Arbeitsrecht

vorläufige Besitzeinweisung, Rüge der fehlenden Wertgleichheit, grobes Missverhältnis zwischen Einlage und Abfindung, Zuständigkeit für nachträgliche Änderungen des Flurbereinigungsgebiets

Aktenzeichen  13 A 19.1702

Datum:
2.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49480
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FlurbG § 65, § 63
FlurbG § 8
FlurbG i.V.m. § 2 Abs. 4
BayAGFlurbG Art. 1 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Bei der Prüfung der besonderen Voraussetzungen für die im Ermessen der Flurbereinigungsbehörde liegende vorläufige Besitzeinweisung ist regelmäßig nicht näher zu untersuchen, ob die zugedachten Abfindungen wertgleich sind, weil insoweit dem Verfahren über Planwidersprüche nicht vorgegriffen werden darf.
2. Mit einem Widerspruch gegen die vorläufige Besitzeinweisung können Beteiligte nur rügen, dass eine auch nur vorübergehende Nutzung ihrer Abfindung bis zur Planausführung (§§ 61, 63 FlurbG) unzumutbar ist. Dies wäre nur der Fall, wenn entweder ein grobes Missverhältnis zwischen Einlage und Abfindung besteht oder unzumutbar in die Struktur des Betriebs eingegriffen worden ist.

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit es die Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu zwei Drittel zu tragen, der Beklagte zu einem Drittel. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig. Für die baren Auslagen des Gerichts wird ein Pauschsatz von 30 Euro erhoben. Das Verfahren ist gebührenpflichtig.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der klägerseitig mit Schriftsatz vom 17. September 2019 erklärte Beklagtenwechsel ist als Klageänderung zulässig, da die TG als alte Beklagte dem mit Schreiben vom 17. September 2019 ausdrücklich zugestimmt hat (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 91 Abs. 1 VwGO) und der Freistaat Bayern als neuer Beklagter diese Zustimmung mit Schreiben vom 19. September 2019 mitsamt den bei ihm angefallenen Behördenakten, ohne dem Beklagtenwechsel zu widersprechen, vorgelegt hat (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 91 Abs. 2 VwGO; zum Beklagtenwechsel als Klageänderung vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 91 Rn. 22).
Das Verfahren war insoweit in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO deklaratorisch einzustellen, als die Beteiligten es in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Zurückweisung des Widerspruchs gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit im Widerspruchsbescheid des Beklagten übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Diese teilweise übereinstimmende Erledigungserklärung führte unmittelbar zur Beendigung der Rechtshängigkeit (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, 24. Aufl. 2018, § 161 Rn. 15), so dass insoweit nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur mehr über die Kosten zu entscheiden war. Im Falle einer Teilerledigung der Hauptsache erfolgen die Verfahrenseinstellung in analoger Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO und die nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu treffende Kostenentscheidung nicht durch gesonderten Beschluss, sondern zusammen mit der Sachentscheidung über den nicht erledigten Teil im Schlussurteil (BVerwG, B.v. 7.8.1998 – 4 B 75.98 – NVwZ-RR 1999, 407 = juris Rn. 2; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 161 Rn. 19).
Im Übrigen blieb die Klage gegen die vorläufige Besitzeinweisung in der Sache ohne Erfolg und war daher abzuweisen, da die vorläufige Besitzeinweisung in der Fassung des Widerspruchsbescheids und den in der mündlichen Verhandlung vom Beklagten zugesicherten Änderungen nicht rechtswidrig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG können die Beteiligten in den Besitz der neuen Grundstücke vorläufig eingewiesen werden, wenn deren Grenzen in die Örtlichkeit übertragen worden sind und endgültige Nachweise für Fläche und Wert der neuen Grundstücke vorliegen sowie das Verhältnis der Abfindung zu dem von jedem Beteiligten Eingebrachten feststeht. Angeordnet wird die vorläufige Besitzeinweisung gemäß § 65 Abs. 2 Satz 1 FlurbG von der Flurbereinigungsbehörde, in Bayern nach § 2 Abs. 4 FlurbG i.V.m. Art. 1 Abs. 3 BayAGFlurbG dem ALE (siehe hierzu Linke in Linke/Mayr, AGFlurbG, 2012, Art. 1 Rn. 9).
Einwände gegen das Vorliegen der vorstehend genannten formalen Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FlurbG für die Anordnung der vorläufigen Besitzeinweisung hat der Kläger nicht erhoben. Er wendet sich hinsichtlich der von ihm geltend gemachten Rügen zu seinen Einlage- und Abfindungsflurstücken durchweg gegen die Gestaltung seiner Abfindung, die insbesondere gegen die Abfindungsgrundsätze des § 44 FlurbG verstoßen soll. Vor allem macht er geltend, aufgrund des Beschlusses des Vorstands der TG vom 14. Juni 2004 nicht (mehr) Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens zu sein bzw. es liege nur eine „limitierte Teilnahme“ am Flurbereinigungsverfahren vor.
Bei der Prüfung der besonderen Voraussetzungen für die im Ermessen der Flurbereinigungsbehörde liegende vorläufige Besitzeinweisung ist im Übrigen regelmäßig nicht näher zu untersuchen, ob die zugedachten Abfindungen wertgleich sind, weil insoweit dem Verfahren über Planwidersprüche nicht vorgegriffen werden darf (vgl. BVerwG, B.v. 12.11.2010 – 9 B 41.10 – juris Rn. 4 m.w.N; BVerwG, U.v. 30.10.1979 – 5 C 40.79 – BVerwGE 59, 79/85; BayVGH, B.v. 5.9.2019 – 13 AS 19.820 – juris Rn. 29; BayVGH, B.v. 8.6.2011 – 13 AS 11.1027 – juris Rn. 12). Mit einem Widerspruch gegen die vorläufige Besitzeinweisung können Beteiligte also nicht vorab die Wertgleichheit der Abfindung rügen, sondern nur, eine auch nur vorübergehende Nutzung ihrer Abfindung bis zur Planausführung (§§ 61, 63 FlurbG) sei unzumutbar. Dies wäre nur der Fall, wenn entweder ein grobes Missverhältnis zwischen Einlage und Abfindung besteht oder unzumutbar in die Struktur des Betriebs eingegriffen worden ist (BVerwG, B.v. 12.11.2010 – 9 B 41.10 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 5.9.2019 – 13 AS 19.820 – juris Rn. 29; BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 13 AS 16.2546 – juris Rn. 44; BayVGH, B.v. 11.5.2017 – 13 AS 17.246 – juris Rn. 29; BayVGH, B.v. 24.6.2014 – 13 AS 14.717 – juris Rn. 25 BayVGH, B.v. 8.6.2011 – 13 AS 11.1027 – juris Rn. 12; vgl. Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 65 Rn. 20 m.w.N.).
Ein grobes Missverhältnis zwischen Einlage und Abfindung ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 17.8.1988 – 5 C 78.84 – RzF 86 zu § 44 Abs. 1 FlurbG) aus einem schwerwiegenden Abfindungsmangel. Dieser kann etwa in einer überproportionalen Flächenmehrung von Böden in einer Qualität liegen, die so nicht eingelegt wurde. Grundsätzlich kommen jedoch alle Umstände, die die Grundsätze der Abfindung nach §§ 44 ff. FlurbG berühren, in Betracht, wenn sie ein entsprechendes Gewicht aufweisen. Ein gravierendes Abfindungsdefizit in diesem Sinn kann durchschlagen und bereits die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Besitzeinweisung beeinträchtigen (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2019 – 13 AS 19.820 – juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 24.6.2014 – 13 AS 14.717 – juris Rn. 28).
Aus dem klägerischen Vortrag ergibt sich nicht, dass die vorstehend dargelegten „engen“ Voraussetzung für einen Erfolg seines Rechtsbehelfs gegen die vorläufige Besitzeinweisung nach § 65 FlurbG vorliegen. Ein grobes Missverhältnis zwischen Einlage und Abfindung ist nach dem vorläufigen Auszug aus dem Flurbereinigungsplan nicht gegeben. Danach steht der Forderung des Klägers von 77,6125 ha und 647 293 WVZ eine Abfindung von 77,2616 ha und 647 287 WVZ gegenüber, wobei die Abweichung von sechs WVZ im Flurbereinigungsplan noch ausgeglichen werden soll. Die Änderung der Durchschnittswertzahl beläuft sich auf +0,1.
Im Hinblick darauf, dass im Verfahren der vorläufigen Besitzeinweisung dem Verfahren über Planwidersprüche nicht vorgegriffen werden darf, wird bei der Prüfung der besonderen Voraussetzungen für die im Ermessen der Flurbereinigungsbehörde liegende vorläufige Besitzeinweisung regelmäßig nicht näher untersucht, ob die zugedachten Abfindungen wertgleich sind (BVerwG, U.v. 30.10.1979 – 5 C 40.79 – BVerwGE 59, 79/85), so dass den vom Kläger im einzelnen angeführten Rügen zu Einzelflurstücken keine durchgreifende Bedeutung zukommt. Soweit er den Verlust der Nutzbarkeit bzw. des Unterhalts der auf Flurstück 424 vorhandenen Drainage rügt, ist der Beklagte diesem Einwand dadurch nachgekommen, dass er eine Übergangsregelung zur Sicherstellung von Instandsetzungs- und Unterhaltungsarbeiten zugesagt hat. Hinsichtlich der Eigenjagd trifft deren befürchtete Gefährdung aufgrund der Zuteilung des Wegs Einlageflurstück 320 an die Stadt nicht zu, da nach § 5 Abs. 2 BJagdG u.a. Wege den Zusammenhang eines Jagdbezirkes nicht unterbrechen. Im Übrigen betreffen die geltend gemachten Nachteile Fragen der Gestaltung der Flurneuordnung und sind daher in erster Linie in einem Verfahren gegen den Flurbereinigungsplan geltend zu machen. Insbesondere sind sie nicht derart gravierend, dass für den Kläger auch nur die vorübergehende Nutzung des ihm zugewiesenen Besitzstands unzumutbar wäre.
Auch ein unzumutbarer Eingriff in die Struktur des Betriebes ist nicht gegeben. Dass hier die Betriebsstruktur unter Missachtung des § 44 Abs. 5 FlurbG geändert werde, ist hinsichtlich der vom Kläger im einzelnen erhobenen Rügen zu den Einzelflurstücken nicht erkennbar. Auch lässt sich dies der Widerspruchskarte nicht entnehmen, wonach dem Kläger sein bisheriger Besitzstand im Wesentlichen wieder zugeteilt wird. Im Verhältnis zur Größe des Besitzstands sind die vorgesehenen Änderungen in der Abfindung als eher untergeordnet anzusehen. Jedenfalls erscheinen sie vom Umfang her nicht geeignet, einen unzumutbaren Eingriff in die Betriebsstruktur zu bewirken.
Schließlich vermag auch die Berufung darauf, dass der Kläger wegen des Beschlusses des Vorstands der TG vom 14. Juni 2004 nicht (mehr) Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens sei bzw. nur eine limitierte Teilnahme im Flurbereinigungsverfahren vorliege, wegen der Bestandskraft des Flurbereinigungsbeschlusses der DLE vom 27. September 2001 nicht durchzugreifen. Dass der Anordnungsbeschluss nichtig sei, macht der Kläger nicht geltend und es ist dafür auch nichts ersichtlich. Selbst wenn man den Vorstandsbeschluss der TG vom 17. Juni 2004 als Herausnahme aus dem Verfahren verstehen wollte, hätte dies nicht durch die TG erfolgen können, sondern ausschließlich durch die damalige DLE bzw. mittlerweile durch das ALE, da für geringfügige oder erhebliche Änderungen des Flurbereinigungsgebiets nach § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FlurbG in Bayern nach § 2 Abs. 4 FlurbG i.V.m. Art. 1 Abs. 3 BayAGFlurbG die Ämter für ländliche Entwicklung zuständig sind (siehe hierzu Linke in Linke/Mayr, AGFlurbG, 2012, Art. 1 Rn. 9). Im Übrigen ist der Beschluss auch inhaltlich nicht als Ausschluss aus dem Verfahren zu verstehen, sondern im Kern nur als Zusicherung der Freistellung von Abzügen nach § 47 FlurbG, die aber durch die angegriffene vorläufige Besitzeinweisung nicht betroffen ist.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Verfahrensteils zur Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit und deren Behandlung im Widerspruchsbescheid des Beklagten auf § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Insoweit entspricht es der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen, der mit der Aufhebung des Widerspruchsbescheids bezüglich der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in der vorläufigen Besitzeinweisung in tatsächlicher Hinsicht die Erledigung herbeigeführt hat. Zudem wäre die Klage insoweit voraussichtlich erfolgreich gewesen, da der Kläger hinsichtlich der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit keinen Widerspruch erhoben, sondern einen Antrag nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO gestellt hat, zumal unabhängig von der umstrittenen Rechtsnatur einer behördlichen Vollziehbarkeitsanordnung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO als Rechtsbehelf neben dem Antrag nach § 80 Abs. 4 VwGO allein ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, nicht aber ein Widerspruch nach § 68 VwGO statthaft gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht im Übrigen auf § 147 Abs. 1 FlurbG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit in III. des Tenors folgt gemäß § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Insoweit wurde mit Beschlüssen vom 3. und 8. März 2022 nach Anhörung der Beteiligten mit gerichtlichem Schreiben vom 2. Februar 2022, zu der sich keiner der Beteiligten äußerte, sowohl der schriftlich niedergelegte Tenor des Urteils in Ziffern III. und IV. als auch das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2. Dezember 2022 dahingehend berichtigt, dass die Abwendungsbefugnis für den jeweiligen Vollstreckungsschuldner durch eine Sicherheitsleistung des Vollstreckungsgläubigers ausgeschlossen wird und die Revision nicht zugelassen wird. Im Tenorierungsformular war versehentlich die Option „Die Revision wird zugelassen“ statt „Die Revision wird nicht zugelassen“ angekreuzt worden, obwohl offensichtlich im vorliegenden Rechtsstreit keiner der abschließend genannten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt. Das Urteilsformular war im Nachhinein lediglich wie ausgefüllt in das Protokoll über die mündliche Verhandlung übernommen worden. Die Berichtigung der offenbaren Unrichtigkeiten des Protokolls erfolgte auf der Grundlage von § 105 VwGO i.V.m. § 164 Abs. 1 ZPO und die Berichtigung des Urteilstenors aufgrund von § 118 Abs. 1 VwGO.


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