Arbeitsrecht

Ruhestandsversetzung gegen den Willen des Beamten

Aktenzeichen  M 5 K 17.3644

Datum:
13.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5814
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 26 Abs. 1
BayBG Art. 65, Art. 66 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Art. 71 Abs. 1 S.1
BayBG Art. 66
BayVwVfG Art. 46
SGB IX § 178
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

1. Es ist grundsätzlich Sache des Beamten, den Dienstherrn über das Klageverfahren auf Erhöhung des festgestellten Grades der Behinderung und dessen Ausgang in Kenntnis zu setzen, wenn er den mit der Schwerbehinderteneigenschaft einhergehenden erhöhten Schutz in Anspruch nehmen will (ebenso BVerwG BeckRS 2011, 50613). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein durch einen privatärzlichen Allgemeinmediziner erstelltes Gutachten, in dem zudem keine substantiierten Einwendungen gegen das der Ruhestandsversetzungsverfügung zugrunde liegende Gesundheitszeugnis erhoben werden, kann das Gesundheitszeugnis durch eine Fachärztin der Medizinischen Untersuchungsstelle – hier der Neurologie – nicht entkräften. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die subjektive Einschätzung des Beamten, weiterhin beanstandungsfrei Dienst geleistet zu haben, ist für die Beurteilung des gesundheitlichen Zustands und der daraus folgenden Dienstunfähigkeit grundsätzlich irrelevant und im Übrigen Sache des Dienstherrn. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet und bleibt in der Sache daher erfolglos. Der angefochtene Bescheid der Regierung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Ruhestandsversetzungsverfügung ist § 26 Abs. 1 Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) i.V.m. Art. 66 Abs. 2 Bayerisches Beamtengesetzes – BayBG.
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG sind Beamtinnen auf Lebenszeit und Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Als dienstunfähig kann nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Hierzu bestimmt Art. 65 Abs. 1 BayBG, dass Beamtinnen und Beamte auch dann als dienstunfähig im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG angesehen werden können, wenn sie infolge einer Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst geleistet haben und keine Aussicht besteht, dass sie innerhalb von weiteren sechs Monaten wieder voll dienstfähig werden.
Soweit – wie vorliegend – die Dienstunfähigkeit umstritten ist, kommt es für die Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzungsverfügung materiell-rechtlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1/3 Rn. 10; U.v. 16.10.1997 – 2 C 7/97 – BVerwGE 105, 267; BayVGH, B.v. 12.8.2005 – 3 B 98.1080 – juris; VG München, U.v. 10.12.2014 – M 5 K 14.2534 – juris Rn. 17).
Für die Anwendung des § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG und des Art. 65 Abs. 1 BayBG reicht es aus, dass keine Aussicht auf Wiedererlangung der Dienstfähigkeit besteht. Eine Aussicht auf Wiedererlangung der Dienstfähigkeit besteht dann, wenn ein (medizinischer) Sachverhalt vorliegt, aus dem sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit ergibt (Summer in Weiss/Niedermaier/ Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: September 2018, Art. 65 BayBG Rn. 4).
Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit müssen die gesundheitsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkunde, über die nur ein Arzt verfügt. Die Notwendigkeit, einen Arzt hinzuzuziehen, bedeutet aber nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit übertragen werden darf. Vielmehr wird der Arzt als Sachverständiger tätig, auf dessen Hilfe der Dienstherr angewiesen ist, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können. Der Dienstherr muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1/5, Rn. 18). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der medizinischen Beurteilung eines Amtsarztes Vorrang gegenüber privatärztlichen Stellungnahmen eingeräumt werden kann, wenn der Amtsarzt über die entsprechende Sachkunde wie der Privatarzt verfügt und seine medizinische Beurteilung in sich stimmig und nachvollziehbar ist (BVerwGE, a.a.O., Rn. 20 m.w.N.; U.v. 12.10.2006 – 1 D 2/05 – juris Rn. 34).
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, kommt der Behörde kein gerichtsfreier Beurteilungsspielraum zu. Vielmehr handelt es sich um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die gerichtlich voll überprüfbar ist. Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt somit nicht nur, ob der Sachverhalt hinreichend sorgfältig ermittelt wurde, sondern auch, ob der ermittelte Sachverhalt die Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit rechtfertigt. Aus diesem Grund sind die Feststellungen oder Schlussfolgerungen aus ärztlichen Gutachten vom Gericht – in den Grenzen der erforderlichen Sachkenntnis – nicht ungeprüft zu übernehmen, sondern selbstverantwortlich zu überprüfen und nachzuvollziehen (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1/5, Rn. 17; OVG Saarl, U.v. 24.4.2012 – 2 K 984/10 – juris; OVG NW, B.v. 3.2.2012 – 1 B 1490/11 – juris, IÖD 2012, 50; U.v. 22.1.2010 – 1 A 2211/07 – juris).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die angefochtene Ruhestandsversetzungsverfügung zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses am … Juli 2017 rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Sie ist formell rechtmäßig ergangen.
Die Regierung hat dem Kläger als für die Ruhestandsversetzung zuständige Behörde (Art. 71 Abs. 1 Satz 1 BayBG, § 1 Verordnung über beamten-, richter-, besoldungs-, reisekosten-, trennungsgeld- und umzugskostenrechtliche Zuständigkeiten für Staatsbeamte im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr und über die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Versagung der Aussagegenehmigung für Kommunalbeamte – StMI Zuständigkeitsverordnung Beamtenrecht – ZustV-IM) einen Monat nach der erforderlichen Anhörung (Art. 66 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BayBG, Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BAyVwVfG) den streitgegenständlichen Bescheid zugestellt und ihn mit dem Ende des Monats, in dem die Zustellung erfolgte, in den Ruhestand versetzt (Art. 66 Abs. 2 Satz 2 BayBG). Eine Beteiligung des Personalrats (Art. 76 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Bayerisches Personalvertretungsgesetz – BayPVG) war mangels entsprechendem Antrag des Klägers und nach Hinweis der Regierung auf diese Möglichkeit (Anhörungsschreiben v. 17.5.2017) nicht erforderlich.
Auch einer Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gem. § 95 Abs. 2 Satz 1, § 84 SGB IX (in der bis zum 31.12.2017 geltenden a.F.), Nr. 10.2 und 10.4 Teilhaberichtlinien – Inklusion behinderter Angehöriger des Öffentlichen Dienstes in Bayern (TeilR) bedurfte es nicht, da der Kläger mit einem – jedenfalls bei Entscheidung über die Ruhestandsversetzung bescheinigten und der Regierung bekannten – Grad der Behinderung von 40 (ohne Gleichstellung) zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt nicht ersichtlich schwerbehindert war, vgl. § 2 Abs. 2 SGB IX a.F., Nr. 2.1 TeilR. Dies gilt auch im Hinblick auf den Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, ihm sei durch eine Entscheidung des Sozialgerichts München aufgrund der Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Landesversorgungsamts vom … September 2017 ein Grad der Behinderung von 50 wohl rückwirkend zuerkannt worden. Denn der Kläger hat die Regierung weder über das sozialgerichtliche Klageverfahren noch über dessen – nach Wirksamwerden der Ruhestandsversetzung liegenden – Ausgang in Kenntnis gesetzt. Die Regierung konnte eine mögliche Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers daher gar nicht berücksichtigen. Die Ruhestandsversetzung ist auch nicht unter Berücksichtigung einer ggf. rückwirkenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers zum Zeitpunkt seiner Antragstellung formell rechtswidrig. Denn es ist grundsätzlich Sache des Beamten, den Dienstherrn über einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung bzw. ein laufendes Klageverfahren auf Erhöhung des festgestellten Grades der Behinderung zu informieren, wenn er den mit der Schwerbehinderteneigenschaft einhergehenden erhöhten Schutz in Anspruch nehmen will (vgl. BVerwG, B.v. 7.4.2011 – 2 B 79/10 – juris Rn. 6 ff.; Rolfs in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19. Aufl. 2019, § 178 SGB IX Rn. 8; teilweise wird dem Arbeitnehmer / Beamten eine Frist zur Mitteilung von drei Wochen ab Zugang der Kündigung / Ruhestandsversetzung zugestanden: Däubler in Deinert/Welti, StichwortKommentar Behindertenrecht, 2. Aufl. 2018, Schwerbehindertenvertretung Rn. 19). Selbst wenn eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung erforderlich gewesen wäre, könnte die Aufhebung der Ruhestandsversetzung gem. Art. 46 BayVwVfG wohl nicht allein deshalb beansprucht werden (BVerwG, B.v. 20.12.2010 – 2 B 39/10 – juris Rn. 6; VGH BW, U.v. 4.9.2018 – 4 S 142/18 – juris Rn. 46 ff.).
b) Auch in materieller Hinsicht ist gegen die Ruhestandsversetzungsverfügung nichts zu erinnern. Das der Verfügung zugrunde liegende Gesundheitszeugnis vom … Mai 2017 ist plausibel und widerspruchsfrei.
Konkrete Angaben zu dem Gesundheitszustand des Klägers in Form von Anamnese und Befundung muss und darf es nicht enthalten, da der Amtsarzt dem Dienstherrn gem. Art. 67 Abs. 1 BayBG zum Schutze der Persönlichkeitsrechte des begutachteten Beamten nur die tragenden Feststellungen und Gründe des Gutachtens, nicht aber das zugrunde liegende Gutachten selbst mitteilen darf.
Das Gesundheitszeugnis vom … Mai 2015 steht auch nicht in Widerspruch zu vorherigen Gesundheitszeugnissen der MUS, sondern stellt sich vielmehr als deren konsequente Fortschreibung dar. Sowohl im (vorläufigen) Gesundheitszeugnis vom … März 2015 als auch im Gesundheitszeugnis vom … April 2016 und auch im Gesundheitszeugnis vom … Juli 2016 wird dem Kläger eine Erkrankung im neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet bzw. ein komplexes psychoorganisches Störungsbild bzw. eine psychische Beeinträchtigung attestiert. Der Umstand, dass die Regierung über einen Zeitraum von zwei Jahren verschiedene Gesundheitszeugnisse in Auftrag gegeben hat, rührt allein daher, dass der Kläger sich einer konstruktiven Mitwirkung an deren Erstellung teilweise verweigerte (Teilnahme an Zusatzuntersuchungen, Beibringung fachärztlicher Befunde) und Einwendungen gegen deren Ergebnisse vorbrachte.
Die amtsärztliche Gesamtbeurteilung in dem Gesundheitszeugnis vom … Mai 2017 wird zudem durch die klägerseits vorgelegte Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Landesversorgungsamts vom … September 2017 gestützt und nicht gar entkräftet. Denn auch demzufolge kommt der begutachtende Herr Dr. Be. – basierend auf einer Untersuchung des Klägers vom … Juli 2017 – zu dem Schluss, dass der Kläger an einer Persönlichkeitsstörung und daraus resultierenden Affektstörung leidet, auch wenn er die Ursache dieses Krankheitsbilds im Gegensatz zu der Amtsärztin nicht im hirn- bzw. psychoorganischen Bereich verortet, sondern aus einer narzisstisch gestörten Primärpersönlichkeit des Klägers herleitet.
Auch das klägerseits beigebrachte privatärztliche Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. B. vom … August 2017 steht dem nicht entgegen. Denn zum einen stammt dieses Attest – anders als das Gesundheitszeugnis durch eine Fachärztin für Neurologie – lediglich von einem Allgemeinmediziner. Zudem setzt sich Dr. B. weder mit den Inhalten des Gesundheitszeugnisses vom … Mai 2017 auseinander, noch legt er die tatsächlichen und fachlichen Grundlagen seiner Einschätzung, dass der Kläger mindestens für geringwertige Tätigkeiten weiterhin dienstfähig sei, offen. Substantiierte Einwendungen gegen das der Ruhestandsversetzungsverfügung zugrunde liegende Gesundheitszeugnis werden mithin nicht erhoben. Dementsprechend war die Regierung auch nicht gehalten, das Ergebnis des Gesundheitszeugnisses vom … Mai 2017 erneut zu überprüfen.
Die subjektive Einschätzung des Klägers, dass er seit dem Jahr 2014 bis zu seiner Ruhestandsversetzung „tadellosen“ Dienst geleistet habe, ist für die Beurteilung seines gesundheitlichen Zustands und der daraus folgenden Dienstunfähigkeit grundsätzlich irrelevant und im Übrigen Sache des Dienstherrn. Letzterer hat nachvollziehbar dargelegt, dass eine Weiterbeschäftigung des Klägers aus gesundheitlichen Gründen (Aufmerksamkeits-, Auffassungs- und Denkstörungen, Stimmungsinstabilitäten, Antriebssteigerungen und Unruhezustände, vgl. Gesundheitszeugnis v. … Mai 2017) nicht möglich ist und der positiven Selbstwahrnehmung seiner Dienstleistung eher ein Mangel an selbstkritischer Einschätzung und Einsicht in die eigenen Leistungsgrenzen seitens des Klägers zugrunde liegen (vgl. Gesundheitszeugnis v. … Mai 2017).
3. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, 708 Nr. 11 Alt. 2, 711 Zivilprozessordnung.


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