Arbeitsrecht

Fiktive Laufbahnnachzeichnung

Aktenzeichen  M 5 K 19.3099

Datum:
17.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35803
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LlbG Art. 17a

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II.  Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.  Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.   

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids des Ministeriums vom … Oktober 2016 sowie dessen Widerspruchsbescheids vom … Mai 2019 und Erstellung einer fiktiven Laufbahnentwicklung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
1. Nach Art. 17a Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen – Leistungslaufbahngesetz/LlbG soll bei der Freistellung von der dienstlichen Tätigkeit wegen einer Mitgliedschaft im Personalrat ausgehend von der letzten periodischen Beurteilung eines Beamten oder einer Beamtin unter Berücksichtigung des seinerzeit angelegten Maßstabs und der durchschnittlichen Entwicklung vergleichbarer Beamter und Beamtinnen diese fiktiv fortgeschrieben werden. Nach Art. 8 des Bayerischen Personalvertretungsgesetzes/BayPVG darf die Freistellung eines Personalratsmitglieds vom Dienst nicht zu einer Beeinträchtigung des beruflichen Werdegangs führen. Der Dienstherr muss den freigestellten Personalratsmitgliedern diejenige berufliche Entwicklung ermöglichen, die sie ohne Freistellung voraussichtlich genommen hätten. Die Freistellung darf die Chancen, sich in einem Auswahlverfahren um ein höheres Amt nach Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland/GG durchzusetzen, nicht verbessern, aber auch nicht beeinträchtigen (BVerwG, B.v. 30.6.2014 – 2 B 11/14 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 3 CE 15.2014 – RiA 2016, 78, juris Rn. 23).
Um diese gesetzliche Verpflichtung zu erfüllen, muss der Dienstherr eine Prognose darüber erstellen, wie der berufliche Werdegang ohne die Freistellung verlaufen wäre. Dies wiederum hängt von der voraussichtlichen Entwicklung der dienstlichen Leistungen ab (sog. fiktive Nachzeichnung der Laufbahn). Der Dienstherr hat einen Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Methode und des Verfahrens zur Erstellung dieser Prognose. Das Regelungskonzept für die fiktive Nachzeichnung ist geeignet, eine Benachteiligung zu vermeiden, wenn seine Anwendung zu nachvollziehbaren, weil durch Tatsachen fundierten Aussagen über die fiktive Leistungsentwicklung und den sich daraus ergebenden Werdegang führt (BVerwG, U.v. 30.6.2014 – 2 B 11/14 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 3 CE 15.2014 – RiA 2016, 78, juris Rn. 24 ff.).
Die fiktive Fortschreibung fingiert nicht nur eine tatsächlich im Beurteilungszeitraum nicht erbrachte Leistung, sie unterstellt auch eine Fortentwicklung der Leistungen des Beamten entsprechend des durchschnittlichen beruflichen Werdegangs einer Gruppe vergleichbarer Beamter (BVerwG, U.v. 16.12.2010 – 2 C 11/09 – NVwZ-RR 2011, 371, juris Rn. 9). Die Bildung einer solchen Vergleichsgruppe stellt deshalb ein geeignetes Mittel zur fiktiven Nachzeichnung dar (BVerwG, B.v. 21.7.2016 – 1 WB 8/16 – juris Rn. 36; B.v. 11.12.2014 – 1 WB 6.13 – juris Rn. 35). Der Dienstherr darf eine Gruppe aus Personen zusammenstellen, deren beruflicher Werdegang und Leistungsbild mit denjenigen des freigestellten Personalratsmitglieds vergleichbar sind.
Entscheidet sich der Dienstherr für die fiktive Nachzeichnung durch Bildung einer Vergleichsgruppe, muss er sicherstellen, dass sowohl die generellen Kriterien für die Gruppenbildung als auch deren personelle Zusammensetzung im Einzelfall dem gesetzlichen Benachteiligungsverbot Rechnung tragen. Von der Zusammensetzung der konkreten Vergleichsgruppe hängt entscheidend ab, wie groß die Chancen des freigestellten Personalratsmitglieds sind, aufgrund der Vergleichsbetrachtung mit den anderen Gruppenmitgliedern befördert zu werden. Daher darf der Dienstherr die Vergleichsgruppe nicht so zusammenstellen, dass eine Beförderung des freigestellten Personalratsmitglieds unabhängig von dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang der anderen Gruppenmitglieder ausgeschlossen ist (BVerwG, B.v. 30.6.2014 – 2 B 11/14 – juris Rn. 14, 15; vgl. zum Ganzen auch: BayVGH, B.v. 24.5.2017 – 3 CE 17.465 – juris Rn. 25 ff.; Conrad in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: August 2020, Art. 17a LlbG Rn. 10).
2. Das für den Kläger gefundene Ergebnis der fiktiven Fortschreibung hält sich im Rahmen der hierfür geltenden Vorgaben und ist auch im Übrigen rechtlich nicht zu beanstanden. Die vom zuständigen Ministerium gewählte Methode der Bildung einer Vergleichsgruppe für den als Personalratsmitglied vom Dienst freigestellten Kläger entspricht den oben dargestellten rechtlichen Eckpunkten.
a) Rechtlicher Maßstab ist vorliegend das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums … … … … … … vom … September 2015. Denn die fiktive Laufbahnnachzeichnung gemäß Art. 17a LlbG erfolgt zu einem bestimmten Beurteilungsstichtag, hier … Mai 2016. Maßgebend bei dienstlichen Beurteilungen ist, welches Beurteilungssystem und welche Regelungen zum Beurteilungsstichtag gegolten haben (vgl. BVerwG, U.v. 2.3.2000 – 2 C 7/99 – NVwZ-RR 2000, 621, juris Rn. 15 unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 14.2.1990 – 1 WB 181/88 – BVerwGE 86, 240, juris Rn. 6). Da sich die fiktive Laufbahnnachzeichnung auf einen bestimmten Stichtag bezieht, kann für die Bestimmung der maßgeblichen Rechtslage nichts Anderes gelten als für dienstliche Beurteilungen. Auch wenn zu unterstreichen ist, dass eine fiktive Laufbahnnachzeichnung keine dienstliche Beurteilung darstellt, so ist diese ebenso stichtagsbezogen. Daraus folgt, dass die zu diesem Zeitpunkt geltende Rechtslage den maßgeblichen rechtlichen Rahmen setzt. Zudem gilt das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums … … … … … … vom … Oktober 2018, das für die fiktive Laufbahnnachzeichnung abweichende Regelung gegenüber dem Schreiben vom … September 2015 trifft, nach Nr. 5 ausdrücklich erst ab … Oktober 2018. Eine rückwirkende Anwendung vor diesen Zeitpunkt ist damit ausdrücklich nicht vorgesehen.
b) Der Dienstherr ist nicht verpflichtet, eine auf den jeweiligen Beamten differenzierte Vergleichsgruppe zu bilden. Derartige Vorgaben lassen sich dem Gesetz (Art. 17a LlbG, Art. 8 BayPVG) nicht entnehmen. Art. 17a Abs. 2 LlbG verlangt die Fortschreibung der „letzten dienstlichen Beurteilung gemäß Abs. 1“, d.h. es sind der seinerzeit angelegte Maßstab und die durchschnittliche Entwicklung vergleichbarer Beamten und Beamtinnen zu berücksichtigten. Ansonsten bestünde auch die Gefahr, dass die Vergleichsgruppe zu klein wird und gegen das Begünstigungsverbot verstoßen wird. Es ist zu betonen, dass der Einschätzungsspielraum bei der Wahl der Methode der fiktiven Laufbahnentwicklung nicht dazu zwingt, die Vorgehensweise zu wählen, die sich für den freigestellten Beamten jeweils als günstigste erweist (BayVGH, B.v. 24.5.2017 – 3 CE 17.465 – juris Rn. 34). Eine solche Meistbegünstigung wäre unzulässig (vgl. auch insgesamt: VG München, B.v. 13.2.2017 – M 5 E 17.271 – juris Rn. 28).
Die Klagepartei hat im Bescheid vom … Oktober 2016 die Vergleichsgruppe auf der Grundlage des Schreibens vom … September 2015 gebildet. Das wurde in der mündlichen Verhandlung weiter vertieft. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern. Soweit im Widerspruchsbescheid vom … Mai 2019 die Vergleichsgruppe anhand des rechtlich nicht anwendbaren Schreibens vom *. Oktober 2018 gebildet wurde, mag das zwar rechtswidrig sein, führt aber zu keinem gegenüber dem Bescheid vom … Oktober 2016 anderen (insbesondere auch nicht ungünstigeren) Ergebnis. Mithin liegt keine Rechtsverletzung des Klägers vor.
c) Das Kernargument der Klagepartei, es hätte entsprechend Nr. 3 des Schreibens vom … September 2015 eine Einzelfallbetrachtung durchgeführt werden müssen, überzeugt nicht.
aa) Eine weit überdurchschnittliche Leistungsentwicklung (Unterpunkt eins im Schreiben vom … September 2015) liegt nach dem Beurteilungsergebnis von 13 Punkten in der letzten dienstlichen Beurteilung nicht vor. Selbst wenn dieses Ergebnis im oberen Bereich angesiedelt sein mag, so soll doch diese Variante der Einzelfallbetrachtung den Umstand berücksichtigten, dass ein Beamter, der ein Spitzenergebnis in der dienstlichen Beurteilung erreicht hat, durch die Bildung einer Vergleichsgruppe, in der auch leistungsschwächere Beamte vertreten sind, benachteiligt würde. Denn die Vergleichsgruppe würde die herausragende Bewertung nicht repräsentieren können. Auch der Umstand, dass der Kläger eine Promotion vorgelegt hat, bedingt keine solche herausragende Leistung, dass diese bei der Betrachtung einer Vergleichsgruppe nicht angemessen berücksichtigt werden könnte. Denn eine Promotion – auch wenn sie wie im Fall des Klägers eng mit dessen beruflicher Tätigkeit verbunden sein mag – stellt eine vertiefte Befassung mit einem speziellen Thema innerhalb des Tätigkeitsfeldes dar. Das mag mit der dienstlichen Tätigkeit des Beamten verknüpft sein, bezieht sich aber immer nur auf einen speziellen Teilaspekt. Das zeigt sich auch im vorliegenden Fall, in dem der Kläger – wie von der Klagepartei angegeben – seine Doktorarbeit zu einer speziellen Partei erstellt hat. Es ist daher sachlich gerechtfertigt und rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Dienstherr die Promotion primär als außerdienstliche und nicht als herausragende dienstliche Leistung ansieht.
bb) Auch die weitere in Betracht kommende Alternative einer im Schreiben vom … September 2015 vorgesehenen Einzelfallbetrachtung in Nr. 3 Unterpunkt zwei liegt nicht vor. Danach erfolgt eine Einzelfallbetrachtung – ohne Bildung einer Vergleichsgruppe – wenn aus sonstigen Gründen nach o.a. grundsätzlichem Verfahren keine geeignete Vergleichsgruppe gebildet werden kann.
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte die Tätigkeit des Klägers als nicht so spezifisch angesehen hat, sodass die dienstlichen Leistungen anderer Beamter und Beamtinnen, die in die Vergleichsgruppe einbezogen wurden, mit denen des Klägers vergleichbar wären. Wie oben dargelegt, ist der entscheidende Gesichtspunkt, dass bei der fiktiven Laufbahnnachzeichnung eine Fortentwicklung der Leistungen des Beamten entsprechend dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang einer Gruppe vergleichbarer Beamter (BVerwG, U.v. 16.12.2010 – 2 C 11/09 – NVwZ-RR 2011, 371, juris Rn. 9) erfolgt. Dazu darf der Dienstherr eine Gruppe aus Personen als Vergleichsgruppe zusammenstellen, deren beruflicher Werdegang und Leistungsbild mit denjenigen des freigestellten Personalratsmitglieds vergleichbar sind und aus dem arithmetischen Mittel eine fiktive Fortschreibung für den freigestellten Beamten entwickeln. Dabei darf er in typisierender Weise vorgehen, auch um den Verwaltungsaufwand in praktikablen Grenzen zu halten (BayVGH, B.v. 7.5.2019 – 3 ZB 17.2542 – juris Rn. 21 m.w.N.). Es ist rechtlich nichts dagegen einzuwenden, dass der Dienstherr zur Bildung einer Vergleichsgruppe die Beamten der gesamten Fachlaufbahn mit demselben Gesamtergebnis in der letzten dienstlichen Beurteilung herangezogen hat. Denn die selbe Fachlaufbahn stellt das Grundprinzip für eine Vergleichsgruppenbildung dar. Das ist in Nr. 1 Unterpunkt eins Satz 3 des Schreibens vom … September 2015 ausdrücklich genannt. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch die Beamten des Landesamtes für Verfassungsschutz denselben Beurteilungszeiträumen und Beurteilungsrichtwerten unterfallen (vgl. Nr. 1 Unterpunkt eins Satz 4). Das unterstreicht die Vergleichbarkeit der durchschnittlichen Entwicklung der dienstlichen Beurteilungen von Beamten einer nach diesen Kriterien gebildeten Vergleichsgruppe. Damit kann auch eine hinreichende Größe der Vergleichsgruppe erzielt werden. Das ist ein transparenter und sachlicher Gesichtspunkt, der bei allen Fällen freigestellter Personalräte im Innenressort so angewendet wird. Eine Bildung der Vergleichsgruppe nach fachlichen Schwerpunkten (Art. 58 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 LlbG) würde dagegen die Bildung einer Vergleichsgruppe erschweren, da diese für jeden Beamten je nach fachlichem Schwerpunkt ermittelt werden müsste. Zudem würde durch eine entsprechend geringe Zahl der in der Vergleichsgruppe vorhandenen Beamten die Aussagekraft der durchschnittlichen Entwicklung gemindert. Das gilt erst recht dafür, dass im Fall des Klägers – nach Auffassung der Klagepartei – nur die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter beim Landesamt für Verfassungsschutz als Vergleichsgruppe heranzuziehen wäre. Auf die Problematik der geringen Größe einer solchen Vergleichsgruppe haben die Vertreterinnen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung hingewiesen. Es ist rechtlich nichts dagegen zu erinnern und entspricht den dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung zur Vergleichsgruppenbildung, wenn der Dienstherr dabei schematisch vorgeht, dafür aber ein sich in praktikablen Grenzen haltendes, transparentes und eine gewisse Größe der Vergleichsgruppe bedingendes Verfahren wählt.
3. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO I.V.m. 33 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.


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