Arbeitsrecht

Bewerbungskosten gemäß Eingliederungsvereinbarung

Aktenzeichen  S 22 AL 207/20

Datum:
29.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 786
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III § 44

 

Leitsatz

1. Verpflichtet sich die Bundesagentur durch  Eingliederungsvereinbarung zur Unterstützung bei Bewerbungskosten ohne Festlegung eines Deckelungsbetrags, ist die Ablehnung einer Erstattung über 250 € hinaus ermessensfehlerhaft. (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die pauschale Erstattung von 5 € Bewerbungskosten pro Onlinebewerbung ist nicht mehr zeitgemäß. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20.05.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2020 verurteilt, über den Antrag des Klägers vom 27.01.2020 auf Erstattung von Bewerbungskosten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu entscheiden.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Klage hat vollumfänglich Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Gegenstand dieses Rechtsstreites ist der Bescheid vom 20.05.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2020, mit dem die Beklagte die am 27.01.2020 beantragte Förderung für Bewerbungskosten aus dem Vermittlungsbudget abgelehnt hat.
Das Gericht konnte gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da alle Beteiligten ausdrücklich ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 und 92 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Klage ist nach Auslegung des klägerischen Begehrens auf Verpflichtung zur Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides gerichtet und somit als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsverbescheidungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 20b).
Die Klage ist begründet, weil die Beklagte bei der Entscheidung im Einzelfall ihr Ermessen fehlerhaft gebraucht hat, indem sie bei der Festlegung der Obergrenze für Bewerbungskosten die dem Kläger in der Eingliederungsvereinbarung vom 10.12.2019 auferlegten Pflichten nicht berücksichtigt hat. Die bloße Ablehnung einer Förderung aus dem Vermittlungsbudget unter Verweis auf eine abstrakt festgelegte absolute Obergrenze von 250,00 EUR für die gesamte Dauer der Arbeitslosigkeit ist ermessensfehlerhaft.
Rechtsgrundlage für die Förderung von Bewerbungskosten aus dem Vermittlungsbudget ist § 44 Abs. 1, Abs. 3 SGB III. Danach können Ausbildungssuchende, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende und Arbeitslose aus dem Vermittlungsbudget der Agentur für Arbeit bei der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gefördert werden, wenn dies für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Die Förderung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers. Der genannte Personenkreis soll insbesondere bei der Erreichung der in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Eingliederungsziele unterstützt werden. Die Förderung umfasst die Übernahme der angemessenen Kosten, soweit der Arbeitgeber gleichartige Leistungen nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird. Die Agentur für Arbeit entscheidet über den Umfang der zu erbringenden Leistungen; sie kann Pauschalen festlegen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 44 Abs. 1, Abs. 3 SGB III liegen vor. Der Kläger war bei Vornahme der Bewerbungen im Januar 2020 arbeitslos und erhielt Leistungen nach dem SGB III. Die Bewerbungsbemühungen zielten nach der mit der Beklagten geschlossenen Eingliederungsvereinbarung darauf ab, ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen.
Die Beklagte hat den Förderantrag des Klägers ermessensfehlerhaft abgelehnt. Eine Ermessensentscheidung ist nur dann rechtswidrig, wenn die Behörde ihr Ermessen gar nicht ausübt oder im Bescheid nicht zum Ausdruck bringt (Ermessensnichtgebrauch), wenn sie ihr Ermessen zu eng einschätzt (Ermessensunterschreitung), wenn sie eine Rechtsfolge setzt, die in der gesetzlichen Regelung gar nicht vorgesehen ist (Ermessensüberschreitung) oder wenn sie von ihrem Ermessen fehlerhaft Gebrauch macht (Ermessensfehlgebrauch). Ein Ermessensfehlgebrauch liegt zum Beispiel vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt, wenn sie nicht alle maßgebenden Ermessensgesichtspunkte in die Entscheidung mit einbezieht, wenn sie die abzuwägenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet oder wenn sie einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zu Grunde legt (BSG, Urteil vom 09. November 2010 – B 2 U 10/10 R; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 27). Eine weitergehende Prüfung steht dem Gericht bei Ermessensentscheidungen der Behörde nicht zu (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG, § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Es findet nur eine Rechtskontrolle, keine Zweckmäßigkeitsprüfung statt. Das Gericht darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 28).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes hat die Beklagte ermessensfehlerhaft entschieden, indem sie die in der Eingliederungsvereinbarung vom 10.12.2019 getroffenen Regelungen offensichtlich nicht in ihre Erwägungen mit einbezogen hat.
Schon bei Erfüllung der in der Eingliederungsvereinbarung vom 10.12.2019 vereinbarten Mindest-Bewerbungspflichten entstehen dem Kläger unter Zugrundelegung der von der Beklagten festgelegten Pauschale von 5,00 EUR pro Bewerbung höhere Kosten als 250,00 EUR. Die Beklagte verpflichtete sich in der Eingliederungsvereinbarung, den Kläger bei seinen Bewerbungskosten im Rahmen der vereinbarten Ziele zu unterstützen. Vereinbart war, dass der Kläger sich auf Vermittlungsvorschläge sowie zusätzlich mindestens zwei bis dreimal pro Woche selbst auf offene Stellen bewirbt. Die Vereinbarung galt für 26 Wochen. Somit war von vornherein klar, dass unter Berücksichtigung der von der Beklagten festgelegten Pauschale von 5,00 EUR pro Bewerbung allein in dieser Zeit (ohne etwaige weitere Zeiten der Arbeitslosigkeit) insgesamt mindestens Bewerbungskosten zwischen 260,00 EUR und 390,00 EUR anfallen würden. Die Beteiligten haben in der Eingliederungsvereinbarung insoweit – entgegen der von der Beklagten beabsichtigten Deckelung mit Pauschalierung – auch keine Obergrenze für die Geltungsdauer der Vereinbarung oder gar für die Dauer der Arbeitslosigkeit vereinbart. Wenn die Beklagte vor diesem Hintergrund im Rahmen ihrer Ablehnung des zweiten Förderantrages mit keinem Wort auf die Eingliederungsvereinbarung eingeht, hat sie nach Auffassung der erkennenden Kammer einen maßgebenden Gesichtspunkt außer Acht gelassen, der im Rahmen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu würdigen gewesen wäre. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte den Kläger mündlich über die Höhe der festgelegten Pauschalen informiert hat.
Bei ihrer erneuten Ermessensentscheidung wird die Beklagte neben den o.g. Umständen auch zu würdigen haben, inwieweit die Höhe der Pauschale und der Deckelungsbetrag nachvollziehbar sind. Die Festlegung von Pauschalen für die Kostenübernahme von Bewerbungsschreiben im Rahmen des Vermittlungsbudgets steht ebenfalls im pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers. Für den Regelfall – und wenn vom Antragsteller nicht dargelegt wird, dass die vorgesehenen Kosten allgemein nicht ausreichend sind – kann dies durch ermessenslenkende Weisungen geschehen (Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 44 SGB III (Stand: 07.12.2020), Rn. 217). Die Pauschalierung kann z.B. derart erfolgen, dass entweder ein Einheitsbetrag oder ein Höchstbetrag bestimmt wird (vgl. hierzu mit z.T. kritischer Anmerkung Bieback in: Gagel, SGB II/SGB III, § 44 SGB III Rn. 51. Vgl. aber auch BSG v. 23.06.2016 – B 14 AS 30/15 R: Pauschalierungen oder Höchstbetragsregelungen kommen in Betracht, Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 44 SGB III, Stand: 07.12.2020, Rn. 158). Sofern sich die Agentur für Arbeit aber für die Bestimmung einer Pauschale entscheidet, muss diese so bemessen sein, dass das damit pauschal Abgegoltene tatsächlich und sinnvoll erreicht werden kann. Insofern kann die Festsetzung der Pauschalen auch nicht gänzlich frei oder gar willkürlich erfolgen. Vielmehr müssen die Höhen der Pauschalen auf der Grundlage von Erfahrungswerten, Bezugsquellen, Preislisten etc. ermittelt und nachvollziehbar sein (Herbst in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 44 SGB III (Stand: 07.12.2020), Rn. 160).
Das Gericht hat Zweifel an dieser Nachvollziehbarkeit, wenn die Beklagte nicht differenziert zwischen (faktisch so gut wie kostenfrei durchführbaren) Onlinebewerbungen einerseits und den nach eigener Berechnung der Beklagten bis zu 10,00 EUR kostenden Papierbewerbungen andererseits. Die Gewährung ein und derselben Pauschale für beide Bewerbungsformen führt dazu, dass bei Onlinebewerbungen zu viel und bei Papierbewerbungen in der Regel zu wenig erstattet wird. Bewirbt sich jemand, so wie der Kläger, nur online, dann erhält er durch die Pauschalierung eine seine Aufwendungen deutlich übersteigende Förderung. Schickt jemand ausschließlich klassische Papierbewerbungen mit der Post, muss er sehr wahrscheinlich höhere Kosten selbst tragen. Nur bei denjenigen, die sich zu ungefähr gleichen Teilen online und per Brief bewerben, kann die Förderung überhaupt für einen angemessenen Ausgleich der notwendigen Bewerbungskosten sorgen. Mit Blick auf den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, an den sich die Beklagte wegen der begrenzen Mittel haushaltsrechtlich halten muss, erscheint diese Vorgehensweise bei zunehmendem Anteil von Onlinebewerbungen nicht mehr zeitgemäß. Eine solche Verteilung der Mittel aus dem Vermittlungsbudget führt letztlich zu ungerechten Ergebnissen.
Im Ergebnis war die Klage zwar vollumfänglich erfolgreich, weil die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat und demzufolge erneut über den Förderantrag vom 27.01.2020 entscheiden muss. Ob der Kläger für seine ausschließlich online durchgeführten Bewerbungen letztendlich noch eine Förderung erhält, bleibt allerdings der erneuten Entscheidung der Beklagten vorbehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Die Berufung war gemäß § 144 SGG nicht zuzulassen.


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