Arbeitsrecht

Pflegeversicherung, Sachleistungsaushilfe, Bilaterales Sozialversicherungsabkommen, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Krankenversicherungsträger, Gesetzliche Krankenversicherung, Sozialversicherungsträger

Aktenzeichen  L 4 P 28/18 B PKH

Datum:
17.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 36218
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Jugoslawien
SGB XI § 33
über Soziale Sicherheit Art. 2
Verordnung (EG) 883/2004

 

Leitsatz

1. Dass die Klägerin über ihren Ehemann bei einem Krankenversicherungsträger in Bosnien Herzegowina versichert ist, gibt ihr keinen Anspruch auf Pflegeleistungen gegen die beklagte deutsche Pflegeversicherung, auch nicht im Wege der Sachleistungsaushilfe.
2. Es besteht insoweit kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 26.03.2018 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung hat, insbesondere auf Pflegesachleistungen.
Die 1938 geborene Klägerin und Beschwerdeführerin ist über ihren Ehemann familienversichert in der Krankenversicherung von B:-H. Sie ist kein versicherungspflichtiges Mitglied in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung oder der sozialen Pflegeversicherung. Eine Versicherung gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit bei einem privaten Versicherungsunternehmen besteht nicht.
Mit Bescheid vom 07.07.2015 teilte die Beklagte und Beschwerdegegnerin der Klägerin auf Anfrage mit, dass sie Leistungsaushilfe aufgrund des Versicherungsschutzes der Klägerin in Bosnien-Herzegowina entsprechend dem bilateralen Sozialversicherungsabkommen (SVA) mit Bosnien-Herzegowina erbringe. Dieses Abkommen erfasse Leistungsaushilfe im Bereich der Krankenversicherung, nicht im Bereich der Pflegeversicherung. Ansprüche auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung bestünden daher nicht.
Dagegen wandte sich der Sohn und Betreuer der Klägerin und trug vor, die Klägerin sei kroatische Staatsangehörige. Mit Schreiben vom 22.07.2015 wies die Beklagte den Betreuer darauf hin, dass maßgeblich für den Leistungsanspruch nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der zuständige Träger sei, hier also ein Träger von Bosnien-Herzegowina, einem Abkommensstaat.
In der Folge suchte die Klägerin mit mehreren Anträgen Rechtsschutz im Eilverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg (SG) und dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG). U. a. mit Beschlüssen vom 21.12.2015 (L 2 P 53/15 B ER) und vom 19.08.2016 (L 2 P 45/16 B ER) wies das LSG die Beschwerden gegen die ablehnenden Beschlüsse des SG zurück. Prozesskostenhilfe für die Verfahren wurde abgelehnt.
Mit Schreiben vom 26.04.2016 (Eingang bei der Beklagten) erinnerte der Betreuer der Klägerin die Beklagte an den Erlass eines Bescheides bzw. Widerspruchsbescheides. Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeld behielt er sich ausdrücklich vor. Mit Bescheid vom 28.04.2016 teilte die Beklagte der Klägerin unter Bezugnahme auf die beiden vorausgegangenen Schreiben vom 07.07.2015 und 22.07.2015 mit, dass die Klägerin nicht in der Sozialen Pflegeversicherung versichert sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, wobei sie von einem Widerspruch vom 26.04.2016 gegen den Bescheid vom 07.07.2015 ausging.
Hiergegen hat die Klägerin am 05.08.2016 Klage zum SG erhoben. Gleichzeitig hat sie einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH-Antrag) gestellt. Die Beklagte hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 26.03.2018 hat das SG den PKH-Antrag abgelehnt. Es fehle an der hinreichenden Erfolgsaussicht. Eine rechtliche Grundlage für eine Versicherung der Klägerin in der Sozialen Pflegeversicherung sei nicht erkennbar. Die Klägerin sei nicht gemäß §§ 20, 21, 25 oder 26 SGB XI bei der Beklagten versichert. Insbesondere sei sie weder selbst versicherungspflichtiges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung noch Ehegattin eines solchen Mitglieds (vergleiche dazu die Ausführungen des LSG in seinem Beschluss vom 21.12.2015, L 2 P 53/15 B ER). Dass die Klägerin selbst oder ihr Ehegatte jemals Beiträge zur Pflegeversicherung an die Beklagte entrichtet habe, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Da die Klägerin keine Versicherte der Beklagten sei, habe sie auch keine Leistungsansprüche gegen sie nach § 33 SGB XI.
Dass die Klägerin über ihren Ehemann bei einem Krankenversicherungsträger in Bosnien-Herzegowina versichert sei, gebe ihr keinen Anspruch auf Pflegeleistungen gegen die Beklagte im Wege der Sachleistungsaushilfe. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien-Herzegowina gelte weiterhin das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12.10.1968 i. d. F. des Änderungsabkommens vom 30.09.1974 (vgl. BGBl 1969 II S. 1438 und BGBl. 1975 II S. 390), da bislang nichts Abweichendes zwischen beiden Staaten vereinbart worden sei (vgl. Bekanntmachung vom 16.11.1992 – BGBl. II S. 1196). Dieses Sozialversicherungsabkommen (SVA) beziehe sich nach Artikel 2 auf die deutschen Rechtsvorschriften über
– die Krankenversicherung sowie den Schutz der erwerbstätigen Mütter, soweit es sich um Geld- und Sachleistungen handelt, die der Träger der Krankenversicherung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung zu gewähren hat,
– die Unfallversicherung, aufgelistete Rentenversicherungen und das Kindergeld für Arbeitnehmer.
Die Rechtsvorschriften über die Pflegeversicherung würden nicht vom Anwendungsbereich erfasst; sie unterfielen nicht denen der Krankenversicherung. Das ergebe die Auslegung des Abkommens als völkerrechtlicher Vertrag nach Treu und Glauben, unter Berücksichtigung seines Wortlautes und nach Ziel und Zweck (vgl. zur Auslegung von SVA BSG vom 25.02.2015 – B 3 P 6/13 R – Juris Rn. 23 ff.). Nach dem Willen der Parteien des SVA habe mit dem Begriff „Krankenversicherung“ weder bei der Vereinbarung 1968 noch bei der letzten Änderung 1974 die Pflegeversicherung des SGB XI gemeint sein können. Denn die Pflegeversicherung als neuer, eigenständiger Zweig der Sozialversicherung sei in der Bundesrepublik Deutschland erst durch Gesetz vom 26.05.1994 (BGBl I S. 1014) geschaffen worden. Auch die vorherigen Vorschriften zur häuslichen Pflegehilfe in den §§ 53 ff. SGB V seien erst nach Abschluss der Abkommen mit Gesetz vom 20.12.1988 (BGBl. I 2477) eingeführt worden. Die zuvor in § 185 Abs. 1 RVO besonders ausgestaltete Krankenpflege sei keine den Pflegeleistungen vergleichbare Leistung gewesen (vgl. BSG vom 25.02.2015 – B 3 P 6/13 R – juris, Rn. 24). Das Abkommen könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Pflegeversicherung seit ihrer Einführung in der Bundesrepublik Deutschland mitumfasst wäre. Denn dann hätte eine entsprechende Anpassung des Abkommens durch die Vertragsparteien nahegelegen, zumal das Abkommen die im Einzelnen erfassten Sozialversicherungsbereiche beider Staaten konkret aufzähle und nicht abstrakt beschreibe. Außerdem würden im SVA im Wesentlichen Rechtsvorschriften erfasst, bei denen ein gegenseitiger Export von Leistungen möglich sei, was bei Pflegesachleistungen entsprechende Versorgungsstrukturen voraussetze.
Soweit die Klägerin vortrage, sie sei kroatische Staatsangehörige, begründe das keinen Anspruch auf Pflegesachleistungen gegen die Beklagte, auch nicht im Wege der Sachleistungsaushilfe nach EG-Verordnung Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004. Ansprüche auf Geldleistungen gegen einen kroatischen Sozialversicherungsträger könnte die Klägerin gemäß Art. 21 der genannten Verordnung gegen den kroatischen Träger geltend machen. Dass die Klägerin oder ihr Ehemann gegenüber einem kroatischen Sozialversicherungsträger Anspruch auf Pflegesachleistungen haben könnten, sei weder vorgetragen noch ersichtlich, so dass ein Anspruch auf Sachleistungsaushilfe eines deutschen Trägers für Rechnung des kroatischen Trägers gemäß Art. 17 oder 24 VO Nr. 883/2004 nicht in Betracht komme.
Gegen den am 28.03.2018 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 25.04.2018 Beschwerde zum LSG eingelegt. Das SG habe Moral, Persönlichkeitsrechte, Menschenwürde, Ehre und Rechtsgehör verletzt. Außerdem fehle es dem Beschluss an einer richterlichen Unterschrift.
Die Beklagte ist der Beschwerde entgegengetreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft; die Ausschlussvorschrift des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG greift nicht ein. Die Beschwerde wurde auch form- und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG).
Die Beschwerde ist aber unbegründet; die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH liegen nicht vor. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 114 ZPO dem aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen. Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 29.09.2004 – 1 BvR 1281/04, vom 14.04.2003 – 1 BvR 1998/02 und vom 12.01.1993 – 2 BvR 1584/92).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das SG die für die Bewilligung von PKH erforderliche Erfolgsaussicht zu Recht verneint.
Der Senat weist die Beschwerde aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses zurück, so dass eine weitere Begründung nicht erforderlich ist (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Der Senat schließt sich damit – ebenso wie das SG – der Auffassung des 2. Senats des Bayer. LSG an, die dieser in dem Beschluss vom 21.12.2015 (L 2 P 53/15 B ER) vertreten hat. Dieser Beschluss ist den Beteiligten bekannt.
Anhaltspunkte dafür, dass sich an der Sach- und Rechtslage etwas geändert hätte, liegen nicht vor. Insbesondere hat eine Internet-Recherche des Senats auf der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ergeben, dass neue Sozialversicherungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien und Herzegowina nicht geschlossen wurden (Übersicht Zweiseitige Sozialversicherungsabkommen, Stand 01.11.2018; im Internet abrufbar unter www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/zweiseitige-abkommen.pdf? blob=publicationFile& v=8).
Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.


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