Arbeitsrecht

Prozesskostenhilfe, Beiordnung, Bewilligung, Vergleich, Erinnerung, Vergleichsmehrwert, Streitwert, Beschwerde, Gegenstandswert, Festsetzung, Verfahren, Zeitpunkt, Schriftsatz, Prozesskostenhilfeverfahren, Bewilligung Prozesskostenhilfe, Antrag auf Prozesskostenhilfe, sofortigen Beschwerde

Aktenzeichen  30 Ca 1954/21

Datum:
28.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49646
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Die Erinnerung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 01.10.2021 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Mit Schriftsatz vom 26.02.2021, beim Arbeitsgericht München am selben Tag eingegangen, erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage bezüglich einer Kündigung vom 15.02.2021.
Gleichzeitig beantragte die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte Prozesskostenhilfe unter deren Beiordnung. Zudem führte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Schriftsatz vom 26.02.2021 aus: „Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe wird auf einen etwaigen im Verlauf des Verfahrens abgeschlossenen Vergleich erstreckt“. Mit Beschluss vom 30.03.2021 wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin bewilligt. Im Termin zur Güteverhandlung am 04.05.2021 kam keine gütliche Einigung zustande, es wurde ein Auflagenbeschluss verkündet. Unter dem 28.06.2021 erging ein Beschluss nach § 278 Abs. 6 Alt. 1 ZPO. Mit Beschluss vom 29.07.2021 wurde der Streitwert für das Verfahren auf 6.367,44 € und der Gegenstandswert für den Vergleich auf 9.468,52 € festgesetzt. Mit Schriftsatz vom 09.08.2021 beantragte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Festsetzung der Gebühren und Auslagen in Höhe von 1.734,41 € im Rahmen ihrer Beiordnung. Dieser Betrag beinhaltet eine 1,2 Terminsgebühr aus dem Vergleichswert und eine 1,5 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert.
Mit Beschluss vom 01.10.2021 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die der Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 1.485,58 € fest. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle führt in ihrem Beschluss vom 01.10.2021 u.a. aus, dass die geltend gemachte 1,2 Terminsgebühr nur aus einem Streitwert in Höhe von 6.367,44 € festgesetzt werden könne, da ein über 6.367,44 € hinausgehender Streit zwischen den Parteien nicht anhängig gewesen sei. Eine 1,5 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert könne nicht festgesetzt werden. Vielmehr sei nach ständiger Rechtsprechung des LAG München nur eine 1,0 Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VVRVG aus dem Vergleichswert entstanden.
Gegen den Beschluss vom 01.10.2021 legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 06.10.2021 Erinnerung ein. Die im Beschluss vom 01.10.2021 vorgenommenen Reduzierungen seien fehlerhaft. Vorliegend finde das RVG in der neuen Fassung Anwendung. Dort sei in § 48 Abs. 1 ausdrücklich und unabhängig von der Verfahrensart geregelt, dass bei einer Erstreckung der Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 des Vergütungsverzeichnisses alle entstandenen gesetzlichen Gebühren und Auslagen von der Staatskasse zu tragen seien. Damit sei der Meinungsstreit entschieden, ob bei einem Vergleich in einem gerichtlichen Verfahren auch über nicht anhängige Gegenstände eine 1,5 oder lediglich eine 1,0 Einigungsgebühr aus dem Mehrwert anfalle. Künftig könne in diesen Fällen die höhere 1,5 Einigungsgebühr angesetzt werden.
Die Prozesskostenhilfe umfasse auch die mitverglichenen, nicht rechtshängigen Ansprüche. Bereits im in der Klageschrift gestellten Prozesskostenhilfeantrag habe die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf einen etwaig im Verlauf des Verfahrens geschlossenen Vergleich zu erstrecken.
Der Erinnerung hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht abgeholfen. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss vom 15.10.2021 verwiesen.
II.
Die Erinnerung war zurückzuweisen. Sie ist unbegründet.
1. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung einer 1,2 Terminsgebühr aus einem Wert in Höhe von 6.367,44 €, weil ein über 6.367,44 € hinausgehender Streit zwischen den Parteien nicht rechtshängig war, Nr. 3104 Abs. 3 VV-RVG. Die Regelung der Nr. 3104 Abs. 3 VV-RVG bestimmt, dass eine Terminsgebühr nicht entsteht, soweit lediglich beantragt ist, eine Einigung der Parteien oder mit Dritten über nicht rechtshängige Ansprüche zu Protokoll zu nehmen. Dies schließt eine Terminsgebühr bei Einbeziehung nicht rechtshängiger Ansprüche gerade ausdrücklich aus.
Zwar hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin bereits mit der Klageschrift die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Vergleich beantragt. Dieser pauschal gestellte Antrag konkretisiert sich jedoch erst mit der Vorlage des tatsächlich beabsichtigten Vergleichs. Erst dann kann das Gericht über den Antrag auf Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Vergleich entscheiden. Die Bewilligung wirkt daher allenfalls auf diesen Zeitpunkt zurück. Zu diesem Zeitpunkt stand jedoch der Vergleich bereits zwischen den Parteien fest. Weitere, eine Terminsgebühr auslösende Tätigkeiten fanden jedoch ab diesem Zeitpunkt nicht mehr statt, sodass die Terminsgebühr nur aus dem Gegenstandswert des Verfahrens erstattungsfähig ist.
2. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat keinen Anspruch auf eine 1,5 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert. Unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des LAG München (vgl. nur Beschluss des LAG München vom 02.06.2020, Az.: 6 Ta 142/20; zuletzt Beschluss des LAG München vom 03.02.2021, Az.: 6 Ta 296/20) ist nur eine 1,0 Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV-RVG entstanden. Nach Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 VV-RVG entsteht nur eine 1,0 Gebühr nach Nr. 1000 bis 1002 VV-RVG, wenn ein Verfahren über Prozesskostenhilfe anhängig ist, soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für eine selbständiges Beweisverfahren oder die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird oder sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 3 RVG). Hieraus folgert das Landesarbeitsgericht München, hinsichtlich der im Vergleich miterledigten Streitgegenstände sei bereits dann ein „anderes gerichtliches Verfahren als ein selbständiges Beweisverfahren“ anhängig, wenn ein beim Gericht eingeleitetes Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe lediglich die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf einen Vergleichsmehrwert betreffe, der Vergleich aber noch nicht abgesprochen, sondern allein vorbesprochen war, also das Gericht noch am Zustandekommen des Vergleichs und seiner Formulierung hatte mitwirken müssen.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 26.02.2021 ausdrücklich die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf die Protokollierung des Vergleichs beantragt. Dem hat das Gericht mit Verfügung vom 23.09.2021 entsprochen. Damit war ein Prozesskostenhilfeverfahren anhängig, das nicht nur in die Protokollierung eines Vergleiches hatte münden sollen.
Nach Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG löst bereits der Antrag, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsabschluss zu erstrecken, eine Einigungsgebühr von 1,0 aus. Die Einigungsgebühr von 1,5 ist damit ausgeschlossen. Die Erhöhung der Vergleichsgebühr von 1,0 auf 1,5 soll nach dem Gesetzeswortlaut von Nr. 1000 VV-RVG das anwaltliche Bestreben, Streitigkeiten möglichst ohne Anrufung des Gerichts beizulegen, fördern und belohnen. Eine Anrufung des Gerichts erfolgt gemäß der Anmerkung Nr. 1003 VV-RVG auch dann, wenn – wie hier – ein Verfahren über die (Erstreckung der) Prozesskostenhilfe anhängig gemacht wird. Auch in den Fällen der begehrten Prozesskostenhilfe im laufenden Verfahren für eine vergleichsweise Regelung zuvor nicht förmlich gestellter Anträge, wird das Gericht in Anspruch genommen. Dieses ist insoweit kein bloßes „Beurkundungsorgan“. Das Gericht hat zumindest die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers nochmals im Hinblick auf möglicherweise zwischenzeitlich eingetretene Änderungen zu überprüfen.
Auch hat es zu prüfen, ob die Einbeziehung der außerhalb des Rechtstreits liegenden Gegenstände in die vergleichsweise Regelung mutwillig im Sinne des § 114 ZPO erscheint. Die für die höhere Gebühr nach Nr. 1000 VV-RVG maßgebliche Überlegung, das Gericht werde durch die miterledigten Ansprüche nicht belastet, trifft in einem solchen Fall nicht zu.
III.
Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben, soweit der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € überschreitet, § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben