Arbeitsrecht

Erstattung der Ausbildungskosten durch wegen Kriegsdienstverweigerung entlassenen Soldaten auf Zeit

Aktenzeichen  M 21 K 18.1012

Datum:
9.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24949
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 4 Abs. 3
SG § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, § 55 Abs. 1 S. 1, § 56 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, S. 3

 

Leitsatz

1 Die Einbeziehung von anerkannten Kriegsdienstverweigerern in den Kreis der Soldaten auf Zeit, die bei vorzeitiger Entlassung Ausbildungskosten zu erstatten haben, ist mit dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung vereinbar. Die Erstattungspflicht, der sich ein wegen seiner  Kriegsdienstverweigerung kraft Gesetzes zu entlassender Soldat gegenübersieht, stellt allerdings in der Regel eine besondere Härte (§ 56 Abs. 4 S. 3 SG) dar, die den Dienstherrn zu Ermessenserwägungen über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten zwingt (stRspr BayVGH BeckRS 2018, 20043). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Von einem wegen Kriegsdienstverweigerung entlassenen Soldaten auf Zeit ist nur der durch eine Fachausbildung bei der Bundeswehr erlangte Vorteil zu erstatten. Die ersparten Ausbildungskosten können anhand der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks berechnet werden (stRspr BayVGH BeckRS 2018, 20043). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Der Leistungsbescheid des BAPersBw vom 29. März 2017 in der Gestalt dessen Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte kann von ihr daher die Erstattung von Kosten ihres Studiums in Höhe von 39.306,31 € verlangen.
Ein früherer Soldat auf Zeit, dessen militärische Ausbildung mit einem Studium oder einer Fachausbildung verbunden war und der auf seinen Antrag entlassen worden ist oder als auf eigenen Antrag entlassen gilt, muss nach § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SG in der hier maßgeblichen Fassung vom 28. April 2011 die entstandenen Kosten des Studiums oder der Fachausbildung erstatten.
Diese Voraussetzungen für die Pflicht der Klägerin zur Erstattung der Kosten, die durch ihr Studium der Bildungs- und Erziehungswissenschaften an den Universitäten der Bundeswehr Hamburg und München in der Zeit vom 1. Oktober 2010 bis zum 20. August 2014 entstanden sind, sind unstreitig erfüllt. Nachdem die Klägerin (bestandskräftig) als Kriegsdienstverweigerin anerkannt worden und deswegen aus dem Dienstverhältnis einer Soldatin auf Zeit entlassen worden ist, gilt sie im Sinne des § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SG als auf eigenen Antrag entlassen, weil für den Soldaten auf Zeit über § 55 Abs. 1 Satz 1 SG insbesondere § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 Halbs. 2 SG entsprechend gilt, welcher die Entlassung wegen der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer als Entlassung auf eigenen Antrag fingiert.
Die Einbeziehung von anerkannten Kriegsdienstverweigerern in den Kreis der Soldaten auf Zeit und der Berufssoldaten, die bei vorzeitiger Entlassung Ausbildungskosten zu erstatten haben, ist mit Art. 4 Abs. 3 GG vereinbar. Die Erstattungspflicht, der sich ein wegen seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer kraft Gesetzes zu entlassender Soldat gegenübersieht, stellt allerdings in der Regel eine besondere Härte im Sinne des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG dar, die den Dienstherrn nach dieser Vorschrift zu Ermessenserwägungen über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten zwingt (vgl. nur BayVGH, B.v. 16.8.2018 – 6 ZB 18.1446 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Die Beklagte hat das ihr nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG zur Bemessung des erstattungspflichtigen geldwerten Vorteils eröffnete Ermessen in nicht zu beanstandender Weise (§ 114 Satz 1 VwGO) ausgeübt.
Der Erstattungsbetrag darf nicht höher sein als der Betrag, den der als Kriegsdienstverweigerer anerkannte Soldat dadurch erspart hat, dass die Beklagte den Erwerb von Spezialkenntnissen und Fähigkeiten, die ihm im späteren Berufsleben von Nutzen sind, finanziert hat. Durch diese Beschränkung der zu erstattenden Kosten auf den durch die Fachausbildung erlangten Vorteil ist sichergestellt, dass die Erstattung nicht zu einer Maßnahme wird, die den Betroffenen von der Stellung des Antrags auf Kriegsdienstverweigerung abhält. Mit der Abschöpfung lediglich des durch die Fachausbildung erworbenen Vorteils erleidet der anerkannte Kriegsdienstverweigerer keine Einbuße an Vermögensgütern, über die er unabhängig von dem Wehrdienstverhältnis verfügt. Durch den Vorteilsausgleich wird nur die Situation wiederhergestellt, die in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht bestand, bevor der Soldat die Fachausbildung absolviert hat. Mehr soll und darf bei verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes nicht abgeschöpft werden (vgl. nur BayVGH, B.v. 16.8.2018 – 6 ZB 18.1446 – juris Rn. 7 m.w.N.).
In Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte ohne Rechtsfehler nicht die tatsächlich entstandenen Kosten des Studiums geltend gemacht, sondern lediglich den deutlich niedrigeren Betrag von letztlich 39.306,31 € zurückverlangt. Die ersparten Ausbildungskosten hat die Beklagte entsprechend ihrer Verwaltungspraxis in nicht zu beanstandender Weise (vgl. nur BayVGH, B.v. 16.8.2018 – 6 ZB 18.1446 – juris Rn. 8 m.w.N.) anhand der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks „Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland“ berechnet, nach der auch die Bedarfsermittlung für Leistungen nach dem BAföG erfolgt. In dieser alle drei Jahre durchgeführten Erhebung werden u.a. die fiktiven Lebenshaltungs- und Studienkosten ermittelt und somit die wirtschaftliche Situation eines Studierenden anhand von Durchschnittswerten zum maßgeblichen Zeitraum beschrieben. Nach den Sätzen dieser Erhebung beträgt die Summe der ersparten Aufwendungen im Studienzeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 20. August 2014 36.481,20 €. Hinzu kommen für die Klägerin 2.825,11 € tatsächlich gewährte persönliche Kosten. Daraus ergibt sich ein Rückforderungsbetrag von insgesamt 39.306,31 €.
Die Beklagte hat zu Recht Vermögensvorteile im Zusammenhang mit einem zivilen Studium wie einen Anspruch auf Kindergeld, Leistungen nach dem BAföG, einen Anspruch auf Unterhalt gegen die Eltern sowie Bezahlungen für ein hypothetisches Praktikum nicht berücksichtigt (vgl. BVerwG, U. v. 28.10.2015 – 2 C 40/13 – unter Aufhebung von OVG NW, U. v. 22.8.2013 – 1 A 2278/11 – jeweils juris; BayVGH, B.v. 19.5.2015 – 6 ZB 14.1841 – juris Rn. 15). Diese Leistungen, die womöglich erbracht worden wären, wenn ein Soldatenverhältnis auf Zeit nicht bestanden hätte, hängen von Voraussetzungen ab, deren Vorliegen ungewiss ist. Die Klägerin wäre auch selbst ohnehin nicht Anspruchsinhaberin eines Kindergeldanspruchs gewesen, sondern ihre Eltern oder sonstige Kindergeldberechtigte. Die durch § 56 Abs. 4 Satz 1 SG statuierte Erstattungspflicht kann nicht von hypothetischen Umständen eines alternativen Lebens- oder Ausbildungsweges abhängig gemacht werden, die einer Beweisführung nicht zugänglich sind (zu alldem vgl. BVerwG, U. v. 12.4.2017 – 2 C 14.16 – juris Rn. 28 m.w.N.).
Die Ermessensentscheidung der Beklagten nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG wäre selbst dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn Mobbing zum Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerin geführt hätte.
Solcherlei Umstände sind nicht entscheidungserheblich.
Angesichts der Bindungswirkung der bestandskräftigen Anerkennung der Klägerin als Kriegsdienstverweigerin ist schon im Ausgangspunkt zweifelhaft, ob sich die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit überhaupt noch auf andere Beweggründe als diejenigen Gewissensgründe berufen kann, die sie in ihrem Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerin vom 6. August 2014 anerkanntermaßen dargelegt hat (§ 5 KDVG).
Steht – wie hier – bestands- oder rechtskräftig fest, dass das Dienstverhältnis des Soldaten auf Zeit aus einem der in § 56 Abs. 4 Satz 1 aufgeführten Gründe geendet hat, kann der frühere Soldat im Rechtsstreit über die Erstattungspflicht hiergegen keine Einwände mehr vorbringen (vgl. nur Sohm in Walz/Eichen/Sohm, SG, 3. Aufl. 2016 § 56 Rn. 14 m.w.N.).
„Besondere Härte“ im Sinne des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG ist jedenfalls ein gerichtlich voll überprüfbarer, unbestimmter Rechtsbegriff. Der Begriff umreißt und charakterisiert unter anderem die von der Regelvorschrift des § 56 Abs. 4 Satz 1 SG nicht erfassten „schwerwiegende(n) Umstände …, denen sich der Offizier nicht entziehen und nur durch ein sofortiges Ausscheiden aus dem Wehrdienst Rechnung tragen kann“. Bei einem Zeitsoldaten, der eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst getroffen hat, besteht eine solche Ausnahmesituation (vgl. BVerwG, U.v. 30.3.2006 – 2 C 18/05 – juris Rn. 16 m.w.N.). Darüber hinaus ist die Härteklausel in diesem Zusammenhang geeignet, den Soldaten, der aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigern will, vor einer existentiellen Notlage wegen der Rückzahlungsverpflichtung zu bewahren (vgl. BVerwG, U.v. 2.7.1996 – 2 B 49/96 – juris Rn. 8 m.w.N.), für welche im Fall der Klägerin allerdings weder etwas vorgetragen noch sonst etwas ersichtlich ist.
§ 56 Abs. 4 Satz 3 SG stellt – entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung des Klägerbevollmächtigten – weniger eine Bestimmung dar, um besonders gelagerten Einzelfällen gerecht zu werden, sondern ist vielmehr eine generelle Grundlage zur Berechnung des Erstattungsbetrags (vgl. nur Sohm in Walz/Eichen/Sohm, SG, 3. Aufl. 2016 § 56 Rn. 22).
Unter die anerkannten Fallgruppen, in denen die Annahme einer besondere Härte im Sinne des § 56 Abs. 4 Satz 3 SG in Betracht kommt (vgl. nur Sohm in Walz/Eichen/Sohm, SG, 3. Aufl. 2016 § 56 Rn. 23 m.w.N.), fallen die von der Klägerin angedeuteten Mobbingvorwürfe jedenfalls nicht.
Sie rechtfertigen auch keine weiter gehende Konkretisierung der Härteklausel im Sinne der Klägerin.
Mobbingvorwürfe eines Soldaten auf Zeit sind nicht einmal im Zusammenhang mit seiner Entlassung wegen dauernder Dienstunfähigkeit entscheidungserheblich (vgl. nur BayVGH, B.v. 2.4.2013 – 6 ZB 12.2141 – juris Rn. 8). Das sind sie erst recht nicht auf der Ebene der Erstattung von Ausbildungskosten, die als Rechtsfolge dem Tatbestand der Fiktion der Entlassung auf eigenen Antrag (§ 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 SG) wegen der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer (§§ 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 Halbs. 2, 55 Abs. 1 Satz 1 SG) nachgelagert ist. Schutz gegen Mobbing ist nach der soldatenrechtlichen Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts in erster Linie durch Maßnahmen der Dienstaufsicht und Personalführung zu leisten (vgl. nur BVerwG, B.v. 25.6.2008 – 1 WB 23/07 – juris Rn. 22).
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin über § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 SG dem Grunde nach derselben Erstattungspflicht unterläge, wenn sie erfolgreich einen Antrag auf Entlassung wegen besonderer Härte nach § 55 Abs. 3 SG gestellt hätte. Dann wären die von ihr zu erstattenden Kosten der Höhe nach allerdings nicht auf den durch das Studium erlangten Vorteil begrenzt gewesen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 708 ff ZPO.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben