Arbeitsrecht

Höhe der Sozialversicherungsbeiträge bei Mindestlohn

Aktenzeichen  L 7 R 5146/17 B ER

Datum:
14.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 132212
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
MiLoG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 3
SGB IV § 24, § 28h Abs. 2
SGG § 86a Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Der ab dem 01.01.2015 eingeführte allgemeine Mindestlohn ist als Geldbetrag geschuldet und kann nicht durch das Gewähren von Sachleistungen erfüllt werden. (Rn. 11 und 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist grundsätzlich nicht geeignet, aus Sicht eines Antragstellers “offene” Rechtsfrage zu klären. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG wird bei offenen Rechtsfragen das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden auf den Adressaten verlagert. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 11 R 8043/17 ER 2017-09-29 Bes SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 29. September 2017 wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller und Beschwerdeführer trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 1.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf.) wendet sich gegen die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen samt Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 3.517,86 EUR (davon 385,50 EUR an Säumniszuschlägen) durch den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Bg.)
Der Bf. ist selbständiger Steuerberater. In seiner Steuerkanzlei beschäftigte der Kläger den Arbeitnehmer S, zuletzt aufgrund des „Telearbeitsvertrags“ vom 30.11.2006. Nach § 4 des Telearbeitsvertrags erhielt S. für seine Tätigkeit ein Kfz zur Privatnutzung, wodurch das „Gehalt“ „abgegolten“ worden sei. Als wöchentliche Arbeitszeit wurden vier Stunden vereinbart.
Am 01.04.2010 schlossen der Kläger und S. einen Vertrag als „Zusatz zum Telearbeitsvertrag“. Das Gehalt werde jeweils „so bemessen, das der Arbeitnehmer seine Lohnsteuer und seinen Anteil an der Sozialversicherung leisten“ könne.
Am 01.06.2013 schlossen der Kläger und S. einen Vertrag mit dem Inhalt der „Änderung zum Vertrag über die Kraftfahrzeugbenutzung vom 30.11.2006“ ab, wonach der Kläger seinem Arbeitnehmer S. ein Kfz. mit einem steuerlichen Bruttolistenpreis von 111.210,00 EUR überlässt und S. nur die Versicherung zu tragen habe.
Am 01.09.2015 schlossen der Kläger und S. einen Vertrag mit dem Inhalt einer „Änderung zum Telearbeitsvertrag“, wonach nunmehr eine wöchentliche Arbeitszeit von 22,5 Stunden zu leisten sei.
In der Zeit vom 24.03.2017 bis 12.07.2017 führte der Bg. für den Prüfzeitraum vom 01.01.2013 bis 31.12.2016 eine Betriebsprüfung beim Bf. durch. Nach entsprechender Anhörung forderte der Bg. mit Bescheid vom 25.07.2015 vom Bf. für September 2015 bis einschließlich Dezember 2016 Sozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 3.517,86 EUR nach. Der Bf. habe mit seinem Arbeitnehmer Sachleistungen vereinbart, indem er diesem ein Firmenfahrzeug zur privaten Nutzung überlassen habe. Bei Umrechnung des ausbezahlten Geldbetrages an den Arbeitnehmer mit der vereinbarten Arbeitszeit von 22,5 Stunden wöchentlich ergebe sich für die Zeit vom September 2015 bis einschließlich Dezember 2016 ein tatsächlich gezahlter Barstundenlohn zwischen 3,33 EUR und 3,77 EUR pro Stunde. Nach dem Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz-MiLoG) vom 11.08.2014 gelte in Deutschland seit dem 01.01.2015 ein flächendeckender allgemeiner Mindestlohn in Höhe von 8,50 EUR brutto je Stunde. Dieser sei nach den Gesetzesmaterialien (Bundestags-Drucksache 18/2010 S. 16 Abschnitt IV Ziffer 7) als Geldbetrag geschuldet und könne nicht durch das Gewähren von Sachleistungen erfüllt werden. Auch wenn die vom Bf. zur Verfügung gestellten Sachbezüge einen in Geld bezifferbaren Wert hätten, so seien sie keine Geld-, sondern Sachleistungen und als solche grundsätzlich nicht im Sinne einer Anrechnung auf den Mindestlohnanspruch berücksichtigungsfähig. Sozialversicherungsbeiträge seien daher auf der Grundlage des Mindestlohns von 8,50 EUR pro geleisteter Stunde zu zahlen und nicht aus dem um die Sachbezüge geminderten an S. ausgezahlten Stundenlohn. Aus einem zusätzlich nach dem Mindestlohngesetz dem Arbeitnehmer geschuldeten Entgelt von 5.618,19 EUR würden deshalb entsprechende Beiträge nachgefordert, nämlich in Höhe von 3.232,36 EUR. Hinzu kämen Säumniszuschläge, da der Bf. nicht unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht gehabt habe. In der Veröffentlichung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom Februar 2015 sei die Rechtslage klar dargelegt worden. Bei Zweifeln hätte der Bf. eine verbindliche Auskunft der zuständigen Einzugsstelle einholen müssen gemäß § 28h Abs. 2 SGB IV.
Über den gegen den Prüfbescheid am 10.08.2017 vom Bf. eingelegten Widerspruch ist bislang noch nicht entschieden.
Nachdem vom Bg. die vom Bf. mit Schreiben vom 18.08.2017 beantragte Aussetzung der Vollziehung des Prüfbescheides abgelehnt worden war, wandte sich der Bf. am 25.08.2017 an das Sozialgericht Regensburg mit dem Begehren, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Die Rechtsfrage, ob der Mindestlohn vollständig als Geldleistung zu erbringen sei oder auch in Form von Sachleistungsbezügen geleistet werden könne, sei höchstrichterlich noch nicht geklärt. In Rechtsprechung und Literatur bestünden hierzu unterschiedliche Auffassungen.
Mit Beschluss vom 29. September 2017 lehnte das Sozialgericht Regensburg den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 10.08.2017 gegen den Bescheid des Bg. vom 25.07.2015 ab.
Aufgrund der gesetzlichen Wertung des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG könnten nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Bescheides ein überwiegendes Aussetzungsinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs – hier des Widerspruchs – überwiegend wahrscheinlich erscheinen ließen. Nach dieser Maßgabe sei der Antrag nicht begründet.
Dem Bf. sei zwar zuzustimmen, dass bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt sei, ob ausschließlich durch eine Barzahlung das Mindestlohngesetz erfüllt werden könne. Mehr Argumente sprächen für die Rechtsmeinung des Bg. Denn nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 MiLoG werde ein Arbeitgeber verpflichtet, einem Arbeitnehmer den Mindestlohn zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit, spätestens am letzten Bankarbeitstag des Monats, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde, zu zahlen. Hiervon abweichende Vereinbarungen seien nach § 3 MiLoG unwirksam. Somit zeige bereits der Wortlaut des MiLoG, dass vom Gesetzgeber die Gewährung des Entgelts als Geldleistung beabsichtigt gewesen sei. Sinn und Zweck des MiloG sei nach der Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung ausdrücklich auch gewesen, nicht existenzsichernde Arbeitsentgelte zu verhindern, welche dann durch staatliche Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufzustocken seien. Der Mindestlohn habe den Zweck, die finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme zu stützen sowie Vollzeitbeschäftigte möglichst unabhängig von der sozialen Existenzsicherung zu machen. Hierfür sei die freie Verfügbarkeit des Entgelts, welche nur durch Geldmittel erreicht werden könne, nötig. Das Erbringen von Sachleistungen im Rahmen der Abgeltung des Entgeltanspruchs nach dem MiLoG könne dagegen dazu führen, dass existenzielle Ansprüche weiterhin durch das Arbeitsgeld nicht befriedigt werden könnten, mithin existenznotwendige Dinge des alltäglichen Lebens nicht von dem erhaltenen „Lohn“ bezahlt werden könnten. Aufgrund des Wortlautes des MiloG und dessen Sinn und Zweck sei es unbeachtlich, dass nach der deutschen Rechtsordnung in anderen Rechtsbereichen Sachbezüge als Arbeitsentgelt angesehen werden könnten (z. B. § 107 Abs. 2 Gewerbeordnung). Aufgrund des MiLoG sei es nicht generell verboten, Sachleistungen als Arbeitsentgelt zu vereinbaren.
Auch hinsichtlich der Festsetzung der Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV bestünden keine materiell-rechtlichen Bedenken.
Hiergegen hat der Bf. Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.
Entgegen der Meinung des Sozialgerichts spreche nicht mehr dafür als dagegen, dass beim Mindestlohn eine reine Geldleistung zu erbringen sei, da dort die Begriffe „Arbeitsentgelt“ und „Zahlung“ verwendet würden. Auch aus dem EU-Vertrag und dem Positionspapier der Interessenvereinigung der bayerischen Wirtschaftsverbände ergebe sich, dass Sachleistungen zur Erbringung des Mindestlohns geeignet seien.
Unabhängig hiervon hätte im Falle einer Lohnvereinbarung in Form einer nur Sachleistung eine Anrechnung des Sachbezugs auf das festgestellte geschuldete Entgelt durch den Bg. erfolgen müssen, da der Arbeitnehmer ansonsten neben dem gewährten Sachbezug einen weiteren Vorteil erlangen würde, was nicht zu einem sachgerechten Ergebnis führen würde. Auch beim Verstoß gegen § 107 Abs. 2 Satz 5 Gewerbeordnung würde eine Nichtigkeit der Abmachung von Sachbezügen dazu führen, dass der Arbeitgeber nur einen entsprechenden Teil des Arbeitsentgelts nachgewähren müsse, der Arbeitnehmer im Gegenzug aber die gewährten Sachleistungen herausgeben müsse. Bei einer angenommenen Gleichwertigkeit dieser beiden Positionen ergebe sich auch für die Sozialversicherungsbeiträge keine andere Berechnung, so dass kein zusätzlicher Sozialversicherungsbeitrag nachzuentrichten sei. Außerdem sei nach der Rechtsprechung ein Vertrauensschutz zu beachten, da auch bisher Sachleistungen als Arbeitsentgelt angesehen worden seien.
Die Säumniszuschläge seien zu Unrecht erhoben worden, da bei einer unterschiedlichen Rechtsmeinung kein Vorsatz vorliegen könne.
Der Bg. hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die Beschwerde wird aus den Gründen der Entscheidung des Sozialgerichts zurückgewiesen und demgemäß nach § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Begründung abgesehen.
Anzumerken ist lediglich Folgendes:
Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist grundsätzlich nicht geeignet, aus Sicht eines Antragstellers „offene“ Rechtsfrage zu klären. Rechtsfragen, sollten sie tatsächlich „offen“ sein, werden nicht in Verfahren, die eine vorläufige Regelung zum Inhalt haben, geklärt, sondern im Verfahren der Hauptsache. Dies entspricht auch der Gesetzgeber in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG enthaltenen Wertung. Nur erhebliche Zweifel können eine Aussetzung begründen. Unterschiedliche Rechtsmeinungen mögen aus unterschiedlichen Sichtweisen bis zur endgültigen Klärung jeweils zwar „Zweifel“ begründen, jedoch keine „erheblichen“ Zweifel, solange eine Rechtsmeinung keine abwegige und nicht vertretbare Mindermeinung darstellt. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG wird bei offenen Rechtsfragen das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden auf den Adressaten verlagert. Damit werden Beitragsausfälle vermieden, insbesondere etwa dadurch, dass im Verlauf eines länger dauernden Verfahrens sich die wirtschaftliche Situation des beitragspflichtigen Arbeitgebers so verschlechtert, dass die Beiträge nicht mehr eingetrieben werden können. Gerade wenn es – wie hier – lediglich um unterschiedliche Rechtsmeinungen geht, muss ein Arbeitgeber sich stets mit der vom Sozialversicherungsträger vertretenen Rechtsmeinung abfinden, solang diese nicht unvertretbar erscheint.
Hier kommt hinzu, dass die vom Bf. vertretene Rechtsmeinung nicht überzeugt und daher an der Rechtsmäßigkeit des Bescheids nicht nur keine ernsthaften Zweifel, sondern überhaupt keine Zweifel mehr bestehen seit dem Urteil des BAG vom 25.05.2016, 5 AZR 135/16. Darin hat das BAG ausdrücklich festgestellt, dass der Mindestlohn sich nach der „Entgeltleistung in Form von Geld“ bestimmt (BAG, aaO Rz 29). Soweit der Bf. auch dieser Entscheidung nicht folgen will, ist seine Rechtsmeinung nicht nachvollziehbar.
Ebenfalls nicht nachvollziehbar sind die Ausführungen des Bf. zu einem angeblichen „Vertrauensschutz“. Das MiLoG ist zum 01.01.2015 in Kraft getreten und ab diesem Zeitpunkt zu beachten. Welches Vertrauen in was die ab 01.01.2015 geltende Rechtslage zugunsten des Bf. abändern sollte, ist nicht verständlich.
Für eine besondere Härte hat der Bf. trotz richterlichen Hinweises im gerichtlichen Schreiben vom 30.10.2017 nichts vorgetragen. Bei einem Betrag von ca. 3.500,00 EUR bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine besondere Härte (vgl. BayLSG, Beschluss vom 07.12.2015 L 7 R 832/15 B ER), insbesondere nachdem der Bf. nicht vorgetragen hat, dass ihn dieser Betrag in solche finanzielle Schwierigkeiten bringen könnte, die ihm den Ausübung seines Berufs als Steuerberater nicht mehr ermöglichen würde.
Anzumerken ist letztlich in Bezug auf die Säumniszuschläge, dass der Vortrag des Bf., er habe keinen Vorsatz gehabt, ins Leere geht. Maßstab ist, ob der Bf. unverschuldet keine Kenntnis von seiner Beitragspflicht hatte. Die Rechtsauffassung der Bundesregierung, wonach der Mindestlohn in bar zu zahlen ist, musste dem Bf. schon allein deshalb bekannt sein, um seinen Beruf als Steuerberater ordnungsgemäß und mit der erforderlichen Sorgfalt ausführen zu können. Soweit der Bf. eine andere Rechtsmeinung hierzu vertreten wollte, hätte er, um unverschuldet im Sinne von § 24 SGB IV zu handeln, nach § 28h Abs. 2 SGB IV eine verbindliche Auskunft der zuständigen Einzugsstelle einholen müssen, worauf der Bg. in seinem Bescheid zutreffend hingewiesen hat. Schon allein, dass der Bf. dies unterlassen hat, bedeutet, dass der Bf. nicht unverschuldet gehandelt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das einstweilige Rechtsschutzverfahren folgt aus § 197a SGG i. V. m. §§ 52, 53 Abs. 2 Nr. 4 GKG und berücksichtigt, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei Prüfbescheiden in der Regel die Hälfte des Wertes des Hauptsachestreitwertes anzusetzen ist. Insoweit wird der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung gefolgt, die im Beschwerdeverfahren im Übrigen von allen Beteiligten unbeanstandet blieb.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.


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