Arbeitsrecht

Verdienstausfallentschädigung, tarifvertraglicher Lohnfortzahlungsanspruch, subjektives Leistungshindernis

Aktenzeichen  W 8 K 21.864

Datum:
15.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42601
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 56 Abs. 1
IfSG § 56 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Voll-streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet. 

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erstattung einer Verdienstausfallentschädigung sowie abgeführter Sozialversicherungsbeiträge für ihre Arbeitnehmerin A. S … (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Es fehlt bereits an dem notwendigen Verdienstausfall i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG der Arbeitnehmerin der Klägerin. Die Klägerin war vielmehr gem. § 10 MTV verpflichtet, ihrer Arbeitnehmerin für den Zeitraum vom 8. bis 18. Januar 2021 die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung trotz Quarantäne zu bezahlen.
Gem. § 56 Abs. 5 Satz 2, i.V.m. Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne im Januar 2021 maßgeblichen Fassung mit Gültigkeit vom 16. Dezember 2020 bis 30. März 2021 (vgl. zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage i.R.d. § 56 IfSG: VG Bayreuth, U.v. 21.6.2021 – B 7 K 21.110 – juris) erhält der Arbeitgeber, der für die zuständige Behörde die Entschädigung auszahlt, auf Antrag eine entsprechende Erstattung, wenn sein Arbeitnehmer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden.
Vorliegend hat die Klägerin ihrer Arbeitnehmerin für den Zeitraum der Quarantäne einen Betrag in Höhe von 460,12 EUR gezahlt und bei dem Beklagten einen Antrag auf deren Erstattung gestellt. Allerdings müsste der Arbeitnehmerin der Klägerin ein – zunächst von der Klägerin für die zuständige Behörde zu erfüllender – Entschädigungsanspruch gem. § 56 Abs. 1 IfSG zugestanden haben. Die Arbeitnehmerin der Klägerin war zwar i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG abgesondert worden. Der Anspruch scheitert jedoch daran, dass sie keinen Verdienstausfall i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG erlitten hat.
An einem Verdienstausfall fehlt es, wenn der Arbeitgeber für die Dauer des Quarantänezeitraums – insbesondere arbeits- oder tarifvertragsrechtlich – zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist (vgl. BGH, U.v. 31.11.1978 – III ZR 43/77 – NJW 1979, 422, 424; BGH, U.v. 1.2.1979 – III ZR 88/77, NJW 1979, 1460; Eckart/Kruse in: BeckOK InfSchR, 9. Ed. 20.12.2021, IfSG § 56 Rn. 37). Vorliegend ergibt sich ein solcher Entgeltfortzahlungsanspruch der Arbeitnehmerin gegenüber der Klägerin aus § 10 MTV. Dass die Regelungen des MTV Teil des Arbeitsvertrages sind, ist unstrittig.
Nach § 10 MTV hat die Arbeitnehmerin der Klägerin bei unverschuldetem Arbeitsversäumnis infolge eines in ihrer Person liegenden Grundes Anspruch auf Fortzahlung des Gehaltes in Höhe von 100% bis zum Ende der sechsten Woche.
Das Tatbestandsmerkmal des subjektiven Leistungshindernisses („infolge eines in ihrer Person liegenden Grundes“) ist erfüllt. Die amtlich angeordnete Absonderung, und damit das Arbeitshindernis, stellt ein solches subjektives Leistungshindernis dar. Denn es stammt aus den persönlichen Lebensumständen der Arbeitnehmerin. Die Absonderungsanordnung ist in der, von der Arbeitnehmerin als infektionsschutzrechtlichen Störerin ausgehenden, potentiellen Ansteckungsgefahr begründet und verwirklicht somit einen personenbezogenen Gefahrenverdacht. Insofern hebt sich ein infektionsschutzrechtlicher Störer gerade von der Allgemeinheit ab. Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich bei der Corona-Pandemie um ein weltweites Ereignis handelt, durch das ein vergleichbares Leistungshindernis zur selben Zeit für eine Vielzahl von Personen bestehen kann. Denn die Absonderungsanordnung stellt aufgrund der ihr zugrundeliegenden Beurteilung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelsachverhalts – wie z.B. Dauer und räumliche Nähe des Kontakts, Lüftungsverhältnisse, das Tragen von Masken etc. – dahingehend, ob diese zu einer, von dem jeweiligen Adressaten ausgehenden, Übertragungsgefahr führen könnten, einen individualisierten, einzelfallabhängigen Verwaltungsakt dar (ebenso: VG Bayreuth, U.v. 13.9.2021 – B 7 K 21.428 – juris, vgl. weiter: BGH, U.v. 30.11.1978 – III ZR 43/77 – NJW 1979, 422, 424; NdsOVG, B.v. 2.7.2021 – 13 LA 258/21 – juris Rn. 10; B.v. 23.9.2021 – 13 LA 286/21 – BeckRS 2021, 27936 Rn. 6; VG Frankfurt a. M. U.v. 20.7.2021 – 5 K 578/21.F – BeckRS 2021, 21252; VG Koblenz, U.v. 10.5.2021 – 3 K 108/21.KO – juris Rn. 26; VG Freiburg (Breisgau), U.v. 2.7.2021 – 10 K 547/21 – juris Rn. 26).
Ein Verschulden der Arbeitnehmerin für die Verhinderung ist nicht zu erkennen.
Die Absonderungszeit überschritt auch nicht die nach § 10 MTV maßgeblichen 6 Wochen, weshalb die Arbeitnehmerin gegenüber der Klägerin für die gesamte Zeit ihrer Absonderung einen Anspruch auf Fortzahlung des Gehaltes in Höhe von 100% hat.
Der Anspruch ist auch nicht durch § 17 Abs. 3 MTV ausgeschlossen, da sich dieser lediglich auf Ansprüche aus § 616 BGB bezieht. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 3 MTV als auch daraus, dass sonst nie ein Anspruch aus § 10 MTV bestehen könnte und seine Festsetzung im MTV unnötig gewesen wäre.
Der bestehende Lohnfortzahlungsanspruch aus § 10 MTV hat entgegen der Ansicht der Klägerin auch Vorrang vor einem Entschädigungsanspruch gem. § 56 Abs. 1 IfSG. Die Subsidiarität des Entschädigungsanspruchs aus § 56 Abs. 1 IfSG ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm, „und dadurch einen Verdienstausfall erleidet“, welcher eindeutig die Notwendigkeit, dass der Arbeitnehmer infolge seiner Absonderung keine Vergütung erhält, normiert. Sie folgt weiterhin auch aus dem Sinn und Zweck des Entschädigungsanspruchs. Es handelt sich um einen Billigkeitsanspruch und nicht, wie die Klägerin vorträgt, um eine Regelung, welche darauf abzielt, die Folgen der Seuche aus dem Gemeinschaftsfonds der Steuern zu zahlen, um sie nicht über die Arbeitgeber zu privatisieren. Dies ergibt sich aus der Intention des Gesetzgebers. Der Entschädigungsanspruch wurde nicht, wie die Klägerin wohl meint, erst aufgrund der Corona-Pandemie geschaffen, sondern wurde bereits im § 49 BSeuchG normiert, welcher nahezu unverändert als § 56 in das Infektionsschutzgesetz übernommen wurde (vgl. BT-Drs. 14/2530, 88). Nach der Gesetzesbegründung zu § 49 BSeuchG, ist die Vorschrift eine Billigkeitsregelung, die keinen vollen Schadensausgleich, sondern eine gewisse Sicherung der Betroffenen vor materieller Not bezweckt (BT-Drs. III/1888, 27). Diese Zweckrichtung des Entschädigungsanspruchs zeigt, dass eine aus dem Arbeitsverhältnis beruhende Verpflichtung des Arbeitgebers, für die Dauer des Beschäftigungsverbots das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen, nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden sollte (BGH U.v. 31.11.1978 – III ZR 43/77 – NJW 1979, 422, 424).
Ein anderes Verständnis des § 56 IfSG, wie von Klägerseite behauptet, wurde nicht konkretisiert oder gar belegt und wäre im Übrigen irrelevant.
In der Folge besteht auch kein Anspruch auf Erstattung der für die Arbeitnehmerin abgeführten Sozialversicherungsbeiträge gem. § 57 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 IfSG da hierfür der Anspruch gem. § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 1 IfSG Voraussetzung wäre.
Gemäß vorstehender Erwägungen war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Berufung war nicht nach § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, da keiner der Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO vorliegt. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aufgrund des Urteils des BAG vom 13. Oktober 2021 – 5 AZR 211/21 -, da dieses einen gänzlich anderen Sachverhalt betrifft.


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