Arbeitsrecht

Keine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der DDR

Aktenzeichen  L 1 RS 3/15

Datum:
29.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 74403
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BerRehaG § 1 Abs. 1 Nr. 4
AAÜG § 1 Abs. 1 S. 1, § 8 Abs. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 Nr. 1
GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die fiktive Einbeziehung in die Altersversorgung der technischen Intelligenz setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG die kumulative Erfüllung der persönlichen, der sachlichen und der betrieblichen Voraussetzungen zum Stichtag 30. Juni 1990 voraus.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Erforderlich ist, dass der Betreffende berechtigt war, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, er die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt hat und dies in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder in einer gleichgestellten Einrichtung erfolgt ist.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Zuerkennung der Vertriebeneneigenschaft hat für die Feststellung einer Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG keine Bedeutung.  (redaktioneller Leitsatz)
4 Personen, die irgendwann einmal vor Schließung der Zusatzversorgungssysteme die damals geltenden Regeln für die Einbeziehung in Zusatzversorgungssysteme erfüllt hatten, tatsächlich aber nie rechtsgültig einbezogen wurden, sind bundesrechtlich ohne Gleichheitsverstoß nicht als Zugehörige der Zusatzversorgung anzusehen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 7 RS 1/15 2015-05-15 GeB SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 15. Mai 2015 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zutreffend abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 28. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Februar 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Hiermit hat die Beklagte zu Recht festgestellt, dass der Kläger bei Inkrafttreten des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) am 1. August 1991 keine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes hatte.
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Regelungsinhalt des Bescheids vom 28. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Februar 2013 ist die zutreffende Feststellung, dass für den Kläger keine Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG als Pflichtbeitragszeiten nach dem AAÜG festzustellen sind, weil dieses Gesetz für ihn nicht anwendbar ist.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 8 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 Nr. 1 AAÜG. Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 AAÜG hat die Beklagte als Versorgungsträger dem Kläger durch Bescheid den Inhalt der Mitteilung nach § 8 Abs. 2 AAÜG bekanntzugeben. Diese Mitteilung hat u. a. die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem sowie das hieraus tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu enthalten. Allerdings hat der Versorgungsträger diese Daten nur festzustellen, wenn das AAÜG anwendbar ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Ob das AAÜG auf den Kläger schon deshalb „schlechterdings“ nicht anwendbar ist, weil er vor dem 18. Mai 1990 seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hatte, ohne in ein Versorgungssystem der DDR einbezogen gewesen zu sein (vgl. BSG, Beschlüsse vom 19. Oktober 2006, B 4 RA 238/05 B, in juris Rn. 7; vom 24. April 2008, B 4 RS 120/07 B; vom 25. April 2008, B 4 RS 25/08 B; Urteil vom 30. Januar 1997, Az. B 4 RA 6/95, in juris), kann dahinstehen.
Denn das AAÜG ist jedenfalls deshalb nicht anwendbar, weil der Kläger am 1. August 1991, also zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG, keine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 AAÜG hatte.
Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG gilt das Gesetz für Versorgungsberechtigungen (Ansprüche oder Anwartschaften), die aufgrund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden haben. War ein Verlust der Versorgungsanwartschaften deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems ihn bei dem Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Anwartschaftsverlust nach § 1 Abs. 1 S. 2 AAÜG als nicht eingetreten. Nach § 1 Abs. 2 AAÜG sind Zusatzversorgungssysteme die in der Anlage 1 zum Gesetz genannten Systeme. Nach deren Ziff. 1 ist hier die gesetzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz maßgeblich.
Der Kläger war nicht Inhaber einer am 1. August 1991 bestehenden Versorgungsanwartschaft. Bis zum Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 war beim Kläger kein Versorgungsfall (Alter/Invalidität) eingetreten. Der Kläger hat auf Nachfrage durch den Senat ausdrücklich erklärt, eine Einzelfallregelung (Versorgungszusage, Einzelvertrag, Einzelfallentscheidung), durch die zu seinen Gunsten zu diesem Zeitpunkt eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden wäre, sei nicht ergangen. Der Senat ist aufgrund der Angaben des Klägers auch davon überzeugt, dass ihm eine frühere Versorgungszusage aus einem nach Art. 19 S. 1 Einigungsvertrag bindend gebliebenen Verwaltungsakt nicht erteilt worden ist. Schließlich ist der Kläger auch nicht durch eine spätere Rehabilitationsentscheidung in das Versorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einbezogen worden. Die Landesdirektion S. hatte einen Rehabilitierungsantrag des Klägers mit Bescheid vom 8. März 2000 bestandskräftig zurückgewiesen. Ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens wurde mit Bescheid der Rehabilitierungsbehörde vom 1. November 2011 zurückgewiesen. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2014 zurückgewiesen. Klage zum Verwaltungsgericht hat der Kläger hiergegen ausweislich seines Schriftsatzes vom 24. Dezember 2014 nicht erhoben. Hierin hat der Kläger geäußert, nie wieder an eine ostdeutschsächsische Administration und auch nicht an Verwaltungsgerichte heranzutreten.
Der Kläger hatte auch nach dem am 1. August 1991 gültigen Bundesrecht und aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen tatsächlichen Umstände aus bundesrechtlicher Sicht keinen Anspruch auf Erteilung einer fiktiven Versorgungszusage im Sinne der vom Bundessozialgericht (BSG) vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nrn. 2, 4, 5, 6, 8).
Die fiktive Einbeziehung in die Altersversorgung der technischen Intelligenz setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG die kumulative Erfüllung der persönlichen, der sachlichen und der betrieblichen Voraussetzungen zum Stichtag 30. Juni 1990 voraus. Erforderlich ist, dass der Betreffende berechtigt war, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, er die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt hat und dies in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder in einer gleichgestellten Einrichtung erfolgt ist (BSG, Urteil vom 9. April 2002, Az. B 4 RA 3/02 R, B 5 RS 2708 R).
Es fehlt hier an der Erfüllung der sachlichen/betrieblichen Voraussetzung, da der Kläger zum Stichtag 30. Juni 1990 nicht mehr als Ingenieur bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder einer gleichgestellten Einrichtung beschäftigt war. Bei der Feststellung, ob am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt worden ist, ist auf das Vorliegen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nach den zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften des DDR- Rechts abzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005, Az. B 4 RA 3/05 R, in juris).
Das letzte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis des Klägers in der ehemaligen DDR mit dem VEB BMK Süd endete zum 25. April 1989, nachdem der Kläger mit Schreiben vom 21. April 1989 um Aufhebung seines Arbeitsrechtsverhältnisses gebeten hatte. Dies steht für den Senat fest aufgrund der Eintragung im Sozialversicherungsausweis des Klägers vom 4. Dezember 1978, wonach das letzte Beschäftigungsverhältnis des Klägers beim VEB BMK Süd zu diesem Zeitpunkt geendet hat. Der Kläger hatte, nachgewiesen durch den Ausweis für Vertriebene und Flüchtlinge C vom 18. Dezember 1990, seit 9. Mai 1989 und damit auch am 30. Juni 1990 seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet (B-Stadt). Eine – vom Kläger im Übrigen auch nicht behauptete – Beschäftigung am 30. Juni 1990 als Ingenieur in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder in einer gleichgestellten Einrichtung im Rahmen eines zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses scheidet damit zur Überzeugung des Senats sicher aus.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger als Vertriebener anerkannt worden ist. Die Zuerkennung der Vertriebeneneigenschaft hat für die Feststellung einer Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG keine Bedeutung. Soweit sich der Kläger darüber beklagt, dass er als Opfer des DDR-Unrechtsystems in seiner Altersversorgung benachteiligt werde, ist er darauf hinzuweisen, dass für derartige Fälle das Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet geschaffen wurde. Insoweit ist jedoch von den zuständigen Behörden bestandskräftig festgestellt worden, dass dem Kläger kein Anspruch zusteht.
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen hat der Senat nicht. Wegen der den gesamten Anwendungsbereich der Norm umfassenden Stichtagsregelung gilt auch im Rahmen des erweiternden Verständnisses des BSG, dass die genannten Voraussetzungen eines Anspruchs auf Einbeziehung in die Zusatzversorgung gerade am 30. Juni 1990 erfüllt sein müssen. Personen, die wie der Kläger irgendwann einmal vor Schließung der Zusatzversorgungssysteme die damals geltenden Regeln für die Einbeziehung in Zusatzversorgungssysteme erfüllt hatten, tatsächlich aber nie rechtsgültig einbezogen wurden, sind bundesrechtlich ohne Gleichheitsverstoß nicht als Zugehörige der Zusatzversorgung anzusehen. Gesetzgebung und Rechtsprechung durften ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich an der zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundenen Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR anknüpfen und waren nicht etwa gehalten, sich hieraus ergebende Ungleichheiten zulasten der heutigen Steuer- und Beitragszahler zu kompensieren (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, Az. B 5 RS 5/09 R; BSG, Urteil vom 8. Juni 2004, Az. B 4 RA 56/03 R, beide Entscheidungen in juris).
Die angefochtenen Bescheide sind damit rechtmäßig.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger auch in der Berufungsinstanz erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


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