Arbeitsrecht

Verlust der unionsrechtlichen Freizügigkeit wegen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung

Aktenzeichen  M 25 K 18.56

Datum:
23.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 28048
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 6, § 7

 

Leitsatz

Die wiederkehrende Begehung von gleichgelagerten Delikten können die Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, rechtfertigen.  (Rn. 30 – 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 2019 entschieden werden, obwohl die Klägerin nicht erschienen ist. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (102 Abs. 2 VwGO). Die Klägerin ist ordnungsgemäß geladen worden.
Die Klage ist zulässig aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die von der Beklagten vorgenommene Ermessensentscheidung ist nicht zu beanstanden, § 114 VwGO.
1. Die nach pflichtgemäßem Ermessen ausgesprochene Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 und Abs. 2 FreizügG/EU erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als rechtmäßig.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der der mündlichen Verhandlung (BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – juris Rn. 11). Allerdings ist bezüglich der Frage, ob die Klägerin ihren Aufenthalt in den letzten fünf bzw. zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses abzustellen (vgl. EuGH, U.v. – 17.4.2018 – C-316/16 und C-424/17 – juris Rn. 91, 95).
Rechtsgrundlage für die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts ist § 6 FreizügG/EU. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann die Verlustfeststellung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (Art. 45 Abs. 3, Art. 52 Abs. 1 AEUV) getroffen werden.
1.1. Die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts beurteilt sich nicht nach § 6 Abs. 4 und Abs. 5 FreizügG/EU, da die Klägerin weder ein Daueraufenthaltsrecht (§ 4a FreizügG/EU) erworben, noch in den letzten zehn Jahren ihren Aufenthalt (i.S.d. § 6 Abs. 5 FreizügG/EU) im Bundesgebiet hatte.
Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU setzt einen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren im Bundesgebiet voraus. Der Betroffene muss also während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen erfüllt haben. Zeiträume, in denen der Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat eine Freiheitsstrafe verbüßt (hat), können nicht für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden, weil der Unionsgesetzgeber die Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EU von der Integration des Unionsbürgers in den Aufnahmemitgliedstaat abhängig macht. Diese Integration beruht nicht nur auf territorialen und zeitlichen Faktoren, sondern auch auf qualitativen Elementen im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung durch ein nationales Gericht ist dazu angetan, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaates in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet, so dass die Berücksichtigung von Zeiträumen der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts dem mit der Einführung dieses Aufenthaltsrechts verfolgten Ziel eindeutig zuwider laufen würde (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 – Onuokwere, C-378/12 – juris Rn. 25). Allerdings sind Zeiträume in denen sich ein Drittstaatsangehöriger vor Beitritt seines Herkunftsstaats zur EU in einem EU Staat rechtmäßig aufgehalten hat berücksichtigungsfähig, falls der Herkunftsstaat später der EU beigetreten ist und der Betroffene nachweisen kann, dass die Aufenthaltszeiten im Einklang mit den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG zurückgelegt wurden (BVerwG, U.v. 31.5.2012, 10 C 8.12 – juris).
Gemessen an diesen Kriterien hat die Klägerin kein Daueraufenthaltsrecht erworben bzw. sich rechtmäßig fünf Jahre vor dem Bescheid vom 11. Dezember 2017 in Deutschland aufgehalten.
Zurückgehend vom Tag des Bescheiderlasses befand sich die Klägerin seit 8. Juli 2017 in den Niederlanden und Deutschland in Haft, die Zeit von 19. Oktober 2016 bis 8. Juli 2017 verbrachte die Klägerin vermutlich in den Niederlanden, zumindestens war sie in Deutschland unbekannten Aufenthaltes, wo sie polizeilich gesucht wurde. Zwischen 24. Januar 2016 und 19. Oktober 2016 war die Klägerin wiederum in (Untersuchungs-)Haft. Der Aufenthaltsort der Klägerin zwischen ihrem Schulabgang in 2013 und ihrer Festnahme am 24. Januar 2016 ist strittig zwischen den Parteien.
Ob die Klägerin in diesem Zeitraum ihren Aufenthalt in Deutschland hatte kann jedoch offen bleiben. Zum einen hat sie nicht nachgewiesen – noch ist es ersichtlich – dass sie die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG / § 2 Abs. 1 FreizügG/EU in dieser Zeit erfüllt hat. Sie hat weder gearbeitet noch eine Ausbildung gemacht. Auch ihre Eltern bezogen zu dieser Zeit staatliche Unterstützung. Zum anderen lebte die Klägerin mindestens bis zum 1. Juli 2015 nicht rechtmäßig in Deutschland. Bereits am 29. Januar 1998 wurde die Klägerin zur Ausreise aufgefordert und ihr die Abschiebung angedroht. Am 28. April 1998 stellte sie einen Asylantrag, der am 24. Februar 1999 abgelehnt wurde. Am 23. März, 4. Juli und 25. September 2012 sowie am 17. April 2013 stellte die Klägerin jeweils Anträge auf Aufenthaltstitel, die alle abgelehnt wurden. Im Ergebnis hat die Klägerin keine fünf Jahre durchgängig rechtmäßig in Deutschland gelebt. Unterstellt, dass sie ab dem 1. Juli 2015 – der Tag seit dem die uneingeschränkte Freizügigkeit für kroatische Staatsangehörige besteht (vgl. § 284 SGB III in der Fassung gültig bis 30.6.2015) – die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG / § 2 Abs. 1 FreizügG/EU erfüllt hat, hat sie bis zur ihrer Inhaftierung jedoch „nur“ knapp 7 berücksichtigungsfähige Monate in Deutschland verbracht.
Auf Grund des Fehlens der Voraussetzungen von § 6 Abs. 4 FreizügG/EU, scheidet auch der verstärkte Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU, der in dem abgestuften aufeinander aufbauenden dreistufigen System des § 28 der Richtlinie 2004/38/EG eine noch weitergehende Integration des Unionsbürgers voraussetzt (vgl. BayVGH, U.v.21.12.2011 – 10 B 11.182 – juris), aus.
1.2. Maßgeblicher Prüfungsmaßstab ist somit § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU. Danach kann die Verlustfeststellung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Art. 45 Abs. 3, Art. 52 Abs. 1 AEUV) getroffen werden. Soweit – wie hier – die Verlustfeststellung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgt, genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht, um diese Maßnahme zu begründen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU). Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU). Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU). Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung verlangt eine hinreichende – unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts differenzierte – Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung i.S. des Art. 45 Abs. 3 AEUV beeinträchtigen wird (BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 – juris). Eine strafrechtliche Verurteilung kann den Verlust des Freizügigkeitsrechts daher nur insoweit rechtfertigen, als die ihr zugrundliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Ob die Begehung einer Straftat nach Art und Schwere ein persönliches Verhalten erkennen lässt, das ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, lässt sich nur aufgrund der Umstände des Einzelfalles beurteilen (vgl. EuGH, U.v. 27.10.1977 – C-30/77 – juris – Bouchereau; U.v. 4.10.2007 – C-349/96 – juris – Polat; U.v. 4.10.2012 – C 249/11 – Hristo Byankor; BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen liegt vorliegend eine den Verlust des Freizügigkeitsrechts rechtfertigende hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch die Klägerin vor, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Das Gericht ist auf der Grundlage der beigezogenen Akten, den schriftsätzlichen Einlassungen der Klägerin sowie ihrer persönlichen Verhältnisse überzeugt, dass diese auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit Straftaten im Bereich der Eigentumsdelikte begehen wird. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Klägerin ist mehrfach in Deutschland und dem europäischen Ausland bezüglich ähnlicher Eigentumsdelikte in Erscheinung getreten. Laut ihren Aussagen gegenüber dem Sozialdienst der JVA Köln begann sie bereits mit ca. 14-15 Jahren, zur Verbesserung ihrer Lebensumstände, mit der Verübung von Diebstählen und Wohnungseinbrüchen. Daraus resultierende Verurteilungen und Ermahnungen hielten die Klägerin jedoch nicht davon ab, weitere Straftaten zu begehen. Für die Annahme, dass die Klägerin sich auch nach ihrer letzten Verurteilung nicht an die geltenden Gesetze halten wird, sprechen die Umstände, dass sie nach der (kurzzeitigen) Aufhebung des Haftbefehls in die Niederlande geflohen ist, dort wegen einem Einbruchdiebstahl festgenommen wurde und anschließend versucht hat aus der Haft zu fliehen. Ferner ist zu beachten, dass die Klägerin ihre Haftstrafe vollständig verbüßen musste.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin während der letzten Einbruchserie in München in relativ kurzer Zeit eine Vielzahl von gleichgelagerten Straftaten begangen hat und äußerst professionell vorging. Sie benutzte Handschuhe, führte Einbruchswerkzeug so versteckt mit sich am Körper, dass dieses auch bei der polizeilichen Festnahme zunächst nicht auffiel und führte einen Phantasieausweis bei sich, der ein noch nicht strafmündiges Alter auswies. Auch die schnelle Weitergabe der Tatbeute an Hintermänner spricht für ein organisiertes und professionelles Vorgehen. In diesem Zusammenhang hat das Amtsgericht festgestellt, dass die Klägerin von der Familie gezielt zu einer „Einbrecherin“ erzogen worden ist und keine Wahlmöglichkeit hatte, ein straffreies Leben zu führen. Insgesamt stellte das Amtsgericht schädliche Neigungen fest. Nach der Haft ist die Klägerin zu ihrer Familie zurückgekehrt, also zu den Personen von denen die Klägerin, nach den Feststellungen des Amtsgerichts, zu einer Einbrecherin erzogen wurde. Es ist damit zu erwarten, dass die Klägerin auch nach ihrer Inhaftierung ihr früheres Leben weiterführt.
Neben der familiären Situation sprechen auch die persönlichen Umstände der Klägerin für eine Wiederholungsgefahr. Sie hat die Hauptschule nicht beendet und sich auch einem Schulabschluss während der Haft verweigert. Eine Ausbildung hat sie bisher ebenfalls nicht gemacht. Dementsprechend kann auch in Zukunft von einer angespannten finanziellen Situation bei der Klägerin ausgegangen werden. Laut ihrer eigenen Aussagen bei dem Sozialdienst war die Verbesserung ihrer Lebensumstände bereits früher die Motivation zur Begehung von Straftaten.
Auch die Geburt ihres zweiten Kindes ändert nichts an der bestehenden Gefahr einer erneuten Straffälligkeit der Klägerin, da bereits die Geburt ihres ersten Sohnes sie nicht von der Begehung einer einmonatigen Einbruchserie abhalten konnte. Die zuletzt abgeurteilten Straftaten beging sie bereits 4 Monate nach Geburt ihres ersten Sohns.
Das von der Klägerin zu erwartende Verhalten stellt eine hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das Grundinteresse der Gesellschaft besteht vorliegend in der Sicherung des friedlichen Zusammenlebens seiner Bürger unter Einhaltung der geltenden Rechtsordnung, insbesondere des darin gewährleisteten Eigentumsschutzes (VG Hamburg, B.v. 10.2.2017 – 19 E 1318/17 – juris Rn 20). Die hinreichend schwere Gefährdung ergibt sich insbesondere aus der professionellen und bandenmäßigen Tatbegehung sowie der Vielzahl der Taten in einem relativ kurzen Zeitabschnitt. Weiterhin unterfällt die durch das Amtsgericht München verhängte Jugendstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten ohne Bewährung nicht der leichten Kriminalität, sondern ist nach der darin zum Ausdruck kommenden Rechtsuntreue bereits der mittleren bis schweren Kriminalität zuzurechnen. Dies zeigt sich auch darin, dass derartige Verurteilungen erst nach 10 Jahren aus dem Bundeszentralregister getilgt werden, § 46 Absatz 1 Nr. 2 Buchst. c BZRG.
1.3. Schließlich ist auch die von der Beklagten nach § 6 Abs. 1 und Abs. 3 FreizühG/EU zu treffende Ermessensentscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2012 – 10 ZB 11.2751 – juris Rn. 4) nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Insoweit ist die gerichtliche Kontrolle nach § 114 VwGO dahingehend eingeschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte hat erkannt, dass die Entscheidung über die Verlustfeststellung in ihrem Ermessen liegt, und die tatbezogenen Umstände eingehend gewürdigt. Sie hat auch hinreichend die gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU zu berücksichtigenden Belange abgewogen und dabei insbesondere die Dauer des Aufenthalts, den Integrationsstand und die familiäre Situation bewertet. Eine Fehlgewichtung ist darin nicht zu sehen.
Die Beklagte hat berücksichtigt, dass die Klägerin in Deutschland geboren und zur Schule gegangen ist, dass sie sich aber in den letzten Jahren nicht ständig in Deutschland aufgehalten hat und auch in Kroatien gemeldet war. Die Beklagte ist ebenso auf die familiären Verbindungen der Klägerin – zu ihren Eltern und Geschwistern sowie ihren eigenen Kindern – eingegangen.
Ein Verstoß gegen Art. 6 GG ist nicht ersichtlich. Die volljährige Klägerin ist nicht mehr auf ihrer Eltern (bzw. umgekehrt) angewiesen. Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis über die emotionale Verbundenheit hinaus ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht vorgetragen. Die beiden Söhne der Klägerin, ebenfalls kroatische Staatsbürger, haben keine weitergehenden familiären Beziehungen in das Bundesgebiet. Ein Vater wurde nicht in die Geburtsurkunden eingetragen, und laut dem Jugendhilfebericht aus dem Strafverfahren ist die Klägerin nicht mehr mit dem kroatischen Vater des ersten Sohnes liiert und dieser habe auch keinen Kontakt zu dem gemeinsamen Sohn. Dementsprechend erscheint es möglich, dass die Söhne mit der Klägerin nach Kroatien ausreisen, wo zu mindestens, laut den Akten, der ältere Sohn bereits eine amtliche Meldeadresse hat.
Einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK hat die Beklagte ebenfalls zu Recht verneint. Art. 8 Abs. 1 EMRK bestimmt, dass jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens hat. Der Eingriff einer Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Der Eingriff in die Schutzgüter des Art. 8 EMRK kommt namentlich dann in Betracht, wenn der Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügt. Insbesondere bei Ausländern, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist, ist ein Eingriff in Art. 8 EMRK denkbar (BVerwG v. 29.9.1998 – BVERWG Aktenzeichen 1C896 1 C 8.96 – juris). Zu diesem Personenkreis zählen vor allem im Bundesgebiet geborene Ausländer der zweiten Generation (vgl. BayVGH B.v. 11.7.2007 – 24 ZB 07.743 – juris; B.v. 18.3.2015 – 10 C 14.2655 – juris Rn. 27).
Die Klägerin wurde zwar im Bundesgebiet geboren, jedoch kann nicht von einer vollständigen Integration ausgegangen werden. Die Klägerin hat die Schule abgebrochen und bisher keine Ausbildung gemacht. Sie hat, seit dem sie 14 Jahre alt ist, ihre Lebensumstände durch kriminelle Taten aufgebessert. Auch wenn sie in Deutschland gemeldet war, hat sich die Klägerin in den letzten Jahren vor ihrer Inhaftierung sowohl in als auch außerhalb von Deutschland aufgehalten und ist teilweise auch außerhalb von Deutschland strafrechtlich in Erscheinung getreten. In Kroatien hatte sie eine amtliche Meldeadresse. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Klägerin eine erste Anlaufstelle in Kroatien haben wird. Auch sonst ist ihr die Rückkehr nach Kroatien möglich und zumutbar, da bei der Klägerin weiterhin Bindungen an und nach Kroatien bestehen.
2. Die Befristung der Wiedereinreisesperre auf fünf Jahre beruht auf § 7 Abs. 2 FreizügG/EU und begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Unter Berücksichtigung der Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten durch die Klägerin ist angesichts der sehr beschränkten sozialen und wirtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet die Sperrfrist von fünf Jahren erforderlich und nicht unverhältnismäßig. Hierbei ist auch zu beachten, dass nach § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU auch eine Sperrfrist von über fünf Jahren möglich gewesen wäre.
3. Die in Ziffer 3 verfügte Ausreisepflicht beruht auf § 7 Abs. 1 FreizügG/EU, die Ausreisefrist entspricht den Anforderungen des § 7 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 FreizügG/EU.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.


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