Arbeitsrecht

Stellenbesetzung vor rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache möglich

Aktenzeichen  M 5 E 19.6298

Datum:
20.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22629
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
VwGO § 123
BeamtStG § 9

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 12.970,45 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag vom 17. Dezember 2019,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu untersagen, die bei der Antragsgegnerin unter der Verfahrensnummer … ausgeschriebene Stelle als Koordinatorin und Koordinator Arbeitsschutz (w/m/d) im Referat für Bildung und Sport mit der ausgewählten Mitbewerberin oder einer anderen Mitbewerberin oder einem anderen Mitbewerber zu besetzen, solange über die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung im Hauptsacheverfahren rechtskräftig entschieden ist,
hat keinen Erfolg. Der Antragsteller, der als Verwaltungsoberinspektor (Besoldungsgruppe A 10) in Diensten der Antragsgegnerin steht und der sich neben der Beigeladenen als externe Bewerberin – mit der die Stelle als Tarifbeschäftigte besetzt werden soll – und anderen Bewerbern um die mit A 11 / E 10 TVöD bewertete Stelle beworben hat, konnte keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen.
1. Der Antragsteller hat einen Bewerbungsverfahrensanspruch, d.h. einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr den Dienstposten unter Berücksichtigung des in Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG), Art. 94 Abs. 2 Satz 2 Verfassung für den Freistaat Bayern (BV), § 9 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und Art. 16 Abs. 1 Gesetz über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der Bayerischen Beamten und Beamtinnen (Leistungslaufbahngesetz – LlbG) normierten Leistungsgrundsatzes vergibt und seine Auswahlentscheidung nur auf Gesichtspunkte stützt, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen (vgl. BVerfG, B.v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746 und vom B.v. 2.10.2007 – 2 BvR 2457/04 – NVwZ 2008, 194).
Da der Begriff des öffentlichen Amtes im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG weit zu verstehen ist und auch hoheitliche und schlicht-hoheitliche Tätigkeiten aufgrund eines Beamtenverhältnisses, anderer öffentlich-rechtlicher Amtsverhältnisse und arbeitsrechtlicher Rechtsverhältnisse des öffentlichen Dienstes umfasst, ist der Grundsatz der Bestenauslese auch bei einer Konkurrenz zwischen einem Beamten (Beförderungsbewerber) und einem Tarifbeschäftigten (Höherstufungsbewerber oder auch Einstellungsbewerber) zu beachten (BayVGH, B.v. 24.3.2016 – 3 CE 16.290 – juris Rn. 17).
Anhand dieser Vorgaben hat der Dienstherr unter mehreren Bewerbern den am besten Geeigneten ausfindig zu machen. Diese Vorgaben dienen zwar vornehmlich dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Besetzung von Beamtenstellen, berücksichtigen aber zugleich das berechtigte Interesse eines Beamten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Ein Bewerber hat daher Anspruch auf rechtsfehlerfreie Anwendung (BVerwG, U. v. 25.8.1988 – 2 C 28/85 – juris; BayVGH, B.v. 25.5.2011 – 3 CE 11.605 – BayVBl 2011, 565; VG München, B.v. 24.10.2012 – M 5 E 12.2637 – juris).
Aus der Verletzung dieses Anspruchs folgt zwar regelmäßig nicht ein Anspruch auf Beförderung oder auf Vergabe des begehrten Dienstpostens. Der unterlegene Bewerber kann aber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn seine Auswahl möglich erscheint (BVerfG, B. v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746).
2. Bei Erwägungen des Gerichts, wie eine erneute Auswahlentscheidung ausgehen könnte, ist allerdings Zurückhaltung geboten. Die Voraussage, das mit einem Eilantrag letztlich verfolgte Ziel, dass der Dienstherr das Auswahlermessen zugunsten des Antragstellers ausübt, sei unerreichbar, ist nur in zweifelsfreien Ausnahmefällen denkbar (BayVGH, B.v. 1.12.2015 – 3 CE 15.1947 – juris Rn. 39).
Dass die Auswahl des unterlegenen Bewerbers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht (mehr) möglich erscheint, kann sich jedoch auch aus nachträglichen Umständen ergeben, die zur Zeit der Auswahlentscheidung noch nicht vorlagen und deswegen weder im Auswahlvermerk noch bei der Auswahlentscheidung selbst berücksichtigt werden konnten.
Verneint der Dienstherr die Möglichkeit der Auswahl des unterlegenen Bewerbers bei einer erneuten Auswahlentscheidung mit der Begründung, diesem fehle die für die Ausübung der mit der Stelle verbundenen Tätigkeiten notwendige gesundheitliche Eignung, setzt die insofern erforderliche individuelle und differenzierte Beurteilung auf einer hinreichend fundierten Tatsachenbasis in aller Regel besonderen medizinischen Sachverstand voraus (OVG NW, B.v. 23.10.2019 – 6 B 720/19 – NVwZ-RR 2020, 407 – juris Rn. 17 – m.w.N.).
3. Nach Maßgabe dieser Grundsätze erscheint die Auswahl des Antragstellers bei einer erneuten Auswahlentscheidung nicht als möglich.
Das Gesundheitszeugnis des Referats für Gesundheit und Umwelt (RGU) der Antragsgegnerin vom … Januar 2020 (A. AG 1 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom …3.2020) nach amtsärztlicher Untersuchung des Antragstellers am … Januar 2020 kommt zu dem Ergebnis, dass dieser gesundheitlich nicht in der Lage ist, die Tätigkeiten des hier streitigen Dienstpostens vollständig auszuüben. Die Tätigkeiten können voraussichtlich für zwei Jahre nicht ausgeübt werden. Eine Nachuntersuchung ist im Januar 2022 notwendig.
Diese amtsärztliche Prognose bezieht sich auf die Tätigkeitsbeschreibungen zum umstrittenen Dienstposten (A. AG 2 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom …3.2020). Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass sich diese zum Zwecke der amtsärztlichen Untersuchung des Antragstellers erstellten arbeitsplatzspezifischen Informationen auf die ab … Mai 2019 gültige Arbeitsplatzbeschreibung der hier streitigen Stelle (A. AG 3 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom *.5.2020) beziehen. Das Gesundheitszeugnis selbst nimmt Tätigkeiten „lt. Tätigkeitsbeschreibung 1“ bzw. „2“ und „3“ in Bezug. Das korrespondiert mit den in der Arbeitsplatzbeschreibung dargestellten Arbeitsvorgängen Nr. 1 (Zentrale strategische konzeptionelle Steuerung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – Zeitanteil 40%), Nr. 2 (Wahrnehmung von zentral zu koordinierenden operativen Arbeits- und Gesundheitsschutzaufgaben – Zeitanteil 40%) und Nr. 3 (Vollzug und Umsetzung des gebäudebezogenen Arbeits- und Gesundheitsschutzes – Zeitanteil 20%).
Dass der Antragsteller bestreitet, dass sich die Arbeitsplatzbeschreibung auf die ausgeschriebene Stelle beziehe, weil dort Tätigkeiten genannt seien, die nicht Inhalt der bisherigen Stelle gewesen seien, als er noch deren Stelleninhaber gewesen sei, führt zu keiner anderen Beurteilung. Es zeigt vielmehr, dass die hier strittige ausgeschriebene Stelle mit der früheren Stelle des Antragsstellers hinsichtlich der Tätigkeiten nur teilidentisch ist und es sich nunmehr um eine neu definierte Stelle handelt.
4. Es kann daher offenbleiben, ob die Beigeladene so wie geschehen in den Leistungsvergleich der Personalvorauswahl (Nr. 3.2.2 der „I. Vormerkung“ zur Stellenbesetzung vom …12.2019; Bl. 43 ff. der Vorgangsakte der Antragsgegnerin) hätte eingestellt werden dürfen. Aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten Vorgangsakte ist nichts dafür ersichtlich, dass von der Beigeladenen zum Zweck des Leistungsvergleichs ein Arbeitszeugnis angefordert worden wäre. Solches hätte jedoch nahegelegen, nachdem die Beigeladene nach ihrer Bewerbung vom … Juli 2019 zum … Oktober 2019 – und damit noch einige Zeit vor dem Auswahlvermerk vom *. Dezember 2019 – ihren Arbeitgeber gewechselt hat (Bl. 32 der Vorgangsakte).
Zur Klarstellung sei aber darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und der erkennenden Kammer jedenfalls nicht so verstanden werden sollte, dass von externen, auf Arbeitsvertrag beschäftigten Bewerbern stets und von vornherein von der Vorlage eines Arbeitszeugnisses bzw. eines Zwischenzeugnisses abgesehen werden könnte und solche Bewerber stets nur z.B. – wie hier – ein Vorstellungsgespräch mit Assessment Center-Elementen absolvieren müssten (vgl. BayVGH, B.v. 8.7.2018 – 3 CE 17.2304 – juris Rn. 9; VG München, B.v. 16.11.2018 – M 5 E 18.4029 – juris Rn. 23 und 29, bestätigt durch BayVGH, B.v. 25.2.2019 – 3 CE 18.2550 – juris Rn. 6: „Im konkreten Einzelfall durfte die Antragsgegnerin die Beigeladene jedenfalls in das wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren einbeziehen, weil aussagekräftige – aktuelle – Erkenntnisquellen (Zeugnisse) für sie nicht vorhanden waren.“).
5. Der Antragsteller hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt nach § 162 Abs. 3 VwGO ihre außergerichtlichen Kosten selbst, da sie weder einen Antrag gestellt noch das Verfahren sonst gefördert hat.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 4, Satz 1 bis 3, § 40 Gerichtskostengesetz (GKG) – ein Viertel der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge im angestrebten Amt mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, jedoch inklusive der jährlichen Sonderzahlung (jeweils ohne familienbezogene Bestandteile). Im vorliegenden Fall ergibt das nach dem Vermerk der Antragsgegnerin vom … Januar 2020: 51.881,79 EUR (Bl. 73 der Vorgangsakte).


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