Arbeitsrecht

Prozesskostenhilfe, Beschwerde, Kostenfestsetzungsverfahren, Beiordnung, Arbeitsleistung, Vergleichsmehrwert, Erinnerung, Vergleich, Prozesskostenhilfebewilligung, Antragstellung, Verfahren, Gegenstandswert, Feststellung, Fortzahlung, vergleichsweise Einigung

Aktenzeichen  6 Ta 261/21

Datum:
16.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 52196
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

1 Ca 717/21 2021-10-28 Bes ARBGROSENHEIM ArbG Rosenheim

Tenor

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 28. Oktober 2021 – 1 Ca 717/21 unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert:
Die der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung wird auf € 1.167,43 festgesetzt.

Gründe

1. Die Beteiligten streiten im Kostenfestsetzungsverfahren über die Höhe der der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung.
Die Klagepartei hat, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, mit Klage vom 2. Juli 2021, unter gleichzeitiger Beantragung von Prozesskostenhilfe mit einem gesonderten Schriftsatz vom selben Tag (Bl. 1 ff. d. PKH-Heftes), beim Arbeitsgericht Rosenheim die Zahlung von Ausbildungsvergütung und die Erteilung von Abrechnungen gegen den Beklagten geltend gemacht.
Mit Beschluss vom 27. Juli 2021 (Bl. 22 ff. d. A.) hat das Arbeitsgericht nachfolgenden Vergleich festgestellt:
„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen beste hende Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen zur Vermeidung einer ansonsten erfolgenden Arbeitgeberkündigung, mit Ablauf des 31.07.2021 sein Ende finden wird.
2. Die Beklagte stellt die Klägerin ab sofort unwiderruflich von der Ar beitsleistung, unter Einbringung offenen Urlaubs und von Überstunden- und Gleitzeitguthaben sowie unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung in Höhe von € 713,00 brutto sowie ordnungsgemäßer Anmeldung bei den Sozialversicherungsträgern und Abführung der entsprechenden Beiträge, von der Arbeitsleistung frei. Bis zum Beendigungstermin erhält die Klägerin die geschuldete Vergütung abgerechnet und ausgezahlt, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind. Insbesondere erhält die Klägerin auch für die Monate Mai 2021 sowie Juni 2021 ihre monatlichen Bezüge in Höhe von € 713,00 brutto.
3. Die Beklagte verpflichtet sich die Lohnabrechnungen für die Monate Mai 2021, Juni 2021 und Juli 2021 entsprechend diesem Vergleich zu erstellen und der Klägerin zu übermitteln.
4. Der Urlaub sowie etwaige Freizeitguthaben wurden in natura ge währt. Diesbezügliche Abgeltungsansprüche bestehen nicht.
5. Die Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin zum Beendigungszeit punkt ein qualifiziertes Arbeitszeugnis auf dem Original-Firmenbogen, ungeknickt, ungeheftet und ungefaltet, mit der Gesamtbewertung „stets zur vollen Zufriedenheit“ sowie einer entsprechenden Begründung im Verhaltens- und Leistungsbereich, die diese Gesamtbewertung trägt, zu erteilen. In dem Zeugnis sind sämtliche Tätigkeiten der Klägerin, die sie ausgeführt hat, ausführlich zu beschreiben. Die Beklagte verpflichtet sich, die Schlussformel wie folgt zu formulieren: „Das Ausbildungsverhältnis von Frau A. endet auf ihren eigenen Wunsch. Wir bedauern ihr Ausscheiden, da wir eine wertvolle Mitarbeiterin verlieren, und danken ihr für Ihre erfolgreiche Tätigkeit in unserem Unternehmen. Für die Zukunft wünschen wir ihr weiterhin viel Erfolg und persönlich alles Gute.
Die Beklagte verpflichtet sich, Auskünfte an Dritte nur auf Basis des Arbeitszeugnisses zu erteilen.
6. Die Beklagte wird die Arbeitspapiere, vor allem bestehend aus dem Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2021 und der Meldebescheinigung zur Sozialversicherung, sowie die Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III, entsprechend diesem Vergleich ausfüllen und dann an die Wohnadresse der Klägerin versenden.
7. Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind, vorbehaltlich der in dieser Vereinbarung bezeichneten Ansprüche, alle gegenseitigen finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung – gleich aus welchem Rechtsgrund, gleich ob bekannt oder unbekannt – gegeneinander abgegolten und erledigt. Hiervon ausgenommen sind unverzichtbare Ansprüche.“
Mit Beschluss vom 29. Juli 2021 (Bl. 35 f. d. PKH-Heftes) hat das Arbeitsgericht der Klagepartei ratenfreie Prozesskostenhilfe ab Antragstellung („14. Juli 2021“) für die Klageanträge und den Vergleichsabschluss unter Beiordnung von Rechtsanwältin D. bewilligt und sich eine nachfolgende Anpassung der Ratenanordnung vorbehalten.
Mit weiterem Beschluss vom 29. Juli 2021 hat das Arbeitsgericht auf Antrag der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei den Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit auf € 1.568,60 und für den Vergleichsmehrwert auf weitere € 3.752,00, insgesamt also auf € 5.320,60 festgesetzt (Bl. 30 ff. d. A.).
Die Prozessbevollmächtigte der Klagepartei hat mit Antrag vom 14. September 2021 (Bl. I f. d. Kostenheftes) die Festsetzung ihrer Vergütung aus der Staatskasse in Höhe von € 1372,37 begehrt. Dabei hat sie eine 1,2 Terminsgebühr sowie eine 1,5 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert angesetzt. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts hat mit Beschluss vom 16. September 2021 (Bl. III ff. d. Kostenheftes) die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf € 1.012,63 festgesetzt, wobei er unter anderem vom Ansatz nur einer 1,0 Einigungsgebühr aus dem Vergleichswert ausgegangen war. Eine Terminsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert war nach Nr. 3104 VV-RVG nicht angesetzt worden, da die Parteien zwar über die mit Erledigung weiterer Streitgegenstände verhandelt haben mochten, doch wirke die Erstreckung auf den Mehrvergleich nur auf den ursprünglichen Antrag zurück. Zu diesem Zeitpunkt habe der Mehrvergleich zwischen den Parteien jedoch bereits festgestanden.
Gegen diesen Beschluss hat die Prozessbevollmächtigte der Klagepartei mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2021 (Bl. IX ff. d. Kostenheftes) Erinnerung eingelegt. Dieser hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit Beschluss vom 27. Oktober 2021 (Bl. XII ff. d. Kostenheftes) nicht abgeholfen und die Angelegenheit dem Vorsitzenden der Kammer vorgelegt, der der Erinnerung mit Beschluss vom 28. Oktober 2021 (Bl. XV ff. d. Kostenheftes) ebenso wenig abgeholfen hat.
Gegen diesen Beschluss hat die Prozessbevollmächtigte der Klagepartei mit Schriftsatz vom 16. November 2021 (Bl. XXII ff. d. Kostenheftes) sofortige Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, sie habe Anspruch auf eine 1,2 Terminsgebühr, da Nr. 3104 VV-RVG diese aus dem Gesamtstreitwert in Höhe von Euro 5.320,60 zu berechnen sei. Es hätten außergerichtliche Vergleichsverhandlungen hinsichtlich der nicht anhängigen Ansprüche stattgefunden. Nach Vorbemerkung 3 Nr. 3 Satz 2 VV-RVG entsteht die Terminsgebühr sowohl für die Wahrnehmung gerichtlicher Termine als auch für die Mitwirkung an Besprechungen, die auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtet seien. Nachdem seit 1. Januar 2021 geänderten § 48 Abs. 1 RVG seien alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen, die durch die Tätigkeit eines beigeordneten Rechtsanwaltes entstünden und zur Herbeiführung einer Einigung erforderlich seien, zu erstatten, sofern die Beiordnung oder Bewilligung der Prozesskostenhilfe sich auf den Abschluss eines Vertrages im Sinne der Nr. 1000 VV-RVG erstrecke. Gleiches gelte für die Einigungsgebühr, die als 1,5 Gebühr nach Nr. 1000 VV-RVG aus dem Vergleichsmehrwert zu berechnen sei.
Der Kammervorsitzende hat der Beschwerde mit Beschluss vom 18. November 2021 (Bl. XXVI ff. d. Kostenheftes) nicht abgeholfen und die Beschwerde dem Landesarbeitsgericht vorgelegt.
Die statthafte Beschwerde hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig (§ 56 Abs. 2, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Sie ist formund fristgerecht eingereicht. Der Beschwerdewert ist überschritten.
2. Die Beschwerde hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
Das Arbeitsgericht hat die Erinnerung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei gegen den Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 16. Mai 2021 zu Recht mit Beschluss vom 28. Oktober 2021 (in der Sache) zurückgewiesen, soweit diese eine 1,5- Einigungsgebühr begehrt. Eine solche steht ihr aus dem überschießenden Vergleichswert nicht zu, weswegen zu Recht nur eine 1,0-Einigungsgebühr aus dem Mehrwert des Vergleiches festgesetzt worden war. Allerdings kann sie eine 1,2-Terminsgebühr verlangen, da sie die mit verglichenen Gegenstände, wenn auch außerhalb eines gerichtlichen Termines, mit der Gegenseite verhandelt hatte.
a. Das Beschwerdegericht kann über die Beschwerde gegen den Beschluss vom 28. Oktober 2021 entscheiden, obschon das Arbeitsgericht die Erinnerung nicht zurückgewiesen, sondern dieser – wie schon vorher der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle – lediglich nicht abgeholfen hatte. Der Sache nach handelt es sich bei der „Nichtabhilfeentscheidung“ um eine Zurückweisung der Erinnerung. Dies folgt zur Überzeugung des Beschwerdegerichts aus der Begründung des Beschlusses, in dem insbesondere auch auf die Nichtabhilfeentscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 16. September 2021 Bezug genommen wird.
b. Die Prozessbevollmächtigte der Klagepartei kann nur eine 1,0 Einigungsgebühr nach Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 VV-RVG n.F., die vorliegend auf das Verfahren Anwendung findet (§ 60 Abs. 1 RVG), verlangen; nach dieser Regelung entsteht nur eine 1,0-Gebühr anstelle der Gebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 VV-RVG sowie anstelle der Gebühren nach Nrn. 1001 und 1002 VV-RVG.
aa. Nach Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 VV-RVG n.F. entsteht nur eine 1,0 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert nach Nr. 1000 Nr. 1 VV-RVG und Nrn. 1001 bis 1002 VVRVG, „., wenn ein Verfahren über Prozesskostenhilfe anhängig ist, soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren oder die gerichtliche Protokollierung des Vergleiches beantragt wird oder sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 1, 3 RVG). …“
Entgegen teilweise vertretener Ansicht zur alten Fassung der Nr. 1003 VV-RVG (LAG Düsseldorf v. 25. 9. 2014 – 5 Sa 273/14, NZA-RR 2015, 48; eb. LAG Baden-Württemberg v. 27. 4. 2016 – 5 Ta 118/15, AGS 2016, 323; in diese Richtung auch, wenngleich mit abweichender Begründung: LAG Hamm v. 16. 9. 2015 – 6 Ta 419/15, AGS 2016, 133; LAG Nürnberg v. 26. 7. 2021 – 3 Ta 68/21, juris; LAG Rheinland-Pfalz v. 8. 1. 2020 – 7 Ta 182/19, AE 2020, 134; dagegen u.a. LAG München v. 7. 3. 2016 – 6 Ta 283/15 n.v.; LAG München v. 2. 11. 2016 – 6 Ta 287/16, NZA.-RR 2017, 272; LAG München v. 19. 6. 2017 – 6 Ta 123/17 und 6 Ta 167/17, n.v.; LAG München v. 29. 8. 2018 – 6 Ta 133/18 n.v.; LAG München v. 24. 11. 2021 – 6 Ta 182/21, n.v.; LAG München 28. Nov. 2021 – 6 Ta 240/21; zum Streitstand: Mayer/Kroiss/Klees, RVG, 8. Aufl., RVG-VV Nr. 1000 Rz. 21), ist an dieser Rechtsansicht auch unter Geltung der neuen Rechtslage festzuhalten. Selbst wenn vor Gericht ein Vergleich abgeschlossen oder das Gericht um Feststellung eines vor dem ersten Termin vereinbarten Vergleichs gebeten wird, handelt es sich auch nach der nunmehrigen Neufassung von Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG jedenfalls bei einer mit der Klageerhebung beantragten und gewährten Prozesskostenhilfe nicht um eine Prozesskostenhilfebewilligung zur Protokollierung eines Vergleiches. Die Prozesskostenhilfe war für das gesamten gerichtliche Verfahren beantragt und auch bewilligt worden, selbst wenn die Entscheidung erst nach Abschluss des Vergleiches erfolgt. Damit war aber auch keine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zum Abschluss eines Vertrages nach Nr. 1000 VV-RVG i. S. v. Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG n.F. zustande gekommen. Denn auch die erst nach Vergleichsschluss bewilligte Prozesskostenhilfe will den Prozessbevollmächtigten der Partei nicht allein zum Vergleichsschluss, also zum Abschluss eines Vertrages nach Nr. 1000 VV-RVG beiordnen, sondern diese soll das gesamte Verfahren ab Klageerhebung bzw. ab Antragstellung abdecken. Dies hat auch dann zu gelten, wenn ein beim Gericht eingeleitetes Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe lediglich die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf einen Vergleichsmehrwert betrifft, der Vergleich aber noch nicht abgesprochen, sondern allein vorbesprochen war, also das Gericht noch an seinem Zustandekommen und seiner Formulierung mitwirken muss (eb. [zur alten Fassung von Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG] LAG Baden-Württemberg v. 7. 9. 2010 – 5 Ta 132/10, juris; LAG Hamm v. 31. 8. 2007 – 6 Ta 402/07, NZA-RR 2007, 601; LAG Hessen v. 15. 2. 1999 – 9 Ta 12/99, NZA-RR 1999, 380; LAG Nürnberg v. 25. 6. 2009 – 4 Ta 61/09, NZA-RR 2009, 556; LAG Nürnberg v. 2. 11. 2018 – 5 Ta 104/18, JurBüro 2019, 191; LAG Rheinland-Pfalz v. 16. 12. 2010 – 6 Ta 237/10, RPfleger 2011, 403; vgl. i. d. S. auch Toussaint/Uhl, KostR, 51. Aufl. VVRVG 1003 Rz. 11 (Prozesskostenhilfeverfahren, Unanwendbarkeit“)).
bb. Die Parteien hatten vorliegend den prozessbeendenden Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO feststellen lassen. Ob und inwieweit eine Mitwirkung des Arbeitsgerichts am Zustandekommen und dem Inhalt des Vergleiches stattgefunden hatte, ist danach nicht zu beantworten; aus dem Akteninhalt ergeben sich keine Hinweise. Doch war noch eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag sowie dessen Erstreckung auf den Mehrvergleich zu entscheiden gewesen, weswegen Nr. 1003 Nr. 1 VV-RVG – entgegen der Annahme des Beschwerdeführers – auch in der Neufassung eine 1,5 Einigungsgebühr ausschließt, da gerade keine Beiordnung (lediglich) zum Abschluss eines Vertrages nach Nr. 1000 VVRVG erfolgt war, sondern für das gesamte gerichtliche Verfahren. Prozesskostenhilfe war mit der Klageerhebung beantragt worden. Es sind keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen oder zu erkennen, dass zum damaligen Zeitpunkt nur der Abschluss eines Vertrages/Vergleiches bereits im Raum gestanden wäre.
Eine Erhöhung der Einigungsgebühr von 1,0 auf 1,5 rechtfertigt sich auch nicht nach dem Gesetzeszweck von Nr. 1000 VV-RVG zur Förderung und Belohnung der Beilegung von Streitigkeiten ohne Anrufung des Gerichts (so LAG Düsseldorf v. 25. 9. 2014 – 5 Sa 273/14, NZA-RR 2015, 48; LAG Düsseldorf v. 13. 10. 2014 – 13 Ta 342/14, NZA-RR 2015, 73; eb. LAG Baden-Württemberg v. 27. 4. 2016 – 5 Ta 118/15, AGS 2016, 323; LAG BerlinBrandenburg v. 16. 4. 2018 – 17 Ta (Kost) 6133/17, BeckRS 2018, 8983; ähnlich, aber mit abweichender Begründung: LAG Hamm v.16. 9. 2015 – 6 Ta 419/15, AGS 2016, 133)
Nach Nr. 1003 VV-RVG erfolgt auch dann eine Anrufung des Gerichts, wenn – wie hier – ein Verfahren über die (Erstreckung der) Prozesskostenhilfe anhängig gemacht wird; ob die mitverglichenen Gegenstände jemals isoliert gerichtlich geltend gemacht geworden wären, ist unerheblich. Damit ist das Gericht kein bloßes „Beurkundungsorgan“ mehr (vgl. dazu LAG München v. 9. 12. 2021 – 6 Ta 259/21). Es stellt keine Erschwerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung einer bedürftigen Partei dar, wenn ihr Prozessvertreter nur eine 1,0-Einigungsgebühr für den Vergleichsmehrwert erhält (a.M. LAG Berlin-Brandenburg v. 16. 4. 2018 – 17 Ta (Kost) 6133/17, BeckRS 2018, 8983). Auch wenn sich die bedürftige Partei zumeist die höheren Gebühren nicht aus „eigener Tasche“ leisten können wird, so muss sie dies nach der hier vertretenen Ansicht auch nicht. Die Aussage, die Miterledigung nicht rechtshängiger Gegenstände werde, erhalte der Rechtsanwalt nur eine 1,0-Einigungsgebühr, bei einer bedürftigen Partei nicht in gleicher Weise erfolgen wie bei einer nicht bedürftigen, stellt eine durch nichts belegte Aussage dar (vgl. LAG München v. 9. 12. 2021, a. a. O.).
c. Schließlich ändert auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes v. 17. 1. 2018 (a. a.O.) sowie die Formulierung von § 48 RVG n.F. nichts an Vorstehendem. Zwar soll der gegen die Staatskasse gerichtete Vergütungsanspruch eines beigeordneten Rechtsanwalts nach §§ 45 Abs. 1, 48 Abs. 1 RVG grundsätzlich sämtliche anwaltlichen Gebühren, die aufgrund der Tätigkeit des beigeordneten Rechtsanwalts in dem erfassten Verfahrensabschnitt anfallen, erfassen.
Der Bundesgerichtshof erkennt keine auf bestimmte Gebührentatbestände beschränkte Bewilligung der Prozesskostenhilfe und der Rechtsanwaltsbeiordnung an. Die gesetzliche Vergütung des Rechtsanwalts für die Mitwirkung an einem (Mehr-)Vergleich soll sich nicht in der Einigungsgebühr aus dem erhöhten Vergleichswert erschöpfen, sondern sich auch auf die Differenzverfahrens- und -terminsgebühr erstrecken. Daraus folgt jedoch allein, dass die Rechtsanwälte, welche eine unbemittelte Partei, der Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, vertreten, dieselben Ansprüche (Terminsgebühr, Einigungsgebühr auch aus einem Vergleichsmehrwert) wie die Prozessbevollmächtigten einer bemittelten Partei beanspruchen können. Auch hier steht der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei eine Einigungsgebühr aus dem Mehrvergleich zu. Die Frage, wie hoch diese Gebühren sein müssen, ist nicht in Richtung einer 1,5 Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert zu beantworten. Zwar mag der Hinweis des Bundesgerichtshofes in der Entscheidung vom 17.01.2018 (a. a. O., Rz. 20) auf eine angenommene Gewährung einer 1,5 Einigungsgebühr hindeuten; dies ließe aber die gesetzliche Regelung in Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG außer Acht. Eine solche Folge ist auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz geboten (a.M. LAG Rheinland-Pfalz v. 8. 1. 2020 – 7 Ta 182/19, AE 2020, 134; vgl. aber LAG München v. 9.12.2021, a. a. O.)
Die Neufassung von § 48 RVG gebietet ebenso kein anderes Ergebnis. Auch danach ist Nr. 1003 VV-RVG weiter als Voraussetzung der gesetzlichen Gebührenhöhe zu beachten, die in Fällen – wie hier, da eine Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Mehrvergleich noch geboten war – eine Gebühr von lediglich 1,0 vorsieht.
d. Allerdings kann die Prozessbevollmächtigte der Klagepartei eine 1,2 Terminsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert verlangen. Ein Anspruch darauf ist weder durch die fehlende Rechtshängigkeit der mitverglichenen Gegenstände noch durch das nicht erfolgte Stattfinden eines Gerichtstermines ausgeschlossen. Ebenso wenig steht die erst zeitlich nach dem Feststehen des festzustellenden Vergleiches erfolgte Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Mehrvergleich der Gewährung einer 1,2 Terminsgebühr entgegen.
aa. Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV-RVG erhält ein Prozessvertreter eine 1,2-Terminsgebühr, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, einvernehmlich zwischen den Parteien, nach § 307 ZPO bzw. § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, gleichgültig, ob mit oder ohne Mitwirkung des Gerichts ein Vertrag im Sinne der Nr. 1000 VV-RVG zustande kommt oder eine Erledigung der Rechtssache nach Nr. 1002 VV-RVG erfolgt.
Vorstehende Voraussetzungen sind hier gegeben. für das arbeitsgerichtliche Verfahren ist eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben. Die Ausnahmevorschrift des §§ 128 Abs. 2 ZPO findet im Verfahren vor den Arbeitsgerichten keine Anwendung. Dennoch haben die Parteien außergerichtlich und außerhalb einer mündlichen Verhandlung eine vergleichsweise Einigung erzielt, die nach § 278 Abs. 6 ZPO vom Arbeitsgericht festgestellt worden war.
Die Terminsgebühr entsteht nicht nur für die Vertretung vor dem Gericht, sondern auch nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG bei Wahrnehmung außergerichtlicher Termine und Besprechungen (vgl. BAG v. 20. 6. 2006 – 3 AZB 78/05, NZA 2006, 3022).
bb. Die Terminsgebühr ist auch nicht durch Nr. 3104 Abs. 3 VV-RVG ausgeschlossen. Zwar haben die Parteien die Protokollierung eines Vergleiches, beinhaltend auch nicht rechtshängige Ansprüche, beantragt. Allerdings erfasst vorstehende Regelung allein den Fall, dass nicht rechtshängige Ansprüche in einem Vergleich protokolliert werden sollen (vgl. Toussaint/Toussaint, a.a.O., VV-RVG Nr. 3104 Rz. 47). Toussaint (a. a. O.) weist zutreffend darauf hin, dass im Umkehrschluss eine Miterörterung statt einer bloßen Protokollierung auch beim gar nicht anhängigen Anspruch zu vergüten sei (vgl. auch BGH v. 17. 1. 2018 – XII ZB 248/16, NJW 2018, 1679 Rz.11 ff.; OLG D-Stadt v. 15. 5. 2006 – 11 W 1334, 1336/06, AnwBl 2006, 587).
Die gegenteilige Auffassung des erkennenden Gerichts (zuletzt Beschluss vom 19. 6. 2017 – 6 Ta 123/17) bleibt nicht mehr aufrechterhalten.
cc. Vorliegend haben die Parteien einen Vergleich gemäß § 278 Abs. 6 ZPO vom Gericht feststellen lassen, der die rechtshängigen, wie auch nicht rechtshängige Gegenstände beinhaltet. Sohin fällt nach den vorstehenden Ausführungen eine 1,2-Terminsgebühr an, die auch nicht durch Nr. 3104 Abs. 3 VV-RVG ausgeschlossen ist.
3. Die Entscheidung ergeht kostenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2, 3 RVG) und ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).


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