Arbeitsrecht

Keine Gewährung von Prozesskostenhilfe nach dem Tod des Antragstellers

Aktenzeichen  10 C 20.3043

Datum:
10.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6069
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Prozesskostenhilfe ist personengebunden und nicht vererblich. Mit dem Tod erledigt sich daher ein bisheriges Bewilligungsverfahren und endet eine bereits bewilligte Prozesskostenhilfe. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine rückwirkende Bewilligung nach dem Tod des Antragstellers widerspricht dem Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe, einer hilfsbedürftigen Person die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu ermöglichen. Eine Bewilligung würde nur noch dem Anwalt oder den Erben zu Gute kommen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 20.2998 2020-11-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit der Beschwerde verfolgt der Betreuer und Prozessbevollmächtigte des am 1. November 2020 verstorbenen Klägers dessen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, für seine beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhobene Klage (M 12 K 20.2998) Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihm seinen Rechtsanwalt beizuordnen. Die Klage richtete sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2020, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und seine Abschiebung angedroht worden war. Das Verwaltungsgericht hat das Klageverfahren nach beiderseitiger Erledigungserklärung mit Beschluss vom 16. November 2020 eingestellt und dem Kläger die Verfahrenskosten auferlegt. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom 27. November 2020 abgelehnt.
Die Beschwerde ist zulässig. Der Tod des Klägers hat die seinem anwaltlichen Vertreter erteilte Prozessvollmacht nicht beendet (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 86 ZPO) und deshalb das Verfahren auch nicht unterbrochen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO). Das Beschwerdeverfahren ist daher fortzuführen (BVerwG, B.v. 24.9.2009 – 20 F 6/09 – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 22.2.2007 – 5 C 06.1826 – juris Rn. 11; LSG BW, B.v. 29.8.2018 – L 7 SO 2855/18 B – juris Rn. 2).
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Prozesskostenhilfe kann – unabhängig von den vom Verwaltungsgericht herangezogenen fehlenden Erfolgsaussichten – schon deswegen nicht gewährt werden, weil der Kläger im Lauf des Verfahrens verstorben ist.
Prozesskostenhilfe, für deren Bewilligung es gemäß § 166 VwGO i.V. mit § 114 ZPO auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der antragstellenden Partei ankommt, ist personengebunden und nicht vererblich; der Anspruch auf Prozesskostenhilfe ist somit ein höchstpersönliches Recht, das mit dem Tode des berechtigten Hilfebedürftigen endet. Deshalb kann nach allgemeiner Ansicht einem verstorbenen Verfahrensbeteiligten Prozesskostenhilfe nicht (mehr) bewilligt werden. Mit dem Tod erledigt sich mithin das bisherige Bewilligungsverfahren und endet eine bereits bewilligte Prozesskostenhilfe. Somit kommt auch eine nachträgliche Bewilligung zugunsten der verstorbenen Partei durch das Beschwerdegericht grundsätzlich nicht mehr in Betracht; denn maßgebend für die Bewilligung ist stets, ob der Antragsteller der Hilfe noch aktuell bedarf. Der mit den gesetzlichen Regelungen über die Prozesskostenhilfe verfolgte Zweck, einer Partei, die die Prozesskosten aus eigenen Mitteln nicht bestreiten kann, die Prozessführung zu ermöglichen, kann nach dem Tod der bedürftigen Partei nicht mehr erreicht werden; für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nach deren Tod somit kein Raum mehr (BayVGH, B.v. 17.9.2012 – 9 ZB 12.744 – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 22.2.2007 – 5 C 06.1826 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 30.3.2004 – 12 CE 03.2604 – juris Rn. 9; OVG NW, B.v. 31.1.2017 – 12 A 2291/15 – juris Rn. 20; BayLSG, B.v. 8.4.2015 – L 3 SB 2/15 B PKH – juris Rn. 12; LSG NW, B. 29.3.2017 – L 9 SO 53/17 B – juris Rn. 5; LSG BW, B.v. 29.8.2018 – L 7 SO 2855/18 B – juris Rn. 3; OVG Berlin-Bbg, B.v. 12.12.2012 – 10 M 20/12 – juris Rn. 3).
Der Meinung, dass dieser Grundsatz dann eine Ausnahme erfährt und eine rückwirkende Bewilligung in Betracht kommt, wenn das angerufene Gericht den – vollständigen und auch sonst ordnungsgemäßen – Prozesskostenhilfeantrag des verstorbenen Verfahrensbeteiligten verzögerlich oder nicht ordnungsgemäß bearbeitet hatte (LSG MV, B.v. 14.8.2018 – L 6 P 12/18 B PKH – juris Rn. 8; Wysk in Wysk, VwGO, § 166 Rn. 20) folgt der Senat nicht. Eine derartige Ausnahme würde dem Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe zuwiderlaufen. Denn sie kann die zentrale Funktion, der hilfebedürftigen Partei die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu ermöglichen, nicht mehr erreichen; die Prozesskostenhilfe käme nicht mehr dem gesetzlichen Adressaten zu Gute, sondern den Erben oder dem Rechtsanwalt, und würde dadurch ihre gesetzliche Bestimmung verlieren (BayVGH, B.v. 22.2.2007 – 5 C 06.1826 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 30.3.2004 – 12 CE 03.2604 – juris Rn. 9; OVG NW, B.v. 31.8.2020 – 12 E 27/20 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 18.3.2019 – 12 E 958/17 – juris Rn. 3; BayLSG, B.v. 8.4.2015 – L 3 SB 2/15 B PKH – juris Rn. 12; LSG NW, B. 29.3.2017 – L 9 SO 53/17 B – juris Rn. 6 ff.; OLG Koblenz, B.v. 26.1.2016 – 9 WF 1261/15 – juris Rn. 6; LSG BW, B.v. 29.8.2018 – L 7 SO 2855/18 B – juris Rn. 3; OVG Berlin-Bbg, B.v. 12.12.2012 – 10 M 20/12 – juris Rn. 3). Die Prozesskostenhilfe dient immer nur der prozessführenden Partei, die sie beantragt hat und auf deren Verhältnisse abzustellen ist. Soweit ein Erbe den Prozess weiterführen will und seinerseits bedürftig ist, muss er einen neuen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei dem erstinstanzlichen Gericht stellen und seine eigenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darlegen (OVG Berlin-Bbg, B.v. 12.12.2012 – 10 M 20/12 – juris Rn. 3).
Im Übrigen wäre die Beschwerde aber auch dann nicht begründet, wenn man eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausnahmsweise zulassen würde.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte, da die Ausweisung des Klägers voraussichtlich rechtmäßig war, und die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO somit nicht vorlagen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, der gegeben ist, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist. Im vorliegenden Fall war dies der 21. Juli 2020, als die Behördenakten und die Stellungnahme der Beklagten beim Verwaltungsgericht eingingen; die vollständigen Antragsunterlagen lagen bereits vor.
Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem Einstellungsbeschluss vom 16. November 2020 an, auf den das Verwaltungsgericht im die Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss vom 27. November 2020 Bezug genommen hat.
Soweit in der Beschwerde vorgetragen wird, dass in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar sei, auf welchen Zeitpunkt es seine Beurteilung der Erfolgsaussichten stütze, trifft dies nicht zu. Es hat zutreffend den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife dargelegt (vgl. BA Rn. 22), ohne allerdings ein genaues Datum zu nennen; jedoch sind keinerlei für die Einschätzung der Erfolgsaussichten maßgebliche Gesichtspunkte vorgetragen worden oder sonst erkennbar gewesen, die eine genauere Differenzierung hinsichtlich unterschiedlicher Zeitpunkte erforderlich gemacht hätten. Ebenso ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers und die Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung nicht geprüft hat, da allein aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt werden musste.
Dem Vorbringen, die Erfolgsaussichten hätten erst nach dem Abschluss einer Prüfung im Hauptsacheverfahren verneint werden können und somit bis dahin als offen angesehen werden müssen, ist entgegenzuhalten, dass nach der gesetzlichen Regelung gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine jedenfalls summarische, wenn auch nicht abschließende und die Hauptsache vorwegnehmende, Prüfung der Erfolgsaussichten vorzunehmen ist. Erst wenn sich nach summarischer Prüfung ergibt, dass die Erfolgsaussichten offen sind, sind sie auch „hinreichend“ in diesem Sinn. Das Verwaltungsgericht hat – unter anderem – aufgrund der Schwere der Anlasstat (versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung zum Nachteil seiner früheren Lebensgefährtin, 5 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafe sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt), einer weiterhin bestehenden Gefahr der Begehung weiterer Straftaten (noch nicht ausreichende Zeit der Bewährung in Freiheit nach einer Suchttherapie) und nicht ausreichend gewichtiger Bindungen im Bundesgebiet (Volljährigkeit der Tochter, keine Integration in wirtschaftlicher Hinsicht) die Ausweisung der Klägers zutreffend als aller Voraussicht nach rechtmäßig angesehen. Auch die angeführten Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit des Klägers hat es gewürdigt, aber nicht als durchgreifend angesehen. Die Krebserkrankung des Klägers war dem Gericht nicht bekannt geworden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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