Arbeitsrecht

Streitigkeiten nach dem SGB XII (Sozialhilfe) einschließlich der Angelegenheiten nach Teil 2 SGB IX

Aktenzeichen  S 22 SO 140/21

Datum:
24.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5170
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Erstattung in Höhe von 22.446,01 EURO zu leisten.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen.

Gründe

Die Klage hat vollumfänglich Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Gegenstand dieses Rechtsstreites ist die von der Klägerin mit Schreiben vom 23.08.2017 beim Beklagten erstmals geltend gemachte Erstattungsforderung für die Heimunterbringung der Hilfeempfängerin in der H. vom 01.09.2017 bis 08.03.2018.
Die Klage ist zulässig. Sie ist als isolierte Leistungsklage statthaft gem. § 54 Abs. 5 SGG (vgl. vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 11. Auflage 2014, § 54 Rn. 41 ff.).
Die Klage ist begründet, weil der Klägerin ein Erstattungsanspruch in Höhe von 22.446,01 EUR gegen den Beklagten zusteht.
Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch ist § 16 Abs. 1 SGB IX, der den allgemeinen Erstattungsregelungen in §§ 105 ff. SGB X vorgeht. Danach erstattet der zuständige Rehabilitationsträger die Aufwendungen des leistenden Rehabilitationsträgers nach den für den leistenden Rehabilitationsträger geltenden Rechtsvorschriften, wenn ein leistender Rehabilitationsträger nach § 14 Absatz 2 Satz 4 SGB IX Leistungen erbracht, für die ein anderer Rehabilitationsträger insgesamt zuständig ist. Dieser Erstattungsanspruch umfasst die nach den jeweiligen Leistungsgesetzen entstandenen Leistungsaufwendungen und eine Verwaltungskostenpauschale in Höhe von 5 Prozent der erstattungsfähigen Leistungsaufwendungen (§ 16 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die Kosten der Wohnunterbringung der Hilfeempfängerin als zweitangegangene Leistungsträgerin übernommen, obwohl hierfür nach Auffassung der erkennenden Kammer der Beklagte zuständig gewesen wäre.
Die Rechtsfrage ist streitig, ob die Heimunterbringung eine Annex-Leistung zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 Abs. 6 und Abs. 7 SGB IX in der Fassung vom 20.12.2011 (bzw. jetzt: § 49 SGB IX i.d.F. vom 30.11.2019) darstellt mit der Folge, dass die Klägerin leistungspflichtig ist, oder ob eine originäre Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers nach §§ 35a, 41 SGB VIII besteht, so dass der Beklagte zur Leistung verpflichtet ist.
Der BayVGH hat hierzu im Urteil vom 02.12.2020, 12 BV 20.1951 ausgeführt, dass der Träger der Jugendhilfe für die Unterbringung dann zuständig sei, wenn eine auswärtige Unterbringung der Hilfeempfängerin ohnehin notwendig gewesen wäre (juris-Rn. 32 des Urteils). In diesen Fällen handle es sich gerade nicht um einen Annex-Anspruch gegen den Träger der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (so auch: SG Konstanz, Urteil vom 07. Februar 2007 – S 7 AL 669/06 -, juris; BeckOK SozR/Winkler, 63. Ed. 1.12.2021, SGB VIII § 10 Rn. 9; LPK-SGB VIII/Jan Kepert, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 10 Rn. 29).
Das Bayerische Landessozialgericht hat sich dem in einer aktuellen Entscheidung ebenfalls angeschlossen. Im Urteil vom 21.02.2022, L 10 AL 81/20 wird unter Verweis auf BSG, Urteil vom 26.10.2004 – B 7 AL 16/04 R – juris ausgeführt, dass zur Abgrenzung zwischen Leistungen der beruflichen Rehabilitation und anderen Rehabilitationsleistungen (etwa solchen zur sozialen Teilhabe im Sinne des § 5 Nr. 5 SGB IX) auf den Schwerpunkt der Maßnahme abzustellen sei. Der Förderrahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beschränke sich auf die durch die Berufsausübung bzw. Erreichung des Arbeitsplatzes ausgelöste Bedarfslage. Maßnahmen, die ohne unmittelbaren Bezug zur Berufsausübung zur persönlichen Lebensführung gehörten, die Verbesserung der Lebensqualität bewirkten sowie elementare Grundbedürfnisse befriedigten und sich auf diese Weise nur mittelbar bei der Berufsausübung auswirkten, seien nicht durch Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben förderungsfähig und allenfalls im Wege der Förderung der Teilhabe am sozialen Leben (jetzt nach §§ 76 ff. SGB IX) zu übernehmen.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsauffassungen, die die erkennende Kammer inhaltlich voll und ganz teilt, konnte im vorliegenden Einzelfall alleine der Beklagte für die Wohnunterbringung der Hilfeempfängerin zuständig sein. Denn diese hat eine längere Krankheitsgeschichte und ist zunächst zur medizinischen Rehabilitation in die H. gezogen. Auch wenn es – wie der Beklagte einwendet – so gewesen sein mag, dass die Einrichtung bereits unter Berücksichtigung des geäußerten Berufswunsches ausgewählt worden ist, so lag nichtsdestotrotz der Schwerpunkt der Unterbringung auch noch bei Aufnahme der Berufsausbildung eindeutig im heilpädagogischen Bereich und gerade nicht in der beruflichen Eingliederung. Dies ergibt sich bereits aus der fachärztlichen Stellungnahme des Rehabilitationszentrums, wonach bei der volljährigen Hilfeempfängerin auf Grund der Schwere ihrer Erkrankung in Verbindung mit einem noch erheblichen emotionalen Nachreifebedarf ein Sonderförderbedarf im Rahmen einer heilpädagogisch-therapeutischen Unterbringung mit diagnosespezifischem Setting bestand. Auch der ärztliche Dienst der Klägerin hat festgestellt, dass die Hilfeempfängerin auch während einer Berufsausbildung laufend fachärztlich und sozialtherapeutisch betreut werden müsse und betreutes Wohnen weiterhin erforderlich sei. Zuletzt hat die Klägerin selbst bereits im Rahmen ihres Antrages an den Beklagten auf Wohnunterbringung ausdrücklich angegeben, dass sie auf Grund der traumatisierenden Gewalterfahrungen, welche sie zu Hause erlebt habe, nicht wieder bei ihrer Familie leben könne. Sie hätte also ohnehin und unabhängig von ihrer beruflichen Eingliederung auswärtig untergebracht werden müssen. Damit war im Ergebnis der Jugendhilfeträger für die Wohnunterbringung zuständig nach §§ 35a, 41 SGB VIII – und gerade nicht die Klägerin im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
An diesem Ergebnis ändert auch der Einwand des Beklagten nichts, dass die einzelnen Bedarfe „aus einer Hand“ zu erbringen seien und nicht künstlich aufgespalten werden dürften. Denn die Umgestaltung des SGB IX durch das BTHG hat ausdrücklich nicht eine einheitliche Leistungsgewährung durch einen einzigen Rehabilitationsträger unabhängig von der Zuordnung der jeweiligen Leistungen vorgegeben. In § 5 SGB IX i.d.F. des BTHG sind vielmehr weiterhin fünf Leistungsgruppen unterschieden, von denen die Klägerin als Rehabilitationsträgerin nur für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und für unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen vorgesehen ist, nicht aber für Leistungen zur sozialen Teilhabe, wie vorliegend. § 6 Abs. 2 SGB IX sieht weiterhin eine selbstständige und eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung der Rehabilitationsträger vor; eine Aufgabe des gegliederten Systems ist somit nicht beabsichtigt worden. Auch richten sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IX (so BayLSG, a.a.O., juris-Rn. 38).
Der Erstattungsanspruch ist auch nicht ausgeschlossen, denn die Ausschlussfrist des § 111 SGB X ist nicht versäumt. Die Klägerin hat die Erstattung erstmals mit Schreiben vom 23.08.2017 gegenüber dem Beklagten geltend gemacht, also bereits vor Beginn der Leistungsgewährung. Aus ihren Akten ergibt sich, dass es mit Datum vom selben Tag zwei Erstattungs-Anmeldungen gegeben hat: Eine gegenüber der Kriegsopferfürsorgestelle (Bl. 6 der Beklagten-Akte), eine weitere (fast wortgleiche) gegenüber dem Landratsamt Esslingen allgemein (Bl. 85 der Reha-Akte der Klägerin), wegen der streitigen heilpädagogischen Unterbringung während der Ausbildung. Dies muss ausreichen, um die Anforderungen an die Geltendmachung einer Erstattungsforderung zu erfüllen, zumal der Beklagte von Beginn an wusste, dass Streit über die Zuständigkeit bezüglich der heilpädagogischen Unterbringung bestand.
Die Höhe des Erstattungsanspruches war zwischen den Beteiligten nicht streitig, so dass weitere Ausführungen dazu entbehrlich sind.
Im Ergebnis war die Klage erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gegen dieses Urteil findet gemäß § 143 SGG die Berufung an das Bayerische Landessozialgericht nach Maßgabe der beigefügten Rechtsmittelbelehrungstatt.


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