Arbeitsrecht

Erfolgreiche Beschwerde gegen Versagung von Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  10 C 17.322

Datum:
5.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26914
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 4

 

Leitsatz

1 Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Klage im Rahmen des PKH-Verfahrens richtet sich nach dem materiellen Recht. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Änderungen zugunsten des Ausländers bezüglich der Sicherung des Lebensunterhaltes (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), die nach der Ablehnung von Prozesskostenhilfe eintreten, sind vom Beschwerdegericht zu berücksichtigen. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 K 16.5772 2017-01-23 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 23. Januar 2017 wird der Klägerin für das Verfahren M 4 K 16.5772 Prozesskostenhilfe mit der Maßgabe gewährt, dass sie auf die von ihr gegebenenfalls zu tragenden Prozesskosten monatliche Raten in Höhe von 252,- EUR zu leisten hat; Rechtsanwalt A. B., München, wird beigeordnet.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Klägerin ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das beim Bayerischen Verwaltungsgericht München anhängige Klageverfahren (M 4 K 16.5772) auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weiter.
Die zulässige Beschwerde hat im Wesentlichen Erfolg. Der Klägerin ist Prozesskostenhilfe unter Ratenzahlung zu gewähren und ihr Bevollmächtigter beizuordnen.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).
Gemessen an diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall hinreichende Erfolgsaussichten der Klage anzunehmen, denn deren Ausgang ist nach derzeitigem Stand als offen anzusehen.
Zwar ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, also wenn dieser vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte. Ausnahmsweise ist jedoch hiervon abweichend der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – hier des Beschwerdegerichts – maßgeblich, wenn sich im Laufe des Verfahrens die Sach- und Rechtslage zugunsten des Antragstellers geändert hat, so dass sich infolge dieser Änderung nunmehr hinreichende Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung erkennen lassen. Denn für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage und damit auch für den Beurteilungszeitpunkt kommt es allein auf das materielle Recht an. Es wäre mit dem Sinn der Vorschriften über die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht vereinbar, würde man unter Berufung auf das Fehlen hinreichender Erfolgsaussichten in der Vergangenheit die Beschwerde zurückweisen und einen Antragsteller darauf verweisen, wegen einer aufgrund einer Änderung der Sach- und Rechtslage mittlerweile positiven Beurteilung der Erfolgsaussichten einen erneuten Antrag auf Prozesskostenhilfe zu stellen (BayVGH, B.v. 10.4.2013 – 10 C 12.1757 – juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 21.12.2009 – 19 C 09.2958 – juris Rn. 3 ff., jeweils m.w.N.).
So liegt der Fall hier. Zwar hat das Verwaltungsgericht für den Zeitpunkt der Bewilligungsreife zu Recht entschieden, dass der Lebensunterhalt der Klägerin aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit und des Bezugs öffentlicher Leistungen nicht im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 AufenthG (damaliger Fassung) gesichert und eine Ausnahme von dieser Regelerteilungsvoraussetzung nicht ersichtlich war, weshalb ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht bestand. In Bezug auf die Einkommenssituation der Klägerin ist jedoch seither eine Änderung eingetreten, da sie nunmehr eine dauerhafte Erwerbstätigkeit ausübt.
Die Beurteilung, dass der Lebensunterhalt im Sinn des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert ist, setzt eine Prognose voraus, ob der Ausländer seinen Lebensunterhalt – einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes – in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Hierfür ist ein Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln anzustellen, wobei sich der Bedarf grundsätzlich an den Maßstäben des Sozialrechts bemisst. Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen, was nicht allein durch eine punktuelle Betrachtung des jeweils aktuellen Beschäftigungsverhältnisses beurteilt werden kann. Erforderlich ist eine Abschätzung auch unter Berücksichtigung der bisherigen Erwerbsbiografie, ob ohne unvorhersehbare Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufgebracht werden kann. Auch wenn eine solche Prognose aufgrund des individuellen Arbeitsverhältnisses und der allgemeinen Arbeitsmarktsituation mit Unwägbarkeiten belastet ist, muss zumindest auf der Basis der sich aus der bisherigen Erwerbsbiografie ergebenden Daten ein Verlaufsschema erkennbar sein, das die begründete Annahme stabiler Einkommensverhältnisse erlaubt. Der Prognosehorizont richtet sich dabei nach der Dauer des vorgesehenen Aufenthalts bzw. nach der vorgesehenen Geltungsdauer einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, denn vor einer eventuellen Verlängerung ist die Sicherung des Lebensunterhalts erneut zu prüfen. Im Allgemeinen genügt das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, BeckOK AuslR, 12. Aufl. 2018, § 5 AufenthG Rn. 23 ff.).
Als für die Klägerin anzusetzenden notwendigen Bedarf legt der Senat den zuletzt von der Beklagten ermittelten Betrag von 979,- EUR zugrunde (Berechnung vom 19.9.2016, Bl. 279 der Behördenakte), der von der Klägerin grundsätzlich nicht bestritten wird. Die in diesem Betrag enthaltenen Wohnkosten von 575,- EUR sind jedoch entgegen der Ansicht der Klägerin nicht um den von ihrem Sohn erbrachten (Untermiet-)Beitrag von 287,50 EUR (laut dem vorgelegten Untermietvertrag vom 1.7.2017 jedoch 304,- EUR) zu reduzieren; die Beklagte weist insoweit zurecht darauf hin, dass keine Unterlagen vorliegen, ob der Sohn als Student dauerhaft diesen Beitrag leisten kann.
Andererseits hat sich die Einkommenssituation der Klägerin insoweit deutlich verbessert, als sie nunmehr einen unbefristeten Arbeitsvertrag bei einem ambulanten Pflegedienst besitzt und hieraus einen Nettoverdienst von zuletzt (August 2018) monatlich 1096,89 EUR erzielt. Sie bezieht außerdem eine Hinterbliebenenrente von monatlich 145,84 EUR und eine russischen Altersrente von ca. 250,- EUR. Damit dürfte ihr Lebensunterhalt derzeit gesichert sein. Allerdings wird das Verwaltungsgericht im weiteren Verfahren zu prüfen haben, inwieweit diese Einkommenssituation der Klägerin im obigen Sinne dauerhaft ist, denn sie ist mittlerweile 66 Jahre alt, so dass sie jedenfalls in einigen Jahren nur noch auf Renteneinkünfte angewiesen sein dürfte.
Beim derzeitigen Stand sind die Erfolgsaussichten der Klage somit als offen einzuschätzen.
Bedürftigkeit im Sinne von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegt grundsätzlich vor. Gemäß § 115 ZPO hat die Klägerin jedoch ihr Einkommen einzusetzen. Damit ist nach § 120 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine monatliche Ratenzahlung von 252,- EUR festzusetzen. Hierbei wurden die von der Klägerin genannten Einkommens- und Rentenbeträge eingesetzt; hinsichtlich der Wohnkosten wurde der von der Klägerin genannte Betrag von 287,50 EUR angesetzt, da dieser die aktuelle wirtschaftliche Situation wiedergibt. Weitere Werbungskosten, Belastungen o.ä. hat die Klägerin nicht geltend gemacht.
Die Mitteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin in den Gründen dieses Beschlusses verstößt nicht gegen § 127 Abs. 1 Satz 3 ZPO, da von einer Zustimmung der Klägerin zu deren Weitergabe auszugehen ist. Der Senat hat mit Schreiben vom 27. Juni 2017 darauf hingewiesen, dass die wirtschaftlichen Umstände sowohl für das Prozesskostenhilfeverfahren wie auch in der Hauptsache von Bedeutung sind, da in dem anhängigen Klageverfahren, für das die Prozesskostenhilfe beantragt wurde, gerade die Lebensunterhaltssicherung umstritten ist. Die Klägerin hat laufend weitere Unterlagen zur Einkommenssituation vorgelegt, da es in ihrem Interesse liegt, die Sicherung ihres Lebensunterhalts darzulegen.
Da die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, war der Klägerin ihr Bevollmächtigter beizuordnen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO).
Da Prozesskostenhilfe nur unter Ratenzahlung gewährt wurde, der Antrag auf Prozesskostenhilfe aber unbeschränkt war, war die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO), Gerichtsgebühren fallen nicht an.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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