 VwVfG jedenfalls mangels eines Wiederaufgreifensgrundes i.S.v. § 51 Abs. 1 VwVfG aus.
2.1.2. Der Kläger hat nach nationalem Recht auch keinen Anspruch auf eine Korrektur der Versorgungsfestsetzung nach § 51 Abs. 5, §§ 48, 49 VwVfG.
2.1.2.1. Für eine Korrektur der Versorgungsfestsetzung nach der Ermessensvorschrift des § 48 (i.V.m. § 51 Abs. 5) VwVfG sind schon die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt, sodass sich die weitere Frage einer Ermessensreduzierung auf null nicht stellt. Das Tatbestandsmerkmal „rechtswidriger Verwaltungsakt“ i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist nicht erfüllt. Der Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 22. Juni 2016 ist nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. rechtmäßig (siehe 2.1.1.2.); er berücksichtigt in Anwendung dieser Bestimmung die Dienstzeiten, die der Kläger vor Vollendung seines 17. Lebensjahres im Beamtenverhältnis zurückgelegt hat, als nicht ruhegehaltfähig.
2.1.2.2. Ein Anspruch des Klägers auf eine Korrektur der Versorgungsfestsetzung nach § 49 (i.V.m. § 51 Abs. 5) VwVfG scheitert schon daran, dass hinsichtlich des ihn begünstigenden Versorgungsfestsetzungsbescheids (vgl. nur BVerwG, U.v. 25.3.1964 – VI C 150.62 – VerwRspr 1966, 120/124) vom 22. Juni 2016 die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 und 3 VwVfG nicht erfüllt sind. Darauf, ob ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste (§ 49 Abs. 1 VwVfG), kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht an, weil ein Versorgungsfestsetzungsbescheid nach der zitierten höchstrichterlichen Judikatur ein begünstigender Verwaltungsakt ist.
2.2. Auch nach Unionsrecht hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass das Verfahren zur Festsetzung seiner Versorgungsbezüge wiederaufgegriffen bzw. die bestandskräftige Versorgungsfestsetzung korrigiert wird.
Denn der bestandskräftige Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 22. Juni 2016 ist unionsrechtskonform. Der diesem Bescheid zugrundeliegende § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. verstößt entgegen der Auffassung des Klägers, der sich dabei insbesondere auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 17. Dezember 2015 – 4 S 1211/14 – (juris) beruft, nicht gegen die RL 2000/78/EG. Zwar ist die RL 2000/78/EG sowohl sachlich auf § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. als auch persönlich auf den Kläger anwendbar (2.2.1.) und liegt begrifflich eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters vor (2.2.2.). Jedoch ist diese Altersdiskriminierung nach Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG zulässig und schon deshalb unionsrechtskonform (2.2.3.; a.A. VGH BW, U.v. 17.12.2015 – 4 S 1211/14 – juris Rn. 82 zum insoweit inhaltsgleichen § 6 Abs. 1 BeamtVG i.d.F.v. 30.6.1989).
2.2.1. Nach Art. 3 Abs. 1 RL 2000/78/EG gilt diese Richtlinie insbesondere für alle Personen in öffentlichen Bereichen einschließlich öffentlicher Stellen, wozu auch Ruhestandsbeamte wie der Kläger gehören (vgl. EuGH, U.v. 16.6.2016 – C-159/15 – ECLI:ECLI:EU:C:2016:451 Rn. 13).
Die RL 2000/78/EG ist auch sachlich auf § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. anwendbar. Sie gilt nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. c in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts. Da das Ruhegehalt des Klägers, das unter den unionsrechtlichen Begriff des „Arbeitsentgelts“ fällt (vgl. nur BVerwG, U.v. 23.6.2016 – 2 C 17.14 – BVerwGE 155, 280 Rn. 25 f.), auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet wird (vgl. § 4 Abs. 3 BeamtVG), von welcher § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. die Zeiten, die vor Vollendung des 17. Lebensjahres im Beamtenverhältnis zurückgelegt werden, ausnimmt, berührt § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. die Bedingungen des Arbeitsentgelts i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG der betroffenen Ruhestandsbeamten (vgl. EuGH, U.v. 21.1.2015 – C-529/13 – ECLI:ECLI:EU:C:2015:20 Rn. 24; U.v. 16.6.2016 – C-159/15 – ECLI:ECLI:EU:C:2016:451 Rn. 18).
2.2.2. Zwar diskriminiert § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. den Kläger unmittelbar wegen des Alters i.S.d. Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a RL 2000/78/EG. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG liegt eine unmittelbare Diskriminierung i.S.d. Art. 2 Abs. 1 RL 2000/78/EG vor, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 RL 2000/78/EG genannten Gründe – wozu das Alter zählt – in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Demnach diskriminiert § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. den Kläger unmittelbar wegen des Alters, weil er wegen der durch diese Vorschrift angeordneten Nichtanerkennung seiner vor Vollendung des 17. Lebensjahres im Beamtenverhältnis zurückgelegten Dienstzeit als ruhegehaltfähig bei der Berechnung seines Ruhegehalts, insbesondere der Bestimmung der Höhe des maßgebenden Ruhegehaltssatzes (vgl. § 14 Abs. 1 BeamtVG i.d.F.v. 15.3.2012), weniger günstig behandelt wird, als ein Ruhestandsbeamter des Bundes, der zum selben Zeitpunkt wie der Kläger nach gleicher Ausbildung und gleicher Berufserfahrung in den Ruhestand versetzt wurde, allerdings im Gegensatz zum Kläger seine gesamte Dienstzeit im Beamtenverhältnis nach Vollendung seines 17. Lebensjahres zurückgelegt hat. Eine Vorschrift, die zu einem solchen Ergebnis führt, schafft eine Ungleichbehandlung, die unmittelbar auf dem Kriterium des Alters i.S.v. Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a RL 2000/78/EG beruht (vgl. EuGH, U.v. 21.1.2015 – C-529/13 – ECLI:ECLI:EU:C:2015:20 Rn. 27; U.v. 16.6.2016 – C-159/15 – ECLI:ECLI:EU:C:2016:451 Rn. 21), und diskriminiert deshalb unmittelbar i.S.d. Art. 2 Abs. 1 RL 2000/78/EG.
2.2.3. Jedoch ist diese mit § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. verbundene unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters nach Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG zulässig und damit unionsrechtskonform, sodass es aus unionsrechtlicher Sicht nicht entscheidungserheblich auf die Frage ankommt, ob für § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. außerdem eine Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gegeben ist, was eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordern würde (vgl. EuGH, U.v. 16.6.2016 – C-159/15 – ECLI:ECLI:EU:C:2016:451 Rn. 22; U.v. 24.11.2016 – C-443/15 – ECLI:ECLI:EU:C:2016:897 Rn. 73 ff.; BAG, U.v. 26.9.2017 – 3 AZR 72/16 – BAGE 160, 255 Rn. 40). Aus dem gleichen Grund nicht entscheidungserheblich sind deshalb auch die von anderen Oberverwaltungsgerichten zu § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG (in seiner am 31. Dezember 1991 bzw. bis zum 10. Januar 2017 geltenden Fassung) hinsichtlich Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG problematisierten Aspekte (vgl. VGH BW, U.v. 17.12.2015 – 4 S 1211/14 – juris Rn. 42 ff.; OVG Saarl, U.v. 17.4.2020 – 1 A 135/18 – juris Rn. 32 ff.; NdsOVG, U.v. 14.7.2020 – 5 LC 133/18 – juris Rn. 41 ff.; OVG NW, U.v. 26.11.2021 – 1 A 4790/18 – juris Rn. 54 ff; U.v. 10.12.2021 – 1 A 1517/20 – juris Rn. 27).
2.2.3.1. Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG hat folgenden Wortlaut: „Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen bzw. Kategorien von Beschäftigten und die Verwendung im Rahmen dieser Systeme von Alterskriterien für versicherungsmathematische Berechnungen keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts führt“.
2.2.3.2. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. ist Teil eines „betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit“ i.S.v. Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG, das die Risiken von Alter oder Invalidität abdecken soll.
Zwar definiert die RL 2000/78/EG nicht, was unter einem betrieblichen System der sozialen Sicherheit zu verstehen ist. Der EuGH (vgl. EuGH, U.v. 16.6.2016 – C-159/15 – ECLI:ECLI:EU:C:2016:451 Rn. 27) greift aber insoweit auf die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. f der RL 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl EG Nr. L 204 S. 23 [RL 2006/54/EG]) enthaltene Definition dieses Begriffs zurück.
Danach sind „betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit Systeme, die nicht durch die RL 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit geregelt werden und deren Zweck darin besteht, den abhängig Beschäftigten und den Selbständigen in einem Unternehmen oder einer Unternehmensgruppe, in einem Wirtschaftszweig oder den Angehörigen eines Berufes oder einer Berufsgruppe Leistungen zu gewähren, die als Zusatzleistungen oder Ersatzleistungen die gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit ergänzen oder an ihre Stelle treten, unabhängig davon, ob der Beitritt zu diesen Systemen Pflicht ist oder nicht“.
Nach dieser Begriffsdefinition ist das streitgegenständliche Versorgungssystem des Bundesbeamtenversorgungsgesetzes ein betriebliches System der sozialen Sicherheit i.S.v. Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG, das die Risiken von Alter oder Invalidität abdecken soll, weil sein Zweck darin besteht, Bundesbeamten Leistungen zu gewähren, die als Ersatzleistungen an die Stelle des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung treten (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI), wobei es auch Invaliditätsrisiken abdeckt (vgl. nur § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG i.d.F.v. 24.2.2010).
2.2.3.3. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. wird zudem von den in Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG genannten Fällen, also der „Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente“, erfasst, sodass die mit § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. verbundene unmittelbare Altersdiskriminierung nach Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG zulässig ist.
Dass § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. eine Altersgrenze für die „Mitgliedschaft“, jedenfalls aber für den „Bezug von Altersrente“ i.S.v. Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG darstellt, ergibt sich aus dem System des nationalen Beamtenversorgungsgesetzes. Nach § 4 Abs. 3 BeamtVG wird das Ruhegehalt auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet. Das bedeutet, dass § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F., der die Zeiten als nicht ruhegehaltfähig anordnet, die vor Vollendung des 17. Lebensjahres im Beamtenverhältnis zurückgelegt wurden, somit im Ergebnis bewirkt, dass von ihr betroffene Bundesbeamte erst nach Vollendung des 17. Lebensjahres unter das Versorgungssystem der Beklagten fallen. Deshalb ist der unionsrechtliche Schluss, dass § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. mit dem Ausschluss der Anrechnung von Dienstzeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres i.S.d. Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG eine Altersgrenze für die „Mitgliedschaft“ im Versorgungssystem der Beklagten, jedenfalls aber für den „Bezug von Altersrente“ festlegt, zutreffend (vgl. BAG, U.v. 26.9.2017 – 3 AZR 72/16 – BAGE 160, 255 Rn. 46).
Der EuGH (vgl. EuGH, U.v. 16.6.2016 – C-159/15 – ECLI:ECLI:EU:C:2016:451) hat entschieden über die dem § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. in punkto Nichtanerkennung von „vor“ Vollendung eines bestimmten Lebensjahres erbrachter Dienstzeit vergleichbare Bestimmung des § 54 Abs. 2 Buchst. a des österreichischen Pensionsgesetzes. Nach der österreichischen Regelung sind „Ruhegenussvordienstzeiten“ solche, die „vor“ dem Tag liegen, von dem an die ruhegenussfähige Bundesdienstzeit rechnet, wobei Ruhegenussvordienstzeiten nicht automatisch, sondern erst durch Anrechnung ruhegenussfähige Zeiten werden (§ 53 Abs. 1 des österreichischen Pensionsgesetzes).
Von dieser Anrechnung schließt der damals streitgegenständliche § 54 Abs. 2 Buchst. a des österreichischen Pensionsgesetzes diejenige Zeit aus, die der Beamte „vor“ Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegt hat.
Der EuGH hat § 54 Abs. 2 Buchst. a des österreichischen Pensionsgesetzes im Anschluss an die Schlussanträge des Generalanwalts im damaligen Vorabentscheidungsverfahren als Ausdruck der den Mitgliedstaaten in Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG zuerkannten Freiheit angesehen, bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft in einem Beamtenpensionssystem oder den Bezug von Altersrente im Rahmen dieses Systems festzusetzen, und die besagte österreichische Regelung im Ergebnis wegen Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG für unionsrechtskonform gehalten (vgl. EuGH, U.v. 16.6.2016 – C-159/15 – ECLI:ECLI:EU:C:2016:451 Rn. 30).
Diese Judikatur des EuGH ist zu übertragen auf den streitgegenständlichen § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F., weshalb dieser gemäß Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG zulässig und folglich unionsrechtskonform ist (anders im Ergebnis VGH BW, U.v. 17.12.2015 – 4 S 1211/14 – juris Rn. 64 zum insoweit inhaltsgleichen § 6 Abs. 1 BeamtVG i.d.F.v. 30.6.1989; siehe auch jeweils zu § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a.F. OVG Saarl, U.v. 17.4.2020 – 1 A 135/18 – juris Rn. 40; NdsOVG, U.v. 14.7.2020 – 5 LC 133/18 – juris Rn. 54 ff.; OVG NW, U.v. 26.11.2021 – 1 A 4790/18 – juris Rn. 63 ff; U.v. 10.12.2021 – 1 A 1517/20 – juris Rn. 27).
Dafür spricht in erster Linie der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG, dem der EuGH bei seiner besagten Beurteilung des österreichischen Pensionsgesetzes eine große Bedeutung beimisst. Denn er hebt hervor, dass die Mitgliedstaaten nach dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG nicht nur unterschiedliche Altersgrenzen für Beschäftigte oder Gruppen bzw. Kategorien von Beschäftigten festsetzen, sondern auch im Rahmen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit eine einheitliche Altersgrenze für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente festsetzen können (EuGH, U.v. 16.6.2016 – C-159/15 – ECLI:ECLI:EU:C:2016:451 Rn. 30). Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG spricht darüber hinaus auch davon, dass die Mitgliedstaaten auch vorsehen können, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Verwendung im Rahmen dieser Systeme von Alterskriterien für versicherungsmathematische Berechnungen keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts führt. Auch diese weitere Erwähnung von „Alterskriterien“ in Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG zeigt, dass diese Bestimmung nach ihrem Wortlaut in mehrfacher Hinsicht offen ist für das Alter als ein betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit begrenzendes Kriterium. Das spricht zusätzlich dafür, dass die Altersgrenze in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. unionsrechtskonform ist gemäß Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG, wobei der EuGH diese Ausnahmebestimmung zwar als solche für eng auszulegen hält (vgl. EuGH, U.v. 26.9.2013 – C-476/11 – ECLI:ECLI:EU:C:2013:590 Rn. 46), wie gezeigt aber gleichwohl an der vergleichbaren österreichischen Regelung gerade keinen Anstoß genommen hat.
2.3. Nichts Anderes ergibt sich aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.
2.3.1. Zwar geht das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz insofern über das Unionsrecht hinaus, als es nach § 10 Satz 1 und 2 AGG – weitergehend als § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG, der nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG entspricht und als Regelbeispiel für eine ausnahmsweise zulässige Altersdiskriminierung interpretiert wird – verlangt, dass die konkret gewählte Altersgrenze auch durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist (vgl. BAG, U.v. 26.9.2017 – 3 AZR 72/16 – BAGE 160, 255 Rn. 38 ff.).
Allerdings hält der Senat das bundesrechtliche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht für einen tauglichen Prüfungsmaßstab zur Beurteilung der Gültigkeit einer gleichrangigen, ebenfalls bundesrechtlichen Vorschrift des Beamtenversorgungsrechts, hier des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2014 – 2 C 3.13 – BVerwGE 150, 255 Rn. 16; U.v. 6.4.2017 – 2 C 11.16 – BVerwGE 158, 344 Rn. 34).
2.3.2. Selbst wenn man unabhängig davon – entgegen der Überzeugung des Senats – zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die Gültigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. (auch) am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu beurteilen ist, und man in der weiteren Folge verlangt, dass eine Norm wie § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. nicht nur den unionsrechtlichen Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG, sondern auch den nationalen Voraussetzungen des § 10 Satz 1 und 2 AGG genügen muss, wäre dem vorliegend genügt. Denn die mit § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. verbundene unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters ist gerechtfertigt i.S.d. § 10 Satz 1 und 2 AGG.
2.3.2.1. Mit der Altersgrenze des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. werden legitime Ziele i.S.d. § 10 Satz 1 AGG verfolgt, die zwar nicht ausdrücklich benannt sind, sich aber vorliegend durch Auslegung aus dem allgemeinen Kontext der Regelung ergeben (vgl. EuGH, U.v. 21.7.2011 – C-159/10 u.a. – ECLI:ECLI:EU:C:2011:508 Rn. 39 m.w.N.; BAG, U.v. 26.9.2017 – 3 AZR 72/16 – BAGE 160, 255 Rn. 50 m.w.N.). Nach ihrem Sinn und Zweck dient die Altersgrenze des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. nicht nur der Begrenzung und Kalkulierbarkeit der Versorgungslasten der Beklagten, sondern auch dem weiteren sozialpolitischen Ziel eines Beitrags zum Erhalt ihres Systems der Beamtenversorgung (vgl. BAG, U.v. 26.9.2017 a.a.O. Rn. 49). Dabei ist zu sehen, dass das System der Beamtenversorgung für Bundesbeamte an die Stelle des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung tritt, weshalb es als „betriebliches System der sozialen Sicherheit“ i.S.d. Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG zu qualifizieren ist (siehe 2.2.3.2.). Die Altersgrenze des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. leistet insoweit letztlich auch einen Beitrag zum Erhalt des eigenständigen Systems der Beamtenversorgung, das nach dem Willen des Gesetzgebers gerade aus dem System der allgemeinen Rentenversicherung ausgegliedert ist. In diesem Beitrag zur Systemstabilität liegt ein nicht nur fiskalisch motiviertes Ziel, dessen Legitimität nicht dadurch in Frage gestellt wird, dass Haushaltserwägungen für sich allein kein legitimes Ziel i.S.d. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG sind (vgl. EuGH, U.v. 21.7.2011 a.a.O. Rn. 74), welcher auch für die Beurteilung, ob ein legitimes Ziel i.S.d. § 10 Satz 1 AGG vorliegt, eine Rolle spielt (vgl. BAG, U.v. 26.9.2017 a.a.O.).
2.3.2.2. Die Altersgrenze des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. ist auch angemessen und erforderlich i.S.v. § 10 Satz 2 AGG (vgl. BAG, U.v. 26.9.2017 – 3 AZR 72/16 – BAGE 160, 255 Rn. 52 ff.). Die Regelung ist aufgrund der Nichtberücksichtigung von vor der Vollendung des 17. Lebensjahres im Beamtenverhältnis zurückgelegten Zeiten geeignet, die besagten Ziele der Begrenzung und Kalkulierbarkeit der Versorgungslasten der Beklagten mit dem weiteren sozialpolitischen Ziel eines Beitrags zum Erhalt des Systems der Beamtenversorgung und zu seiner Eigenständigkeit zu fördern. Die Altersgrenze ist erforderlich i.S.v. § 10 Satz 2 AGG; ein milderes, gleich effektives Mittel als die Einführung eines Mindestalters für den Erwerb von Versorgungsanwartschaften, um die von der Beklagten zu erbringenden Versorgungsleistungen im Interesse des besagten Erhalts des Systems der Beamtenversorgung hinreichend sicher zu begrenzen, ist nicht ersichtlich (vgl. BAG, U.v. 26.9.2017 a.a.O. Rn. 56 ff.). Der Ausschluss der besagten Zeiten von ihrer Ruhegehaltfähigkeit beeinträchtigt die legitimen Interessen der Ruhestandsbeamten der Beklagten an der vollständigen Berücksichtigung sämtlicher ihrerseits im Beamtenverhältnis zurückgelegten Zeiten nicht übermäßig – denn die vorliegende Kappung der im Beamtenverhältnis zurückgelegten Dienstzeit führt nicht zu einer Entwertung eines wesentlichen Teils ihres typischen Erwerbslebens (vgl. BAG, U.v. 26.9.2017 a.a.O. Rn. 55).
2.3.3. Auch scheidet ein Verstoß der Altersgrenze des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 GG aus. Zwar genügt zur Rechtfertigung einer gesetzlichen Regelung, die nach dem Lebensalter als individuell verfügbares Merkmal unterscheidet, nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht die schlichte Willkürfreiheit, sondern es gelten strengere Rechtfertigungsanforderungen im Rahmen einer nach Art. 3 Abs. 1 GG erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. nur BVerfG, B.v. 27.7.2016 – 1 BvR 371/11 – BVerfGE 142, 353 Rn. 69 ff.). Jedoch genügt die Altersgrenze des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. diesen strengeren Rechtfertigungsanforderungen nach Art. 3 Abs. 1 GG, und zwar aus den oben unter 2.3.2.1 und 2.3.2.2. genannten Gründen, die im vorliegenden Kontext des Art. 3 Abs. 1 GG auch unabhängig davon tragfähig sind, ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vorliegend Prüfungsmaßstab ist oder nicht.
3. Da die Klage im Hauptantrag erfolglos ist (siehe 2.), ist die vom Kläger zulässigerweise gesetzte innerprozessuale Bedingung für die Entscheidung des Senats über den klägerischen Hilfsantrag, welcher (siehe 1.) die Verpflichtung der Beklagten zur ermessensfehlerfreien Entscheidung über den klägerischen Korrekturantrag zur bestandskräftigen Versorgungsfestsetzung zum Gegenstand hat, eingetreten. Zwar ist dieser Hilfsantrag zulässig. Er ist jedoch unbegründet. Denn es wurde bereits gezeigt, dass der bestandskräftige Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 22. Juni 2016 sowohl nach nationalem Recht (siehe 2.1.1.2.) als auch nach Unionsrecht (siehe 2.2.) rechtmäßig ist, weshalb bereits der Tatbestand (siehe 2.1.2.1.) für eine Korrektur nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht erfüllt ist. Eine Korrektur nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 49 VwVfG scheitert ebenfalls, und zwar daran (siehe 2.1.2.2.), dass hinsichtlich des den Kläger begünstigenden Versorgungsfestsetzungsbescheids vom 22. Juni 2016 die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 und 3 VwVfG nicht erfüllt sind.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
5. Die Revision ist gemäß § 127 Nr. 1 BRRG zuzulassen, weil das Urteil hinsichtlich der Erkenntnis der Unionsrechtskonformität des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. abweicht (vgl. BVerwG, B.v. 11.8.1998 – 2 B 74.98 – NVwZ 1999, 406) vom Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 17.12.2015 – 4 S 1211/14 – juris Rn. 82), welcher die auf die Vollendung des 17. Lebensjahres abstellende Altersgrenze im Anwendungsbereich der mit § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG a.F. inhaltsgleichen Fassung des § 6 Abs. 1 BeamtVG vom 30. Juni 1989 für unionsrechtswidrig gehalten hat, das vorliegende Urteil auf dieser Abweichung beruht und zu dieser oberverwaltungsgerichtlich unterschiedlich beurteilten Frage des Unionsrechts bislang keine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergangen ist.


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