Arbeitsrecht

Erfolgreicher Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  10 C 16.2086

Datum:
24.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 26 Abs. 4 S. 1
VwGO VwGO § 166 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Den hinreichenden Erfolgsaussichten einer Klage steht nicht entgegen, dass – wenn die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vorliegen – deren Erteilung gemäß § 26 Abs. 4 S. 1 AufenthG im Ermessen steht und die Ausländerbehörde angekündigt hat, dass sie die Erteilung der Niederlassungserlaubnis auch im Rahmen einer Ermessensentscheidung ablehnen würde. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 14.5499 2016-09-29 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

Unter Aufhebung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 29. September 2016 wird der Klägerin für das Verfahren M 25 K 16.5499 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt C. A. W., Bonn, zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.

Gründe

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Klägerin ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihr beim Bayerischen Verwaltungsgericht München anhängiges Klageverfahren (M 25 K 14.5499) auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis weiter.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Der Klägerin ist – wie tenoriert – Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihr Bevollmächtigter beizuordnen.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen. Deshalb dürfen bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Dabei muss Prozesskostenhilfe nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die Ablehnung von Prozesskostenhilfe kann ungeachtet des Fehlens einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden, ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12). Im Hinblick auf offene Tatsachenfragen darf Prozesskostenhilfe nicht verweigert werden, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Klagepartei ausgehen könnte (BVerfG, B.v. 28.1.2013 – BvR 274/12 – juris Rn. 20).
Gemessen an diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall hinreichende Erfolgsaussichten der Klage anzunehmen.
Streitig ist im vorliegenden Fall, ob der Klägerin trotz des – unbestritten – nicht gesicherten Lebensunterhalts (§ 26 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) aufgrund der Sondervorschrift des § 26 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 6 u. Satz 3 AufenthG eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden kann. Das wäre dann der Fall, wenn die Klägerin die Anforderung des gesicherten Lebensunterhalts wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.2008 – 1 C 34/07 – juris 14 ff.; BVerwG, B.v. 22.11.2016 – 1 B 117/16, 1 PKH 82/16 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 18.6.2015 – 10 C 15.675 – juris Rn. 11). Dem Verwaltungsgericht ist zuzustimmen, dass das Alter der Klägerin insoweit nicht mit einer „Krankheit oder Behinderung“ gleichgestellt werden kann (BayVGH, B.v. 14.5.2009 – 19 ZB 09.785 – juris Rn. 12 ff.; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 9 Rn. 77). Die Klägerin macht aber geltend, sie sei bereits vor Eintritt ins „Rentenalter“ während ihres seit 1996 andauernden Aufenthalts im Bundesgebiet wegen einer fortdauernden Erkrankung nicht in der Lage gewesen, ihren Lebensunterhalt zu sichern bzw. eine ausreichende Altersvorsorge aufzubauen. Soweit die Klägerin bei der Ausländerbehörde seit 2003 diverse ärztliche Bescheinigungen ihres Hausarztes bzw. eines Arztes in Offenbach vorgelegt hat, trifft es zwar zu, dass diese in Bezug auf diese Frage wenig aussagekräftig sind. Allerdings wurde durch die Ausländerbehörde – und auch durch das Verwaltungsgericht – niemals die Vorlage eines ausführlicheren Attestes angeregt oder verlangt. Die Feststellung der Landesversicherungsanstalt Oberbayern in deren Schreiben vom 24. September 2004, der Klägerin stehe keine Rente wegen Erwerbsminderung zu, weil sie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne, stellt auf den Wortlaut der damals insoweit geltenden Rechtsgrundlage § 1 Nr. 2 Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) i.V.m. § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ab. Weitere Informationen, etwa das dieser Feststellung zugrunde liegende Gutachten, finden sich weder bei den Behördennoch bei den Gerichtsakten. Angesichts der über Jahre hinweg mehrfach hausärztlich bescheinigten Erwerbsunfähigkeit hätte für die Ausländerbehörde Veranlassung bestanden, dem näher nachzugehen, und beispielsweise eine amtsärztliche Überprüfung zu veranlassen, jedenfalls aber ein ausführliches und substantiiertes Attest des behandelnden Hausarztes zu verlangen und vor allem die weiteren Unterlagen der Landesversicherungsanstalt beizuziehen. Da die Klägerin sich auf ihre Erwerbsunfähigkeit beruft, besteht für sie eine Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG; sie hat also an der Aufklärung mitzuwirken und gegebenenfalls auch von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden.
Angesichts der fehlenden weiteren Sachaufklärung durfte sich auch das Verwaltungsgericht nicht allein auf den Inhalt der Behördenakte zurückziehen und hinreichende Erfolgsaussicht der Klage deswegen verneinen. Welche tatsächlichen Erkenntnisse die weitere Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) bringen wird, ist als offen anzusehen.
Den hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage steht nicht entgegen, dass – wenn die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vorliegen – deren Erteilung gemäß § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG im Ermessen steht und die Ausländerbehörde in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10. November 2014 (Seite 6) bereits angekündigt hat, dass sie die Erteilung der Niederlassungserlaubnis auch im Rahmen einer Ermessensentscheidung ablehnen würde. Insoweit sind noch nicht eindeutig entschiedene Rechtsfragen zu klären, denn es ist in den Einzelheiten umstritten, welche Gesichtspunkte mit welchem Gewicht in die Ermessenserwägungen eingestellt werden dürfen (allg. Göbel-Zimmermann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 26 Rn. 12) und wann eine Ermessensreduzierung „auf Null“ anzunehmen ist (Marx, Aufenthalts- Asyl- und Flüchtlingsrecht, 6. Aufl. 2017, Rn.196; Fränkel in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 26 Rn. 20; BayVGH, U.v. 16.4.2008 – 19 B 07.336 – juris Rn. 42).
Insbesondere umstritten ist das Gewicht der allgemeinen migrationspolitischen Vorgaben des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich der Begrenzung der Zuwanderung (vgl. Maaßen/Kluth in Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.11.2016, § 26 Rn. 343, sowie Hailbronner, Ausländerrecht, A1, Stand Dez. 2016, § 26 Rn. 27 einerseits; Göbel-Zimmermann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 26 Rn. 13, andererseits) und die Frage, ob nicht erbrachte Anforderungen, auf die – wie hier – aufgrund persönlicher Umstände verzichtet wird, im Rahmen des Ermessens als Versagungsgrund herangezogen werden dürfen (vgl. Fränkel in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 26 Rn. 20; BayVGH, U.v. 16.4.2008 – 19 B 07.336 – juris Rn. 42).
Bedürftigkeit im Sinne von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegt vor. Da die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, war der Klägerin ihr Bevollmächtigter – zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwalts – beizuordnen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2, Abs. 3 ZPO).
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO), Gerichtsgebühren fallen nicht an.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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