Arbeitsrecht

Erinnerung gegen den Ansatz der Gerichtskosten

Aktenzeichen  M 19 M 20.31249

Datum:
2.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 17011
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 151, § 165
BGB § 197 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Auch ein anwaltlich vertretener Beteiligter, der in einer durch Gerichtsbescheid entschiedenen Streitsache vollständig obsiegt hat, kann Anspruch auf Festsetzung der fiktiven Terminsgebühr haben.

Tenor

I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 25. März 2020 wird abgeändert. Die dem Kläger zu erstattenden Rechtsanwaltskosten werden auf 925,22 EUR festgesetzt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Erinnerungsführer wendet sich mit seiner Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss.
Im Verfahren M 19 K 17.32183 wandte sich der Kläger (der jetzige Erinnerungsführer) über seinen Bevollmächtigten gegen die Versagung der Gewährung von internationalem Flüchtlingsschutz. Mit Gerichtsbescheid vom 18. April 2020 folgte das Gericht diesem Antrag und verurteilte die Beklagte dazu, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 des Asylgesetzes zuzuerkennen. Der Beklagten wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Mit Schreiben vom 17. Februar 2020 beantragte der Kläger über seinen Bevollmächtigten, seine Kosten aus diesem Verfahren (1,3 Verfahrensgebühr, 1,2 Terminsgebühr, Postpauschale und Mehrwertsteuer) in Höhe von insgesamt 925,22 EUR vollstreckbar festzusetzen. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17. März 2020 wurde dem entsprochen.
Mit Schriftsatz vom 18. März 2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 24. März 2020 eingegangen, beantragten die Beklagte gegen diesen Bescheid die Entscheidung des Gerichts. Begründet wurde dies damit, dass der Kostenbescheid insoweit rechtswidrig sei, als dem Kläger eine Terminsgebühr zuerkannt werde. Aufgrund der Tatsache, dass im gegenständlichen Verfahren keine mündliche Verhandlung stattfand, käme nur die Festsetzung einer fiktiven Terminsgebühr in Betracht. Dies sei aber nur in den Fällen möglich, in denen die mündliche Verhandlung zulässigerweise hätte beantragt werden können. Da sich der Kläger im gegenständlichen Gerichtsbescheid mit seinem Antrag aber vollständig durchgesetzt habe, sei es ihm im Anschluss nicht mehr möglich gewesen, die mündliche Verhandlung zu beantragen, sodass ein solcher Fall nicht vorläge.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25. März 2020 half der Urkundsbeamte diese Erinnerung ab und setzte die vom Kläger von der Beklagten zu erstattenden Aufwendungen, ohne Berücksichtigung eine Terminsgebühr, auf 492,54 EUR fest.
Mit Schriftsatz vom 9. April 2020 beantragte nun der Kläger gegen diesen Beschluss die Entscheidung des Gerichts.
Der Urkundsbeamte half der Erinnerung nicht ab und legte sie dem Gericht zur Entscheidung vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Verfahren M 19 K 17.32183 verwiesen.
II.
Die nach § 165 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 151 VwGO zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Erinnerung hat Erfolg, da sie begründet ist.
Die Entscheidung über die Kostenerinnerung erfolgt dabei durch den Berichterstatter als Einzelrichter, da die insoweit maßgebliche Kostenlastentscheidung in der Hauptsache ebenfalls durch den Einzelrichter getroffen wurde und das Gericht über die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss grundsätzlich in der Besetzung entscheidet, in der die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen wurde (vgl. Kaufmann in BeckOK, VwGO, 53. Edition, Stand: 01.01.2020, § 151 Rn. 2).
Im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens gemäß §§ 164, 173 VwGO i.V.m. §§ 103 ff. ZPO werden auf Antrag durch Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des ersten Rechtszugs die zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits untereinander zu erstattenden Kosten festgesetzt, § 164 VwGO. Die im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß §§ 164, 173 VwGO i.V.m. §§ 103 ff. ZPO zu erstattenden Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
Der vorliegende Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. März 2020 ist rechtswidrig. Der Urkundsbeamte hat die beantragte fiktive Terminsgebühr zu Unrecht nicht festgesetzt.
Das Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetzt – RVG) sieht in seiner Anlage 1 unter der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG für den Fall, dass gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird, grundsätzlich ein fiktive Terminsgebühr vor. Dies gilt ausweislich des Wortlauts der Vorschrift allerdings nur in den Fällen, in denen eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann.
Einen solchen Antrag konnte der Kläger hier gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO stellen.
Entgegen einer teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung (vgl. etwa VG Regensburg, B.v. 27.6.2016 – RO 9 M 16.929 – juris Rn. 12) lässt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht folgern, dass die fiktive Terminsgebühr nur in den Verfahren anfällt, bei denen gegen den Gerichtsbescheid gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ausschließlich die mündliche Verhandlung als Rechtsbehelf zulässig ist. Eine derartige Beschränkung ist jedenfalls nicht mit dem Zweck der Vorschrift vereinbar, für den Anwalt einen gebührenrechtlichen Anreiz zu schaffen, nicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu bestehen. Eine solche kann nämlich auch nach § 84 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 VwGO erzwungen werden (BayVGH, B.v. 27.02.2020 – 8 C 18.1889 – juris Rn. 9 ff.).
Auf die Tatsache, dass der Kläger vorliegend im zugrundeliegenden Rechtsstreit vollumfänglich obsiegt hat und ein Antrag auf mündliche Verhandlung mangels Beschwer daher unzulässig wäre, kommt es für die Abrechenbarkeit der fiktiven Terminsgebühr ebenfalls nicht an. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass Teile der Rechtsprechung durchaus der Auffassung sind, dass ein Anspruch auf die fiktive Terminsgebühr nur demjenigen Anwalt zustehe, der im konkreten Fall einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen könne (vgl. u.a. NdsOVG, B.v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17 – juris Rn. 10 ff.; VG München, B.v. 15.3.2018 – M 5 M 17.49591 – juris Rn. 14).
Dem ist insoweit auch recht zu geben, als der Wortlaut der Vorschrift ausdrücklich von Fallgruppen spricht, in denen „eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“. Ausgeschlossen sind daher jedenfalls die Fälle nach § 84 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO, in denen ein solcher Antrag schon gar nicht statthaft wäre (VG Minden, B.v. 17.8.2018 – 12 K 6379/16.A – juris Rn. 14).
Dem Entstehen der Gebühr steht jedoch nicht entgegen, dass der Kläger, aufgrund seines Obsiegens, keinen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen kann, weil er durch den Gerichtsbescheid nicht beschwert ist.
Dies ergibt sich nicht nur daraus, dass durchaus umstritten ist, ob ein unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss verworfen werden kann oder ob hierüber stets durch Urteil zu entscheiden ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.02.2020 – 8 C 18.1889 – juris Rn.17 m.w.N.).
Das Abstellen auf die Beschwer würde überdies für Anwälte einen Anreiz dafür schaffen, durch Stellung ausufernder Klageanträge eine Klageabweisung in einem minimalen Teil zu erreichen, nur um im Anschluss die fiktive Terminsgebühr abrechnen zu können (vgl. VG Minden, B.v. 17.8.2018 – 12 K 6379/16.A – juris Rn. 16). Der Zweck der Vorschrift, prozessökonomische Verfahrensführung seitens der Beteiligten auf Gebührenebene zu honorieren, würde dadurch gerade ins Gegenteil verkehrt werden.
Entscheidend ist aus Sicht des Gerichts aber vor allem, dass bei einer Abstellung auf die Beschwer im Ergebnis die Entstehung einer anwaltlichen Gebühr vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht würde. Sind nämlich – was auch im Verwaltungsprozess regelmäßig der Fall sein kann – mehrere Beteiligte anwaltlich vertreten, entstünde eine fiktive Terminsgebühr auf Seiten der unterliegenden Beteiligten, nicht aber auf Seiten der obsiegenden Beteiligten. Der prozessökonomisch arbeitende Anwalt, der durch saubere Antragstellung unter geringerer Belastung des Gerichts für seinen Mandanten einen vollständigen Sieg errungen hat, wäre damit im Ergebnis finanziell deutlich schlechter gestellt, als der Anwalt der unterliegenden Gegenseite. Dieses Ergebnis ist nicht nur mit der Zielsetzung der mit Anlage 1 Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG getroffenen Regelung – Belohnung prozessökonomischen Verhaltens – nicht zu vereinbaren, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Gebührengerechtigkeit höchst bedenklich (BayVGH, B.v. 27.02.2020 – 8 C 18.1889 – juris Rn.20; VG Hamburg, B.v. 09.11.2017 – 1 KO 8346/17 – juris Rn. 28; VG Düsseldorf, B.v. 06.03.2017 – 13 I 6/17 – juris Rn. 7; VG Minden, B.v. 17.8.2018 – 12 K 6379/16.A – juris Rn. 18 ff.).
Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist damit abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei.


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