Arbeitsrecht

Verdienstausfallentschädigung, Anordnung der Absonderung (Quarantäne), Nichtanrechnung von Urlaubstagen, behördliche Isolationsanordnung, Arbeitsunfähigkeit (verneint), einvernehmliche Verlegung von Urlaubstagen bei andauernder Absonderung

Aktenzeichen  Au 9 K 21.1925

Datum:
17.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 5089
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
IfSG § 56
BUrlG § 9

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Der Verwaltungsrechtsweg ist vorliegend gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 68 Abs. 1 IfSG eröffnet, da von der Klägerin ein Entschädigungsanspruch aus § 56 IfSG begehrt wird.
II. Die als Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) zulässige Klage ist unbegründet, weil der eine weitergehende Entschädigungszahlung in Höhe von 650,09 EUR auf der Grundlage des § 56 Abs. 1 IfSG versagende Bescheid des Beklagten vom 19. August 2021 rechtmäßig ist und die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Klägerin steht gegen den Beklagten aus § 56 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 Satz 3 IfSG kein (weitergehender) Anspruch auf Erstattung des an ihren Arbeitnehmer im Quarantänezeitraum gezahlten Verdienstausfalls in Höhe von 650,09 EUR zu.
1. Die formellen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor. Die erforderliche Antragstellung erfolgte am 3. Februar 2021 gem. § 56 Abs. 11 IfSG form- und fristgerecht.
2. Allerdings sind die materiellen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung eines weitergehenden Entschädigungsanspruchs nicht gegeben, weil aus § 56 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 3 IfSG für den Zeitraum vom 13. April 2020 bis zum 18. April 2020 (zunächst beantragter und bewilligter Erholungsurlaub des Arbeitnehmers) kein Entschädigungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten aufgrund der Absonderungsanordnung des zuständigen Gesundheitsamts vom 14. April 2020 besteht.
a) § 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG regelt, dass dem Arbeitgeber von der zuständigen Behörde auf Antrag die Beträge erstattet werden, die dieser dem Arbeitnehmer gemäß § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, auszuzahlen hat. Voraussetzung für den Anspruch des Arbeitgebers gegenüber der zuständigen Behörde ist folglich, dass der Arbeitnehmer aus § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG einen Anspruch auf eine Entschädigung hat, die vom Arbeitgeber ausgezahlt wurde.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG erhält eine Entschädigung in Geld, wer als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet (Satz 1). Das Gleiche gilt für eine Person, die nach § 30 IfSG, auch in Verbindung mit § 32 IfSG, abgesondert wird oder sich auf Grund einer nach § 36 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 IfSG erlassenen Rechtsverordnung absondert (Satz 2). Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist folglich Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer durch die Absonderung einen Verdienstausfall erleidet. An der Anspruchsvoraussetzung des Verdienstausfalls entscheidet sich damit das Verhältnis zwischen den Fürsorgepflichten des Arbeitgebers und der Entschädigungspflicht der Länder. Der Vorrang der Entgeltfortzahlungspflichten gegenüber dem Entschädigungsanspruch folgt dabei aus dem subsidiären Charakter der Entschädigung. Als auf dem Billigkeitsgedanken beruhendem Institut (vgl. Eckart/Kruse in BeckOK, Infektionsschutzrecht, Eckart/Winkelmüller, 9. Edition, Stand: 20.12.2021, § 56 Rn. 1 ff.) soll § 56 IfSG den Arbeitnehmer vor materieller Not schützen, wo die allgemeinen Fortzahlungspflichten nicht greifen. Eine Entlastung des Arbeitgebers bezweckt die Norm nicht (so bereits BGH, U.v. 30.11.1978 – III ZR 43/77 – NJW 1979, 422; VG Karlsruhe, U.v. 10.5.2021 – K 67/21 – BeckRS 2021, 18269 Rn. 46; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413 ff.; Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465 ff.; Eckart/Kruse in BeckOK Infektionsschutzrecht, a.a.O., § 56 Rn. 37 m.w.N.).
b) Die Tatbestandsvoraussetzung eines Verdienstausfalls infolge der behördlich angeordneten Absonderung ist vorliegend für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 13. April 2020 bis zum 18. April 2020 nicht erfüllt, weil dem Arbeitnehmer für diesen Zeitraum ein Entgeltfortzahlungsanspruch gem. §§ 1, 11 BUrlG zugestanden wäre.
aa) Nach dem Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG setzt ein Entschädigungsanspruch eine Kausalität zwischen Absonderungsanordnung und Verdienstausfall voraus (vgl. den Wortlaut in § 56 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 IfSG „und dadurch einen Verdienstausfall erleidet“). Hieran fehlt es, wenn der betroffene Arbeitnehmer – wie hier – einen Lohnfortzahlungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber besitzt. Dieser folgt im streitgegenständlichen Fall aus §§ 1, 11 BurlG, auch wenn die Klägerin und der Arbeitnehmer durch die am 9. April 2020 einvernehmlich vorgenommene Stornierung des beantragten und bewilligten Urlaubs den dem Arbeitnehmer zukommenden Anspruch auf Urlaubsgewährung und Entgeltfortzahlung einvernehmlich beseitigt haben.
bb) Die im Hinblick auf die behördliche Quarantäneanordnung erfolgte Stornierung und Verlegung des Urlaubsanspruchs auf einen späteren Zeitpunkt ist nach Auffassung der Kammer nicht geeignet, im streitgegenständlichen Fall den Entschädigungsanspruch aus § 56 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 Satz 3 IfSG zu begründen. Dabei wird nicht in Abrede gestellt, dass es privatautonom zulässig ist, einen bereits bewilligten Urlaub zu stornieren und auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen im Zeitpunkt der Stornierung – wie hier – der Urlaub vom Arbeitnehmer noch nicht in Anspruch genommen und damit die Leistungspflicht des Arbeitgebers aus § 7 BurlG noch nicht gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen ist. Dass diese Vorgehensweise arbeitsvertraglich zulässig ist, bedeutet jedoch nicht, dass zu Gunsten der Klägerin hierdurch ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch auf der Grundlage des § 56 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 Satz 3 IfSG in der geltend gemachten Höhe entsteht. Insoweit gilt es nämlich zu berücksichtigen, dass die arbeitsvertraglich zulässige Stornierung des Urlaubsanspruchs zur Folge hat, dass hiermit die Pflicht des Arbeitnehmers zur Erbringung der vertraglich versprochenen Arbeitsleistung wieder auflebt. Dieses war hier jedoch nicht möglich, da sich der betroffene Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Stornierung des Urlaubs am 9. April 2020 bereits seit dem 6. April 2020 in häuslicher Absonderung befand. Damit war den Arbeitsvertragsparteien zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass mit der Stornierung des Urlaubs für den Zeitraum vom 13. April 2020 und dem 18. April 2020 eine wieder auflebende Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen war, nachdem sich dieser bereits seit dem 6. April 2020 in häuslicher Absonderung (Quarantäne) befand. Die einvernehmliche Stornierung des Urlaubs erfolgte daher nicht mit der Zielsetzung, eine Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers H. im betroffenen Zeitraum (13. April 2020 und 18. April 2020) erneut zu begründen, sondern diente ausschließlich dem Zweck, für die infolge der Absonderung unmöglich gewordene Arbeitsleistung des betroffenen Arbeitnehmers einen Verdienstausfallentschädigungsanspruch auf der Grundlage des § 56 IfSG zu begründen. Diese Vorgehensweise ist mit dem der Regelung des § 56 IfSG zugrundeliegenden Billigkeitsgedanken und seiner Zielsetzung, eine materielle Notlage des betroffenen Arbeitnehmers zu beseitigen, nicht zu vereinbaren. Insoweit stellt sich bei der vorgenommenen Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs im Quarantänezeitraum die Situation letztlich wie bei einem Vertrag zu Lasten Dritter dar, der mit den Grundsätzen der Privatautonomie nicht vereinbar ist. Vertragliche Drittbelastungen ohne Mitwirkung des Dritten sind regelmäßig nicht möglich, solange sie – wie hier – für diesen nicht begünstigend sind. Insbesondere ist es vertragsrechtlich nicht möglich, Dritte ohne ihre Mitwirkung zu einer Leistung – hier aus § 56 IfSG – zu verpflichten. Die Stornierung und Fortschreibung des Urlaubsanspruchs würde bezogen auf die Regelung des § 56 IfSG unmittelbar eine Rechtspflicht eines an der vertraglichen Vereinbarung nicht beteiligten Dritten – ohne dessen Autorisierung – entstehen lassen (vgl. BGH, U.v. 29.6.2004 – 6 ZR 211/03 – NJW 2004, 3326).
cc) Da die Klägerin mit der ursprünglichen Gewährung des Urlaubsanspruchs unter Entgeltfortzahlung aus §§ 1, 11 BUrlG ihrer Leistungspflicht nachgekommen wäre, besteht kein Anspruch der Klägerin auf die von ihr begehrte Verdienstausfallentschädigung im Absonderungszeitraum des betroffenen Arbeitnehmers. Die Klägerin und der betroffene Arbeitnehmer haben im Zeitraum zwischen dem 13. April 2020 und dem 18. April 2020 den die materielle Notlage des Arbeitnehmers verhindernden Anspruch aus § 1, 11 BurlG einvernehmlich beseitigt, um für die Klägerin in den Genuss der staatlichen Verdienstausfallentschädigung aus § 56 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 Satz 3 IfSG zu gelangen. In einer Fallgestaltung wie dieser ist vor dem Hintergrund der gesetzlichen Intention des § 56 IfSG jedoch kein Raum für die nur subsidiär greifende öffentlich-rechtliche Billigkeitsentschädigung.
c) Die für einen Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG vorausgesetzte Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers lässt sich auch nicht mit einer direkten oder entsprechenden Anwendung von § 9 BurlG begründen. Die häusliche Absonderung (Quarantäne) gemäß § 30 IfSG steht der in § 9 BurlG genannten Arbeitsunfähigkeit nicht gleich.
aa) Gemäß § 9 BUrlG werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet, wenn ein Arbeitnehmer erkrankt. Diese Regelung verlangt, dass die Beurteilung, ob eine Erkrankung im Einzelfall aufgrund der Ausgestaltung des individuellen Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers zu einer Arbeitsunfähigkeit führt, der ärztlichen Beurteilung unterfällt (vgl. BAG, U.v. 15.12.1987, 8 AZR 674/86 – juris Rn. 14). Es besteht mithin nur dann ein Anspruch auf erneute Gewährung von Urlaubstagen, wenn der Arbeitnehmer durch ärztliches Zeugnis seine Arbeitsunfähigkeit qualifiziert nachgewiesen hat. Ohne entsprechendes ärztliches Attest besteht hingegen kein Anspruch auf Nachgewährung der betroffenen Urlaubstage (vgl. Boecken/Düwell/Diller/Hanau, 1. Auflage 2016, § 9 BUrlG, Rn. 20). Ein ärztliches Zeugnis, welches die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegt, wurde unstreitig nicht beigebracht, sodass eine direkte Anwendung von § 9 BurlG ausscheidet.
bb) Der Arbeitnehmer hat aber auch keinen Anspruch auf Nachgewährung der in die Quarantäneanordnungszeit fallenden Urlaubstage aufgrund einer analogen Anwendung von § 9 BUrlG auf den Fall einer Quarantäneanordnung.
Eine analoge Gesetzesanwendung setzt zunächst eine grundsätzlich analogiefähige Vorschrift (1) voraus, die wegen einer planwidrigen Regelungslücke des Gesetzgebers (2) nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch auf Fälle mit vergleichbarer Interessenlage (3) anzuwenden ist (vgl. BAG, U.v. 5.6.2014 – 6 AZN 267/14 – juris Rn. 37).
(1) Nach der Konzeption des Bundesurlaubsgesetzes, wonach urlaubsstörende Ereignisse grundsätzlich als Teil des persönlichen Lebensschicksals in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers fallen (vgl. BAG, U.v. 9.8.1994 – 9 AZR 384/92 – juris Rn. 33), handelt es sich bei § 9 BurlG um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, sodass bereits begründete Zweifel an der grundsätzlichen Analogiefähigkeit der Vorschrift bestehen (vgl. Schinz in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrechtkommentar, 9. Auflage 2020, § 9 BUrlG Rn. 9; Hein/Tophof, NZA 2021, 601 ff.; BAG, U.v. 25.8.2020 – 9 AZR 612/19 – juris Rn. 29; a.A. ohne nähere Begründung Eckart/Kruse in BeckOK InfSchR, a.a.O. § 56 Rn. 37.2; Kümper in Kießling.Infektionsschutzgesetz IfSG, 2. Aufl. 2021, § 56 Rn. 25). Nur für den Fall der Erkrankung, welche zu einer Arbeitsunfähigkeit führt, hat der Gesetzgeber mit § 9 BUrlG eine Änderung der Risikoverteilung vorgesehen (BAG, U.v. 9.8.1994 – 9 AZR 384/92 – juris Rn. 33). Die arbeitsrechtliche Rechtsprechung hat eine entsprechende Anwendung der eng gefassten Sondervorschrift des § 9 BUrlG auf andere Sachverhalte mehrfach abgelehnt. Grundsätzlich trägt damit der Arbeitnehmer selbst das Risiko, dass sich der Urlaubszweck nach der Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht oder jedenfalls nicht vollständig realisieren lässt. Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts hat der Arbeitgeber als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan (§ 243 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien – wie in §§ 9, 10 BUrlG – besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen, findet eine Umverteilung des Risikos zugunsten des betroffenen Arbeitnehmers statt (vgl. BAG, U.v. 18.3.2014 – 9 AZR 669/12 – juris Rn. 23; BAG, U.v. 10.5.2005 – 9 AZR 251/04 – BAGE 114, 313); die Bestimmungen der §§ 9, 10 BUrlG sind damit nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschriften. Somit trägt regelmäßig der Arbeitnehmer das Risiko, dass sich der Urlaubszweck nach der Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht (vollständig) realisiert.
(2) Für eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG fehlt es vorliegend jedoch auch an einer planwidrigen Regelungslücke.
Für die Kammer ist nicht ersichtlich, dass eine Anordnung der Quarantäne mit der hieraus folgenden Absonderung etwas anderes wäre als sonstige, nicht mit einer Erkrankung verbundenen urlaubsstörenden Ereignisse. Nichts anderes folgt aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30. November 1978 (Az.: III ZR 43/77 – NJW 1979, 422), in der Ausscheider nach dem Bundesseuchengesetz Erkrankten gleichgestellt wurden. Ausscheider sind jedoch selbst von einer Infektion betroffen, während vorliegend die Absonderung nur durch einen bloßen Kontakt zu einem Infizierten und den dadurch ausgelösten Verdacht einer Infektion ausgelöst wurde (vgl. ArbG Neumünster, U.v. 3.8.2021 – 3 Ca 362 b/21 – juris Rn.19).
Auch wenn nicht verkannt wird, dass sich die Interessenlage des Arbeitnehmers im Falle der angeordneten häuslichen Quarantäne häufig ähnlich darstellt wie im Falle einer Arbeitsunfähigkeit, scheitert eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG damit bereits am Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat seit vielen Jahren in Kenntnis vergleichbarer Sachverhalte bewusst auf eine Änderung bzw. Erweiterung von § 9 BUrlG verzichtet. Da bei der Schaffung von § 9 BUrlG im Jahre 1963 bereits das Bundesseuchengesetz gegolten hat, waren Unterscheidungen zwischen Krankheit und bloßer seuchenbezogener Risiken, die zu einer Quarantäneanordnung führen konnten, bereits bekannt. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die mit einer Quarantäneanordnung verbundenen Folgen wie die hier vorliegende auch in der Vergangenheit schon tatsächlich aufgetreten sind. Dennoch wurde diese Fallgestaltung nicht geregelt. Gerade auch in jüngster Zeit wurden etliche Gesetze an die neue „Corona-Situation“ angepasst, die Vorschrift des § 9 BUrlG blieb jedoch unverändert. Somit kann gerade nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe eine Änderung des § 9 BUrlG nicht im Blick gehabt oder schlichtweg vergessen (vgl. Hein/Tophof, NZA 2021, 601 ff.). Damit fehlt es aber an der für eine analoge Anwendung einer Norm erforderlichen Voraussetzung, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigte Lücke vorliegt und diese Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Andernfalls könnte jedes Schweigen des Gesetzgebers – der Normalfall, wenn er bewusst etwas nicht regeln will – als planwidrige Lücke aufgefasst und dies im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden (BAG, U.v. 13.12.2006 – 10 AZR 674/05 – BAGE 120, 352).
(3) Darüber hinaus fehlt es vorliegend aber auch an einer vergleichbaren Sachlage. Die bloße Absonderung führt nicht unmittelbar und zwingend zu einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.
Eine analoge Gesetzesanwendung erfordert, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt, wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle (BAG, U.v. 10.12.2013- 9 AZR 51/13 – BAGE 146, 384 ff.; BAG, U.v. 21.2.2013 – 2 AZR 433/12 – juris Rn. 20). Eine analoge Anwendung kommt dabei nur in Betracht, wenn typischerweise durch die behördlich angeordnete Quarantäne eine mit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbare Beeinträchtigung vorliegt (vgl. BAG, U.v. 9.8.1994 – 9 AZR 384/92 – juris Rn. 34). Die behördlich angeordnete Quarantäne führt dazu, dass die betroffene Person „abgesondert“ wird. Diese Absonderung ist aber weder vergleichbar mit einer Erkrankung noch mit der hieraus folgenden Arbeitsunfähigkeit. Denn nicht jede Absonderung (Quarantäne) führt dazu, dass ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung objektiv nicht mehr erbringen kann. Wie die aktuelle Lage gezeigt hat ist es für eine Vielzahl von Arbeitnehmern möglich, trotz Quarantäneanordnung ihre Arbeitsleistung (z.B. im Homeoffice) weiterhin zu erbringen (Hein/Tophof, NZA 2021, 604). Auch wenn es – wie den hier betroffenen Arbeitnehmer – Arbeitnehmer gibt, die aufgrund des Zuschnitts ihrer Tätigkeit ihre Arbeitsleistung infolge einer Quarantäneanordnung nicht mehr erbringen können, so kann dennoch nicht von einer typischen Beeinträchtigung vergleichbar einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit die Rede sein. Die vom BAG geforderte Typik erfordert es aber, dass ohne Betrachtung der Ausgestaltung des einzelnen Beschäftigungsverhältnisses die Quarantäne/Absonderung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gleichsteht. Die typische Beeinträchtigung müsste also bereits durch die Quarantäneanordnung als solche gegeben sein. Dieses ist offensichtlich zu verneinen. Typischerweise und abstrakt betrachtet ist die Quarantäneanordnung nicht mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen (so im Ergebnis auch Hein/Tophof, NZA 2021, 604, ArbG Bonn, U.v. 7.7.2021 – 2 Za 504/21 – juris Rn. 46-48; ArbG Neumünster, U.v. 3.8.2021 – 3 Ca 362 b/21 – juris Rn. 17 ff.; ArbG Halle (Saale), U.v. 23.6.2021, – 4 Ca 285/21 – juris Rn. 31). Auch darf die richterliche Rechtsfortbildung nicht dazu führen, dass ein Gericht seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt. Dies würde in unzulässiger Weise in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers eingreifen. Damit ist im Ergebnis eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG auf die Fälle der behördlich angeordneten Absonderung (Quarantäne) zu verneinen.
d) Soweit die Klägerin und der betroffene Arbeitnehmer bei der vorgenommenen Stornierung des Urlaubs am 9. April 2020 davon ausgegangen sind, dass zugunsten des Arbeitnehmers die Regelung des § 9 BurlG zumindest in analoger Form Anwendung findet, handelt es sich insoweit um einen vermeidbaren Rechtsirrtum, der zu Lasten der Klägerin geht. Dieser Umstand ist ebenfalls nicht geeignet, einen Verdienstausfallentschädigungsanspruch der Klägerin auf der Grundlage des § 56 IfSG zu begründen.
III. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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