Arbeitsrecht

Fiktive Beurteilung eines freigestellten Personalratsmitglieds

Aktenzeichen  M 5 K 17.1229

Datum:
26.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 153662
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
LlbG Art. 17a Abs. 1, Abs. 2
BayPVG Art. 8

 

Leitsatz

1. Die Freistellung als Personalratsmitglied darf die Chancen, sich in einem Auswahlverfahren um ein höheres Amt nach Art. 33 Abs. 2 GG durchzusetzen, nicht verbessern, aber auch nicht beeinträchtigen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der fiktiven Fortschreibung der letzten periodischen Beurteilung nach Art. 17a Abs. 2 LlbG hat der Dienstherr einen Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Methode und des Verfahrens. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Verfahren, bei dem eine Vergleichsgruppe aus den Beamten derselben Fachlaufbahn gebildet wird, die bei der letzten periodischen Beurteilung dasselbe Gesamtergebnis wie der freigestellte Beamte erzielt haben, entspricht den rechtlichen Vorgaben. Der Dienstherr ist zu einer weitergehenden, auf den jeweiligen Beamten zugeschnittenen Differenzierung der Vergleichsgruppe nicht verpflichtet. (Rn. 3 und 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Berechnungsmethode, bei der aus den Beurteilungen der Vergleichsgruppe das arithmetische Mittel zur Fortschreibung herangezogen wird, ist nicht zu beanstanden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids des Ministeriums vom 9. November 2015 sowie dessen Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2017 und Erstellung einer fiktiven Laufbahnentwicklung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
1. Nach Art. 17a Abs. 1 und 2 des Gesetz über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen – Leistungslaufbahngesetz/LlbG soll bei der Freistellung von der dienstlichen Tätigkeit wegen einer Mitgliedschaft im Personalrat ausgehend von der letzten periodischen Beurteilung eines Beamten oder einer Beamtin unter Berücksichtigung des seinerzeit angelegten Maßstabs und der durchschnittlichen Entwicklung vergleichbarer Beamter und Beamtinnen diese fiktiv fortgeschrieben werden. Nach Art. 8 des Bayerischen Personalvertretungsgesetzes/BayPVG darf die Freistellung eines Personalratsmitglieds vom Dienst nicht zu einer Beeinträchtigung des beruflichen Werdegangs führen. Der Dienstherr muss den freigestellten Personalratsmitgliedern diejenige berufliche Entwicklung ermöglichen, die sie ohne Freistellung voraussichtlich genommen hätten. Die Freistellung darf die Chancen, sich in einem Auswahlverfahren um ein höheres Amt nach Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland/GG durchzusetzen, nicht verbessern, aber auch nicht beeinträchtigen (BVerwG, B.v. 30.6.2014 – 2 B 11/14 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 25.1.2016 a.a.O. Rn. 23).
Um diese gesetzliche Verpflichtung zu erfüllen, muss der Dienstherr eine Prognose darüber erstellen, wie der berufliche Werdegang ohne die Freistellung verlaufen wäre. Dies wiederum hängt von der voraussichtlichen Entwicklung der dienstlichen Leistungen ab (sog. fiktive Nachzeichnung der Laufbahn). Der Dienstherr hat einen Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Methode und des Verfahrens zur Erstellung dieser Prognose. Das Regelungskonzept für die fiktive Nachzeichnung ist geeignet, eine Benachteiligung zu vermeiden, wenn seine Anwendung zu nachvollziehbaren, weil durch Tatsachen fundierten Aussagen über die fiktive Leistungsentwicklung und den sich daraus ergebenden Werdegang führt (BVerwG, U.v. 30.6.2014 – 2 B 11/14 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 25.1.2016 a.a.O. Rn. 24 ff.).
Die fiktive Fortschreibung fingiert nicht nur eine tatsächlich im Beurteilungszeitraum nicht erbrachte Leistung, sie unterstellt auch eine Fortentwicklung der Leistungen des Beamten entsprechend dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang einer Gruppe vergleichbarer Beamter (BVerwG, U.v. 16.12.2010 – 2 C 11/09 – Rn. 9). Die Bildung einer solchen Vergleichsgruppe stellt deshalb ein geeignetes Mittel zur fiktiven Nachzeichnung dar (BVerwG, B.v. 21.7.2016 – 1 WB 8/16 – juris Rn. 36; B.v. 11.12.2014 – 1 WB 6.13 – juris Rn. 35). Der Dienstherr darf eine Gruppe aus Personen zusammenstellen, deren beruflicher Werdegang und Leistungsbild mit denjenigen des freigestellten Personalratsmitglieds vergleichbar sind.
Entscheidet sich der Dienstherr für die fiktive Nachzeichnung durch Bildung einer Vergleichsgruppe, muss er sicherstellen, dass sowohl die generellen Kriterien für die Gruppenbildung als auch deren personelle Zusammensetzung im Einzelfall dem gesetzlichen Benachteiligungsverbot Rechnung tragen. Von der Zusammensetzung der konkreten Vergleichsgruppe hängt entscheidend ab, wie groß die Chancen des freigestellten Personalratsmitglieds sind, aufgrund der Vergleichsbetrachtung mit den anderen Gruppenmitgliedern befördert zu werden. Daher darf der Dienstherr die Vergleichsgruppe nicht so zusammenstellen, dass eine Beförderung des freigestellten Personalratsmitglieds unabhängig von dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang der anderen Gruppenmitglieder ausgeschlossen ist (BVerwG, B.v. 30.6.2014 – 2 B 11/14 – juris Rn. 14, 15; vgl. zum Ganzen auch: BayVGH, B.v. 24.5.2017 – 3 CE 17.465 – juris Rn. 25 ff.).
2. Das für die Klägerin gefundene Ergebnis der fiktiven Fortschreibung hält sich im Rahmen der hierfür geltenden Vorgaben und ist auch im Übrigen rechtlich nicht zu beanstanden. Die vom zuständigen Ministerium gewählte Methode der Bildung einer Vergleichsgruppe für die als Personalratsmitglied vom Dienst freigestellte Klägerin entspricht den oben dargestellten rechtlichen Eckpunkten. Zur Begründung wird auf den Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2017 verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend wird ausgeführt:
Der Dienstherr ist nicht verpflichtet, eine auf den jeweiligen Beamten differenzierte Vergleichsgruppe zu bilden. Derartige Vorgaben lassen sich dem Gesetz (Art. 17a LlbG, Art. 8 BayPVG) nicht entnehmen. Art. 17a Abs. 2 LlbG verlangt die Fortschreibung der „letzten dienstlichen Beurteilung gemäß Abs. 1“, d.h. es sind der seinerzeit angelegte Maßstab und die durchschnittliche Entwicklung vergleichbarer Beamten und Beamtinnen zu berücksichtigten. Diesen Anforderungen wird die der fiktiven Laufbahnnachzeichnung zugrunde gelegte Vergleichsgruppe gerecht (VG Augsburg, U.v. 06.07.2017 – Au 2 K 17.168 – juris Rn. 21). Ansonsten bestünde auch die Gefahr, dass die Vergleichsgruppe zu klein wird und gegen das Begünstigungsverbot verstoßen wird. Es ist zu betonen, dass der Einschätzungsspielraum bei der Wahl der Methode der fiktiven Laufbahnentwicklung nicht dazu zwingt, die Vorgehensweise zu wählen, die sich für den freigestellten Beamten jeweils als günstigste erweist (BayVGH, B.v. 24.5.2017 – 3 CE 17.465 – juris Rn. 34). Eine solche Meistbegünstigung wäre unzulässig (vgl. auch insgesamt: VG München, B.v. 13.2.2017 – M 5 E 17.271 – juris Rn. 28).
Das Argument, es entspreche „der Lebenserfahrung, dass bei Beamten, die bereits ein ruhestandnahes Alter erreicht haben, aufgrund des Erfahrungswissens zwar ein hohe Leistungsniveau vorliegt, gleichzeitig aber die Möglichkeiten zur Leistungssteigerung ausgeschöpft sind oder die Leistung altersbedingt wieder nachlässt“, liegt völlig neben der Sache. Für diese These fehlt bereits jeder Beleg. Sie liegt auch an der Grenze der Sachlichkeit, da die Leistungsfähigkeit bzw. Leistungssteigerung älterer Beamter grundsätzlich bezweifelt wird. Im Übrigen ist auch offen, ab welcher Grenze die Klagepartei ein „ruhestandnahes Alter“ annehmen will.
Auch der Verweis der Klagepartei darauf, dass der exakt in der Mitte einer Reihung der Vergleichsgruppe stehende Beamte (Median bzw. Zentralwert) zur Fortschreibung der Leistungsentwicklung heranzuziehen sei, da nur diese Methode geeignet sei, eine durchschnittliche Entwicklung abzubilden, bedingt keine andere Sicht. Die vom Beklagten angewendete Berechnungsmethode des arithmetischen Mittels ist nicht zu beanstanden. Denn der Dienstherr kommt damit der gesetzlichen Vorgabe des § 17a Abs. 1 LlbG, die „durchschnittliche Entwicklung“ fortzuschreiben, im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative in rechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise nach (VG Augsburg, U.v. 06.07.2017 – Au 2 K 17.168 – juris Rn. 22). Es mag sein, dass nach einer Vergleichsberechnung der in der Mitte der Reihung stehende Beamte 13 Punkte im Gesamtergebnis und dabei in jedem doppelt gewichteten Einzelmerkmal auch 13 Punkte erhalten würde. Das bedingt aber nicht, dass die vom Beklagten gewählte Herangehensweise rechtlich zu beanstanden wäre. Denn bei der gewählten Methode des Durchschnittswerts ergibt sich ebenfalls ein Gesamtergebnis von 13 Punkten und in drei doppelt gewichteten Einzelmerkmalen 13 Punkten, in zwei Merkmalen 12 Punkte. Damit unterscheiden sich die Ergebnisse nur in wenigen Einzelmerkmalen. Wie oben dargestellt, wird dadurch eine hinreichend große Vergleichsgruppe gewährleistet und auch eine Beförderung nicht ausgeschlossen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Klägerin keinen Anspruch darauf hat, dass bei der fiktiven Leitungsfortschreibung eine Methode gewählt wird, die in ihrem Fall zum günstigsten Ergebnis führen würde.
3. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO I.V.m. 33 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.


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