Arbeitsrecht

Verfahrenskostenhilfe (hier: Anrechnung des bayerischen Familiengelds als Einkommen)

Aktenzeichen  7 WF 241/19

Datum:
18.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 45549
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG § 76 Abs. 1
BayFamGG Art. 1 S. 4
BEEG § 10 Abs. 1
SGB I § 18

 

Leitsatz

1. Mutwillig ist eine Rechtsverfolgung dann, wenn ein verständiger, nicht hilfsbedürftige Bedürftiger seine Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen oder der Beteiligte den verfolgten Zweck auf billigerem Weg erreichen würde. Dies gilt auch in Verfahren über die elterliche Sorge oder den Umgang. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das bayerische Familiengeld in Höhe von 600,00 Euro ist mit einem Betrag von 300,00 Euro gemäß § 76 Abs. 1 FAmFG, § 115 ZPO als Einkommen zu berücksichtigen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 F 1451/19 2019-08-28 Bes AGWUERZBURG AG Würzburg

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 28.8.2019 abgeändert.
Der Antragsgegnerin wird für das Verfahren erster Instanz Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Die Bewilligung erfolgt mit Ratenzahlungsanordnung. Die Höhe der monatlichen Rate beträgt 43,00 Euro.
Zur Vertretung wird der Antragsgegnerin Rechtsanwalt …, beigeordnet.
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 29.8.2019 hat das Amtsgericht Würzburg den Antrag der Antragsgegnerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abgelehnt. Das Erstgericht vertritt die Auffassung, dass die Antragsgegnerin, obwohl sie einen Umgang des Antragstellers mit den gemeinsamen Kindern nicht ablehnend gegenüberstehe, einen außergerichtlichen Termin beim Kreisjugendamt … abgelehnt und statt dessen eine Entscheidung des Familiengerichts gewünscht. Der Antragsteller wäre dagegen zu einem Gespräch bereit gewesen. Beim Kreisjugendamt hätten nur die Modalitäten des Umgangs geklärt werden müssen. Durch die ablehnende Haltung der Antragsgegnerin sei der Antragsteller gezwungen gewesen, das gerichtliche Verfahren einzuleiten. Die Rechtsverteidigung der Antragsgegnerin erscheine deshalb als mutwillig.
Gegen den am 12.9.2019 an den Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin zugestellten Beschluss wendet sich diese mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 12.9.2019, eingegangen am selben Tag beim Amtsgericht Würzburg. Auf das Beschwerdevorbringen wird Bezug genommen.
Das Amtsgericht Würzburg hat der sofortigen Beschwerde der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 27.9.2019 nicht abgeholfen und die Beschwerde dem zuständigen Oberlandesgericht Bamberg zur Entscheidung vorgelegt. Auf die umfassenden Gründe der Nichtabhilfeentscheidung wird Bezug genommen. Die Antragsgegnerin hatte im Beschwerdeverfahren rechtliches Gehör.
II.
1. Die § 76 Abs. 1 FamFG, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Der Antragsgegnerin ist für das Verfahren erster Instanz Verfahrenskostenhilfe unter Anordnung einer monatlichen Ratenzahlung in Höhe von 43,00 Euro zu bewilligen. Zur Vertretung wird Rechtsanwalt … beigeordnet.
Die Rechtsverteidigung der Antragsgegnerin ist entgegen der Auffassung des Erstgerichts nicht mutwillig.
Mutwillig ist eine Rechtsverfolgung dann, wenn ein verständiger, nicht hilfsbedürftige Bedürftiger seine Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen oder der Beteiligte den verfolgten Zweck auf billigerem Weg erreichen würde. Dies gilt auch in Verfahren über die elterliche Sorge oder den Umgang.
Das Beschwerdegericht teilt die in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass in umgangsrechtlichen Verfahren es dem bedürftigen Beteiligten obliegt, grundsätzlich zunächst durch Vermittlung des Jugendamtes eine Lösung der Umgangsstreitigkeit herbeizuführen, bevor ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wird (OLG Brandenburg, FamRZ 2005, 1914). Dies setzt aber letztlich voraus, dass eine realistische Chance auf eine einvernehmliche außergerichtliche Lösung gegeben ist.
Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Zwar haben die Beteiligten im einstweiligen Anordnungsverfahren 5 F 1182/19 wegen Regelung der elterlichen Sorge auch eine Vereinbarung getroffen, wonach zunächst am 2.8.2019 und am 9.8.2019 zwei Umgänge des Antragstellers mit seinen Kinder stattfinden sollten. Allein aus dieser Vereinbarung und daraus, dass der erste Umgang komplikationslos und einvernehmlich verlief, kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die Kindseltern außergerichtlich in der Lage gewesen wären, den Umgang langfristig unter Zuhilfenahme des Jugendamtes zu regeln. Dagegen spricht die erheblich konfliktbehaftete Beziehung der Kindseltern. Der Antragsteller unterstellt der Antragsgegnerin, sie sei ungeeignet, die Kinder adäquat zu erziehen. Die Antragsgegnerin ihrerseits behauptet, der Antragsteller habe ihr mit dem Tod gedroht. Aufgrund dessen verweigere sie ein Zusammentreffen mit ihm, insbesondere auch im Rahmen von Umgangskontakten. Aus dem Bericht des Verfahrensbeistandes vom 4.9.2019 folgt zudem, dass die Beteiligten unterschiedliche Vorstellungen über den Umfang der Umgangskontakte haben, weshalb aus dessen Sicht ein geregelter Umgang zu einer deutlichen Entspannung des Elternkonfliktes führen könnte. Vor diesem Hintergrund ist das Ansinnen der Antragsgegnerin eine gerichtliche Entscheidung zum Umgang herbeizuführen, nachvollziehbar, weil die konfliktbehaftete Beziehung der Kindseltern nämlich befürchten lässt, dass allein eine außergerichtliche Regelung im Rahmen einer Vereinbarung beim Jugendamt nicht zu einer Entspannung beigetragen werden kann und sich deshalb der sich der bestehende Elternkonflikt nachteilig auf das Kindeswohl auswirken kann.
2. Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin rechtfertigen die Bewilligung von Verfahenskostenhilfe mit der Anordnung einer Ratenzahlung in Höhe von monatlich 43,00 Euro.
Das von der Antragsgegnerin bezogene bayerische Familiengeld in Höhe von 600,00 Euro ist mit einem Betrag von 300,00 Euro gemäß § 76 Abs. 1 FAmFG, § 115 ZPO als Einkommen zu berücksichtigen.
Das Einkommen der Antragsgegnerin ist gem. § 76 Abs. 1 FamFG, § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu bestimmen. Danach gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldes wert. Grundsätzlich sind damit auch Einkünfte aus Zweck gerichteten öffentlichrechtlichen Zuwendungen Einkommen i.S.d. genannten Vorschrift (MünchKomm ZPO § 115 Rn. 16 Beckonline), also auch die Zuwendungen auf der Grundlage des bayerischen Familiengeldgesetzes (BayFamGG).
Soweit die Antragsgegnerin im Parallelverfahren 7 WF 253/19 einwendet, dass nach der Intention des Gesetzes das bayerische Familiengeld als Anerkennung für die Erziehungsleistungen und die frühkindliche Bildung ausgestaltet sei und überhaupt nicht als Einkommen anzusehen sei, kann dem Einwand nicht gefolgt werden. Zutreffend ist, dass das bayerische Familiengeld nicht auf SGB II – Leistungen und Leistungen der Sozialhilfe anzurechnen ist, weil es sich dabei um existenzsichernde Sozialleistungen handelt. Denn auf diese Leistungen soll gemäß der in Art. 1 S. 4 BayFamGG formulierten Zweckbestimmung – diese erfolgte aufgrund einer Übereinkunft zwischen dem Bund und dem Freistaat Bayern – eine Anrechnung des Familiengeldes nicht erfolgen. Bei nicht existenzsichernde Sozialleistungen ist die Anrechnungsfreiheit dagegen nicht gegeben (Art. 1 Satz 3 BayFamGG) und deswegen das Familiengeld grundsätzlich als Einkommen i. S. v. § 115 ZPO zu berücksichtigen.
Eine Einschränkung der Anrechenbarkeit bei der Prozess- / Verfahrenskostenhilfe als nicht existenzsichernde Sozialleistung ergibt sich vorliegend jedoch aus § 10 Abs. 1 BEEG.
Die Prozesskosten- / Verfahrenskostenhilfe gemäß § 76 Abs. 1 FamFG, §§ 114 ff ZPO ist eine Sozialleistung i.S. v. § 10 Abs. 1 BEEG. Denn der Begriff der Sozialleistungen ist aufgrund der gesetzgeberischen Zwecksetzung weit auszulegen ist, um der Anrechnungsfunktion Geltung zu verschaffen. Deswegen sind nicht nur die in § 18 ff. SGB I genannten Sozialleistungen, sondern auch die Prozesskosten- / Verfahrenskostenhilfe erfasst. (vgl. Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann BEEG, § 10 Rn. 2 Beckonline; Buchner/Becker MSCHG und BEEG, BEEG § 10 Rn. 24 Beckonline).
§ 10 Abs. 1 BEEG bestimmt, dass das Elterngeld, das Betreuungsgeld und jeweils vergleichbare Leistungen der Länder sowie die nach § 3 oder § 4 c auf die jeweilige Leistung angerechneten Einnahmen oder Leistungen bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist, bis zu einer Höhe von insgesamt 300,00 Euro im Monat als Einkommen unberücksichtigt bleiben.
Das bayerische Familiengeld fällt in den Schutzbereich der Norm.
Zwar ist das Familiengeld dem Bundeselterngeld nicht gleichzusetzen, weil es im Gegensatz zu diesem keine Lohnersatzfunktion hat, sondern einkommensunabhängig geleistet wird.
Beachtlich ist aber, dass der in § 10 Abs. 1 BEEG festgelegte Mindestbetrag in Höhe von 300,00 Euro als zusätzliche Leistung für die Kindererziehung gedacht ist, die andere Unterhalts- und Sozialleistungansprüche unberührt lässt. Das Elterngeld erfüllt demnach eine Doppelfunktion: bis zum Mindestbetrag von 300,00 Euro ist es Zusatzleistung, darüber hinausgehend Entgeltersatzleistung (vgl. zum Ganzen: Buchner/Becker/Prof. Dr. H. B1./Prof. Dr. U. B2. BEEG § 10 Rdnr 6-14 – beckonline). Das bayerische Familiengeld, dessen Zweck gemäß Art. 1 S.1 in der Anerkennung der Erziehungsleistung liegt, ist mit der ersten Funktion des Elterngeldes – Anerkennung der Kindererziehung – vergleichbar. Folglich ist ein Sockelbetrag des bayerischen Familiengeldes von 300,00 Euro bei der Einkommensberechnung gemäß § 115 ZPO anrechnungsfrei.
Damit ergibt sich für das einzusetzende Einkommen folgende Berechnung, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Antragsgegnerin gemäß Bescheid des Jobcenters N. vom 16.09.2019 über Arbeitslosengeld (Hilfe zum Lebensunterhalt) in Höhe von monatlich 189,52 Euro verfügt
A. Einzusetzendes Einkommen
Einkommen nach § 115 Abs. 1 S.1 ZPO
1. Familiengeld . . . . . . . . . . . 300,00 Euro
2. Arbeitslosengeld . . . . . . . . . . 189,52 Euro
3. Kindergeld . . . . . . . . . . . . 853,00 Euro
„ Geld und Geldeswert . . . . . . . . . 1.342,52 Euro
Grundfreibeträge, Unterhalt (§ 115 Abs. 1 Nr.2 ZPO)
Eigenbedarf . . . . . . . . . . . . 491,00 Euro
Einkommen der 1. weiteren Person im Haushalt:
. . . . . . . . . . 202,00 Euro
1. weitere Person im Haushalt 6 Jahre alt . . . . 80,00 Euro
Einkommen der 2. weiteren Person im Haushalt:
. . . . . . . . . . 150,00 Euro
2. weitere Person im Haushalt 5 Jahre alt . . . . 132,00 Euro
Einkommen der 3. weiteren Person im Haushalt:
. . . . . . . . . . 150,00 Euro
3. weitere Person im Haushalt 2 Jahre alt . . . . 132,00 Euro
Einkommen der 4. weiteren Person im Haushalt:
. . . . . . . . . . 150,00 Euro
4. weitere Person im Haushalt 2 Jahre alt . . . . 132,00 Euro
„ Bedarf nach § 115 Abs. 1 Nr.2 ZPO . . . . . . 967,00 Euro Mehrbedarfe (§ 115 Abs. 1 Nr.4 ZPO)
Kinderbetreuungsfreibetrag . . . . . . . . 204,00 Euro
„ Abzüge . . . . . . . . . . . . . 204,00 Euro besondere Belastungen (§ 115 Abs. 1 Nr.5 ZPO)
Abzüge . . . . . . . . . . . . . 85,00 Euro
Einzusetzendes Einkommen nach 115 Abs. 2 ZPO
Geld und Geldeswert . . . . . . . . . 1.342,52 Euro Abzüge nach § 115 Abs. 1 Nr.2 ZPO . . . . . -967,00 Euro Abzüge nach § 115 Abs. 1 Nr.4 ZPO . . . . . -204,00 Euro Abzüge nach § 115 Abs. 1 Nr.5 ZPO . . . . . . -85,00 Euro
„ einzusetzen . . . . . . . . . . . . 86,52 Euro
B. Höhe der Monatsrate
43,00 EURO
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 76 Abs. 1 FamFG, § 127 Abs. 4 ZPO).
4. Die Rechtsbeschwerde wird zur Klärung der Rechtsfrage, ob und gegeben falls in welcher Höhe das bayerische Familiengeld als Einkommen gemäß § 76 Abs. 1. FamFG, § 115 ZPO zu berücksichtigen ist, zugelassen.


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