Arbeitsrecht

Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts nach dem Umfang der Verfahrenskostenhilfebewilligung

Aktenzeichen  11 WF 832/16

Datum:
5.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 131876
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 48 Abs. 1, § 55

 

Leitsatz

1 Bewilligt das Gericht in einem klarstellenden Beschluss Verfahrenskostenhilfe auch für die Verfahrens- und Terminsgebühr, dann hat diese Entscheidung Bindungswirkung für die Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dies gilt auch dann, wenn die Klarstellung erst nach Abschluss des Verfahrens erfolgt oder wenn der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine Vereinbarung, aus der sich ein Mehrwert ergibt, erst nach Abschluss der Vereinbarung gestellt wird. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3 Entspricht es jahrelanger gerichtlicher Übung, sämtliche Gebühren zu erstatten, die mit einem Mehrvergleich zusammenhängen, wenn Verfahrenskostenhilfe auch für diesen bewilligt war, so gebietet der Vertrauensschutz die gleiche Erstattung auch dann, wenn das Gericht ohne Hinweis auf Beschränkungen die bewilligte Verfahrenskostenhilfe auf einen Vergleichsabschluss erstreckt (Fortführung von OLG Bamberg, Beschl. v. 01.02.2013 – 2 WF 247/12). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

002 F 330/16 2016-06-13 Bes AGWEIDEN AG Weiden

Tenor

Die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht -Weiden i. d. OPf. vom 13.06.2016 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Im vorliegenden Gewaltschutzverfahren haben die Beteiligten im Termin vom 20.04.2016 eine Vereinbarung auch zur Herausgabe von persönlichen Sachen ihrer Kinder geschlossen, der Verfahrenswert wurde mit Beschluss vom 20.04.2016 auf 2.000,- Euro, der überschießende Wert der Vereinbarung ebenfalls auf 2.000,- Euro festgesetzt. Nach Genehmigung der Vereinbarung hat der Vertreter der Antragstellerin beantragt, die „bewilligte Verfahrenskostenhilfe auf die getroffene Vereinbarung zu erstrecken.“
Mit Beschluss vom 21.04.2016 hat das Amtsgericht der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt und ihr einen Rechtsanwalt beigeordnet. Die Bewilligung erfolgte „auch für die Vereinbarung vom 20.04.2016.“
Mit Beschluss vom 25.04.2016 hat der Rechtspfleger die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu zahlende Verfahrenskostenhilfevergütung auf 916,30 Euro festgesetzt, resultierend aus einer 1,3 Verfahrensgebühr und einer 1,2 Terminsgebühr jeweils aus dem Gegenstandswert von 2.000,- Euro sowie einer 1,0 Einigungsgebühr aus dem Verfahrenswert von 2.000,- Euro und einer 1,5 Einigungsgebühr gemäß Nr. 1000 VV-RVG ebenfalls aus einem Verfahrenswert von 2.000,- Euro zuzüglich der Post- und Telekommunikationspauschale und der Mehrwertsteuer. Die Differenz-Verfahrensgebühr und die erhöhte Terminsgebühr wurden nicht angesetzt und zur Begründung ausgeführt, würde die einem Beteiligten in einer selbständigen Familiensache bewilligte Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss eines Vergleichs über nicht rechtshängige Ansprüche erstreckt, könne dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse weder eine Verfahrensgebühr noch eine Terminsgebühr aus dem Mehrwert des Vergleichs erstattet werden.
Gegen diesen Beschluss wandte sich der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit seiner Erinnerung vom 27.04.2016 und beantragte zugleich, den Verfahrenskostenhilfebeschluss zu ergänzen. Der Erinnerung wurde mit Beschluss vom 11.05.2016 nicht abgeholfen, mit Beschluss vom 12.05.2016 der zuständigen Richterin wurde der Beschluss zur Verfahrenskostenhilfe dahingehend klarstellend ergänzt, dass die bewilligte Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt G… auf den Abschluss der Vereinbarung einschließlich der diesbezüglich angefallenen Verfahrens- und Terminsgebühr hinsichtlich der weiteren Gegenstände des überschießenden Mehrvergleiches erstreckt werde.
Mit Beschluss vom 13.06.2016 hat das Amtsgericht auf die Erinnerung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Weiden i. d. OPf. vom 25.04.2016 aufgehoben und die aus der Staatskasse zu zahlende Verfahrenskostenhilfevergütung auf 1.204,76 Euro festgesetzt. Zur Begründung führt das Gericht aus, es sei mit Beschluss vom 12.05.2016 klargestellt worden, wie der Bewilligungsbeschluss vom 20.04.2016 auszulegen sei. Das Gericht knüpfe (mit dieser Auslegung) an die seit Jahren bei dem Amtsgericht Weiden i. d. OPf. bestehende Praxis an, im Falle eines Mehrvergleiches den beigeordneten Rechtsanwälten auch die diesbezüglich anfallenden Verfahrens-, Termins- und Einigungsgebühr zu erstatten. Im Übrigen sei dies auch durch zahlreiche obergerichtliche Entscheidungen bejaht worden.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Weiden i. d. OPf. als Vertreter der Staatskasse mit seiner Beschwerde vom 22.06.2016. Zur Begründung wird auf einschlägige Rechtsprechung verwiesen, insbesondere auf die Entscheidung des 10. Senats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 20.07.2015. Der klarstellende Beschluss vom 12.05.2016 könne keine bindende Festsetzungsgrundlage für die Differenz-Verfahrens- und Terminsgebühr bilden. Im Beiordnungsbeschluss getroffene gebührenrechtliche Beschränkungen seien unwirksam und im Umkehrschluss auch gebührenrechtliche Erweiterungen. Die in § 48 Abs. 1 RVG enthaltene Formulierung „der Vergütungsanspruch bestimmt sich nach den Beschlüssen, durch die die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet wurde“ beinhalte abschließend die Elemente „Bewilligung und Beiordnung“ als Festsetzungsgrundlage, jedenfalls nicht die Erstreckung der Gebühren.
II.
Die gemäß § 56 Abs. 2 S. 1, § 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde des Vertreters der Staatskasse ist nicht begründet. Das Amtsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Bevollmächtigten der Antragstellerin für seine Tätigkeit auch die Verfahrensdifferenzgebühr nach Nr. 3101 VV-RVG aus einem Verfahrenswert von 2.000,- Euro sowie eine 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV-RVG aus einem Wert von 4.000,- Euro zusteht.
Im vorliegenden Verfahren kommt es dabei nicht darauf an, ob bei einem Mehrvergleich der im Rahmen der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die genannten Gebühren aus dem Mehrwert des Vergleiches generell verlangen kann (vgl. hierzu zuletzt OLG Köln, FamRZ 2015, 1314; OLG Stuttgart JurBüro 2016, 246 jeweils mit weiteren Nachweisen zum Meinungsstand).
Der Vergütungsanspruch bestimmt sich nämlich nach § 48 Abs. 1 RVG nach dem Umfang der Verfahrenskostenhilfebewilligung. Bewilligte das Gericht in seinem klarstellenden Beschluss Verfahrenskostenhilfe auch für die Verfahrens- und Terminsgebühr, dann greift die Bindungswirkung dieser Entscheidung. Dies gilt auch dann, wenn die Klarstellung erst nach Abschluss des Verfahrens erfolgte (Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl., § 48 RVG Rn. 64 a.E.) und zudem der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe auch für die Vereinbarung erst nach Abschluss dieser Vereinbarung gestellt wurde (zu dieser Problematik Müller-Rabe in Gerold/Schmitt, RVG, 22. Aufl., § 48 RVG, Rn. 188 f.).
Im Übrigen hätte sich im vorliegenden Verfahren der Anspruch auch ohne den klarstellenden Beschluss ergeben. Dies gebietet nämlich in der vorliegenden Fallkonstellation der Vertrauensschutz. Entspricht es jahrelanger Übung, dass im Falle der Bewilligung (auch für die Vereinbarung hinsichtlich eines Mehrvergleichs) sämtliche damit zusammenhängende Gebühren erstattet werden, so wäre das zur Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe berufene Gericht verpflichtet, durch einen richterlichen Hinweis zu reagieren, wenn die Verfahrenskostenhilfe nunmehr (für die Antragstellerin und ihren Verfahrensbevollmächtigten überraschend) bei identischer Formulierung beschränkt werden soll. Wenn auch nach einem richterlichen Hinweis, wonach die Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe nunmehr allein die Einigungsgebühr umfasst, ein uneingeschränkter Erstreckungsantrag gleichwohl aufrecht erhalten würde, wäre das Gericht gehalten, den „Erstreckungsantrag“ teilweise zurückzuweisen. Nur in diesem Fall könne die Antragstellerin und ihr Bevollmächtigter erkennen, dass sie durch die (eingeschränkte) Erstreckung beschwert ist und ihr die Möglichkeit eröffnet wird, wegen der Teilversagung der Verfahrenskostenhilfe ins Rechtsmittel zu gehen. Erstreckt demgegenüber das zur Entscheidung berufene Gericht ohne Einschränkungen und Zurückweisungen im Übrigen die Verfahrenskostenhilfe auf den Vergleichsabschluss, dann bringt es zum Ausdruck, dass die jahrelange gerichtliche Übung fortgesetzt und dem Antrag uneingeschränkt stattgegeben wird (OLG Bamberg, Beschluss vom 01.02.2013, Az.: 2 WF 247/12 -unveröffentlicht -).
Das Beschwerdegericht folgt auch nicht der Ansicht des Vertreters der Staatskasse, wonach in dem Bewilligungsbeschluss die Erstreckung auf bestimmte Gebühren nicht geklärt werden kann. Umgekehrt bedarf es aus Sicht des Beschwerdegerichts einer möglichst eindeutigen und klarstellenden Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe (für eine solche Klarstellung etwa auch Schneider/Wolf, RVG, 7. Aufl., § 48 RVG Rn. 14; Baumgärtel/Hergenröder/Houben, RVG, 16. Aufl., § 48 RVG Rn. 10), um bereits im Bewilligungsverfahren dem Unbemittelten vor Augen zu führen, inwieweit er im Falle des Vergleichsschluss mit selbst zu zahlenden Gebühren belastet wird. Dies gilt jedenfalls im Falle einer Antragstellung hinsichtlich der Verfahrenskostenhilfe vor Abschluss des Vergleichs.
Weil im vorliegenden Verfahren der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für die Einigung erst nach dem Abschluss des Vergleichs erfolgte (gleichwohl aber die Verfahrenskostenhilfe bewilligt wurde), kommt es auch nicht auf die Frage an, ob allein der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Abschluss des Vergleichs ein entsprechendes Verfahrenskostenhilfeverfahren anhängig machte und damit möglicherweise keine 1,5 Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV-RVG, sondern eine solche von 1,0 nach Nr. 1003 VV-RVG zu erstatten gewesen wäre (zu dieser Frage etwa LAG Nürnberg, Beschluss vom 25.06.2009, Az. 4 Ta 61/09, juris).
Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 56 Abs. 2 und 3 RVG nicht veranlasst.
Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof findet wegen § 56 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 4 S. 3 und Abs. 4 S. 1 und 3 RVG nicht statt (vgl. BGH NJW-RR 2011, 142).
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG): Übergabe an die Geschäftsstelle am 05.07.2016.

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