Arbeitsrecht

Rechtmäßiger Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid von überzahlten Versorgungsbezügen

Aktenzeichen  Au 2 K 15.1867

Datum:
17.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SVG SVG § 49 Abs. 2 S. 2
VwVfG VwVfG § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3
BGB BGB § 819 Abs. 1
VwGO VwGO § 79 Abs. 1 Nr. 1, § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Auf Vertrauensschutz gegen die Aufhebung der Festsetzung der Versorgungsbezüge kann ein Beamter sich wegen grob fahrlässiger Unkenntnis von deren Rechtswidrigkeit nicht berufen, wenn ihm nicht auffällt, dass die Versorgungsbezüge höher als die Besoldung aus dem aktiven Dienst sind. Ist der Beamte aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, sich mit den Versorgungsbezügen auseinander zu setzen, ist er verpflichtet, eine geeignete Person mit der Erledigung seiner besoldungs- bzw. versorgungsrechtlichen Belange zu beauftragen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Billigkeitsentscheidung, ob von der Rückforderung ganz oder teilweise abgesehen werden kann, erfolgt nach Aktenlage, wenn der Betroffene seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht offenlegt. Bei der Entscheidung kann berücksichtig werden, dass sich einem Beamten die Rechtswidrigkeit der Zahlung höherer Versorgungsbezüge als der Bezüge aus dem aktiven Dienst aufdrängen muss und das Verschulden der Behörde an der Überzahlung demgegenüber wegen der Fehleranfälligkeit der Massenverwaltung nur gering ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Bundesfinanzdirektion …, Service-Center …, vom 10. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 24. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Die Bundesfinanzdirektion …, Service-Center …, durfte den Bescheid über die Festsetzung der Versorgungsbezüge des Klägers hinsichtlich des zusätzlichen kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag vom 30. Dezember 2013 mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 1 und 2 VwVfG aufheben und die infolge dessen rechtsgrundlos bezahlten Versorgungsbezüge in Höhe von 26.173,57 EUR gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 SVG i. V. m. §§ 812 ff. BGB zurückfordern.
Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung des Bescheids vom 30. Dezember 2013 ist § 48 Abs. 1 und 2 VwVfG; danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein begünstigender Verwaltungsakt, der – wie der hier in Rede stehende Bescheid über die Festsetzung von Versorgungsbezügen – eine Geldleistung gewährt, darf nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte unter anderem dann nicht berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG). In solchen Fällen wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (§ 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG).
Die Voraussetzungen der Rücknahme nach § 48 Abs. 1 und 2 VwVfG sind vorliegend erfüllt. Insbesondere kann sich der Kläger nicht auf Vertrauensschutz berufen, da er die Rechtswidrigkeit des Bescheids über die Festsetzung seiner Versorgungsbezüge vom 30. Dezember 2013 zumindest grob fahrlässig nicht kannte (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG).
Anknüpfungspunkt für die Frage, ob der Kläger grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nicht erkannt hat, sind die Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Erkenntnisfähigkeiten des Klägers. Dabei ist vom Grundsatz auszugehen, dass auch ein Soldat im Rahmen seines subjektiven Prüfungs- und Erkenntnisvermögens Bezügemitteilungen und Versorgungszahlungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen hat. Ihm ist aufgrund seiner Treuepflicht zuzumuten, Bezügemitteilungen aufmerksam zu lesen und auf Überzahlungen zu achten, wobei der Umfang der Prüfungspflicht in einem angemessenen Verhältnis zu den von der zuständigen Stelle übermittelten und ggf. erläuterten Bezügemerkmalen stehen muss. Der Begünstigte ist bei Unklarheiten oder Zweifeln gehalten, sich durch Rückfragen bei der zuständigen Stelle Gewissheit zu verschaffen, ob eine Zahlung zu Recht erfolgt ist (BVerwG, U.v. 28.6.1990 – 6 C 41.88 – NVwZ-RR 1990, 622). Dabei verletzt der Begünstigte seine Pflicht nicht nur, wenn er erkannten Unklarheiten oder Zweifeln nicht nachgeht, sondern auch, wenn er keine Unklarheiten erkennt oder sich ihm keine Zweifel ergeben, weil er den Bescheid nicht kritisch auf seine Richtigkeit hin überprüft (vgl. etwa VG Augsburg U.v. 1.7.2010 – Au 2 K 09.560, Au 2 K 09.562 – juris Rn. 11).
Im vorliegenden Fall ist für das Gericht entscheidend, dass sich dem Kläger auch ohne detaillierte Rechtskenntnisse über die Rechtsgrundlagen der Festsetzung von Versorgungsbezügen bei einem Vergleich der Höhe seiner Besoldung mit der Höhe seiner Versorgung der Fehler geradezu hätte aufdrängen müssen. Es ist jedem Beamten bzw. Soldaten bekannt, dass die Versorgungsbezüge – auch zuzüglich des kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag – geringer sein müssen als die noch im aktiven Dienst erhaltene Besoldung. Das hätte den Kläger zu einer Rückfrage bei dem zuständigen Sachbearbeiter veranlassen müssen. Ein Verhalten, das sich lediglich auf die Entgegennahme der Versorgungsbezüge beschränkt, kann nicht ausreichen, um den oben genannten Obliegenheiten nachzukommen. Weiter konnte mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen, ob der Kläger im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis 31. März 2015 aufgrund von Depressionen psychisch nicht in der Lage war, sich mit den Versorgungsbezügen auseinander zu setzen bzw. ob er deswegen nicht erkennen konnte, dass er hinsichtlich des kinderbezogenen Anteils im Familienzuschlag 26.173,57 EUR zu viel erhalten hat. Denn selbst wenn dies der Fall sein sollte, so wäre der Kläger dazu verpflichtet gewesen, eine zuverlässige geeignete Person mit der Erledigung seiner finanziellen und vor allem besoldungs- bzw. versorgungsrechtlichen Belange zu beauftragen (VG Köln, U.v. 18.10.2013 – 19 K 4301/12 – juris Rn. 30).
Aus den gleichen Erwägungen folgt, dass dem Kläger hinsichtlich der Rückforderung des überzahlten Betrags in Höhe von 26.173,57 EUR eine Berufung auf den Wegfall der Bereicherung wegen der verschärften Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB i. V. m. § 49 Abs. 2 Satz 2 SVG verwehrt ist. Die grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes führt gleichzeitig dazu, dass der Mangel des rechtlichen Grundes so offensichtlich ist, dass der Kläger ihn hätte erkennen müssen.
Die nach § 49 Abs. 2 Satz 3 SVG zu treffende Billigkeitsentscheidung durch die Beklagte erfolgte ordnungsgemäß. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte aus Billigkeitsgründen auf die Rückforderung ganz oder teilweise verzichtet. Ausweislich der Gründe des Bescheids vom 10. Juni 2015 und des Widerspruchsbescheids vom 24. November 2015 hat die Beklagte in Ausübung ihrer durch § 49 Abs. 2 Satz 3 SVG auferlegten Verpflichtung eine Billigkeitsentscheidung getroffen und damit ihr Ermessen erkannt und ausgeübt. Auch in der Sache begegnet die Billigkeitsentscheidung der Beklagten keine Bedenken. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 8.8.1998 – 2 C 21.97 – DVBl 1999, 29) hat die Billigkeitsentscheidung die Aufgabe, eine den Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Berechtigten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine Rolle spielen. Maßgeblich ist hier letztlich, inwieweit der Kläger durch die Rückzahlung in eine Notlage gerät, d. h. ob der Lebensunterhalt für sich und seine Familie wegen der Rückzahlung nicht mehr gesichert wäre. Vorliegend hat der Kläger seine wirtschaftlichen Verhältnisse und daher auch die Grundlagen, die für die Billigkeitsentscheidung eine Rolle spielen, nicht offengelegt. Demgemäß ist es nicht zu beanstanden, wenn die Behörde die Billigkeitsentscheidung nach Aktenlage getroffen hat. Jedenfalls ist hier die Gewährung einer Ratenzahlung von monatlich 132,65 EUR nicht zu beanstanden. Bei der Billigkeitsentscheidung sind aber auch sonstige Umstände zu beachten, etwa in wessen Verantwortungsbereich die Überzahlung fällt. Vorliegend kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Grund der Überzahlung im überwiegenden Verantwortungsbereich der Behörde liegt. Zwar hat die Beklagte mit der fehlerhaften Berechnung den ersten Verantwortungsbeitrag zur Überzahlung geleistet, welcher aber aufgrund der Fehleranfälligkeit von Massenverwaltung – wie bei der Auszahlung von Versorgungsbezügen – nur zu einem geringfügigen Verschulden der Behörde führen kann. Ein solcher Fehler kann für die Verringerung der Rückforderung nicht ausreichen, da das geringfügige Verschulden, durch den Verantwortungsbeitrag des Klägers überlagert wird. Dieser ist seiner in der Treuepflicht der Soldaten wurzelnden Verpflichtung die ihm erteilten Gehaltsbescheinigungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (BVerwG, U.v. 28.6.1990 – 6 C 41.88 – NVwZ-RR 1990, 622), nicht nachgekommen, obwohl sich der Fehler dem Kläger geradezu hätte aufdrängen müssen, da jedem Soldaten bzw. Beamten – unabhängig von Bildungsstand, beruflicher Tätigkeit oder eventueller gesundheitlicher Beeinträchtigung – bewusst sein muss, dass im Ruhestand weniger Bezüge geleistet werden als zur aktiven Dienstzeit.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 und 4, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München, Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 26.173,57 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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