Arbeitsrecht

Keine Anrechnung einer einseitigen Freistellung auf Urlaub und Arbeitszeitkonto bei Unzulässigkeit der einseitigen Urlaubsgewährung bzw. Freizeitgewährung aus dem Arbeitszeitkonto

Aktenzeichen  7 Sa 948/16

Datum:
1.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 152343
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BUrlG § 7 Abs. 1
GewO § 106 S. 1
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

Die Beklagte hat beabsichtigt, den Kläger fristlos zu kündigen und hat hierzu ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG eingeleitet, das eingestellt wurde, da der Kläger nur Ersatzmitglied des Betriebsrates war. Da zwischenzeitlich die Zwei-Wochen-Frist für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung abgelaufen war, sah die Beklagte von der außerordentlichen Kündigung ab. Vor dem Ausspruch der beabsichtigten Kündigung hat die Beklagte den Kläger unter Anrechnung von Freizeitguthaben und Urlaub freigestellt. Der Kläger hatte mit seiner Klage gegen die Verrechnung von Urlaub und Freizeitguthaben Erfolg, denn die bei der Beklagten bestehende Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit sieht eine Verrechnung von Freizeitguthaben durch einseitige Arbeitgeberanordnung nicht vor. Die Verrechnung von Urlaub im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Kündigung, die letztlich nicht erfolgt, ist ebenfalls nicht möglich, denn im Arbeitsvertrag war eine einseitige Urlaubsanordnung nur bei “besonderem Interesse” vereinbart und ein solches war vorliegend nicht zu bejahen. (Rn. 29 – 36)

Verfahrensgang

5 Ca 3510/16 2016-10-26 Urt ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 26.10.2016 – 5 Ca 3510/16 abgeändert.
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger sieben Arbeitstage Urlaub als Resturlaub aus dem Jahr 2015 zu gewähren.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 14 Zeitstunden im Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO). Dass die Berufung sich in hinreichender Weise mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts auseinandersetzt, zeigt allein schon der Umstand, dass das Rechtsmittel Erfolg hat.
II.
Die Berufung ist auch begründet. Die Beklagte war nicht berechtigt mittels einseitiger Anordnung dem Kläger Urlaub zu gewähren und sie war auch nicht berechtigt, entgegen den klaren Regelungen der einschlägigen Betriebsvereinbarung Arbeitszeit, einseitig das Freizeitguthaben des Klägers durch eine Freistellung zu verändern. Dementsprechend war die Entscheidung des Arbeitsgerichts abzuändern.
1. Gegen den vorliegend gestellten Antrag bestehen keine Bedenken. Er ist zulässig und insbesondere zu Ziffer 2 hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Der Antrag, einem Arbeitszeitkonto Stunden „gutzuschreiben“ ist hinreichend bestimmt, wenn der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ein Zeitkonto führt, auf dem zu erfassende Arbeitszeiten nicht aufgenommen wurden und noch gutgeschrieben werden können und das Leistungsbegehren konkretisiert, an welcher Stelle des Arbeitszeitkontos die Gutschrift erfolgen soll (BAG, 28.09.2016 – 7 AZR 248/14). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
2. Zwar kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst (BAG, 19.01.2016 – 2 AZR 449/15; 14.08. 2007 – 9 AZR 934/06). Eine wirksame Urlaubsgewährung liegt darin nach jüngerer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aber nur dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt (BAG, 19.01.2016 – 2 AZR 449/15; 10.02.2015 – 9 AZR 455/13). Zudem hat sich die die Beklagte auch im Arbeitsvertrag die Möglichkeit vorbehalten, „nach erfolgter Kündigung bzw. bei besonderem Interesse unter Fortzahlung der Bezüge zu beurlauben“.
a) Da die Beklagte dem Kläger aber nicht gekündigt hat, ist die zitierte Rechtsprechung vorliegend nicht einschlägig und für eine analoge Anwendung besteht keine Veranlassung, zumal die Beklagte jederzeit die von ihr beabsichtigte außerordentliche Kündigung hätte aussprechen können. Dass sie stattdessen rechtsirrig ein Zustimmungsersetzungsverfahren zur Kündigung eines Nichtmitglieds eines Betriebsrats einleitet, ist ihre Sache, kann aber nicht zu Erleichterungen im Zusammenhang mit einer einseitigen Anordnung von Urlaubsnahme führen. Und die arbeitsvertraglich geregelte Möglichkeit, nach erfolgter Kündigung zu beurlauben, ist ebenfalls mangels „erfolgter Kündigung“ nicht eröffnet.
b) Urlaubsgewährung ist nach § 7 Abs. 1 BUrlG die Befreiung von der Arbeitspflicht für einen bestimmten zukünftigen Zeitraum (BAG, 17. 05. 2011 – 9 AZR 189/10; 11.07. 2006 – 9 AZR 535/05). Die Freistellung zum Zwecke der Gewährung von Erholungsurlaub erfolgt durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Arbeitgebers (vgl. BAG 14. 08. 2007 – 9 AZR 934/06), die als solche mit Zugang beim Arbeitnehmer nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam wird (vgl. BAG, 17. 05. 2011 – 9 AZR 189/10; 24. 03. 2009 – 9 AZR 983/07). Hiernach ist es zwar grundsätzlich einseitig möglich, zum Zwecke der Gewährung von Erholungsurlaub einseitig freizustellen, doch vorliegend war dies offensichtlich, verquickt mit dem beabsichtigten Ausspruch einer Kündigung. Ein weiter gehender Wille im Zusammenhang mit der erfolgten Freistellung ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden. Wenn aus welchen Gründen auch immer der Ausspruch einer Kündigung unterbleibt, ist es offensichtlich, dass die Absicht der Befreiung von der Arbeitspflicht für einen bestimmten Zeitpunkt, den bis zur Kündigung, gegenstandlos geworden ist.
c) Die Beklagte hat sich aber auch durch die Vereinbarung in ihrem Arbeitsvertrag selbst dahingehend gebunden bzw. eingeschränkt, nur bei besonderem Interesse unter Fortzahlung der Bezüge zu beurlauben. Dieses vertraglich festgelegte besondere Interessesse ist aber vorliegend nicht ersichtlich.
Es ist nicht erkennbar welche besonderen Gefahren bei einer Nichtbeurlaubung des Klägers bis zu seiner Kündigung bestanden haben sollen oder welche besonders schützenswerten Interessen bei der Beklagten gefährdet gewesen sein sollen, wenn sie den Kläger nicht bereits vor dem Ausspruch einer Kündigung beurlauben konnte, zumal ihr deren Ausspruch, wie bereits ausgeführt, jederzeit möglich gewesen wäre. Allein die abstrakte Gefahr einer Vertragsverletzung durch ein Nichtausstempel vom Kläger, das er im Übrigen mit Vergesslichkeit begründet hat, ist noch kein Grund für eine Beurlaubung auf Grund eines besonderen Interesses.
3. Die Beklagte war auch nicht berechtigt, den Kläger mit Schreiben vom 28.08.2015 unter Anrechnung etwaiger noch offener Ansprüche aus geleisteten Überstunden und Freizeitausgleich widerruflich freizustellen.
a) Im Betrieb der Beklagten existiert eine Betriebsvereinbarung Arbeitszeit, die zwischen ihr und dem bei ihr bestehenden Betriebsrat am 31.01.2013 vereinbart wurde. Diese Betriebsvereinbarung regelt u. a. die Bildung eines Freizeitkontos im Zusammenhang mit gutgeschriebenen Zeitguthaben.
Im gesamten Text der Betriebsvereinbarung findet sich nicht einmal ansatzweise eine Regelung, dass die Arbeitgeberin ein vom Arbeitnehmer angesammeltes Zeitguthaben durch einseitige Anordnung einer Freistellung abbauen kann. Ziffer 4.1 der Betriebsvereinbarung regelt vielmehr, dass über die auf dem Freizeitkonto gutgeschriebene Zeitguthaben der Mitarbeiter in Abstimmung mit den Vorgesetzten und den Kollegen und unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange verfügen kann. Somit ist es offensichtlich, dass das Initiativrecht zum Abbau von Zeitguthaben ausschließlich beim Mitarbeiter, hier dem Kläger, liegt und er bei dazu einer Abstimmung mit Vorgesetzten und Kollegen vorzunehmen hat. Dass hier kein einseitiges Initiativrecht auf Seiten des Arbeitnehmers vorliegt, zeigt auch Satz 3 in Ziffer 4.1, wonach bei einem Freizeitausgleich von weniger als einem Tag keine Abstimmung mit dem Vorgesetzten erforderlich ist. Schließlich zeigt auch Ziffer 4.2, wonach erworbenes Guthaben auf dem Freizeitkonto jeweils nach zwei Jahren wieder abgebaut sein sollte und falls dies nicht möglich ist, auf Wunsch des Mitarbeiters eine Auszahlung vorgenommen werden kann, deutlich, dass das Volumen Zeitguthaben ausschließlich in der Disposition des Arbeitnehmers steht. Die Möglichkeit das Zeitguthaben auszahlen zu lassen zeigt, dass in dieses die Arbeitgeberin gerade nicht hineinregieren kann, schon gar nicht durch eine einseitige Freistellung. Schließlich verdeutlicht auch Ziffer 4.3, dass die Vorgehensweise der Beklagten nicht in Einklang mit den Regelungen der Betriebsvereinbarung steht, denn hiernach ist bei einem Ausscheiden des Mitarbeiters vorgesehen, dass er in Abstimmung mit dem Vorgesetzten das Guthaben auf dem Freizeitkonto ausgleichen kann oder sich ausbezahlen lassen kann. Somit ist es offensichtlich, dass eine wie hier von der Beklagten erfolgte einseitige Freistellung mit gleichzeitigem Überstundenabbau nicht möglich ist, denn ansonsten wäre die Regelung, dass im Rahmen einer Abstimmung auch eine Auszahlung erfolgen kann, überflüssig.
b) Für die von Beklagten gewollte Interpretation der Betriebsvereinbarung zu Gunsten ihrer Vorgehensweise unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anordnung für Urlaub ist kein Raum, denn hierzu bestehen keine Anhaltspunkte.
aa) Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und diese wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei einem unbestimmten Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit dies im Text seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (statt vieler BAG, 08.12.2015 – 3 AZR 267/14).
bb) Da im Wortlaut der einschlägigen Betriebsvereinbarung entsprechende Formulierungen im Sinne der Vorgehensweise der Beklagten nicht erkennbar sind, besteht auch keine Möglichkeit für eine Auslegung wie von der Beklagten gewollt. Ihre Hinweise auf die Formulierungen in Teil II der Betriebsvereinbarung sind vielmehr nicht geeignet, einen unbestimmten Wortsinn in den Formulierungen der Betriebsvereinbarung dahingehend zu begründen, dass der Arbeitgeber einseitig den Abbau des Freizeitkontos anordnen kann.
III.
Die Beklagte hat als Unterlegene des Rechtsstreits die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.


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