Arbeitsrecht

Erstattungsfähigkeit der Dokumentenpauschale

Aktenzeichen  W 7 M 19.1560

Datum:
20.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5660
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 151, § 162, § 164, § 165
RVG § 2 Abs. 2
RVG VV Nr. 7000 Nr. 1a

 

Leitsatz

1. Es ist grundsätzlich nicht geboten, die gesamten Gerichts- und Behördenakten zu kopieren, ohne sich zuvor inhaltlich damit auseinandergesetzt zu haben und die Notwendigkeit zu überprüfen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine pauschale und vereinfachte Berechnung der Kostenhöhe der kopierten Akte im Wege einer pauschalen Hälftelung ist im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben aber sinnvoll und praktikabel. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. November 2019 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte (Erinnerungsführerin) hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Erinnerungsverfahren wird auf 78,70 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beklagte des Ausgangsverfahrens W 7 K 17.1279 wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Bayerischen Verwaltungsgerichtes Würzburg vom 18. November 2019, soweit darin eine Dokumentenpauschale in Höhe von 78,70 EUR als erstattungsfähig festgesetzt wurde.
Mit Urteil vom 5. August 2019 (Az.: W 7 K 17.1279) verpflichtete das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg die Beklagte, der Klägerin eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen. Die Kosten des Verfahrens wurden der Beklagten auferlegt.
Mit Vergütungsfestsetzungsantrag vom 14. November 2019 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin, im Einzelnen dargelegte Kosten festzusetzen. Enthalten war auch eine Dokumentenpauschale gemäß Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG für 969 Seiten in Höhe von 162,85 EUR.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. November 2019 setzte der Urkundsbeamte die außergerichtlichen Aufwendungen der Klägerin auf 1777,50 EUR fest. Der Urkundsbeamte hat dabei unter anderem eine Dokumentenpauschale nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 7000 VV RVG für 408 Seiten à 0,50/0,15 EUR in Höhe von 78,70 EUR als erstattungsfähig anerkannt. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Kosten für die komplett kopierten Behördenakten (815 Seiten) hätten nicht anerkannt werden können. Nach einschlägiger Erfahrung könne aber davon ausgegangen werden, dass regelmäßig zumindest das Kopieren eines Teils der Behördenakten als zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten angesehen werden könne. Es sei daher aus Gründen der Verfahrensökonomie angemessen, pauschal die Hälfte der angefallenen Kopien anzuerkennen und die Kosten entsprechend festzusetzen. Es sei nicht Aufgabe des Urkundsbeamten aus Akten, die für die Fallbearbeitung ersichtlich überflüssige, aber auch erforderliche Ablichtungen enthielten, diejenigen Schriftstücke herauszufinden, auf die sich der Kostenfestsetzungsantrag möglicherweise beziehe. Mit Schreiben vom 9. November 2018 und 7. Januar 2019 seien die Behördenakten mit insgesamt 815 Seiten übersandt worden. Es könnten daher nur die Kosten für 408 (815:2) Kopien als erstattungsfähig anerkannt werden.
Mit Schriftsatz vom 22. November 2019, bei Gericht eingegangen am 26. November 2019, legte die Beklagte gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. November 2019 Erinnerung ein und beantragte die gerichtliche Entscheidung.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kostenfestsetzungsbeschluss sei insofern fehlerhaft, als er die Dokumentenpauschale für das Fertigen von 408 Fotokopien als notwendig anerkenne. Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG sehe die Auslagenpauschale für Kopien aus Behörden- und Gerichtsakten nur vor, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten sei. Eine missbräuchliche oder gedankenlose Ablichtung der gesamten Behördenakten ohne dass die Notwendigkeit für das streitige Verfahren hinterfragt werde, sei nicht statthaft. Vorliegend habe der Prozessbevollmächtigte die komplette und in diesem Umfang zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht erforderliche Behördenakte kopieren lassen. Es sei zumutbar und angesichts des Aktenumfangs auch geboten gewesen, eine grobe Auswahl der zu kopierenden Inhalte zu treffen. Im Übrigen leide der Kostenfestsetzungsantrag an einem Schlüssigkeitsmangel, nachdem der Anfall von 969 Kopien behauptet werde, während die Behördenakte tatsächlich nur 815 Seiten umfasse. Schließlich sei es nicht statthaft, pauschal die Annahme zu treffen, dass 50% des Inhaltes der Behördenakte als notwendige Kopien anerkannt werden könnten. Nicht erstattungsfähig seien jedenfalls alle Schriftstücke, die bereits vorlägen oder die offensichtlich zur Rechtsverteidigung nicht erforderlich seien. Die Darlegungslast liege insofern beim Kläger. Die geltend gemachte Dokumentenpauschale sei aus den genannten Gründen in vollem Umfang nicht erstattungsfähig.
Der Urkundsbeamte half der Erinnerung am 28. November 2019 nicht ab. Zur Begründung verwies er auf den angefochtenen Beschluss. Darüber hinaus führte er aus, das vorsorgliche Kopieren kompletter Akten sei im Regelfall nicht notwendig. Der Rechtsanwalt habe die Relevanz einzelner Schriftstücke zu prüfen und unter Berücksichtigung eines Ermessensspielraumes nur die für die Prozessführung notwendigen Kopien zu fertigen. Dabei sei auf die ex-ante Sicht abzustellen. Erfahrungsgemäß sei davon auszugehen, dass regelmäßig zumindest das Kopieren eines Teils der Akten als zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten angesehen werden könne. Es habe sich daher als praktikabel erwiesen, bei einer komplett kopierten Akte pauschal die Hälfte der Kopien anzuerkennen und diese Auslagen festzusetzen, da dieser Umfang erfahrungsgemäß auch bei einer gewissenhaften Auswahl des Rechtsanwaltes anfalle und als angemessen und notwendig angesehen werden könne. Auch Gründe der Verfahrensökonomie sprächen für diese Vorgehensweise. Es sei nicht Aufgabe des Urkundsbeamten, jedes einzelne Blatt einer Akte daraufhin zu untersuchen, ob der Prozessbevollmächtigte die Notwendigkeit gerade dieser Kopie zu Recht bejaht habe. Der damit verbundene Aufwand stünde in einem Missverhältnis zum streitigen Betrag. Um dem Umstand Rechnung zu trage, dass der Rechtsanwalt nur die notwendigen Kopien erstattet bekomme, habe es sich aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Hinblick auf den personellen und organisatorischen Aufwand als angemessen und sachgerecht erwiesen, pauschal die Hälfte der gefertigten Kopien als erstattungsfähig anzusehen. Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes Würzburg vom 4. Mai 2012 (Az.: W 6 M 12.30057) und vom 30. Juli 2015 (Az.: W 1 M 15.636) werde verwiesen.
Den Beteiligten wurde mit Schreiben des Gerichtes vom 29. November 2019 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Beklagte und Erinnerungsführerin hat sich nicht weiter geäußert.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 8. Januar 2020 mitgeteilt, bei dem vorliegenden Aktenumfang sei ein einfaches Durchblättern nicht möglich gewesen. Zudem habe er die Klägerin zuvor noch nie vertreten und sei daher in deren ausländerrechtliche Situation nicht involviert gewesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren W 7 K 17.1279 verwiesen.
II.
Die Erinnerung, über die das Gericht in der Besetzung entscheidet, in der die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen wurde, nämlich die Kammer, ist nach §§ 165, 151 VwGO zulässig, aber unbegründet.
1. Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. November 2019 wurde von der Beklagten insoweit angegriffen, als dieser gemäß § 164 VwGO die geltend gemachte Dokumentenpauschale gemäß Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG für 408 Kopien in Höhe von 78,70 EUR als erstattungsfähig festsetzt.
Der Urkundsbeamte hat zu Recht 408 Kopien in Höhe von 78,70 EUR (zuzüglich Mehrwertsteuer) anerkannt. Das Gericht folgt der Begründung des angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlusses und der Nichtabhilfeentscheidung des Urkundsbeamten vom 28. November 2019 und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese.
Ergänzend ist auszuführen, dass es grundsätzlich nicht geboten ist, die gesamten Gerichts- und Behördenakten zu kopieren, ohne sich zuvor inhaltlich damit auseinandergesetzt zu haben und die Notwendigkeit zu überprüfen (vgl. Kunze, in: BeckOK, VwGO, 52. Edition, Stand 1.1.10.2019, § 162 Rn. 75.1). Werden die Kosten für die Kopien der gesamten Akte ohne nähere Begründung geltend gemacht, ist die von dem Urkundsbeamten der vorliegenden Gerichtspraxis entsprechend vorgenommene Kürzung der Dokumentenpauschale nicht zu beanstanden. Die Kopierkosten waren dabei indes nicht insgesamt als nicht berücksichtigungsfähig anzusehen. Der Klägerbevollmächtigte war insbesondere nicht unter vollständiger Ablehnung seines Antrags zu den Kopierkosten auf die Stellung eines neuen Kostenfestsetzungsantrags zu verweisen (so auch VG Würzburg, B.v. 4.5.2012, W 6 M 12.30075).
Es ist ausdrücklich daran festzuhalten, dass es nicht Aufgabe des Kostenbeamten und nachfolgend des Richters im Erinnerungsverfahren sein kann, jedes einzelne Blatt einer Akte daraufhin zu untersuchen, ob der Prozessbevollmächtigte die Notwendigkeit zu Recht bejaht hat. Der damit verbundene Aufwand stünde in einem krassen Missverhältnis zu dem nur geringen Betrag, um den gestritten wird (AG Bochum, B.v. 10.1.2008, Az.: 74 Ls 2 Js 556/05 – 38/06, NStZ-RR 2008, 296; vgl. auch AG Bremen, B.v. 6.1.2011, Az.: 82 Ls 230 Js 8347/10, NStZ-RR 2011, 127). Eine kleinteilige nachträgliche Prüfung von Kopien der einzelnen Aktenbestandteile schont weder staatliche Ressourcen noch ist diese effizient. Gerade bei der untergeordneten Auslagenposition ist eine pauschale und vereinfachte Berechnung der Kostenhöhe – hier im Wege einer pauschalen Hälftelung – auch im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben sinnvoll und praktikabel (vgl. LG Essen, B.v. 9.6.2011, Az. 56 Qs 28/11, JurBüro 2011, 474). Die hier vorgenommene Pauschalierung infolge einer typisierenden Betrachtungsweise ist daher auch unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen sachgerecht.
Denn im Ausgleich der gegenläufigen Belange ist weder eine zu enge noch eine zu weite Handhabung gerechtfertigt. Ob und inwieweit erwachsene Kosten notwendig waren, beurteilt sich danach, ob die ihnen zugrundeliegende Handlung objektiv betrachtet für eine sachdienliche Prozessführung erforderlich und geeignet war. Entscheidend ist, ob die Handlung im Zeitpunkt ihrer Vornahme unter Beachtung der Anschauung des Rechtsverkehrs als für die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung förderlich erschien. Dies entspricht dem Gebot einer sparsamen Prozessführung. Eine Partei ist verpflichtet, ihre Kosten so niedrig zu halten, wie sich diese bei Berücksichtigung ihrer vollen Belange, jedoch unter Beachtung einer möglichst wirtschaftlichen Prozessführung ergeben. Dem Anliegen der Waffen- und Chancengleichheit ist Rechnung zu tragen (BayVGH, B.v. 22.7.2000, Az.: 22 C 00.1767, NVwZ-RR 2001, 69). Einerseits ist daher das Interesse der Beklagten im Auge zu behalten, die Auslagen möglichst niedrig zu halten. Andererseits ist das Interesse der Klägerin und ihres Bevollmächtigten an einer sachgerechten Prozessführung von Bedeutung. Aus Gründen der Waffengleichheit muss es möglich sein, sich den notwendigen Aktenauszug zu fertigen. Insoweit hat der Rechtsanwalt einen Spielraum.
Der Klägerbevollmächtigte hat vorliegend zwar die gesamte Behördenakte kopiert. Insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dieser die Klägerin zuvor noch nie vertreten hatte und daher in deren ausländerrechtliche Situation nicht involviert war, brauchte er indes nicht für jedes einzelne Blatt den Kopierbedarf zu prüfen. Im Lichte der Interessen der Beklagten war die sodann vorgenommene pauschale Halbierung der erstattungsfähigen Kosten jedoch angemessen und auch sachgerecht.
Nach alledem war die Erinnerung zurückzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden mangels eines Gebührentatbestandes nicht erhoben; es sind jedoch die Auslagen des Gerichtes und außergerichtliche Aufwendungen zu erstatten (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 165 Rn. 10).
3. Die Festsetzung des Streitwertes des Erinnerungsverfahrens beruht auf §§ 52 Abs. 3, 63 Abs. 2 GKG.


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