Arbeitsrecht

Erteilung einer Niederlassungserlaubnis

Aktenzeichen  10 C 19.121

Datum:
9.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4636
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 2, § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
VwGO § 146 Abs. 1, § 166 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG Art. 38 Abs. 1

 

Leitsatz

Wurde das Klageverfahren durch Erledigungserklärungen der Beteiligten eingestellt, kann der Rechtsschutzsuchende seinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausnahmsweise weiterverfolgen und rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe erhalten, wenn er sein entsprechender Antrag rechtzeitig und vollständig vor dem Abschluss des Verfahrens gestellt wurde.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 18.854 2018-08-22 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beim Bayerischen Verwaltungsgericht München ehemals anhängiges, mittlerweile aber nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestelltes Klageverfahren weiter, mit der er die Verpflichtung des Beklagten erreichen wollte, ihm unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Erding vom 18. Januar 2018 eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.
Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 VwGO) ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Der Gewährung von Prozesskostenhilfe steht hier nicht entgegen, dass das Klageverfahren nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien bereits vor der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag unter dem (wohl unrichtigen) Datum des 19. Juli 2019 durch Beschluss des Verwaltungsgerichts eingestellt wurde, somit ab diesem Zeitpunkt eine weitere Rechtsverfolgung im Sinn von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht mehr „beabsichtigt“ ist. Denn ein Rechtsschutzsuchender kann seinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem derartigen Fall ausnahmsweise weiterverfolgen und rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe erhalten, wenn sein entsprechender Antrag rechtzeitig und vollständig vor dem Abschluss des Verfahrens gestellt worden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.2.2016 – 10 C 15.849 – juris).
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, also wenn dieser vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte. Ändert sich im Laufe des Verfahrens die Sach- und Rechtslage zugunsten des Antragstellers, ist ausnahmsweise jedoch der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblich, wenn nach dem materiellen Recht bei einer Entscheidung in der Hauptsache im Laufe des Verfahrens eingetretene Entwicklungen zu berücksichtigen sind (BayVGH, B.v. 5.10.2018 – 10 C 17.322 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat im vorliegenden Fall das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die Klage zum maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichenden Erfolgsaussichten hatte und zwar unabhängig davon, ob insoweit auf den Zeitpunkt des Eingangs der Klageerwiderung beim Verwaltungsgericht am 19. April 2019 oder auf den Zeitpunkt des Nachweises eines unbefristeten Arbeitsvertrages gegenüber dem Verwaltungsgericht am 17. Mai 2019 abzustellen war.
1. Soweit der Kläger rügt, die Klage habe bereits von Anfang an hinreichende Erfolgsaussichten gehabt, weil der Lebensunterhalt des Klägers auch vor dem Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gesichert gewesen sei, verhilft dies seiner Beschwerde nicht zum Erfolg. Selbst wenn man die Befristung des Arbeitsvertrages des Klägers bis zum 30. April 2018 bei der erforderlichen Prognose für sich genommen für unschädlich hielte (in diesem Sinne Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 2 AufenthG Rn. 52), wäre im Falle des Klägers vor Abschluss eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses noch nicht die Prognose gerechtfertigt gewesen, er werde dauerhaft in der Lage sein, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Der Kläger stand nach seinen eigenen Angaben zwar seit Anfang 2014 durchgehend in Beschäftigungsverhältnissen. Die dabei erzielten Erwerbseinkünfte waren zunächst aber so niedrig, dass er für einen fast eineinhalbjährigen Zeitraum von Juni 2015 bis Ende November 2016 (aufstockende) Leistungen nach dem SGB II bezog. Damit war der Lebensunterhalt des Klägers auch während des vom 1. Mai 2016 bis 30. April 2018 befristeten Beschäftigungsverhältnisses für einen längeren Zeitraum nicht gesichert. Angesichts dessen war vor Vorlage eines unbefristeten Arbeitsvertrages eine positive Prognose nicht möglich. Von der Erteilungsvoraussetzung der Unterhaltssicherung kann im Falle des Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auch nicht durch Rückgriff auf die Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden (BVerwG, U.v. 16.11.2010 − 1 C 21/09 – NVwZ 2011, 829 Rn. 23).
2. Hinreichende Erfolgsaussichten sind für die Klage auch nicht durch den Nachweis eines unbefristeten Arbeitsvertrages gegenüber dem Verwaltungsgericht am 17. Mai 2019 entstanden. Das Verwaltungsgericht hat im Nichtabhilfebeschluss vom 20. Dezember 2019 zu Recht ausgeführt, dass mit Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrages das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen war.
Das Rechtsschutzbedürfnis, das als Zulässigkeitsvoraussetzung auch noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen muss (vgl. etwa BVerwG, B.v. 17.7.2019 – 7 B 27/18 – juris Rn. 19), setzt voraus, dass der Rechtsschutzsuchende vor der Anrufung des Gerichts einfachere Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung ergriffen hat (vgl. etwa BayVGH, B.v. 29.5.2018 – 1 ZB 16.532 – juris Rn. 10 zur Notwendigkeit eines Antrags bei der Behörde vor der Erhebung einer Verpflichtungsklage). Nach Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrages war abzusehen, dass der Beklagte – wie dann auch tatsächlich geschehen – eine Niederlassungserlaubnis erteilen würde. Dass der Beklagte zuvor keine Zusicherung nach Art. 38 Abs. 1 BayVwVfG abgegeben hatte, war insofern entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten nicht entscheidend, denn aus dem bisherigen Streitstoff des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens war ersichtlich, dass die Ausländerbehörde die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis lediglich noch vom Nachweis eines unbefristeten Arbeitsvertrages abhängig gemacht hat. Der entsprechende Nachweis durch den Kläger war daher ein erledigendes Ereignis, dass die Notwendigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes entfallen ließ.
Diese zeitliche Abfolge – Setzung des erledigenden Ereignisses durch den Kläger und unverzügliche Abhilfe durch den Beklagten -, die das Verwaltungsgericht bei seiner Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu Recht zu Lasten des Klägers berücksichtigt hat, führt vorliegend nicht zu der Annahme, die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe hätten zu irgendeinem Zeitpunkt vorgelegen: Bei einer (erstmals) nach Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrages ohne Abwarten der bereits absehbaren positiven Entscheidung der Ausländerhörde erhobenen Klage wäre ein entsprechender Prozesskostenhilfeantrag mangels Zulässigkeit der Klage (gegebenenfalls auch wegen Mutwilligkeit der Klageerhebung, vgl. dazu BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 10 C 18.2325 – juris Rn. 5) abgelehnt worden. Dass der Kläger zuvor bereits eine unbegründete Klage erhoben hatte, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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