Arbeitsrecht

Vergütungsansprüchen aus einem Vorstandsdienstvertrag

Aktenzeichen  5 HK O 1427/17

Datum:
15.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56459
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 125 S. 2, §127, § 174, § 181, § 241 Abs. 2, § 242, § 271, § 307 Abs. 1, § 311 Abs. 3,§ 314, § 394, § 615 S. 1, § 626 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1 S. 1, § 138 Abs. 3, § 167, § 253 Abs. 1
AktG § 76, § 131 Abs. 1,§ 107 Abs. 2 S. 1 u. S. 2, § 108 Abs. 4, § 112, § 182 f.

 

Leitsatz

1. Allein der Umstand, dass das Protokoll über die Sitzung des Aufsichtsrats keinen Hinweis darauf enthält, kein Aufsichtsratsmitglied habe der telefonischen Beschlussfassung widersprochen, führt nicht zur Unwirksamkeit oder Nichtigkeit des an diesem Tag gefassten Beschlusses.  (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer fernmündlichen Beschlussfassung muss die Vorschrift des § 107 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AktG über das Erfordernis und den Inhalt der Niederschrift einer Sitzung des Aufsichtsrats analog angewandt werden.  (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 46.250,– nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8.3.2017 zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 3/10, die Beklagte 7/10.
IV. Das Urteil ist für beide Seiten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
V. Der Streitwert wird bis zur Klageerweiterung mit Schriftsatz vom 28.7.2017 auf € 59.319,21, ab diesem Zeitpunkt auf € 66.819,21 festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und in Höhe eines Betrages von € 46.250,- nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8.3.2017 teilweise begründet.
I.
1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von € 46.250,- brutto aus § 3 Ziffer 1 Satz 1 des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vorstandsdienstvertrags
a. Der Vergütungsanspruch des Klägers für das Jahr 2015 sowie vom 1.1.2016 bis zum 15.9.2016 ist in Höhe von € 46.250,– brutto entstanden, weil der Kläger im fraglichen Zeitraum für die Beklagte entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen die geschuldeten Dienste erbracht hat. Die Höhe des Anspruchs ergibt sich aus den vertraglichen Vereinbarungen mit einem monatlichen Gehalt von € 2.500,– brutto bei 18 ½ ausstehenden Monatsgehältern. Dabei war der Monat September 2015, in dem die Kündigung ausgesprochen wurde, mit genau 15 Tagen und somit zur Hälfte mit € 1.250 brutto anzusetzen, nachdem die Kündigung am 16.9.2016 zuging.
b. Die Ansprüche sind nicht aufgrund der Regelung in Ziffer 10.1 des Vorstandsdienstvertrages erloschen.
(1) An der Wirksamkeit dieser Klausel mit der zweistufigen Ausschlussfrist bestehen allerdings keine Bedenken. Die Vereinbarung von Ausschlussfristen ist zwar grundsätzlich zulässig, wobei dies sowohl für Individualvereinbarungen als auch für eine Regelung in vorformulierten Verträgen gilt. Sie ist gedeckt vom Prinzip der Vertragsfreiheit. Dabei muss vorliegend beachtet werden, dass diese Klausel für Ansprüche beider Vertragsteile gilt, weshalb weder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben des § 242 BGB noch gegen § 307 Abs. 1 BGB verstoßen wird, sofern es sich bei dem Vorstandsdienstvertrag um eine vorformulierte Reglung für eine Vielzahl von Fällen handeln sollte (vgl. BAG NZA 2004, 852, 857).
(2) Der Kläger hat die Vorgaben der Verfallklausel beachtet. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass für die Ansprüche des Jahres 2015 und die bis zum Monat Juni 2016 einschließlich im Zeitpunkt der ersten Geltendmachung nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Eintritt der regelmäßigen Fälligkeit aus Ziffer 3.1 Satz 1 des Vorstandsdienstvertrages geltend gemacht wurden. Allerdings führte die Stundung in Ziffer 3.1 Satz 2 dazu, dass die Fälligkeit einer Forderung hinausgeschoben wird bei grundsätzlich bestehen bleibender Erfüllbarkeit der Forderung (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 77. Aufl., § 271 Rdn. 12). Die Geltendmachung durch das Anwaltsschreiben vom 10.10.2017 erfolgte innerhalb der ersten Stufe von drei Monaten, wobei mit der Aufforderung zur Zahlung der Widerruf der Stundung verbunden ist. Der Kläger war auch zum Widerruf berechtigt, nachdem die Beklagte den Vorstandsdienstvertag gekündigt hat und er damit insbesondere auch keinen Einfluss mehr auf die Realisierbarkeit der externen Kapitalisierung nehmen konnte. Durch die Kündigung stellt die Beklagte die Grundlage des Vertrags in Frage und gefährdet zugleich die Durchsetzung des Anspruchs des Klägers (vgl. BGH NJW 1981, 1666, 1667; Palandt-Grüneberg, BGB, a.a.O., § 271 Rdn. 15). Auch die zweite Stufe der Geltendmachung des Anspruchs erfolgte rechtzeitig im Sinne von Ziffer 10.1 des Vertrags, wonach die Ansprüche im Falle der Ablehnung innerhalb einer Frist von drei Monaten eingeklagt werden müssen. Die Ablehnung der Ansprüche auf die Vergütung für geleistete Dienste in den Jahren 2015 und 2016 erfolgte erst mit dem Anwaltsschreiben vom 28.10.2016 und nicht schon im Schreiben vom 14.10.2016; dort äußerte sich die Beklagte nur ablehnend hinsichtlich des Anspruchs aus Annahmeverzug, nicht aber in Richtung auf die bis zum Zugang der Kündigung entstandenen Vergütungsansprüche. Zu diesen Ansprüchen nahm die Beklagte erst mit dem Anwaltsschreiben vom 28.10.2017 ablehnend Stellung. Dann aber muss der Eingang der Klage auf Vergütung beim Landgericht München I am 27.1.2017 als ausreichend angesehen werden. Dabei wird es nach dem Wortlaut der vertraglichen Regelung bereits nicht auf die Erhebung der Klage im Sinne des § 253 Abs. 1 ZPO ankommen, weil diese Formulierung nicht gewählt wurde. Doch selbst wenn am dies anders beurteilen wollte, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, weil dann die Vorschrift des § 167 ZPO analog angewandt werden muss und die Zustellung noch als demnächst anzusehen ist. Die Zustellung ist auch in diesem Fall dem Einfluss des Klägers weitgehend entzogen, so dass der dieser Vorschrift zugrunde liegende Rechtsgedanke, die Beteiligten des Verfahrens dürften durch Verzögerungen des Zustellungsverfahrens nicht unvertretbar belastet werden (vgl. BGH NJW 2010, 856, 857; ZöllerGreger, ZPO, 32. Aufl., § 167 Rdn. 1), auch hier zum Tragen kommen muss. Anderenfalls würde der Kläger eine Rechtsposition verlieren, ohne dass er dies beeinflussen könnte. Nach der Aufforderung zur Zahlung des Gerichtskostenvorschusses vom 31.1.2017 ging der entsprechende Vorschuss bereits am 14.2.2017 bei der Landesjustizkasse Bamberg ein. Die Tatsache, dass die Zustellung dann erst aufgrund einer Verfügung des Vorsitzenden vom 2.3.2017 erst am 7.3.2017 erfolgte, beruht auf dem Umstand, dass die Mitteilung von der Einzahlung erst am 28.2.2017 erfolgte. Dann aber ist die weitere Verzögerung über den Zeitraum von 14 Tagen hinaus ausschließlich der Organisationssphäre des Gerichts anzulasten, so dass dies einer „demnächst“ erfolgten Zustellung nicht im Wege stehen kann.
c. Auf ein Zurückbehaltungsrecht kann sich die Beklagte nicht berufen, weil die Voraussetzungen des § 273 BGB hinsichtlich der von ihr nach ihrem eigenen Vortrag noch nicht bezifferbaren Ersatzansprüche wegen des Vorwurfs eines Verstoßes gegen ein Wettbewerbsverbots nicht erfüllt sind. Die Regelung des § 273 BGB setzt einen fälligen Gegenanspruch voraus. Nachdem die Beklagte selbst geltend gemacht hat, sie könne den Schadensersatzanspruch wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen ein Wettbewerbsverbot noch nicht näher beziffern, scheidet ein fälliger Gegenanspruch aus; dies setzt nämlich auch die volle Wirksamkeit voraus (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 77. Aufl., § 273 Rdn. 7). Ein vorläufiges und nur zeitweiliges Zurückbehaltungsrecht bis zu dem Zeitpunkt, in dem feststellbar ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang tatsächlich ein Schaden entstanden ist, findet im Gesetz für Fälle für diesen keine Grundlage (vgl. BGH NJW-RR 1986, 543, 544; Palandt-Grüneberg, BGB, a.a.O., § 273 Rdn. 7; Krüger in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl., § 273 Rdn. 32). Ein Ausnahmefall entsprechend den im Gesellschaftsrecht zum vorläufigen Zurückbehaltungsrecht vertretenen Grundsätzen kann vorliegend schon deshalb nicht anerkannt werden, weil anderenfalls die Wertungen des § 394 BGB umgangen würden.
II.
Weitergehende Ansprüche stehen dem Kläger nicht zu, so dass die Klage im Übrigen abzuweisen war.
1. Für die Zeit ab dem 16.9.2016 kann der Kläger keine Vergütung aus Annahmeverzug verlange, weil die Voraussetzungen des § 615 Satz 1 BGB nicht erfüllt sind. Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete nach dieser Vorschrift für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Die Beklagte befand sich allerdings nicht in Annahmeverzug, weil der zwischen den Parteien bestehende Vorstandsdienstvertrag durch die dem Kläger unstreitig am 16.9.2016 zugegangene außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.9.2016 beendet wurde, nachdem die Voraussetzungen des § 626 BGB für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht erfüllt sind.
a. Der Beschluss des Aufsichtsrats vom 15.9.2016 über die außerordentliche Kündigung des Vorstandsdienstvertrages kam formell wirksam zustande.
(1) Allein der Umstand, dass das Protokoll über die Sitzung des Aufsichtsrats vom 15.9.2016 keinen Hinweis darauf enthält, kein Aufsichtsratsmitglied habe der telefonischen Beschlussfassung widersprochen, führt nicht zur Unwirksamkeit oder Nichtigkeit des an diesem Tag gefassten Beschlusses. § 108 Abs. 4 AktG lässt die fernmündliche Abstimmung ausdrücklich zu. Angesichts des Inhalts des Protokolls über einen einstimmig gefassten Beschluss des Aufsichtsrats muss bei lebensnaher Betrachtung davon ausgegangen werden, dass die gemäß § 112 AktG gegenüber dem Vorstand der Aktiengesellschaft vertretungsberechtigten Mitglieder des Aufsichtsrats nicht nur mit dem Inhalt des Beschlusses einverstanden waren, sondern dass auch keines der Mitglieder dieser fernmündlichen Beschlussfassung widersprochen hat. Zwar muss bei einer fernmündlichen Beschlussfassung die Vorschrift des § 107 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AktG über das Erfordernis und den Inhalt der Niederschrift einer Sitzung des Aufsichtsrats analog angewandt werden (vgl. Habersack in: Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl., § 108 Rdn. 65; Hopt/Roth in: Großkommentar zum AktG, 4. Aufl., § 108 Rdn. 123; Drygala in: Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., § 107 Rdn. 30). Allerdings muss dann auch die Vorschrift des § 107 Abs. 2 Satz 3 AktG in gleicher Weise analog angewandt werden, wonach angesichts der ausschließlichen Beweisfunktion der Protokollierung Verstöße gegen die Bestimmungen aus § 107 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AktG keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des gefassten Beschlusses des Aufsichtsrats haben.
(2) Das Kündigungsschreiben macht auch deutlich, dass es sich hierbei um eine Erklärung des Aufsichtsrates handelt, wenn ausgeführt wird, „… kündigen wir seitens des Aufsichtsrats …“. Damit wird klar, dass es sich um eine Erklärung des Gesamtorgans handelt und nicht des Vorsitzenden, der den Beschluss lediglich entsprechend der Kompetenzverteilung innerhalb des Gremiums entsprechend den obigen Überlegungen umgesetzt hat. Dies zeigt sich insbesondere auch an der Beifügung des Beschlusses des Aufsichtsrats über die Kündigung.
(3) Ebenso wenig ist die Kündigung wegen eines Verstoßes gegen das in Ziffer 1.6 des Vorstandsdienstvertrages vereinbarte Schriftformerfordernis gemäß §§ 125 Satz 2, 127 BGB nichtig, weil vorliegend die Form durch das dem Kläger am 16.9.2016 zugegangene Kündigungsschreiben gewahrt wurde. Die Kündigungserklärung wurde vom Vorsitzenden des Aufsichtsrates unterschrieben; ihr zugrunde lag der Beschluss des Aufsichtsrats, wobei die Niederschrift nach § 107 Abs. 2 Satz 1 AktG analog vom Vorsitzenden zu unterschreiben ist. Die Kündigungserklärung, mit der der Beschluss des Aufsichtsrats vom 15.9.2016 umgesetzt wurde, trägt gleichfalls die Unterschrift des Aufsichtsratsvorsitzenden; dies genügt der Form aus §§ 125 Satz 2, 127 BGB. Es muss nämlich bereits davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Regelung in § 10 Abs. 5 der Satzung der Beklagten der Vorsitzende des Aufsichtsrates ermächtigt ist, im Namen des Aufsichtsrats die zur Durchführung der Beschlüsse des Aufsichtsrates erforderlichen Willenserklärungen abzugeben. Abgesehen davon ist auch ohne eine solche Bestimmung in der Satzung regelmäßig davon auszugehen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende befugt ist, die Erklärung abzugeben, weil er dafür kraft Amtes zuständig ist, es sei denn der Aufsichtsrat hätte eine anderweitige Vertretung in der Erklärung vorgesehen (vgl. Mertens/Cahn in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 84 Rdn. 152; Hoffmann-Becking in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4 Aktiengesellschaft, § 31 Rdn. 102; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl., Rdn. 682; Bednarz NZG 2005, 418, 421 ff.; Drinhausen/Marsch Barner AG 2014, 337, 348 f.), wofür vorliegend nichts vorgetragen ist und auch sonst keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind.
b. Der Beschluss des Aufsichtsrats ist auch materiell wirksam, weil der Vorstandsdienstvertrag durch die außerordentliche Kündigung vom 16.9.2016 beendet wurde, nachdem ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB bejaht werden muss. Nach dieser Vorschrift kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann. Von einer derartigen Situation muss vorliegend ausgegangen werden.
(1) Der wichtige Grund liegt in einer gravierenden Pflichtverletzung des Klägers.
Der Kläger verwies bei den Vertragsverhandlungen zwischen der Tochtergesellschaft der Beklagten, der D. AG, und der I. AG über einen zwischen diesen beiden Gesellschaft abzuschließenden Kooperationsvertrag darauf, die Beklagte und die I. AG stünden kurz vor dem Abschluss eines Beteiligungsvertrages mit der Folge, durch den Abschluss des Kooperationsvertrages und der Anzahlung würde die D. AG kein Risiko eingehen. Diese Aussage entsprach nicht den Tatsachen, weil ein Aktienkauf- und -übertragungsvertrag zwischen der I. AG als Verkäuferin und der Beklagten als Käuferin gerade nicht unmittelbar bevorstand. Vielmehr benötigte die Beklagte als Käuferin hinreichend Kapital, das angesichts der im Dezember 2016 erfolglos verlaufenden Kapitalrunde nicht zur Verfügung stand; zudem blieben Bemühungen um Fremdkapital erfolglos. In dieser Situation, in der bei dem Gespräch in der Verwaltungsratssitzung vom 11.12.2015 – mithin nur eine Woche vor dem Vertragsabschluss – gerade nicht sicher war, dass die Beklagte den Kaufpreis würde aufbringen können und zudem auch vor dem Vollzug nochmals die Zustimmung der Hauptversammlung der I. AG einzuholen war, war der Hinweis auf ein fehlendes Risiko der D. AG angesichts eines kurz bevorstehenden Abschlusses eines Beteiligungsvertrages zwischen der Beklagten und der I. AG objektiv unzutreffend. Den entsprechenden hinreichend substantiierten Tatsachenvortrag der insoweit darlegungspflichtigen Beklagten zu den Äußerungen des Klägers und den gegebenen Umständen bei der Beklagten hat der Kläger nicht bestritten, weshalb der Vortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Sich daraus ergebende Folgen und Risiken für die Beklagten stellen sich als Rechtsfrage dar, die das Gericht aufgrund des Tatsachenvortrags zu falschen Äußerungen beurteilen kann und muss, ohne dass die Beklagte zwingend dazu Stellung nehmen müsste.
Die unzutreffende Darstellung über den Stand der Vertragsverhandlungen, deren Ausgang für die Verhandlungen zwischen einer Gesellschaft, an der die Beklagte eine Mehrheitsbeteiligung hält, und einer anderen Aktiengesellschaft, wesentlich ist, bedeutet einen gravierenden Verstoß gegen die dem Kläger als Vorstand einer Aktiengesellschaft obliegenden Pflichten, weil dies zunächst ein erhebliches Risiko für die Beklagte darstellt. Wenn die D. AG nicht in der Lage sein sollte, eingegangene Verpflichtungen aus dem Vertrag zu erfüllen, besteht für ihre Mehrheitsaktionärin ein erhebliches Risiko, gegebenenfalls weiteres Kapital im Rahmen einer Kapitalerhöhung nach §§ 182 ff. AktG ihrer Tochtergesellschaft zuführen zu müssen. Dann kann aber auch ein Insolvenzrisiko bei der D. AG nicht gänzlich ausgeschlossen werden mit der Folge, dass die Mehrheitsbeteiligung der Beklagten weitgehend wertlos würde. Nicht auszuschließen ist auch ein Schadensanspruch gegen die Beklagte aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB wegen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten aus einem Schuldverhältnis. Nach diesen Vorschriften entsteht ein solches Schuldverhältnis insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsabschluss erheblich beeinflusst. Davon muss vorliegend ausgegangen werden. Als Vorstand hat der Kläger die Beklagte gem. § 76 AktG vertreten und durch seine Äußerungen über den Stand des intendierten Kooperationsvertrages zwischen der I. AG und der Beklagten die Vertragsverhandlungen wesentlich beeinflusst; der Abschluss des Vertrages über die Aktienübertragung und damit die Kooperation zwischen der I. AG und der Beklagten war zentral für die Entscheidung der D. AG, weil dadurch deren Risiko beim Vertragsabschluss deutlich minimiert werden sollte. Gerade weil die Beklagte über die Aktienmehrheit bei der D. AG verfügt, ist auch die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens durch die Beklagte zu bejahen. Selbst wenn auch der Mehrheitsaktionär einen Anspruch auf Auskunft gemäß § 131 Abs. 1 AktG nur in der Hauptversammlung geltend machen kann und dieser die Geschäftsführung nicht beeinflussen kann, hat der Mehrheitsaktionär die Möglichkeit, über Kapitalmaßnahmen die Liquidität der D. AG entscheidend zu beeinflussen.
Demzufolge setzte der Kläger die Beklagte durch unzutreffende Tatsachenbehauptungen erheblichen Risiken aus, was gegen seine Vorstandspflicht verstieß, keine unvertretbaren Risiken einzugehen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.6.1999, Az. 3 U 33/98 – zitiert nach juris; Mertens/Cahn in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 84 Rdn. 158). Aus diesen Gründen muss von einer schweren Pflichtverletzung durch den Kläger ausgegangen werden.
(2) Eine Fortsetzung des Dienstvertrages war der Beklagten bis zur regulären Beendigung des Vorstandsdienstvertrages am 30.9.2017 auch unter Berücksichtigung der Belange des Klägers nicht zumutbar. Es handelt sich zum einen um eine durchaus gravierende Pflichtverletzung des Klägers, durch die die x. AG auch erheblichen finanziellen Risiken ausgesetzt wurde. Dabei muss vor allem berücksichtigt werden, dass die x. AG offensichtlich deutliche Liquiditätsprobleme hatte – anderenfalls hätte sie die für den Erwerb von Aktien erforderlichen liquiden Mittel erhalten. Die Schwierigkeiten zeigen sich namentlich daran, dass sie auch kein Fremdkapital erhielt. Dies ist ein sicheres Zeichen dafür, dass Fremdkapitalgeber ein erhebliches Risiko sehen, die zur Verfügung gestellten Mittel nicht zurückzuerhalten. Vor allem muss auch in die Abwägung einfließen, dass der Kläger um den Verhandlungsstand der Finanzierung des Aktienerwerbs gewusst haben muss, weil er als Vorstand hierfür die Verantwortung trug und insbesondere Möglichkeiten zur Erlangung von Eigenkapital zwingend vom Vorstand durchzuführen sind. Auch ist zum anderen die Restdauer des laufenden Vertrages von nahezu einem Jahr bei einer Gesamtdauer von drei Jahren mit 1/3 der Vertragslaufzeit nicht so unwesentlich, als dass der Beklagten die Fortdauer des Vorstandsdienstvertrages zumutbar gewesen wäre, zumal auch die Organstellung widerrufen wurde.
(3) Die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BGB wurde eingehalten. Nach diesen Vorschriften kann die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen; die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.
(a) Bei einer Aktiengesellschaft, in der die Gesellschaft gegenüber dem Vorstand aufgrund von § 112 AktG durch den Aufsichtsrat vertreten wird, ist für den Beginn der Frist auf die Kenntnis des Aufsichtsrats als Kollegialorgan, nicht auf die Kenntnis einzelner Mitglieder oder des Aufsichtsratsvorsitzenden abzustellen (st. Rspr.; vgl. nur BGHZ 139, 98, 92 für die vergleichbare Situation der GmbH; BGH NZG 2002, 46, 47 für den Aufsichtsrat einer GmbH; KG NZG 2004, 1165, 1167; LG München I AG 2011, 258, 261 = ZIP 2011, 2451, 2455; ebenso Hüffer, AktG, a.a.O., § 84 Rdn. 54; Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, a.a.O., § 84 Rdn. 159; Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 84 Rdn. 171; Bürgers in: Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl., § 84 Rdn. 39; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 20 Rdn. 36). Dabei bedeutet Kenntnis umfassendes und sicheres Wissen um den Kündigungssachverhalt. Der Kündigungsberechtigte muss alles erfahren haben, was ihm nach verständigem Urteil für eine das Für und Wider abwägende Entscheidung über den Fortbestand oder die Beendigung des Dienstverhältnisses erforderlich erscheinen muss (vgl. BGH NJW 1996, 1403 f.; DStR 1997, 1338, 1339; OLG Karlsruhe NZG 1999, 1012; Fleischer in: Spindler/Stilz AktG, a.a.O., § 84 Rdn. 161; Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 84 Rdn. 171).
(b) Der Aufsichtsratsvorsitzende erhielt am 2.9.2016 die Informationen über die Vorkommnisse bei der Road Show in Singapur sowie über den Stand der Bemühungen von Herrn E. zur Liquiditätsbeschaffung; mit diesen steht der Kooperationsvertrag zwischen der Beklagten und I. AG sowie die Äußerungen bei den Vertragsverhandlungen zwischen der D. AG und der I. AG in unmittelbarem Zusammenhang. Die nächste Sitzung des Aufsichtsrats fand dann unstreitig zwei Tage später am 4.9.2016 statt, in deren Verlauf Herr E. als Auskunftsperson angehört wurde. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt – wie soeben ausgeführt – erst dann zu laufen, wenn alle Tatsachen dem gesamten Kollegialorgan vorliegen. Den entsprechenden Sachvortrag der Beklagten hat der Kläger nicht hinreichend bestritten, weshalb er gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Wenn der Kläger darauf verweist, Anfang September habe der Aufsichtsratsvorsitzende Kenntnis erlangt und dies mit dem „1.9.“ gleichsetzt, genügt dies nicht für ein hinreichendes Bestreiten. Denn der entsprechende Vortrag der Beklagten in Richtung auf „Anfang September“ ging dahin, dass zu diesem Zeitpunkt nur Herr E. durch Herrn C. informiert worden sei, nicht aber der Aufsichtsratsvorsitzende. Dann aber wäre selbst bei Annahme einer hinreichenden Kenntnis aller Aufsichtsratsmitglieder bereits durch die Einberufung am 2.9.2014 die dann am 16.9.2014 endende Frist gewahrt gewesen, nachdem der Zugang der Kündigungserklärung unstreitig an diesem Tag erfolgte.
Angesichts dessen konnte die Klage insoweit keinen Erfolg haben, ohne dass es darauf ankäme, ob seitens des Klägers bei der Road Show in Singapur ein Wettbewerbsverstoß begangen wurde oder ob die Reisekosten angesichts der Wahrnehmung privater Termine ganz oder teilweise vom Kläger hätten übernommen werden müssen.
II.
1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Ersatz der Reisekosten aus Ziffer 4.1 des Vorstandsdienstvertrages in Höhe von € 2.845,03 für das Jahr 2015 und von € 1.474,18 für das Jahr 2016 zu.
a. Für das Jahr 2015 resultiert dies bereits aus der Erwägung heraus, dass der Anspruch aufgrund der aus den oben genannten Gründen wirksamen Ausschlussfrist in Ziffer 10.1 erloschen ist. Die Ansprüche auf Reisekostenerstattung wurden fällig mit Beendigung der Reise. Dies ergibt sich aus § 271 BGB, wonach der Gläubiger die Leistung im Zweifel sofort verlangen kann, wenn eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen ist (vgl. BAG BB 2002, 2285, 2286 = DB 2002, 1720; Glöge in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl., § 614 Rdn. 3). Für eine abweichende Vereinbarung ist vorliegend nichts ersichtlich, so dass die Reisekosten für das Jahr 2015 im Laufe dieses Jahres entstanden und fällig wurden. Damit aber erfolgte die erstmalige Geltendmachung im Schreiben vom 10.10.2016 deutlich nach dem Ende der Ausschlussfrist aus Ziffer 10.1 des Vorstandsdienstvertrages. Die Stundung bezieht sich sowohl nach dem Wortlaut als auch nach der systematischen Stellung in Ziffer 3.1 Satz 2 des Vertrages nur auf die Vergütung, nicht aber auf die in Ziffer 4.1, in der Ansprüche des Klägers wegen ihm entstandener Auslagen geregelt sind.
b. Auch für das Jahr 2016 kann der Kläger keine Erstattung verlangen. Er hat nichts zur Fälligkeit als anspruchsbegründende Tatsache vorgetragen, wann die einzelnen Reisen beendet wurden, so dass davon ausgegangen werden muss, dass die Fälligkeit zu einem Zeitpunkt eintrat, der zum Eingreifen der Ausschlussfrist führt. Abgesehen davon fehlt nach dem Bestreiten der Beklagten weitergehender Vortrag zur dienstlichen Veranlassung der einzelnen Reisen.
III.
1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO und orientiert sich am Maße des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens in Relation zum Gesamtstreitwert.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht jeweils auf § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
3. Die Entscheidung über den Streitwert hat ihre Grundlage in § 48 Abs. 1GKG. Angesichts der im Laufe des Verfahrens erfolgten Klageerweiterung war der Streitwert gestaffelt festzusetzen. Maßgeblich ist dabei die Addition der bezifferten Anträge.


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