Arbeitsrecht

Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen

Aktenzeichen  L 4 KR 438/14

Datum:
1.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8863
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 14 Abs. 1 S. 1, § 26 Abs. 2, § 28d Abs. 1
BayUniKlinG Art. 1 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Zur Beitragspflicht von sog. “Poolzahlungen”. (Rn. 35 – 38) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 3 KR 835/12 2014-07-23 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Juli 2014 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 5. Februar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2003 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und in der Sache auch begründet.
Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Formulierung des Tenors des sozialgerichtlichen Urteils wohl nicht das Gemeinte ausdrückt. Wenn man die erfolgten Zahlungen nur hinsichtlich des Arbeitnehmeranteils als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt behandelte, wie dies der Tenor vorgibt, würde dies dazu führen, dass im Ergebnis nur die (auf Grundlage dieser Zahlungen fiktiv errechneten) Arbeitnehmeranteile als Beitragsbemessungsgrundlage heranzuziehen wären. Das kann nicht gemeint sein. Die Beklagte sollte vielmehr zur Erstattung derjenigen Arbeitgeberanteile verurteilt werden, die von den an die Klägerin geleisteten Poolzahlungen abgezogen und an die Beklagte abgeführt worden sind. Dies ergibt sich jedoch nicht ohne Weiteres aus dem Tenor.
Dem in gleicher Weise missverständlich formulierten Klageantrag hat das Sozialgericht München zu Unrecht stattgegeben. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung zu viel entrichteter Beiträge, weil keine Beiträge zu viel bzw. zu Unrecht entrichtet worden sind.
Als Anspruchsgrundlage für die begehrte Erstattung von Beiträgen kommt allein § 26 Abs. 2 SGB IV in Betracht. Denn sofern es um Ansprüche gegen einen Sozialversicherungsträger wegen zu Unrecht erhaltener Beiträge geht, sind die Folgen der unrechtmäßigen Beitragsentrichtung für alle Zweige der Sozialversicherung abschließend in § 26 Abs. 2 SGB IV geregelt (Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 26 Rn. 7).
Nach § 26 Abs. 2 SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten. Der Erstattungsanspruch steht dem zu, der die Beiträge getragen hat (§ 26 Abs. 3 Satz 1 SGB IV).
Zweck des § 26 Abs. 2 SGB IV ist es, eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung auszugleichen, die darauf beruht, dass Beiträge zur Sozialversicherung zu Unrecht entrichtet wurden. Die Regelung ist eine spezialgesetzliche Konkretisierung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches, der als eigenständiges Rechtsinstitut aus dem besonderen Rechtsgrundsatz abgeleitet wird, dass eine mit der Rechtslage nicht übereinstimmende Vermögenslage grundsätzlich auszugleichen ist (Waßer, a.a.O, § 26 Rn. 25).
Beiträge sind zu Unrecht entrichtet, wenn sie ohne Rechtsgrund gezahlt wurden. Das ist der Fall, wenn für die Zahlung weder ein formaler noch ein materiell-rechtlicher Grund gegeben war. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Rechtswidrigkeit der Zahlung ist der Zeitpunkt der Entrichtung. Ein Beitrag kann dem Grunde nach oder in seiner Höhe zu Unrecht entrichtet worden sein. Materiellrechtlich sind Beiträge insbesondere dann zu Unrecht entrichtet, wenn keine Versicherungspflicht oder keine Versicherungsberechtigung bestand, die Fristen für die Beitragsentrichtung nicht eingehalten wurden oder die Beiträge nach unrichtigen Beitragsbemessungsgrundlagen berechnet wurden (Waßer, a.a.O, § 26 Rn. 70, 71).
Vorliegend kommt nur der Fall in Betracht, dass Beiträge nach einer unrichtigen Bemessungsgrundlage berechnet und damit ihrer Höhe nach zu Unrecht entrichtet worden sind. In eben dieser Frage (maßgebliche Bemessungsgrundlage) sind sich die Beteiligten uneins.
Sofern die Klägerin zunächst die Auffassung vertreten hat, dass es sich bei den an sie geleisteten Zahlungen des Klinikdirektors zumindest teilweise um Trinkgeld und damit nicht um Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB IV gehandelt habe, ist klarzustellen, dass der Senat diese Auffassung nicht teilt. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25.04.2006, L 5 KR 4/05, sowie im Urteil des BAG vom …, Az: …. Beide Entscheidungen sind den Beteiligten hinlänglich bekannt.
Zuletzt hat sich die Klägerin auf das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10.12.2009 (L 4 KR 331/09) bezogen und die Meinung vertreten, dass die geleisteten Poolzahlungen in ihrer vollen Höhe Arbeitsentgelt darstellen und damit ungekürzt als maßgebliche Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge heranzuziehen sind.
Demgegenüber ist der Beigeladene zu 4. unter Bezugnahme auf das Urteil des BAG vom …, Az: …, der Ansicht, dass die vom Klinikdirektor an die Klägerin geleisteten Zahlungen auch den Arbeitgeberanteil enthielten und daher nur der Betrag, der nach Abzug des Arbeitgeberanteils verbleibt, als Bruttovergütung (= Beitragsbemessungsgrundlage) anzusehen ist.
Der Senat kann offen lassen, ob vorliegend die Poolzahlungen – wie im Urteil des Senats vom 10.12.2009 (L 4 KR 331/09) für zutreffend erachtet – in ihrer vollen Höhe oder – wie geschehen – gekürzt um den Arbeitgeberanteil als maßgebliche Beitragsbemessungsgrundlage heranzuziehen waren. Denn sowohl im einen wie im anderen Fall liegen die Voraussetzungen für eine Beitragserstattung gemäß § 26 Abs. 2 SGB IV nicht vor.
Geht man mit der Klägerin davon aus, dass die geleisteten Zahlungen in ihrer vollen Höhe Arbeitsentgelt darstellen, folgt daraus, dass nicht zu viel, sondern zu wenig Beiträge hieraus entrichtet wurden. Denn in diesem Fall errechnen sich die Beiträge nach einer höheren Bemessungsgrundlage als sie den streitgegenständlichen Gehaltsabrechnungen zugrunde gelegt worden ist. Auf diesen Umstand hat die Klägerin selbst mehrfach hingewiesen und entsprechend gerügt, dass im Ergebnis nicht genügend Sozialversicherungsbeiträge aus den Poolzahlungen abgeführt wurden. Damit aber liegen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Erstattung nach § 26 Abs. 2 SGB IV nicht vor. Denn eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung zugunsten der Sozialversicherungsträger hat in diesem Fall eindeutig nicht stattgefunden.
Folgt man demgegenüber der Auffassung des Beigeladenen zu 4., sind ebenfalls keine Beiträge zu Unrecht abgeführt worden. Die erstellten Gehaltsabrechnungen erweisen sich dann vielmehr als korrekt, weil mit den um den Arbeitgeberanteil gekürzten Poolzahlungen die zutreffende Beitragsbemessungsgrundlage herangezogen worden ist. Ein Anspruch auf Erstattung nach § 26 Abs. 2 SGB IV scheidet in diesem Fall von vornherein aus.
Soweit die Bevollmächtigte der Klägerin zu bedenken gibt, dass die (ihrer Höhe nach ggf. zu niedrigen) Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus den Poolzahlungen in vollem Umfang vom Gehalt der Klägerin abgezogen wurden und die Klägerin damit entgegen § 249 Abs. 1 SGB V, § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, § 346 SGB III, und § 58 Abs. 1 SGB XI nicht nur den Arbeitnehmeranteil, sondern auch den Arbeitgeberanteil zu tragen hatte, führt auch dieser (ggf. vorliegende) Umstand nicht zu einem Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte.
Die Beiträge für die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung – mit Ausnahme der Unfallversicherung – werden nach § 28 d SGB IV als Gesamtsozialversicherungsbeitrag gezahlt. Zahlungspflichtiger und Beitragsschuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ist allein der Arbeitgeber (§ 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Die Bindung der Zahlungsverpflichtung an den Gesamtsozialversicherungsbeitrag wird ohne Rücksicht auf die Verteilung der Beitragslast und somit auch für den Teil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag begründet, der allein vom Arbeitnehmer zu tragen ist. Die Haftung des Arbeitgeber erfolgt aufgrund seiner „Indienstnahme als Privater“ für die Beitragsberechnung und Beitragszahlung wegen der Verpflichtung zur Gehaltszahlung und der Möglichkeit zum Abzug der Beitragsteile vom Lohn des Arbeitnehmers (§ 28 d SGB IV). Der Arbeitgeber ist nicht bloß Zahlstelle für den Beitrag, sondern er muss die Zahlungsverpflichtung aus § 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV insgesamt als seine originäre und eigene Schuld erfüllen. Seine Zahlungspflicht besteht unabhängig davon, ob er die Möglichkeit zum Rückgriff auf den vom Beschäftigten zu tragenden Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28 g SGB IV hat (vgl. Werner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 28 e Rn. 26 – 29).
Die alleinige öffentlich-rechtliche Haftung des Arbeitgebers gegenüber der Einzugsstelle für die korrekte Abführung der Beiträge führt dazu, dass für die im Rahmen des § 26 Abs. 2 SGB IV zu klärende Frage, ob Beiträge zu Unrecht entrichtet wurden, allein maßgeblich ist, ob der Gesamtsozialversicherungsbeitrag in der richtigen Höhe entrichtet worden ist. Wer die Beiträge letztlich wirtschaftlich getragen hat und ob die Beiträge, wie gesetzlich vorgeschrieben, je zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen wurden, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang. Entscheidend ist allein, ob die Beiträge mit oder ohne Rechtsgrund gezahlt wurden. Im vorliegenden Fall steht außer Frage, dass ein Rechtsgrund für die Beitragszahlungen (zumindest) in dieser Höhe bestand.
Hat der Arbeitgeber den von ihm zu tragenden Arbeitgeberanteil gesetzeswidrig vom Lohn des Arbeitnehmers abgezogen, betrifft dies das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer hat dann die Möglichkeit, den zu Unrecht gekürzten und damit noch ausstehenden Lohn beim Arbeitsgericht einklagen. Dies hat die Klägerin hier zunächst auch versucht, die Angelegenheit aber nach der in einem Parallelverfahren ergangenen Entscheidung des BAG vom …, Az: …, arbeitsgerichtlich nicht mehr weiter verfolgt.
Soweit die Bevollmächtigte der Klägerin die Duldung „falscher Abrechnungen des Arbeitgebers“ durch die Beklagte und daraus resultierend eine Verletzung ihrer Pflichten als Einzugsstelle nach § 28 b Abs. 1 SGB IV geltend gemacht und auf dieser Grundlage einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Beiträge gesehen hat, ist auf Folgendes hinzuweisen:
Nach § 28 b Abs. 1 SGB IV in der bis 30.06.2015 geltenden Fassung (jetzt § 98 Abs. 1 SGB IV) nimmt die Einzugsstelle die Meldung für die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung, nach dem Recht der Arbeitsförderung und für die soziale Pflegeversicherung entgegen (Satz 1). Sie hat dafür zu sorgen, dass die Meldungen rechtzeitig erstattet werden, die erforderlichen Angaben vollständig und richtig enthalten sind und die Meldungen rechtzeitig weitergeleitet werden (Satz 3).
Diese Überprüfungspflicht der Einzugsstelle nach Satz 3 bezieht sich nur auf die formale Richtigkeit der Meldungen. Dazu gehören z.B. die richtige Versicherungsnummer, die Angabe der richtigen Schlüsselzahlen oder die in sich schlüssige Angabe von Beschäftigungszeiten. Eine inhaltliche Kontrolle findet nicht statt und gehört nicht zu dem in Satz 3 beschriebenen Pflichtenkreis (vgl. Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 98 SGB IV Rn. 14).
Die Beklagte war daher nicht verpflichtet zu überprüfen, ob das vom Arbeitgeber angegebene Bruttoentgelt tatsächlich in der korrekten Höhe angegeben wurde, erst recht nicht, ob intern zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine hälftige Aufteilung der Beitragslast vorgenommen worden ist. Eine Verletzung ihrer Pflichten nach § 28 b Abs. 1 SGB IV ist daher nicht erkennbar.
Die Erstattung gezahlter Sozialversicherungsbeiträge kann die Klägerin von der Beklagten also unter keinem Gesichtspunkt beanspruchen. Sofern der Senat in seinem Urteil vom 10.12.2009 (L 4 KR 331/09) implizit eine andere Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht mehr fest.
Soweit die Bevollmächtigte der Klägerin moniert, dass für die Klägerin im Ergebnis zu wenig Beiträge abgeführt worden seien und ihr daraus ein Schaden entstanden sei (u.a. niedrigere Rentenansprüche), ist diese Problematik nicht Streitgegenstand des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


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