Arbeitsrecht

Verlust der Besoldung wegen Fernbleibens vom Dienst

Aktenzeichen  M 5 K 16.4346

Datum:
16.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 31561
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBesG Art. 9 Abs. 1 S. 1, S. 3
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Im Hinblick auf den Vorrang der amtsärztlichen Beurteilung handelt ein Beamter, der entgegen einer Stellungnahme eines Amtsarztes unter Berufung auf privatärztliche Atteste dem Dienst fernbleibt, grundsätzlich zumindest fahrlässig (BayVGH BeckRS 2012, 52508), so dass er den Anspruch auf Besoldung verliert (Art. 9 Abs. 1 BayBesG). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein gegenüber dem privatärztlichen Attest vorrangiges anderslautendes amtsärztliches Gesundheitszeugnis liegt aber nicht vor, wenn sich der Amtsarzt nicht mit dem privatärztlichen Attest auseinandersetzt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom … August 2016 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom … August 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
1. Gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Besoldungsgesetzes/BayBesG verliert ein Beamter, der dem Dienst ohne Genehmigung schuldhaft fernbleibt, für die Zeit des Fernbleibens seinen Anspruch auf Besoldung. Der Verlust der Besoldung ist nach Art. 9 Abs. 1 Satz 3 BayBesG festzustellen.
a) Ein Fernbleiben vom Dienst ist dann gegeben, wenn der Beamte seiner formalen Dienstleistungspflicht nicht nachkommt, indem er während der Zeit, in der er seinen Dienst leisten soll, nicht an dem zur Dienstleistung bestimmten Ort anwesend ist.
b) Ist ein Beamter dienstunfähig erkrankt, ist er hingegen nicht zu einer konkreten Dienstleistung verpflichtet. Eine aktuelle Dienstunfähigkeit wegen Krankheit stellt einen Rechtfertigungsgrund dar. Zur Dienstunfähigkeit führt eine Erkrankung dann, wenn sie den Beamten außerstande setzt, die ihm nach den Aufgaben seines Amts im konkret-funktionellen Sinn obliegenden Dienstpflichten zu erfüllen (BayVGH, B.v. 27.2.2012 – 3 CS 11.2521 – juris).
c) Schuldhaft ist das Fernbleiben vom Dienst, wenn es vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt.
d) Dem Dienstherrn obliegt die materielle Beweislast für den Sachverhalt, der den Wegfall der Dienstbezüge begründet. Aus der beamtenrechtlichen Verpflichtung, Dienstunfähigkeit infolge Krankheit auf Verlangen nachzuweisen (Art. 95 Abs. 1 Satz 2 Bayerisches Beamtengesetz/BayBG) ergibt sich eine Mitwirkungspflicht des Beamten. Die Verletzung dieser Pflicht kann ein wichtiges Indiz dafür sein, dass der Beamte nicht dienstunfähig war (BVerwG, B.v. 16.3.1984 -1 DB 4/84 – BVerwGE 76, 142 – juris; BVerwG, B.v. 26.8.1993 – 1 DB 15/93 – juris; BayVGH, U.v. 27.5.2011 – 3 B 10.1799 – juris; BayVGH, B.v. 27.2.2012 – 3 CS 11.2521 – juris).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich der Bescheid des Staatsministeriums vom … August 2016 als rechtswidrig. Hinsichtlich der darin festgestellten Zeiträume sieht das Gericht die Voraussetzungen eines ungenehmigten schuldhaften Fernbleibens vom Dienst als nicht erfüllt an, weil die Klägerin nicht schuldhaft gehandelt hat.
a) Zwar handelt – im Hinblick auf den Vorrang einer amtsärztlichen Beurteilung – ein Beamter, der entgegen einer Stellungnahme eines Amtsarztes unter Berufung auf privatärztliche Atteste dem Dienst fernbleibt, grundsätzlich zumindest fahrlässig (BVerwG, B.v. 27.11.1997 -1 DB 25/96 – juris; BayVGH, B.v. 14.12.2011 – 16a DC 08.3318 – juris, U.v. 29.5.2012 – 3 B 11.564 – juris, Rn. 35). Vorliegend kann eine Fahrlässigkeit der Klägerin jedoch nicht angenommen werden.
(1) Aufgrund der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Gemeinschaftspraxis vom … Dezember 2015 bis … Januar 2016 durfte die Klägerin annehmen, dass sie insgesamt vom … Dezember 2015 bis … Februar 2016 (und darüber hinaus bis …2.2016) dienstunfähig war und dem Dienst gerechtfertigt fernbleiben durfte. Dass innerhalb dieses Zeitraums die Zeit vom … Dezember 2015 bis … Januar 2016 nicht von einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgedeckt war, erklärt sich plausibel aus dem Lauf der Dinge. Ab Donnerstag, dem … Dezember 2015, bis inklusive Sonntag, dem … Januar 2016, war in den Weihnachtsferien unterrichtsfreie Zeit. Nur als Lehrkraft als Arbeitnehmerin wäre sie zur Anzeige der Arbeitsunfähigkeit auch in den Schulferien verpflichtet gewesen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 der Dienstordnung für Lehrkräfte an staatlichen Schulen in Bayern [Lehrerdienstordnung – LDO]). Am … Januar 2016 erhielt sie von der Gemeinschaftspraxis wiederum eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom … Januar 2016 bis (zunächst) … Januar 2016.
Aufgrund der späteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Gemeinschaftspraxis vom … Mai 2016 bis … Juli 2016 durfte die Klägerin außerdem annehmen, dass sie insgesamt vom … Mai 2016 bis … August 2016 dienstunfähig war und dem Dienst gerechtfertigt fernbleiben durfte. Dass innerhalb dieses Zeitraums die Zeit vom … Mai 2016 bis … Mai 2016 nicht von einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgedeckt war, erklärt sich ebenfalls plausibel aus dem Lauf der Dinge. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom … Mai 2016 deckte den Zeitraum bis Freitag, dem … Mai 2016, ab. Sonntag … Mai 2016 war Pfingstsonntag und demgemäß fiel Pfingstmontag auf den … Mai 2016, in Bayern ein gesetzlicher Feiertag. Die nächste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom … Mai 2016 reichte bis zum … Juni 2016. Der tatsächlich nicht von einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfasste Dienstag, der … Mai 2016, fiel in die Pfingstferien als unterrichtsfreie Zeit. Hierfür gilt ebenfalls Obiges zu § 11 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LDO.
(2) Hinsichtlich der amtsärztlichen Gesundheitszeugnisse des Gesundheitsamtes S. vom … April 2016 und der MUS vom … August 2016 gilt nun Folgendes:
Das Gesundheitszeugnis vom … April 2016 thematisiert die bis dahin ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Gemeinschaftspraxis vom … Dezember 2015 bis … Januar 2016 überhaupt nicht. Daher stellt es auch kein gegenüber den privatärztlichen Attesten vorrangiges anderslautendes amtsärztliches Gesundheitszeugnis dar. Im Übrigen erhielt die Klägerin von diesem Gesundheitszeugnis erst mit Schreiben des Staatsministeriums vom … April 2016, zugestellt am … Mai 2016, Kenntnis. Soweit weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeiträume ab dem *. Mai 2016 vorgelegt wurden, ist nicht geklärt, ob es sich um eine andere oder dieselbe Erkrankung handelte, die bereits zuvor zu entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen geführt hatte, bzw. um eine Verschlimmerung derselben Erkrankung.
Für das Gesundheitszeugnis der MUS vom … August 2016 gilt zum einen bei genauer Betrachtung hinsichtlich aller bis dahin ausgestellter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dieser Gemeinschaftspraxis dasselbe. Zum anderen wurde dieses Gesundheitszeugnis erst nach dem letzten Tag des festgestellten Verlustes der Besoldung, dem … August 2016, überhaupt erstellt und den Bevollmächtigten der Klägerin erst mit dem Bescheid vom … August 2016 am … August 2016 zugestellt. Dass der Klägerin von der Gutachterin der MUS bereits am Untersuchungstag (…7.2016) mitgeteilt worden wäre, dass sie für dienstfähig erachtet werde (wonach sie dann unmittelbar zur Dienstverrichtung verpflichtet gewesen wäre; vgl. BVerwG, B.v. 29.6.1995 – 1 DB 12/95 – juris), ist nach Aktenlage nicht ersichtlich. Solches erscheint vielmehr ausgeschlossen, nachdem die Gutachterin der MUS das Gesundheitszeugnis erst erstellte, nachdem von der Klägerin noch ein fachärztlich-orthopädischer Kurzbefund vom … August 2016 und eine fachärztlich-psychiatrische Stellungnahme vom … August 2016 nachgereicht worden waren.
Es ist auch nicht plausibel, wenn in diesem Gesundheitszeugnis zwar angegeben ist, dass die Klägerin vom … Juli bis … August 2016 teilstationär in einem Krankenhaus psychiatrisch behandelt wurde, dennoch am … Juli 2016 von voller Dienstunfähigkeit ausgegangen wird. Das gilt auch für die fernmündlich ergänzte Angabe der Amtsärztin, dass diese Behandlung auch ambulant hätte erfolgen können. Befand sich die Klägerin als Patientin tatsächlich in teilstationärer Behandlung, so kann ihr eine angeblich dennoch vorhandene Dienstfähigkeit in subjektiver Sicht nicht vorgehalten werden.
b) Da das Fernbleiben eines Beamten vom Dienst nur dann einen Besoldungsverlust zur Folge hat, wenn es schuldhaft geschieht, hat grundsätzlich der Dienstherr die Beweislast auch für diesen Umstand zu tragen (BVerwG, B.v. 16.3.1984 -1 DB 4/84 – BVerwGE 76, 142; BayVGH, B.v. 14.11.2011 – 16a DC 08.3318 – juris, Rn. 31). Dies hat nach den Beweislastregeln zur Folge, dass der Klägerin vorliegend ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden kann. Somit fehlt es an dieser Voraussetzung zur Feststellung des Verlusts der Besoldung.
3. Der Beklagte hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.


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