Arbeitsrecht

Kostenerinnerung, Erledigungsgebühr

Aktenzeichen  M 3 M 21.1270

Datum:
11.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11095
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 165, § 151
VV-RVG Nr. 1002, 1003
VV-RVG Nr. 3104

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. Dezember 2020 im Verfahren M 3 K 19. … wird geändert.
Die Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses nach Maßgabe dieses Beschlusses wird dem Urkundsbeamten bzw. der Urkundsbeamtin des Gerichts übertragen.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. Dezember 2020, soweit dort eine Erledigungsgebühr als nicht erstattungsfähig angesehen wird.
Das Verfahren M 3 K 19. … wurde durch gerichtlichen Vergleich mit Annahme des mit Beschluss gemäß § 106 Satz 2 VwGO vom 25. August 2020 übermittelten Vergleichsvorschlags beendet. Gemäß der in Ziffer II. des Beschlusses vorgeschlagenen Kostenverteilung trug der Beklagte drei Fünftel und die Klägerin zwei Fünftel der Verfahrenskosten. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren wurde als notwendig anerkannt.
Im Kostenfestsetzungsantrag vom 1. Oktober 2020 beantragten die Bevollmächtigten der Antragstellerin für das Klageverfahren insbesondere die Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG, einer Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV-RVG und einer Einigungsgebühr nach Nr. 1002 f. VV-RVG. Auf entsprechende Anhörung der Urkundsbeamtin vom 16. Oktober 2020 hin nahmen die Bevollmächtigten der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2020 zur Frage der Entstehung einer Erledigungsgebühr Stellung. Eine Erledigungsgebühr sei durch die Mitwirkung der Bevollmächtigten entstanden. Das Gericht habe mit Schreiben vom 4. Mai 2020 die Parteien zur Äußerung zum Schreiben vom 30. April 2020 hinsichtlich des Vergleichs aufgefordert, woraufhin eine aufwändige Abstimmung der Bevollmächtigten mit der Antragstellerin zur Annahme des Vergleichsvorschlags, zu der von den Bevollmächtigten angeraten worden sei, stattgefunden habe. Dieses Bemühen habe, wie sich aus weiteren Schriftsätzen vom 18. Mai 2020, 17. August 2020 und 11. September 2020 und einer weiteren Besprechung mit der Mandantschaft wegen der bislang ungeklärten Zinsfrage ergebe, zum Erfolg geführt.
Der Beklagte hat sich zum Kostenfestsetzungsantrag dahingehend geäußert, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen zur Entstehung der Erledigungsgebühr nicht vorlägen.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. Dezember 2020 setzte die Urkundsbeamtin die Kosten unter Streichung der Erledigungsgebühr fest.
Am 2. März 2021 beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten hiergegen
die Entscheidung des Gerichts.
Wie bereits schriftsätzlich am 19. Oktober 2020 vorgetragen, genüge für den Ansatz der Erledigungsgebühr ein entsprechend intendiertes Einwirken auf die Mandantschaft.
Mit Schriftsatz vom 30. März 2021 führte der Beklagte aus, dass die Eckpunkte des Vergleichs von Anfang an durch das Gericht unterbreitet worden seien. Die Übermittlung dieses Vorschlags an die Mandantschaft und dessen Erläuterung gehöre zum Kern anwaltlicher Tätigkeit. Ein relevanter Beitrag zum Abschluss des Vergleichs sei nicht ersichtlich.
Die Urkundsbeamtin half dem Antrag nicht ab und legte ihn dem Gericht zur Entscheidung vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 3 K 19. … verwiesen.
II.
Die gemäß §§ 165, 151 VwGO zulässige Kostenerinnerung ist begründet. Die Urkundsbeamtin hat im angegriffenen Beschluss vom 10. Dezember 2020 zu Unrecht die Festsetzung einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1003, 1002 VV-RVG abgelehnt. Entsprechend ist auch der Kostenfestsetzungsbeschluss antragsgemäß zu ändern.
Über den Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. Dezember 2020 entscheidet der Berichterstatter gemäß § 66 Abs. 6 GKG, § 87a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 VwGO.
Die Urkundsbeamtin hat in unzutreffender Weise den Ansatz einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1003 i.V.m. Nr. 1002 VV-RVG abgelehnt. Diese Gebühr entsteht dann, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt.
Der Anwendungsbereich der Nr. 1002 VV-RVG ist dem Grunde nach eröffnet, da der zugrundeliegende Rechtsstreit die Anfechtung eines Verwaltungsakts (Bescheid des Beklagten vom 12. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2017) und die Verpflichtung des Beklagten zur Anerkennung weiterer, bisher abgelehnter Einzelpositionen als notwendiger Schulaufwand zum Gegenstand hatte (Riedel/Sußbauer RVG/Schütz, 10. Aufl. 2015, RVG VV 1002 Rn. 7f.). Dieser Rechtsstreit wurde auch im Sinne von Nr. 1002 VV-RVG erledigt, da aufgrund der im Vergleichswege erfolgten Streitbeilegung keine Endentscheidung über die noch offene Hauptsache zu ergehen brauchte.
Dass dies ohne förmliche Änderung des angegriffenen Verwaltungsakts erfolgte, ist unschädlich, da die entsprechenden Rechtswirkungen durch die im Vergleichswege übernommene Verpflichtung des Beklagten, an die Klägerin einen höheren Geldbetrag als bisher zugestanden zur Abgeltung des entstandenen Schulaufwands zu zahlen, teilweise beseitigt worden sind. Gleiches gilt, wenn man auf den Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts abstellt (vgl. Nr. 1002 Satz 2 VV-RVG), da auch insoweit der Vergleich eine entsprechende begünstigende Regelung trifft.
Die Erledigung ist vorliegend auch durch Mitwirkung des Klägerbevollmächtigten erfolgt.
Hintergrund und Rechtfertigung der zur Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV-RVG) hinzutretenden Erledigungsgebühr ist, dass ein Rechtsanwalt, der besondere Mühe darauf verwandt hat, die aus einem Verwaltungsakt folgende Belastung von seinem Mandanten abzuwenden, ohne es auf eine gerichtliche Entscheidung ankommen zu lassen, im Erfolgsfalle dem Mandanten in besonderer Weise genützt hat, weil er ihm die mit einem Prozess verbundene Unsicherheit sowie den Zeit- und Kostenaufwand erspart (vgl. aktuell z.B. BayVGH, B.v. 5.4.2017 – 19 C 15.1844 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Eine Mitwirkung bei der Erledigung i.S.d. Nr. 1002 VV-RVG setzt mithin eine besondere, auf Beilegung des Rechtsstreits ohne gerichtliche Entscheidung gerichtete Tätigkeit des Bevollmächtigten voraus, die zur Erledigung nicht unwesentlich beigetragen hat. Der Bevollmächtigte muss die Erledigung dabei nicht überwiegend oder allein herbeigeführt, sondern lediglich einen nicht ganz unerheblichen oder untauglichen Beitrag dazu geleistet haben. Dies ist dann der Fall, wenn seine Tätigkeit nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass es zu einer streitigen Erledigung des Rechtsstreits gekommen wäre. Dabei muss die anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung in einer besonderen Tätigkeit des Bevollmächtigten liegen, die über die bereits mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG abgegoltene Einlegung und Begründung hinausgeht und auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung gerichtet ist. Eine Tätigkeit eines Bevollmächtigten, die lediglich auf die allgemeine Verfahrensförderung gerichtet ist, reicht hingegen nicht aus (vgl. BayVGH, aaO Rn. 17 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze ist vorliegend eine solche besondere Mitwirkung der Bevollmächtigten der Klägerin bei der Verfahrensbeendigung gegeben.
Allein in der mit Schriftsatz vom 11. September 2020 erfolgten Annahme des mit Gerichtsbeschluss vom 25. August 2020 vorgeschlagenen Vergleichs liegt zwar keine besondere Tätigkeit des Rechtsanwalts, die über die allgemeine Verfahrensförderung hinausginge (vgl. BayVGH, aaO, Rn. 19f.). Umgekehrt ist es aber auch nicht erforderlich für die Entstehung der Erledigungsgebühr, dass der Bevollmächtigte einen eigenen Vorschlag zur Erledigung des Rechtsstreits einbringt.
Zutreffend weisen die Bevollmächtigten der Klägerin jedoch darauf hin, dass die Abstimmung der von der Vorsitzenden Richterin mit Schreiben vom 30. April 2020 übermittelten Eckpunkte eines Vergleichsvorschlags nach § 106 Satz 2 VwGO zwischen der Klägerin und den Klägerbevollmächtigten nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die eingetretene Erledigung des Rechtsstreits entfiele. Bei dieser Tätigkeit, die mitursächlich für die vollständige Erledigung des Rechtsstreits gewesen ist, handelt es sich auch um eine besondere Mitwirkung, die über die allgemeine Mandantenberatung und Verfahrensförderung hinausgeht.
Zwar war maßgeblich für die Erledigung des Rechtsstreits gerade die Initiative des Gerichts, das Verfahren über einen Vergleichsvorschlag nach § 106 Satz 2 VwGO zu erledigen. Aus diesem Grund wurde den Parteien mit Schreiben vom 30. April 2020 eine entsprechende Vorgehensweise vorgeschlagen und diese um Äußerung gebeten, ob eine solche Beilegung des Rechtsstreits im Lichte der näher erläuterten Eckpunkte in Betracht kommt. Ohne entsprechende Bereitschaft der Parteien wäre ein entsprechender Beschluss aber ins Leere gegangen.
Die an dieses Schreiben anknüpfende Abstimmung der vom Gericht übermittelten Eckpunkte zwischen der Klägerin und ihren Bevollmächtigten, im Rahmen derer die Bevollmächtigten der Klägerin die einzelnen offenen Positionen erläutert und insbesondere die abschließende Empfehlung an die Klägerin ausgesprochen haben, der vorgeschlagenen vergleichsweisen Erledigung des Verfahrens zuzustimmen (vgl. Schreiben vom 5.5.2020) ist als eine über die „normale“ Prozessführung hinausgehende Bemühung um eine Erledigung der (gesamten) Rechtssache ohne eine Sachentscheidung anzusehen und löst unabhängig davon, ob Bemühungen von anderer Seite (des Gerichts oder des Prozessgegners) mitursächlich gewesen sind, die Erledigungsgebühr aus (OVG Münster, B.v. 11.1.1999 – 3 E 808/98 – NVwZ-RR 1999, 348; OVG Koblenz, B.v. 18.4.2007 – 8 E 10310/07, BeckRS 2007, 23172; Schütz in Riedel/Sußbauer RVG, 10. Aufl. 2015, RVG VV 1002 Rn. 24; (Mayer in Mayer/Kroiss, RVG, 8. Aufl. 2021, RVG VV 2001 Rn. 19; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, Rn. 52 zu RVG VV 1002).
Ohne dass es nach dem Gesagten noch entscheidungserheblich darauf ankäme, haben im Anschluss an das gerichtliche Schreiben vom 30. April 2020 wohl auch – den Tatbestand der Nr. 1002 VV-RVG auslösende – Telefonate zwischen den Klägerbevollmächtigten und dem Beklagten stattgefunden, ob auf der Basis der vom Gericht dargelegten Eckpunkte eine vergleichsweise Einigung zustande kommen kann (vgl. Schreiben der Beklagtenbevollmächtigten vom 17.7.2020).
Das Gericht überträgt die infolge dieser Entscheidung erforderliche Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses dem Urkundsbeamten bzw. der Urkundsbeamtin gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 573 Abs. 1 Satz 3 und § 572 Abs. 3 ZPO (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.2003 – 1 N 01.1845 – juris Rn. 20).
Der Antragsgegner hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 66 Abs. 8 Satz 1 GKG).


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