Arbeitsrecht

Diskriminierung, Klagefrist

Aktenzeichen  4 Sa 512/21

Datum:
7.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5428
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
AGG § 15 Abs. 4
ArbGG § 61b

 

Leitsatz

Erfolglose Berufung eines Klägers gegen das Endurteil, mit dem seine Klage auf Entschädi-gung wegen Diskriminierung wegen Verfristung zurückgewiesen worden ist, in der er sich auf die Europarechtswidrigkeit der deutschen Ausschlussfristen sowie darauf beruft, diese seien durch eine parallele Entfristungsklage eingehalten.

Verfahrensgang

6 Ca 14377/20 2021-06-25 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 25.06.2021, Az: 6 Ca 14377/20, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthaft und mit den Schriftsätzen vom 10.08.2021 und 14.10.2021 innerhalb der Fristen des § 66 Abs. I S. 1 ArbGG eingelegt und begründet, die angesichts der Zustellung des Urteils am 16.07.2021 gem. §§ 64 Abs. VI ArbGG, 222 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 16.08.2021 bzw. – verlängert – am 18.10.2021 abliefen.
Die Begründung genügt gerade noch den Anforderungen des § 520 ZPO. Auch wenn sie sich über weite Strecken auf die Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags beschränkt und keine vertiefte Argumentation auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung hinbietet, ist jedoch zu erkennen, dass mit ihr eine andere rechtliche Wertung als die des Arbeitsgerichts erstrebt wird.II.
Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zutreffend hat das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung einen Anspruch des Klägers aus § 15 Abs. 2 AGG verneint und die Klage abgewiesen: Der Kläger hat die Klagefrist gemäß § 61 b Abs. 1 ArbGG nicht eingehalten.
Nach § 61 b Abs. 1 ArbGG muss eine Klage auf Entschädigung innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs erhoben werden, andernfalls ist der Anspruch verfallen.
1. Der Kläger hat seinen Entschädigungsanspruch mit Schreiben vom 04.06.2020, der Beklagten zugegangen am 06.06.2020, geltend gemacht. Die Entschädigungsklage ist am 01.12.2020 und damit außerhalb der Dreimonatsfrist beim Arbeitsgericht eingegangen, die nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 06.09.2020 abgelaufen war.
2. Die Frist ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht durch die Erhebung der Klage gegen die Befristung des Arbeitsverhältnisses gewahrt.
a. Das Bundesarbeitsgericht hat in der vom Kläger genannten Entscheidung vom 19.09.2012 (5 AZR 627/11) festgestellt, dass tarifvertragliche Ausschlussfristen verfassungskonform dahingehend auszulegen seien, dass mit Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die davon abhängigen Ansprüche wegen Annahmeverzugs im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist gerichtlich geltend gemacht seien (Rn. 13 ff – zitiert nach juris): Mit einer Bestandsschutzklage wahre der Arbeitnehmer, ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedürfe, die erste wie die zweite Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für alle vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche. Mit einer solchen Klage erstrebe der Arbeitnehmer nämlich nicht nur die Erhaltung seines Arbeitsplatzes, sondern auch die Erhaltung der davon abhängigen Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs, die insofern ebenfalls „gerichtlich geltend“ gemacht würden (Rn. 15 – zitiert nach juris). Damit werde dem Gebot effektiven Rechtsschutzes genügt, wonach eine erhöhte Obliegenheit zur Geltendmachung der Ansprüche wegen Annahmeverzugs angesichts des Kostenrisikos nicht zulässig wäre (so BVerfG v. 01.12.2010, 1 BvR 1682/07 Rn. 26 – zitiert nach juris).
b. Diese Entscheidung ist auf die hiesige Konstellation nicht übertragbar. Es fehlt an einer entsprechenden Vorgreiflichkeit der Entscheidung im Entfristungsverfahren.
Dies gilt zum einen deshalb, weil die Entschädigung an eine diskriminierende Handlung, nicht an den Bestand des Arbeitsverhältnisses anknüpft. So könnte die Befristung (auch) aus anderem Grund als wegen Diskriminierung – etwa wegen Formmangels oder mangels Befristungsgrund – unwirksam sein. Die Tatsache, dass die Frage der Diskriminierung durch eine Befristung in dem Entfristungswie dem Entschädigungsprozess relevant sein kann, macht nicht einen der beiden Prozesse vorgreiflich.
Im konkreten Fall fehlt es an der Vorgreiflichkeit der Entfristungsklage zudem deshalb, weil, worauf der Kläger in seiner Berufungsbegründung ausdrücklich rekurriert, die Entschädigungsforderung an die mangelnde Verlängerung des Arbeitsverhältnisses anknüpft, nicht an eine eventuelle frühere Diskriminierung. Gegenstand der Entfristungsklage aber ist die Zulässigkeit einer Befristung zu Beginn des Arbeitsverhältnisses.
3. Die Frist des § 61b Abs. 1 ArbGG ist nicht deshalb unbeachtlich, weil sie europarechtswidrig wäre.
a. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 08.07.2010 (C-246/09 – Bulicke) die – kürzere – Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG unter dem Gesichtspunkt des Effektivitätsgrundsatzes nicht für bedenklich gehalten. Vielmehr sei nicht ersichtlich, dass die Festlegung dieser Frist auf zwei Monate die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte unmöglich machen oder übermäßig erschweren könne, wenn zum einen diese Frist nicht weniger günstig sei als die für vergleichbare innerstaatliche Rechtsbehelfe im Bereich Arbeitsrecht und zum anderen die Festlegung des Zeitpunkts des Fristbeginns die Ausübung der Rechte nicht unmöglich mache oder übermäßig erschwere. Letzteres sei von den nationalen Gerichten zu prüfen (Rn. 39 ff.- zitiert nach juris).
b. Das Bundesarbeitsgericht hat wiederholt die Vereinbarkeit der Ausschlussfristen der §§ 15 Abs. 4 AGG, 61b Abs. 1 ArbGG mit den Vorgaben des Unionsrechts bejaht (BAG v. 18.05.2017, 8 AZR 74/16 Rn. 30 ff. – zitiert nach juris; BAG v. 24.09.2009, 8 AZR 705/08 Rn. 37 ff.- zitiert nach juris). Die Fristen wahrten sowohl den unionsrechtlichen Grundsatz der Äquivalenz als auch den der Effektivität und verstießen auch nicht gegen das in Art. 8 Abs. 2 der RL 2000/78/EG bestimmte Verbot der Absenkung des von den Mitgliedstaaten bereits garantierten allgemeinen Schutzniveaus.
Dem schließt sich die zur Entscheidung berufene Kammer an. Zwar legt die Richtlinie selbst keine Fristen für die Geltendmachung von in ihr geregelten Ansprüchen fest; doch normiert ihr Art. 9 Abs. 3 (ebenso wie Art. 7 Abs. 3 der vom Kläger auch benannten RL 2000/43/EG) die Möglichkeit einzelstaatlicher Regelungen über Fristen für die Rechtsverfolgung betreffend den Gleichbehandlungsgrundsatz. Nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie ist es deshalb Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den vollen Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, und eben auch Ausschlussfristen zu bestimmen (vgl. die o.g. Entscheidung EuGH v. 08.07.2010, C-246/09 – Bulicke Rn. 24 f. – zitiert nach juris). Die Festsetzung von Ausschlussfristen ist als Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar (st. Rspr. des EuGH, etwa v. 21.12.2016, C-154/15, C-307/15 und C-308/15 – Gutierrez Naranjo Rn. 69).
Im Hinblick auf den Grundsatz der Effektivität ist mit dem EuGH die Dreimonatsfrist (erst recht) als zulässig anzusehen. Dies gilt insbesondere, weil das Verfahren des Entschädigungsanspruchs angesichts der Darlegungserleichterungen durch § 22 AGG keiner erheblichen Vorbereitungen und Prüfungen bedarf (so auch BAG v. 18.05.2017, 8 AZR 74/16 Rn. 59 f. – zitiert nach juris).
Eine Absenkung des Schutzniveaus in Bezug auf Diskriminierungen in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen ist ebenfalls durch die Fristenregelung nicht bewirkt. Einen entsprechenden Schutz, wie ihn das AGG mit dem Entschädigungsanspruch bietet, war vor der Einführung dieses Gesetzes nicht vorhanden (BAG v. 18.05.2017, 8 AZR 74/16 Rn. 63 ff.- zitiert nach juris).
Aus demselben Gesichtspunkt ist schließlich der Grundsatz der Äquivalenz erfüllt: es besteht keine günstigere innerstaatliche Regelung (ausführlich dazu BAG v. 18.05.2017 – 8 AZR 74/16 Rn. 39 ff.- zitiert nach juris).
c. Die vom Kläger erstinstanzlich angeführte Entscheidung des EuGH vom 01.12.1998 (C 326/96) macht keine andere Qualifikation notwendig.
Der EuGH hatte darin entschieden, dass das gemeinschaftsrechtliche Prinzip der Effektivität einer Einschränkung eines Anspruchs auf rückständiges Arbeitsentgelt wegen Verletzung des Grundsatzes des gleichen Entgelts auf zwei Jahre entgegenstehe, wenn die verspätete Geltendmachung des Anspruchs darauf zurückzuführen sei, dass der Arbeitgeber gegenüber dem Betroffenen die Höhe des Entgelts, das Arbeitnehmer des anderen Geschlechts für die gleiche Arbeit erhalten, bewusst falsch angegeben habe, weil diesem durch die Täuschung der Anspruch letztlich unmöglich gemacht werde.
Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Es geht nicht um eine Verhinderung der Geltendmachung durch den Arbeitgeber. Wenn der Kläger sich in diesem Zusammenhang darauf beruft, im Juli 2020 habe ein Telefonat seines Rechtsanwalts mit der Beklagten über eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab September 2021 stattgefunden, so entspricht dies nicht der vom EuGH entschiedenen Situation: Das – im Übrigen bestrittene – Gespräch über Lösungsmöglichkeiten eines geltend gemachten Anspruchs ist nicht einer Täuschung über die Grundlagen eines Anspruchs gleichzustellen. Außerdem ist nicht einsichtig, warum eine Geltendmachung im September 2020 nicht möglich gewesen sei, wenn nach eigenem Vortrag des Klägers in Folge des Gesprächs vom Juli keine Reaktion der Beklagten mehr erfolgt sei.
d. Die Relevanz der vom Kläger außerdem zitierten Entscheidungen des EuGH vom 29.03.2007 (C-347/04- REWE) und vom 22.10.1987 (C-314/85 – FotoFrost) erschließt sich nicht. In ersterer geht um die Niederlassungsfreiheit, die durch eine steuerrechtliche Vorschrift als verletzt erachtet wurde, die Verlustabzüge ausländischer Tochterfirmen nur einschränkt zuließ, in der zweitgenannten um die mangelnde Berechtigung nationaler Gerichte, die Unwirksamkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane festzustellen.
4. Eine Vorlage an den EuGH ist entgegen der wiederholten Ansicht des Klägers nicht veranlasst.
a. Es ist schon nicht zu erkennen, welche Frage dem EuGH gestellt werden könnte.
Nach Art. 267 Abs. 2 und 1 AEUV sind Vorabentscheidungen auf die Vorlage von Gerichten möglich, soweit sich Fragen über die Auslegung der Verträge oder die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union stellen.
Die vom Kläger genannten Fragestellungen sind nicht vorlagefähig: Die Beurteilung der Diskriminierung des Klägers ist ebenso Anwendung innerstaatlichen Rechts wie die Subsumtion unter die (nationalen) Fristtatbestände. Die Bewertung der Effektivität des Rechtsschutzes im Hinblick auf die Fristen hat der EuGH ausdrücklich den nationalen Gerichten überlassen (EuGH v. 08.07.2010, C-246/09 – Bulicke Rn. 42 – zitiert nach juris).
b. Eine Pflicht zur Vorlage besteht schließlich nicht. Nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist eine solche nur dann gegeben, wenn sich eine zur Vorabentscheidung durch den EuGH berechtigte Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem nationalen Gericht stellt, dessen Entscheidung innerstaatlich nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden kann. Mangels vorlagefähiger Frage wie angesichts der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen des Berufungsgerichts liegt ein solcher Fall hier nicht vor.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO: Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen, insbesondere kommt dem Fall keine besondere über die Klärung der zwischen den Parteien streitigen Rechtsfragen hinausgehende Bedeutung i. S. d. § 72 Abs. II Nr. 1 ArbGG zu.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.


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