Arbeitsrecht

Statusfeststellung bezogen auf Kurierfahrer

Aktenzeichen  S 16 R 674/15

Datum:
20.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 133126
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV §§ 7a ff.
HGB §§ 407 ff.

 

Leitsatz

Eine Pauschalvergütung pro Tour spricht gegen das Vorliegen eines Unternehmerrisikos, da in diesem Fall der Erfolg des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft nicht ungewiss ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die gemäß §§ 51, 78, 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. In der Sache ist sie aber unbegründet, da der Kläger in seiner Tätigkeit als Kurier-/Post-fahrer bei der Beigeladenen vom 05.09.2013 bis 31.12.2014 in einem abhängigen und damit der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegendem Beschäftigungsverhältnis stand.
Maßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist unter Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, zu verstehen. Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 04.06.1998 – B 12 KR 5/97 R, Urteil vom 12.02.2004 – B 12 KR 26/02 = jeweils juris) die Merkmale einer Beschäftigung und diejenigen einer selbstständigen Tätigkeit sowie die Grundsätze, nach denen die festgestellten Tatsachen gegeneinander abzuwägen sind, entwickelt. Danach setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann, vornehmlich bei Diensten höherer Art, eingeschränkt und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein.
Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigenen Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten so wie es im Rahmen des rechtlichen Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergib oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine formlose Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von den Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 25.01.2016 – B 12 KR 30/04 R, Urteil vom 29.08.2012 – B 12 KR 25/10 R, Urteil vom 29.08.2012 – B 12 R 14/10 R, Urteil vom 30.04.2013 – B 12 KR 19/11 R = jeweils juris).
Bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung von Fahrertätigkeiten kommt es, abgesehen von der erforderlichen rechtlichen Zulässigkeit der praktizierten Beziehung, darauf an, ob der Fahrer ein eigenes Fahrzeug für die Transporte einsetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes kann die Benutzung eines eigenen Lkw und die damit einhergehende Lastentragung in Verbindung mit anderen Gesichtspunkten für eine selbstständige Tätigkeit sprechen (vgl. Urteil vom 22.06.2005 – B 12 KR 28/03 R, Urteil vom 19.08.2003 – B 2 U 38/02 R = jeweils juris). Vorliegend erbrachte der Kläger die vertraglich vereinbarten Transportleistungen nicht mit einem von der Beigeladenen gestellten Fahrzeug, sondern mit selbst erworbenen Fahrzeugen. Allerdings führt diese Tatsache nicht zu einem Unternehmerrisiko im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, da zum einen der wirtschaftliche Aufwand des Klägers für den Erwerb der beiden Fahrzeuge nach den vorgelegten Kaufverträgen nicht so hoch war, dass hierin ein mit einem erheblichen wirtschaftlichen Risiko verbundener Aufwand begründet werden kann und da zum anderen der Kläger außer dieser Investition in die eigenen Fahrzeuge zur Durchführung der mit der Beigeladenen vereinbarten Touren keinerlei weitere Investitionen getätigt hat und kein weiteres Risiko auf sich genommen hat. Dies gilt umso mehr, als es sich bei den gekauften Fahrzeugen auch nicht um Neuwagen, sondern um günstige Gebrauchtwagen gehandelt hat, sodass jedenfalls keine vergleichsweise höhere Investition erfolgte, als es auch bei abhängig beschäftigten Arbeitnehmern üblich ist, die ein eigenes Fahrzeug für den Weg zur Arbeitsstätte einsetzen.
Auch spricht eindeutig gegen das Vorliegen eines Unternehmerrisikos, dass aufgrund der Tatsache, dass nach der Anlage 1 (Vergütungsvereinbarung zum Beförderungsvertrag) eine Pauschalvergütung von 122,00 Euro pro Tour vereinbart worden ist, der Erfolg des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft des Klägers nicht ungewiss war.
Auch spricht zwingend gegen das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit des Klägers in der Zeit vom 05.09.2013 bis 31.12.2014, dass er wesentlich stärker in die betrieblichen Abläufe der Beigeladenen eingebunden war als ein nur den sich aus § 407 ff. HGB ergebenden Pflichten unterliegender Frachtführer. Sein Tagesablauf war durch die vereinbarten Übernahmezeitpunkte der entgegen seinen Angaben bereits von der Beigeladenen kommissionierten Sendungen und Pressedruckerzeugnisse, nämlich Montag bis Freitag jeweils 1:25 Uhr, samstags 1:55 Uhr vorstrukturiert und es verblieb aufgrund der Tatsache, dass jeweils eine bestimmte feste Tour zu fahren war, kein erheblicher Gestaltungsspielraum bei der Arbeits- und Toureneinteilung, zumal sich dem Kläger keine Möglichkeiten geboten haben, seine Verdienstchancen durch rationelleres, schnelleres Arbeiten zu erhöhen und es ihm jedenfalls während der gefahrenen Tour nicht möglich war, für andere Auftraggeber aus eigener Initiative ein höheres Einkommen aus der Tätigkeit zu erzielen.
Vorliegend liegt auch eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Beigeladenen vor. Denn im Ergebnis waren sowohl hinsichtlich der Arbeitszeit, des Arbeitsorts als auch hinsichtlich der Art und Weise der Tätigkeit maßgebliche eigene Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne einer selbstständigen Tätigkeit nicht vorhanden. Ort, Zeit, Art und Weise der Ausführung der Tätigkeit ergaben sich bereits aus dem Beförderungsvertrag nebst Anlagen. Der Kläger hatte danach die Zustellobjekte, Sendungen und Pressedruckerzeugnisse, innerhalb eines zeitlichen Rahmens, der durch § 2 Ziff. 5 „der Auftragnehmer übernimmt das Beförderungsgut entsprechend den vereinbarten Übergabe- bzw. Beladezeitpunkten“ und 6 „der Auftragnehmer hat die vereinbarten Beladezeiten und Anliefertermine an den Abladestellen eigenverantwortlich einzuhalten“ des Beförderungsvertrages bestimmt wurde, an einen bestimmten Ort zu bringen. Auch wenn innerhalb dieses Rahmens ein gewisser Spielraum bestanden haben könnte, konnte der Kläger nach Abschluss des Beförderungsvertrages den Rahmen nicht selbst bestimmen. Der Kläger richtete sich hier nach den Vorgaben der Beigeladenen bzw. deren Kunden. Seine Gestaltungsmöglichkeiten erschöpften sich in der Berechtigung zur Durchführung der Aufträge auf eigene Kosten weitere Unternehmer einzusetzen. Der Kläger verrichtete auch seine Tätigkeit in eigenen Fahrzeugen, d. h. in einem durch die Beklagte zugewiesenen Dienstort, sodass eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation und die betrieblichen Abläufe der Beigeladenen vorliegt.
Auch enthielt der Beförderungsvertrag auch tatsächlich praktizierte Regelungen, die die Tätigkeit des Klägers engen Bindungen unterwarf. So war der Kläger nur berechtigt nach vorheriger Mitteilung an die Beigeladene Transportleistungen auf Dritte zu übertragen (§ 2 Ziff. 4 des Beförderungsvertrages). Eine Beschränkung, der ein selbstständiger Frachtführer nicht unterworfen ist.
Der Kläger war auch weisungsabhängig tätig. Abgesehen davon, dass ihn durch die Anlage 2.2 zum Beförderungsvertrag feste Übernahmezeitpunkte vorgegeben waren, deren Nichteinhaltung Sanktionen gemäß § 9 Ziff. 3 des Beförderungsvertrages nach sich ziehen konnte, war der Kläger sehr engen Weisungen unterworfen. Sein Zustellgebiet war räumlich durch den Tourenplan festgelegt.
Der Umstand, dass der Kläger die vertragliche Möglichkeiten hatte, nach vorheriger Mitteilung an die Beigeladene seine Leistung durch andere erbringen zu lassen, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (vgl. Urteil vom 11.03.2009 – B 12 KR 21/07 R = juris) ebenfalls kein entscheidender Gesichtspunkt, da hinter der Delegationsmöglichkeit der eigenen Arbeitsleistung dann kein entscheidendes Merkmal für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit liegt, wenn, wie vorliegend, der Kläger diese Möglichkeit, wie sich aus den vorgelegten Rechnungen ergibt, tatsächlich nur selten genutzt hat, bis 31.12.2014 regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt hat und damit die persönliche Arbeitsleistung die Regel war.
Auch spielt es keine Rolle, dass der Kläger für andere Auftraggeber arbeiten durfte, denn auch eine Tätigkeit für mehrere Auftraggeber ist noch kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit, da jede Tätigkeit grundsätzlich getrennt zu betrachten ist, da nach § 5 Abs. 5 SGB V neben einer hauptberuflichen Selbstständigkeit auch eine abhängige Beschäftigung ausgeübt werden kann und es möglich ist, mehrere Beschäftigungen bei verschiedenen Arbeitgebern anzunehmen oder auch neben einer abhängigen Beschäftigung noch selbstständig zu arbeiten (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 09.05.2012 – L5 R 23/12 = juris).
Der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses des Klägers bei der Beigeladenen steht vorliegend auch nicht entgegen, das die Zahlung einer Vergütung im Urlaubs- oder Krankheitsfall nicht erfolgte. Denn die Selbstständigkeit eines Dienstverpflichteten wird nicht dadurch begründet, dass er durch den Verzicht auf Leistungen Verpflichtungen, Belastungen und Risiken übernimmt, die über die Pflichten eines Arbeitnehmers hinausgehen. Zu dem Ausschluss von Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist nämlich festzustellen, dass Bedingungen, die einer gerichtlichen Überprüfung vor dem Arbeitsgericht nicht standhalten können, nicht automatisch die Sozialversicherungspflicht ausschließen. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie der Urlaubsanspruch stehen nämlich nicht zur Disposition des jeweiligen Beschäftigten, sodass vielmehr als eine Indizwirkung, dass die Beteiligten eine Selbstständigkeit und einen solchen Ausschluss wünschten, einer solchen Vertragsvereinbarung nicht zukommen kann.
Im vorliegenden Fall überwiegen nach dem Gesamtbild der Tätigkeit des Klägers für die Beigeladene trotz der Nutzung eigener Fahrzeuge durch den Kläger und trotz der Verpflichtung des Klägers, Falsch- und Fehllieferungen auf eigene Kosten zu beheben, die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Merkmale (Eingliederung in einen fremden Betrieb, Vorhandensein eines Weisungsrechts des Arbeitgebers hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung, fehlendes Unternehmerrisiko, fehlende Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft, fehlende im Wesentlichen der Gestaltung der Tätigkeit und der Arbeitszeit).
Nach alledem ist der Bescheid vom 02.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2015 für die Tätigkeit des Klägers bei der Beigeladenen als Kurier-/Postfahrer für die Zeit vom 05.09.2013 bis 31.12.2014 nicht zu beanstanden. Die Klage war vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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