Arbeitsrecht

Rückforderung überzahlter Dienstbezüge

Aktenzeichen  AN 16 K 19.00989

Datum:
29.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10431
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 28, § 55 Abs. 3
BBesG § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 2
BGB § 387, § 812 Abs. 1 S. 1, § 819 Abs. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
Richtlinie 2003/88/EG Art. 7 Abs. 2

 

Leitsatz

1.  Eine grob fahrlässige Unkenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes i.S.v. § 819 Abs. 1 BGB ist anzunehmen, wenn der Kläger seine Entlassung gemäß § 55 Abs. 3 SG auf eigenen Antrag erwirkt hat und damit mindestens hätte wissen müssen, dass sein Besoldungsanspruch mit Entlassung endet (Rn. 21). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch nach Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG kommt nur in Betracht, wenn der Beamte bzw. Soldat aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage war, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses auszuüben. Dies ist bei einer Entlassung auf eigenen Antrag aus dem Dienst nicht gegeben (Rn. 23). (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein nationaler dienstrechtlicher Ausgleichsanspruch oder ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch wegen rechtswidriger Zuvielarbeit setzen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gleichermaßen eine vorherige Geltendmachung gegenüber dem Dienstherrn voraus (Rn. 25). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage, über die die Kammer mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, bleibt in der Sache ohne Erfolg, da der Bescheid der Beklagten vom 12. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2019 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Rückforderungsentscheidung der Beklagten erweist sich als formell rechtmäßig.
Die Beklagte hat den Kläger zwar vor Erlass ihres Bescheides vom 12. November 2018 nicht angehört, obwohl § 28 Abs. 1 VwVfG verlangt, dass einem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in seine Rechte eingreift, Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dieser Anhörungsmangel ist jedoch gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG unbeachtlich geworden, weil die erforderliche Anhörung des Klägers jedenfalls im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden ist. Dort hatte der Kläger umfassend Gelegenheit zur Äußerung über entscheidungserhebliche Tatsachen.
2. Auch in materieller Hinsicht erweist sich die Rückforderung überzahlter Bezüge in Höhe von 1.618,80 EUR durch die Beklagte als rechtmäßig.
a) Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG regelt sich die Rückforderung zuviel gezahlter Bezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ist das ohne Rechtsgrund Erlangte herauszugeben. Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten – wie vorliegend im Falle erlangten Buchgeldes – nicht möglich, so ist der Wert zu ersetzen (§ 818 Abs. 2 BGB). Der Kläger erhielt für den Zeitraum vom 6. September 2018 bis 30. September 2018 Dienstbezüge ohne Rechtsgrund, da mit seiner Entlassung mit Ablauf des 5. September 2018, die gemäß § 55 Abs. 3 SG auf Antrag des Klägers aus persönlichen Gründen erfolgt ist, sein (mangels Ernennung faktisches) Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit und mithin sein Anspruch auf Besoldung gemäß § 3 Abs. 2 BBesG geendet hat. Die Beklagte bestimmte die Höhe der überzahlten Dienstbezüge auf 1.618,80 EUR. Die hierzu erstellte Anlage „Abrechnung der Dienstbezüge (Brutto)“, die einen Bestandteil des angefochtenen Leistungsbescheides der Beklagten vom 12. November 2018 bildet, enthält eine übersichtliche Darstellung der dem Kläger zustehenden sowie an ihn ausgezahlten Dienstbezüge. Dass sich diese als fehlerhaft erweist, hat weder der Klägerbevollmächtigte substantiiert vorgebracht noch ist dies sonst ersichtlich. Die vom Kläger in diesem Zusammenhang kritisierte Unübersichtlichkeit von Bezügeabrechnungen der Beklagten vom 19. August 2018 und 15. September 2018 erweist sich bereits deshalb als unbehelflich, weil letztere nicht den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bilden.
b) Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf Entreicherung berufen. Hiernach ist die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Dass der Kläger das Erlangte verbraucht hat, ohne sich eigene Aufwendungen erspart zu haben, wurde jedoch nicht ansatzweise substantiiert vorgebracht. Soweit der Kläger Gegenforderungen geltend macht, handelt es sich um eine erklärte Aufrechnung, die als rechtsvernichtende Einwendung allenfalls zum Erlöschen des Rückforderungsanspruchs der Beklagten führen kann (vgl. 2. c)), jedoch keine Entreicherung des Klägers zu begründen vermag. Im Übrigen könnte sich der Kläger auch deshalb nicht auf Entreicherung berufen, weil er jedenfalls nach § 12 Abs. 2 Sätze 1, 2 BBesG i.V.m. §§ 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4 BGB verschärft haftet. Kennt der Empfänger den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang oder erfährt er ihn später, so ist er von dem Empfang oder der Erlangung der Kenntnis an zur Herausgabe verpflichtet, wie wenn der Anspruch auf Herausgabe zu dieser Zeit rechtshängig geworden wäre (§ 819 Abs. 1 BGB). Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 BBesG steht es der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung i.S.v. § 819 Abs. 1 BGB gleich, wenn der Mangel des rechtlichen Grundes so offensichtlich war, dass der Empfänger ihn hätte erkennen müssen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Mangel des rechtlichen Grundes offensichtlich, wenn der Empfänger ihn nur deshalb nicht erkannt hat, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen hat (BVerwG, U.v. 28.2.1985 – 2 C 31/82 – DÖD 1985, 199). Vorliegend ist jedenfalls eine solche grob fahrlässige Unkenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes anzunehmen, weil der Kläger seine Entlassung gemäß § 55 Abs. 3 SG auf eigenen Antrag erwirkt hat und damit mindestens hätte wissen müssen, dass sein Besoldungsanspruch mit Entlassung endet.
c) Der Rückforderungsanspruch der Beklagten ist schließlich auch nicht infolge einer wirksamen Aufrechnung durch den Kläger (§§ 387 ff. BGB) mit einem vermeintlich zustehenden Abgeltungsanspruch für nicht genommenen Erholungsurlaub und einem Anspruch auf Vergütung geleisteter Überstunden (ganz oder teilweise) erloschen. Derartige Gegenforderungen stehen dem Kläger nämlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht zur Seite.
aa) Ein Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung gegenüber der Beklagten ergibt sich weder auf nationaler noch unionsrechtlicher Anspruchsgrundlage.
§ 28 SG sieht für Soldaten keine finanzielle Abgeltung von Urlaubsansprüchen vor. Ein Anspruch nach Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung auf finanzielle Abgeltung des unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubs kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil dieser voraussetzt, dass der Kläger, der als Soldat zwar grundsätzlich unter die o.g. Richtlinie fällt, krankheitsbedingt vor seiner Entlassung nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen. Dies war jedoch nicht der Fall, da der Kläger nach eigenen Angaben lediglich für die Dauer von einer Woche krankheitsbedingt keinen Dienst leisten konnte. Eine Inanspruchnahme von Erholungsurlaub in der Folgezeit war daher nicht krankheitsbedingt ausgeschlossen. Auch wenn man annähme, dass die von der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Grundsätze zu Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG auf andere als Krankheitsgründe entsprechend angewendet werden können (vgl. hierzu Schleswig-Holsteinisches VG, U.v. 16.8.2019 – 12 A 157/17 – juris Rn. 31 f.; OVG Münster, U.v. 3.6.2015 – 6 A 23/26/12 – juris Rn. 85 f. mit weiteren Nachweisen), ergibt sich kein anderes Ergebnis. Denn Voraussetzung eines solchen Anspruchs wäre jedenfalls, dass der Beamte bzw. Soldat aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage war, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses auszuüben. Tatsachen, die diese Annahme stützen könnten, hat der Kläger, der auf eigenen Antrag aus dem Dienst bei der Beklagten entlassen worden ist, nicht vorgebracht.
bb) Auch ein Anspruch auf Vergütung für geleistete Überstunden, die nicht durch Freizeitausgleich abgegolten wurden, kommt nicht in Betracht.
Dies gilt bereits deshalb, weil der Kläger in tatsächlicher Hinsicht zu keinem Zeitpunkt substantiierte Nachweise dafür erbracht hat, dass und in welchem Umfang er Überstunden geleistet hat. Selbst bei geleisteter Mehrarbeit stünde dem Kläger auch aus Rechtsgründen aufgrund folgender Erwägungen kein Anspruch zur Seite: Ein nationaler dienstrechtlicher Ausgleichsanspruch oder ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch wegen rechtswidriger Zuvielarbeit setzen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gleichermaßen eine vorherige Geltendmachung gegenüber dem Dienstherrn voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 2 C 40.17 – juris Rn. 25 ff. m.w.N., U.v. 17.9.2015 – 2 C 26/14 – juris Rn. 26 – 29, BayVGH, B.v. 11.9.2018 – 6 ZB 18.1356). Während sich Besoldungsansprüche von Beamten und Soldaten unmittelbar aus dem Gesetz (§ 2 Abs. 1 BBesG) ergeben und keines Antrages bedürfen, müssen Ansprüche, deren Festsetzung und Zahlung sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, vorher gegenüber dem Dienstherrn geltend gemacht werden. Für Ansprüche wegen rechtswidriger Zuvielarbeit gilt dies in besonderer Weise. Diese sind nämlich nicht primär auf die Zahlung eines finanziellen Ausgleichs gerichtet, sondern auf die Beseitigung des rechtswidrigen Zustands. Durch den Hinweis des Beamten oder Soldaten ist daher zunächst eine Prüfung seines Dienstherrn veranlasst, ob eine Änderung der Arbeitszeitgestaltung erforderlich ist und ob eine rechtswidrige Zuvielarbeit – etwa durch Anpassung der maßgeblichen Dienstpläne – vermieden oder durch die Gewährung von Freizeitausgleich kompensiert werden kann. Erst sekundär kommt ein entsprechender finanzieller Anspruch in Betracht. Der Kläger hat jedoch nicht vorgebracht, während seiner Dienstzeit die Arbeitszeit gegenüber seinem Dienstherrn beanstandet zu haben bzw. einen Ausgleichsanspruch geltend gemacht zu haben. Dass er in der zweiten Dienstwoche erkrankt gewesen sein will und deshalb im Gegensatz zu seinen Kollegen zu dieser Zeit keinen Freizeitausgleich in Anspruch nehmen konnte, stand einer solchen Geltendmachung nicht entgegen, da der Kläger auch nach Gesundung ausreichend Gelegenheit hierzu hatte.
Zuletzt ist anzumerken, dass nicht durch Freizeitausgleich ausgeglichene Überstunden oder Mehrarbeit auch keinen Urlaubsabgeltungsanspruch nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG auslösen (vgl. BVerwG, B.v. 1.7.2014 – 2 B 39/13 – juris Rn. 10).
d) Schließlich erweist sich auch die auf Rechtsfolgenseite von der Beklagten getroffene Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG als ermessensfehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO).
Hiernach kann mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle aus Billigkeit ganz oder zum Teil von der Rückforderung abgesehen werden. Diese Billigkeitsentscheidung bezweckt, eine allen Umständen des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Soldaten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen (vgl. BVerwG, U.v. 26.04.2012 – 2 C 15.10 – juris Rn. 18). Sie ist Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und stellt eine sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dar, so dass sie vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung ist. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Soldaten abzustellen.
Nach diesen Grundsätzen ist die Billigkeitsentscheidung der Beklagten bereits deshalb nicht zu beanstanden, weil der Kläger weder Einwände gegen die bewilligte Ratenzahlung noch sonstige Umstände vorgebracht hat, nach denen sich das Rückforderungsbegehren der Beklagten als unbillig erweisen könnte.
Der Kläger hat mithin überzahlte Dienstbezüge in der geltend gemachten Höhe zu erstatten, wobei die Beklagte auch zu Recht Bruttobeträge zurückfordert (vgl. BVerwG, U.v. 12.5.1966 – II C 197.62 – juris Rn. 56 f.).
3. Die Klage ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten trifft die Kammer keine Entscheidung, weil sie davon ausgeht, dass die Beklagte vor Rechtskraft des Urteils nicht vollstreckt.


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