Arbeitsrecht

Dienstunfall, Telearbeit, Homeoffice, Häuslicher Arbeitsplatz, Dienststelle, Kindergartenumweg, Kindergartenwegeunfall, Gleichbehandlungsgrundsatz

Aktenzeichen  3 ZB 21.1907

Datum:
16.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36761
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 und 2a)

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 1 K 21.369 2021-06-01 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
In der Sache geht es um die Frage, ob Beamte im Homeoffice beim Weg von und zur Kindertagesstätte dienstunfallgeschützt sind.
Nach Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a) BayBeamtVG gilt als Dienst auch ein Abweichen in vertretbarem Umfang von dem unmittelbaren Weg zwischen der Familienwohnung und der Dienststelle, wenn das dem Grunde nach kindergeldberechtigende Kind des Beamten oder der Beamtin, das mit ihm oder ihr in einem Haushalt lebt, wegen seiner oder ihrer beruflichen Tätigkeit oder der des Ehegatten fremder Obhut anvertraut wird.
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass es in Fällen der Telearbeit an einem „Abweichen von dem unmittelbaren Weg zwischen Familienwohnung und Dienststelle“ mangelt. Es bedürfe eines räumlichen Auseinanderfallens zwischen Familienwohnung und Dienststelle, was vorliegend jedoch nicht gegeben sei. Zu einer anderweitigen Auslegung zwinge auch nicht das Verfassungsrecht. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten) und des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
1.1 Der Kläger meint, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bedürfe es für die Anwendbarkeit des Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a) BayBeamtVG nicht eines räumlichen Auseinanderfallens von Familienwohnung und Dienststelle. Er begründet das damit, dass der Dienstweg auch innerhalb der Wohnung zurückgelegt werden könne. Der Kläger habe seinen Dienstweg im privaten Bereich der Familienwohnung begonnen, um dann von dem unmittelbaren Weg ins Arbeitszimmer abzuweichen, um seine beiden Kinder in die Kindertagesstätte zu bringen.
Ernstliche Zweifel ergeben sich hieraus nicht. Der in Telearbeit tätige Beamte legt bereits keinen mit dem Dienst zusammenhängenden Weg zwischen Familienwohnung und Dienststelle zurück (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG). Damit steht fest, dass Art. 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a BayBeamtVG nicht eingreifen kann. Der Antritt eines unter Dienstunfallschutz stehendes Weges mit Verlassen der „Familienwohnung“ (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG) muss aber vorliegen, damit ausnahmsweise auch ein vom Dienstunfallschutz umfasstes „Abweichen“ (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayBeamtVG) bejaht werden kann (vgl. auch BSG, U.v. 30.1.2020 – B 2 U 19/18 R – juris Rn. 25 zum vergleichbaren § 8 Abs. 2 SGB VII a.F.).
Es ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. nur BVerwG, U.v. 27.1.2005 – 2 C 7.04 – juris Rn. 12 f.) geklärt, dass ein mit dem Dienst zusammenhängender Weg erst außerhalb des häuslichen Bereichs an der Außentüre des Wohngebäudes des Beamten beginnen kann. Zur Abgrenzung des von der Unfallfürsorge erfassten öffentlichen von dem nicht erfassten privaten Bereich hat sich in der Rechtsprechung mit der Außentür des Wohngebäudes eine räumliche Grenzziehung herausgebildet, die an objektive Merkmale knüpft und im Allgemeinen leicht feststellbar ist (BayVGH, B.v. 19.3.2012 – 3 B 11.8 – juris Rn. 14). Im Falle des Klägers wird diese Grenzziehung durch § 10 der Dienstvereinbarung über „Alternierende Wohnraum- und Telearbeit“ modifiziert. Danach besteht Dienstunfallschutz innerhalb des Raums, in dem sich der häusliche Arbeitsplatz befindet. Das ist nicht zu beanstanden. Auch nach Nr. 46.1.5.2 der Bayerischen Verwaltungsvorschriften zum Versorgungsrecht (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 20.9.2012, FMBl. S. 394) besteht Unfallschutz nur, solange sich der Beamte in dem Raum befindet, in dem sich die vom Dienstherrn gestellten Arbeitsmittel befinden. Der übrige Teil des von dem Beamten bewohnten Hauses oder der Wohnung ist dem privaten Lebensbereich zuzuordnen. Dieser wird von dem Beamten in dem Sinne beherrscht, dass nur er auf die dort gegebenen Unfallgefahren Einfluss nehmen kann, der Dienstherr jedoch nicht. Der Toilettengang im Rahmen der vereinbarten Telearbeit fällt daher nicht unter den Dienstunfallschutz (VG Leipzig, U.v. 16.2.2021 – 8 K 1099/20 – juris; anders der Toilettengang im Dienstgebäude: BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 2 C 17.16 – juris). Damit scheidet ein Dienstgang innerhalb des Hauses aus. Der Senat vermag sich daher auch nicht dem Verwaltungsgericht Halle anzuschließen, das der Auffassung ist, bei einem genehmigten Heimarbeitsplatz sei dieser Heimarbeitsplatz die Dienststelle und es erfolge damit tatsächlich ein Weg nach dem morgendlichen Aufstehen aus dem privaten Bereich zur Kindertagesstätte, der dann zur Dienststelle führe, die „zufälligerweise wiederum in Räumlichkeiten der eigenen Wohnung“ liege (U.v. 25.6.2014 – 5 A 136/11 – juris Rn. 27). Gegen diese Auffassung spricht nämlich, dass der häusliche Arbeitsplatz nicht Dienststelle ist. Dienststellen sind – im Einklang mit dem allgemeinen organisationsrechtlichen Verständnis – ausschließlich Behörden und Gerichte. Der häusliche Arbeitsplatz wird auch nicht dadurch zur Dienststelle, dass die Dienstvereinbarung über „Alternierende Wohnraum- und Telearbeit“ gilt.
1.2 Der Tatbestand des sog. Kindergartenwegeunfalls (Nr. 2a) beruht auf allgemeinen sozial- und gesellschaftspolitischen Erwägungen. Die Vorschrift schützt nur den Umweg vom üblichen Weg zur von der Dienststelle, den ein Beamter machen muss, um sein Kind fremder Obhut anzuvertrauen. Leisten Beamte in ihrer Wohnung Dienst (Telearbeit), ist der Weg zur Kindertagesstätte für bayerische Beamte derzeit noch nicht vom Dienstunfallschutz erfasst. Dafür bedarf es einer gesetzlichen Regelung (vgl. BT-Drs. 15/21 S. 52). Entsprechende Regelungen sind auf Bundesebene bereits beschlossen und in Kraft getreten (§ 31 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BeamtVG mit G.v. 28.6.2021, BGBl. I S. 2250; § 8 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Nr. 2a. SGB VII mit G.v. 14.6.2021, BGBl. I S. 1762). In Bayern liegt ein Änderungsantrag (vgl. LT-Drs. 18/18506 vom 19.10.2021) zum Gesetzentwurf vom 15. September 2021 (LT-Drs. 18/17828) vor, wonach im Falle der Telearbeit auch das Zurücklegen von Wegen, um ein Kind fremder Obhut anzuvertrauen oder aus fremder Obhut abzuholen, unter Dienstunfallschutz stehen soll. Davon kann der Kläger indes nicht profitieren, da eine Rückwirkung dieser neuen Bestimmung nicht beabsichtigt ist (vgl. LT-Drs. 18/18506 vom 19.10.2021).
Der Umstand, dass der Kläger am 12. Dezember 2019 bei der Inobhutgabe seiner Kinder nicht unter Dienstunfallschutz stand, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet nicht, unterschiedliche Gruppen (hier: Beamte, die im Homeoffice, und Beamte, die in der Dienststelle Dienst leisten) gleich zu behandeln. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG ist nicht gegeben, weil eben kein Weg zum Ort der versicherten beruflichen Tätigkeit beim Arbeitgeber und damit ein sachlicher Differenzierungsgrund vorliegt. Das LSG Niedersachsen-Bremen (U.v. 26.9.2018 – L 16 U 26/16 – juris) hat ausdrücklich betont, dass in der unterschiedlichen versicherungsrechtlichen Behandlung von Telearbeit und Arbeit in der Dienststelle gerade kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt und zur Entscheidung darüber, ob der Versicherungsschutz bei der zunehmenden Verlagerung von Bürotätigkeiten auf Telearbeitsplätze in Homeoffice zu erweitern ist, auf die Zuständigkeit des Gesetzebers verwiesen (juris Rn. 37; bestätigt durch BSG, U.v. 30.1.2020 – B 2 U 19/18 R – juris). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an (a.A. Leube, NZA 2015, 275/279). Im Übrigen ist der Gesetzgeber auch nicht gehalten, zur Förderung der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) jede denkbare den Beamten günstige Regelung vorzusehen.
Eine analoge Anwendung des Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a) BayBeamtVG ist abzulehnen, weil keine planwidrige Regelungslücke besteht, wovon auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist (vgl. auch BSG, U.v. 30.1.2020 a.a.O. Rn. 28). Nicht jedes Fehlen einer (möglicherweise erwünschten) Regelung bedeutet zugleich einen lückenhaften gesetzlichen Regelungsplan.
1.3 Der Kläger hat mit dem Weg zur Kindertagesstätte eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit innerhalb seines persönlichen Lebens- und Risikobereiches verrichtet. Denn die Wahrnehmung der dienstlichen Tätigkeit setzte in seinem Fall nicht zwingend die Inobhutgabe der Kinder voraus. Grundlage seiner Vereinbarung zur alternierenden Wohnraum-/Telearbeit vom 30. Mai 2018 ist die Dienstvereinbarung über „Alternierende Wohnraum- und Telearbeit“ vom 21./28. Juli 2015. Danach dient die Wohnraum- und Telearbeit insbesondere der verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie ermöglicht bzw. erleichtert den Beschäftigten sowohl die Betreuung von Kindern als auch die Pflege von nahen Angehörigen (vgl. Präambel). Insoweit müssen nach § 3 Abs. 3 der Dienstvereinbarung persönliche Voraussetzungen erfüllt sein, wozu unter anderem auch die Betreuung eines in häuslicher Lebensgemeinschaft lebenden minderjährigen Kindes zählt. Damit soll die Telearbeit also gerade eine solche Betreuung zuhause neben der Arbeit ermöglichen. Hierzu hat beispielsweise der Kläger an den Heimarbeitstagen (Montag bis Donnerstag) bei einem achtstündigen Arbeitstag nur eine vierstündige Präsenz- bzw. Kommunikationszeit (vgl. § 4 Abs. 1 der Vereinbarung zur alternierenden Wohnraum-/Telearbeit) und ist ansonsten völlig frei in seiner Arbeitseinteilung. Damit soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch und gerade durch die Verbindung der beiden Lebensbereiche gefördert werden. Mithin ist eine Ungleichbehandlung nicht gegeben. Ein durch den Dienst als solchen veranlasster Weg liegt hier nicht vor. Gerade hierin und in der damit verbundenen Zeitersparnis liegt ein wesentlicher Vorteil für den Beamten (vgl. Kazmaier in Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsgesetz des Bundes und der Länder, Stand: Juni 2021, § 31 BeamtVG Rn. 208). Auch die angefochtene Entscheidung geht davon aus, dass der Charakter der Eigenwirtschaftlichkeit der Verbringung des Kindes in Fremdbetreuung in dieser Konstellation stärker als beim Arbeiten in der Dienststelle im Vordergrund steht (VG Würzburg, U.v. 1.6.2021 – W 1 K 21.369 – juris Rn. 26).
2. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen, da solche nicht dargelegt werden. Soweit auf die geltend gemachten (vermeintlichen) ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils rekurriert wurde, kann auf die Ausführungen unter 1. verwiesen werden. Besondere rechtliche Schwierigkeiten ergeben sich auch nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht die Gesetzesmotive für den sog. Kindergartenumweg zitiert (VG Würzburg a.a.O. Rn. 23). Entgegen der Meinung des Klägers benötigt das Verwaltungsgericht keine Auslegung für seine Rechtsauffassung, sondern stützt sich auf den Wortlaut der streitentscheidenden Norm. Die Ausführungen zu den Gesetzesmaterialien und der Rechtsprechung setzen sich lediglich mit dem klägerischen Vorbringen auseinander und waren für die Entscheidungsfindung des Verwaltungsgerichts nur von flankierender Bedeutung.
3. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Die vom Kläger aufgeworfene Frage:
„Bedarf es für die Annahme eines Dienstunfalls nach Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG bzw. auch für den sog. Kindergartenumweg nach Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayBeamtVG eines räumlichen Auseinanderfallens zwischen Familienwohnung und Dienststelle, wenn Familienwohnung und Dienststelle an Tagen einer genehmigten Telearbeit an der privaten Wohnadresse des Beamten an demselben Ort zusammenfallen?“
ist nicht klärungsbedürftig. Die Antwort ergibt sich aus dem klaren Wortlaut der in Bezug genommenen Vorschriften, die ein Zurücklegen eines – dienstunfallrechtlich geschützten – mit dem Dienst zusammenhängenden Weges zwischen Familienwohnung und Dienststelle voraussetzen. Daran fehlt es jedoch, wie unter 1. ausgeführt.
4. Der Senat hat auch die weiteren Argumente des Klägers (z.B. die behauptete Regelungslücke, die „deutlich begründeten Unterschiede zwischen RVO und SGB“ und die Reform des Beamtenversorgungsgesetzes durch den Bund), die dieser in der Antragsbegründung vom 10. August 2021 vorgebracht hat, erwogen. Er hat sie jedoch ebenfalls nicht für geeignet gehalten, einen Zulassungsgrund zu begründen, ohne dass es insoweit im vorliegenden Beschluss einer ausdrücklichen Auseinandersetzung damit bedurft hätte.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG (wie Vorinstanz).
6. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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