Arbeitsrecht

Streitwert in Vertragsarztangelegenheiten

Aktenzeichen  S 38 KA 435/19

Datum:
12.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 388
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 52 Abs. 1, Abs. 2
RVG-VV Nr. 1002

 

Leitsatz

1. Die sozialgerichtliche Rechtsprechung zur Höhe von Streitwerten in Status/Zulassungssachen (tatsächliche bzw. prognostizierte Honorareinkünfte über einen Zeitraum von drei Jahren abzüglich der Praxiskosten bzw. 12-facher Ansatz des Regelstreitwertes) findet nur dann Anwendung, wenn ein direkter Zusammenhang mit Status/Zulassungsfragen besteht. Ein indirekter Zusammenhang (z.B. rechtliche Klärung, welcher von zwei sich einander widersprechenden Bescheiden der Zulassungsgremien rechtswirksam ist) rechtfertigt mangels konkreter Anhaltspunkte lediglich den einfachen Ansatz des Regelstreitwertes in Höhe von € 5.000.—(§ 52 Abs. 2 GKG). (Rn. 24)
2. Der Ansatz der Erledigungsgebühr nach RVG-VV Nummer 1002 neben der Geschäftsgebühr nach RVG-VV Nummer 2300 ist nach Sinn und Zweck nur dann gerechtfertigt, wenn der Anwalt über das normale, mit dem Betreiben des Verfahrens üblicherweise verbundene Maß hinausgehend tätig wird und damit zur Erledigung des Rechtsstreits nicht unwesentlich beiträgt (vgl. Schneider/Wolf, RVG, VV 1002 Rn. 2). (Rn. 26)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage – es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungsund Verpflichtungsklage – ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.
Die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides nach § 105 SGG liegen vor. Insbesondere hat das Gericht auf diese Entscheidungsmöglichkeit hingewiesen. Die Beteiligten haben dagegen keine Einwendungen erhoben.
Der Beklagte hat dem Antrag der Klägerin im Ergebnis zu Recht nicht entsprochen. Strittig ist zwischen den Beteiligten die Höhe der vorzunehmenden Kostenfestsetzung. Im Einzelnen kommt es darauf an, welcher Streitwert zugrunde gelegt wird (Klägerin: € 180.000; Beklagter: ? 60.000). Des Weiteren ist zwischen den Beteiligten streitig, ob der Gebührentatbestand für die Erledigungsgebühr nach RVG-VV Nummer 1002 erfüllt ist.
Das Gericht ist der Auffassung, dass der Streitwert, wie er vom Beklagten in Höhe von € 60.000 festgesetzt wurde, sogar mehr als angemessen das wirtschaftliche Interesse der Klägerseite widerspiegelt.
Nach § 52 Abs. 1 GKG ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Ergeben sich allerdings keine genügenden Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwertes, ist ein Streitwert von € 5.000 anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG).
Alle Beteiligten haben einen Zeitraum von drei Jahren zugrunde gelegt, jedoch wird vom Beklagten der Regelstreitwert in Höhe von € 5.000 pro Quartal angesetzt und auf zwölf Quartale (= drei Jahre) hochgerechnet, während der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die tatsächlichen Einkünfte der Ärzte der Berufsausübungsgemeinschaft aus den Jahren 2017 und 2018 (Einkünfte je Arzt, hochgerechnet auf drei Jahre abzüglich der Praxiskosten in Höhe von 70%) für die Berechnung der Kosten heranziehen möchte. Es trifft zu, dass die Rechtsprechung in Zulassungssachen im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit von höheren Streitwerten ausgeht, die jedenfalls über dem Regelstreitwert in Höhe von € 5.000 (§ 52 Abs. 2 GKG) liegen. So wird bei einem Verfahrensgegenstand “Entziehung der Zulassung” auf die konkret erzielten Umsätze zurückgegriffen bzw. eventuell ein Regelstreitwert für zwölf Quartale zugrunde gelegt (BSG, Beschluss vom 07.04.2000, Az B 6 KA 61/99 B; BSG, Beschluss vom 25.09.2005, Az B 6 KA 69/04 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.2007, Az L 10 B 39/06 KA). Bei einer Erstzulassung orientiert sich die sozialgerichtliche Rechtsprechung an der Höhe der bundesdurchschnittlichen Umsätze der Arztgruppe abzüglich des durchschnittlichen Praxiskostenanteils in einem Zeitraum von drei Jahren (BSG, Urteil vom 01.09.2005, B 6 KA 41/04R). Soweit Verfahrensgegenstand die Erteilung einer weiteren Genehmigung ist, werden die Mehreinnahmen innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren (BSG, Beschluss vom 11.11.2005, Az B 6 KA 12/05B) zugrunde gelegt. Für die Erteilung einer Nebentätigkeitsgenehmigung als Konsiliararzt werden ebenfalls die voraussichtlichen Honorareinnahmen für drei Jahre abzüglich der Betriebskosten (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.02.2006, Az L 10 B 21/05 KA) in Ansatz gebracht. In Orientierung an den Regelstreitwert wird für die Verlegung des Arztsitzes nach § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV und für eine Zweigpraxisgenehmigung nach § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV von einem dreifachen Regelstreitwert ausgegangen (Auffangstreitwert für zwölf Quartale; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.10.2013, Az L 7 KA 77/13 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 13.11.2007, Az L 4 KA 57/07 ER).
Verfahrensgegenstand vor dem Berufungsausschuss war jedoch ein anderer als der in den vorgenannten Entscheidungen, auch wenn ein indirekter Zusammenhang mit statusrechtlichen Fragestellungen besteht. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin führt zum Klagebegehren selbst aus, es müsse dem Fortbestand von zwei einander widersprechenden Beschlüssen des Zulassungsausschusses (Beschluss vom 31.05.2017; Beschluss vom 20.09.2017) entgegengewirkt werden. Ein direkter Zusammenhang mit statusrechtlichen Fragestellungen ist somit nicht zu erkennen. Dies hat zur Folge, dass die Rechtsprechung der Sozialgerichte zu Streitwerten bei Status/Zulassungsverfahren nicht heranzuziehen ist. Die sozialgerichtliche Rechtsprechung zur Höhe von Streitwerten in Status/Zulassungssachen (tatsächliche bzw. prognostizierte Honorareinkünfte über einen Zeitraum von drei Jahren abzüglich der Praxiskosten bzw. 12-facher Ansatz des Regelstreitwertes) findet nur dann Anwendung, wenn ein direkter Zusammenhang mit Status/Zulassungsfragen besteht. Ein indirekter Zusammenhang (z.B. rechtliche Klärung, welcher von zwei sich einander widersprechenden Bescheiden der Zulassungsgremien rechtswirksam ist) rechtfertigt mangels konkreter Anhaltspunkte lediglich den einfachen Ansatz des Regelstreitwertes in Höhe von € 5.000.-(§ 52 Abs. 2 GKG).
Daraus wäre eine 1,3 – Geschäftsgebühr RVG-VV Nummer 2300 in Höhe von € 393,90 zu berechnen.
Was die Erledigungsgebühr nach RVG-VV Nummer 1002 betrifft, ist Voraussetzung, dass sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Damit ist die Erledigungsgebühr von der Geschäftsgebühr nach RVG-VV Nummer 2300 abzugrenzen. Letztere entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrages. Daraus folgt, dass für den Ansatz der Erledigungsgebühr nach RVG-VV Nummer 1002 an den Umfang der Mitwirkung des Anwalts höhere Anforderungen gestellt werden als für den Ansatz der Geschäftsgebühr nach RVG-VV Nummer 2300. Zu Recht weist der Beklagte auf Sinn und Zweck der Erledigungsgebühr hin. Der Anwalt soll in den Fällen, in denen ein Vergleich nicht möglich ist, aber aufgrund seiner über das normale, mit dem Betreiben des Verfahrens üblicherweise verbundene Maß hinausgehende Tätigkeit der angefochtene Verwaltungsakt zurückgenommen oder in sonstiger Weise erledigt wird, für diese seine für alle Beteiligten nützlichen Bemühungen um eine Lösung ohne gerichtliche Entscheidung mit einer zusätzlichen Gebühr entlohnt werden (Schneider/Wolf, RVG, VV 1002 Rn. 2).
Insgesamt stellt sich zunächst allerdings die Frage, ob es überhaupt einer Entscheidung des Berufungsausschusses bedurft hätte. Der feststellende Beschluss des Zulassungsausschusses vom 20.09.2015, dessen Tenorierung zugegebenermaßen hätte auch anders gefasst werden können oder sogar müssen, könnte auch so zu interpretieren sein, dass damit automatisch der vorausgehende Beschluss des Zulassungsausschusses vom 31.05.2017 aufgehoben wird. Insofern könnte dem Beschluss des Berufungsausschusses vom 15.11.2018 lediglich eine klarstellende Feststellung und Wirkung zukommen.
Nach den unwidersprochenen Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat dieser in der Verhandlung vor dem Berufungsausschuss am 15.11.2018 Vorschläge unterbreitet, wie aus Sicht der Klägerseite der Umstand, dass zwei einander widersprechende Beschlüsse des Zulassungsausschusses vorliegen, beseitigt werden kann. Es wurde zum einen vorgeschlagen und beantragt, den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 31.05.2017 aufzuheben. Zum anderen wurde vorgeschlagen, im Falle einer Widerspruchsrücknahme eine Erklärung zu benötigen, wonach sich aus der Widerspruchsrücknahme keine Rechtswirkungen für eine Erweiterung der Berufsausübungsgemeinschaft zwischen den Dres. med. S., M. und S. um einen anderen Arzt als Dr. H. ergeben. Damit liegt eine Tätigkeit des Unterzeichners zur Mitwirkung bei der Erledigung der Rechtssache vor. Diesen Vorschlägen ist der Beklagte jedoch nicht gefolgt. Vielmehr erging ein Feststellungsausspruch des Inhalts, wonach dem Beschluss des Zulassungsausschusses Niederbayern vom 31.05.2017 keine Rechtswirksamkeit mehr zukomme. Dass der Beklagte nicht antragsgemäß entschied, schließt jedoch nach Auffassung des Gerichts den Ansatz der Erledigungsgebühr nach RVG-VV Nummer 1002 nicht aus.; dies auch deshalb, weil im Ergebnis die Feststellung diesselben Rechtswirkungen hat, wie eine eventuelle Aufhebung des Beschlusses des Zulassungsausschusses vom 31.05.2015.
Die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Zusammenhang mit der Erledigung des Rechtsstreits müsste jedoch über das normale Betreiben des Verfahrens hinausgehen. Nur dies würde den zusätzlichen Ansatz der Erledigungsgebühr nach RVG-VV Nummer 1002 rechtfertigen. Nach Auffassung des Gerichts erscheint es durchaus vertretbar, das durchaus vorhandene Bemühen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin um die Erledigung des Rechtsstreits nicht als ausreichend anzusehen.
Letztendlich kommt es jedoch darauf nicht an. Denn, selbst wenn der Gebührentatbestand für den Ansatz der Erledigungsgebühr nach RVG-VV Nummer 1002 erfüllt wäre, würde die 1,5 – Erledigungsgebühr bei einem Regelstreitwert in Höhe von € 5.000 bei lediglich 454,50 € liegen. Zusammen mit der Geschäftsgebühr nach RVG-VV Nummer 2300 und den sonstigen Ansätzen würde sich ein Gesamtbetrag von € 1.140,54 einschließlich Mehrwertsteuer nach Nummer 7008 VV RVG errechnen lassen. Dieser Betrag liegt weit unter den vom Beklagten anerkannten Kosten in Höhe von € 2.061,60.
Aus den genannten Gründen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.


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