Arbeitsrecht

Insolvenzsicherungs- und Beitragspflicht bei Direktzusagen

Aktenzeichen  8 C 23/09

Datum:
25.8.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
Art 2 Abs 1 GG
Art 3 Abs 1 GG
Art 12 Abs 1 GG
Art 14 Abs 1 GG
Art 20 Abs 1 GG
§ 1 Abs 1 BetrAVG
§ 1b Abs 1 BetrAVG
§ 4 Abs 3 BetrAVG
§ 4 Abs 4 BetrAVG
§ 7 Abs 1 BetrAVG
§ 7 Abs 2 S 1 BetrAVG
§ 10 Abs 1 BetrAVG
§ 10 Abs 3 BetrAVG
§ 3 Nr 63 EStG
§ 4d Abs 1 Nr 1 EStG
§ 6a Abs 3 EStG
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

Unmittelbare Versorgungszusagen (Direktzusagen) und Unterstützungskassenzusagen unterfallen der Insolvenzsicherungs- und Beitragspflicht nach dem Betriebsrentengesetz auch, wenn sie durch den Abschluss einer Rückdeckungsversicherung und durch die Verpfändung des Versicherungsanspruchs an den Versorgungsberechtigten gesichert sind. Die für Pensionsfonds geltende Regelung zur Reduzierung der Beitragsbemessungsgrundlage ist auf solche Zusagen nicht entsprechend anzuwenden.

Verfahrensgang

vorgehend VG Gera, 23. Oktober 2008, Az: 6 K 791/04 Ge, Urteil

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Insolvenzbeiträgen nach dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung – Betriebsrentengesetz – (BetrAVG).
2
Seit dem Jahr 2002 bietet sie ihren Mitarbeitern die Möglichkeit der betrieblichen Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung. Dazu erteilt sie seit April 2002 Unterstützungskassenzusagen über die von ihr mitgetragene Gruppenunterstützungskasse für mittelständische Unternehmen e.V. in Wiesbaden sowie seit Juni 2002 unmittelbare Versorgungszusagen (Direktzusagen), die sich speziell an Führungskräfte richten und der variablen Umwandlung von Einmalzahlungen und sonstigen Gratifikationen dienen. Zur Sicherung der zugesagten Versorgungsleistungen schließt die Klägerin für jeden versorgungsberechtigten Mitarbeiter eine Rückdeckungsversicherung ab. Versicherungsnehmerin und Bezugsberechtigte ist die Klägerin. Sie verpfändet ihren Leistungsanspruch aus der Versicherung jeweils an den Versorgungsberechtigten.
3
Der Beklagte setzte mit Beitrags- und Vorschussbescheid vom 12. November 2003 den Insolvenzsicherungsbeitrag für das Kalenderjahr 2002 – zeitanteilig – sowie für das Jahr 2003 auf insgesamt 1 496,29 € fest. Darüber hinaus forderte er einen Beitragsvorschuss für das Kalenderjahr 2004 in Höhe von weiteren 288,10 €. Der Bescheid war nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.
4
Die Klägerin zahlte den Gesamtbetrag von 1 784,39 € unter Vorbehalt und erhob mit Schreiben vom 9. Februar 2004 Widerspruch, da sie meinte, die Rückdeckung und pfandrechtliche Sicherung der zugesagten Versorgungsleistungen lasse die Insolvenzsicherungspflicht entfallen. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2004, der am folgenden Tag als Einwurf-Einschreiben zur Post gegeben wurde, wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
5
Am 11. Juni 2004 hat die Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Gera Klage erhoben und begehrt, den Beitrags- und Vorschussbescheid vom 12. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben und den Beklagten zur Erstattung des gezahlten Betrages nebst Zinsen zu verpflichten.
6
Mit dem angegriffenen, aufgrund mündlicher Verhandlung vom 23. Oktober 2008 ergangenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in § 10 Abs. 1 und 3 Nr. 1 und 2 BetrAVG. Bei den von der Klägerin angebotenen Altersversorgungsmodellen handele es sich trotz Rückdeckung und pfandrechtlicher Sicherung um Direkt- und Unterstützungskassenzusagen im Sinne dieser Vorschriften und nicht um Durchführungswege eigener Art, die vom Beitragstatbestand nicht erfasst würden. Eine teleologische Reduktion des Beitragstatbestandes komme ebenfalls nicht in Betracht. Die gesetzliche Insolvenzsicherung knüpfe nicht an den Grad der Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme des Beklagten an, sondern lege die Insolvenzlast solidarisch auf alle Arbeitgeber um, die das Insolvenzrisiko durch die Wahl eines von § 10 Abs. 1 und 3 BetrAVG erfassten Durchführungsweges der betrieblichen Altersversorgung abstrakt erhöhten. Die Ungleichbehandlung der von der Klägerin angebotenen Altersvorsorgemodelle im Vergleich zu den beitragsfreien Durchführungswegen der Direktversicherung mit unwiderruflichem Bezugsrecht oder der Pensionskasse sowie im Vergleich zur beitragsfreien Altersvorsorge öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber nach § 17 Abs. 2 BetrAVG verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da sie auf sachlichen Gründen beruhe. Der Gesetzgeber habe die Beitragspflicht sachgerecht an die Wahl des Durchführungsweges geknüpft. Dabei diene die gesetzliche Typisierung der Verwaltungsvereinfachung und der Praktikabilität. Die Einführung einer Beitragsermäßigung für den Durchführungsweg der Pensionsfonds lasse nicht darauf schließen, dass der Gesetzgeber nun prinzipiell die Insolvenzfestigkeit des gewählten Modells zum maßgeblichen Kriterium erhoben habe. Im Übrigen sei die Beitragslast gering. Der Insolvenzsicherungsbeitrag stelle auch keine verfassungswidrige Sonderabgabe dar. Das Beitragsaufkommen werde zumindest mittelbar im Interesse der beitragspflichtigen Arbeitgeber verwendet.
7
Gegen dieses ihr am 25. März 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Zustimmung des Beklagten fristgerecht die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 10 Abs. 1 BetrAVG sowie ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.
8
Die Klägerin meint, aus der systematischen, teleologischen und historischen Auslegung des § 10 Abs. 1 BetrAVG folge die Beitragsfreiheit der von ihr gewählten Altersvorsorgemodelle. Für die Insolvenzsicherungs- und Beitragspflicht sei allein das Insolvenzrisiko entscheidend, das sich aus der konkreten Ausgestaltung des gewählten Durchführungsweges ergebe. Durch den Abschluss der Rückdeckungsversicherung und die Verpfändung des Versicherungsanspruchs sei der versorgungsberechtigte Mitarbeiter für den Insolvenzfall ausreichend geschützt, da er zur abgesonderten Befriedigung berechtigt sei. Bei zulässiger Verwertung des Versicherungsanspruchs durch den Insolvenzverwalter stehe ihm jedenfalls der Verwertungserlös zu. Art. 3 Abs. 1 GG verbiete eine Gleichbehandlung der praktisch insolvenzfesten Zusagen der Klägerin mit den ungesicherten klassischen Formen der Direkt- und Unterstützungskassenzusage. Auch die Benachteiligung der gesicherten Zusagen gegenüber den beitragsfreien Durchführungswegen sei sachlich nicht gerechtfertigt. Der Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung reiche dazu nicht aus, da die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Altersversorgung ohne größeren Aufwand geprüft werden könne. Nachdem der Gesetzgeber für den insolvenzgefährdeten Durchführungsweg des Pensionsfonds ausdrücklich ein geringeres Insolvenzrisiko anerkannt habe, müssten die insolvenzfesten Modelle der Klägerin erst recht als beitragsfrei eingestuft werden. Schließlich verletze die Heranziehung zum Insolvenzsicherungsbeitrag die Klägerin in ihrer grundrechtlich geschützten unternehmerischen Freiheit (Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG), da keine die Beitragserhebung rechtfertigende anteilige Mitbegründung des vom Beklagten zu sichernden Insolvenzrisikos vorliege.
9
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 23. Oktober 2008 aufzuheben,
2. den Beitrags- und Vorschussbescheid des Beklagten vom 12. November 2003 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 10. Mai 2004 aufzuheben und
3. den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin den gezahlten Betrag von 1 784,39 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 0,5 % pro Monat seit dem 1. Juli 2004 zu erstatten.
10
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
11
Er verteidigt das angegriffene Urteil.
12
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und unterstützt das angegriffene Urteil, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.


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