Arbeitsrecht

Wegen Rechtsanwaltsvergütung gem. § 45 ff. RVG

Aktenzeichen  L 12 SF 172/18

Datum:
5.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25659
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 14, § 16 Nr. 2, § 48 Abs. 4
RVG VV Nr. 3102

 

Leitsatz

1. Bei der Bestimmung der Höhe der Verfahrensgebühr kann zunächst nur die Tätigkeit des Rechtsanwaltes im Klageverfahren berücksichtigt werden, die ab dem im PKH-Bewilligungsbeschluss genannten Datum der Beiordnung erfolgt ist (vgl. zur alten Rechtslage Beschluss des BayLSG vom 03.05.2018, L 12 SF 233/15). (Rn. 23)
2. Dabei ist die Entscheidung des in der Sache zuständigen Spruchkörpers über den Umfang der Bewilligung von PKH und der Beiordnung für das gesamte Festsetzungsverfahren vorgreiflich und bindend. Eine inhaltliche Überprüfung und Korrektur dieser Entscheidung durch den für die Kostenfestsetzung zuständigen Spruchkörper ist nicht zulässig. (Rn. 24)
3. Die zeitliche Begrenzung durch die Bestimmung eines abweichenden Beiordnungszeitpunktes in § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG bezieht sich nur auf die bei der Gebührenfestsetzung zu berücksichtigenden Tätigkeit des Rechtsanwalts im Klageverfahren. (Rn. 26)
4. Bei der Bewertung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist unter Einbeziehung der anwaltlichen Tätigkeit im PKH-Bewilligungsverfahren aber die Erstellung der Klagebegründung zu berücksichtigen, wenn der Rechtsanwalt den Antrag auf PKH zeitgleich mit der Einreichung der Klageschrift samt Klagebegründung gestellt hat. (Rn. 29)

Verfahrensgang

S 28 SF 474/17 E 2018-04-03 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 3. April 2018, S 28 SF 474/17 E, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung für ein Verfahren vor dem Sozialgericht München. Streitig ist die Höhe der Verfahrens- und der Einigungsgebühr.
Im Ausgangsverfahren (S 19 AS 2323/16) erhoben die Erinnerungsführer zu 1) und Beschwerdegegner (Bg) am 4.10.2016 im Namen des Klägers Klage wegen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – SGB II und begründeten die Klage. Moniert wurde die Höhe anrechenbarer Kosten der Unterkunft. Mit Schreiben vom gleichen Tag beantragten sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter ihrer Beiordnung. Sie fügten dem PKH-Antrag eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sowie weitere Unterlagen bei und verwiesen zu den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung auf die Klagebegründung. In der Folgezeit bat der Kostenbeamte in mehreren Schreiben (13.1.2017, 15.2.2017, 14.3.2017, 11.4.2017 und 16.5.2017) um die Vorlage weiterer Unterlagen sowie Erklärungen zu einzelnen aus den Kontoauszügen ersichtlichen Buchungen. Die Anforderungen wurden jeweils innerhalb der gewährten Frist unter Einschaltung der Bg beantwortet.
Mit Beschluss vom 14.6.2017 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bg ab 2.6.2017 gewährt. In der mündlichen Verhandlung am 25.7.2017 (Dauer: 9.36 Uhr bis 11.11 Uhr für das hier zugrundeliegende sowie ein weiteres Verfahren des Klägers) schlossen die Beteiligten einen verfahrensbeendenden Vergleich.
Mit Schriftsatz vom 02.08.2017 machten die Bg folgende von dem Erinnerungsführer zu 2) und Beschwerdeführer (Bf) zu erstattende Kosten geltend:
Nr. 3102 VV RVG 300,00 €
Nr. 3106 VV RVG 280,00 €
Nr. 1006 VV RVG 300,00 €
Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
Zwischensumme 900,00 €
Nr. 7008 VV RVG 171,00 €
Gesamt 1.071,00 €
Abweichend hiervon setzte der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vergütung der Bg mit Beschluss vom 19.9.2017 auf 699,13 € fest:
Nr. 3102 VV RVG 200,00 €
Nr. 3106 VV RVG 210,00 €
Nr. 1006 VV RVG 200,00 €
Abzgl. Hälfte Beratungshilfe Nr. 2503 VV RVG -42,50 €
Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
Zwischensumme 587,50 €
Nr. 7008 VV RVG 111,63 €
Gesamt 699,13 €
Es handele sich im vorliegenden Verfahren um einen Fall mit leicht überdurchschnittlicher Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger, durchschnittlicher Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie weit unterdurchschnittlichem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit. Im Bewilligungszeitraum ab dem 2.6.2017 habe der Rechtsanwalt lediglich ein kurzes Schreiben an das Gericht übersandt. Vorherige Tätigkeiten könnten aufgrund des Wortlauts des Bewilligungsbeschlusses nicht berücksichtigt werden. Es sei von unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen auszugehen. Das Haftungsrisiko wirke sich nicht erhöhend aus. Folglich handele es sich um ein eher unterdurchschnittliches Verfahren und begründe den Ansatz aller Gebühren unterhalb der Mittelgebühr. Die Verfahrensgebühr und folglich auch die Einigungsgebühr seien mit 200,- € sogar eher großzügig bewertet.
Hiergegen legten die Bg am 22.9.2017 Erinnerung ein. Die anwaltliche Tätigkeit umfasse die gerichtliche Interessenvertretung für ein Jahr seit Zustellung des angefochtenen Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 8.9.2016 am 14.09.2016. Zugleich wurde beantragt, den Prozesskostenhilfe-Bewilligungsbeschluss vom 14.6.2017 dahingehend abzuändern, dass dem Kläger Prozesskostenhilfe nicht erst ab dem 2.6.2017, sondern ab der Antragsschrift vom 30.9.2016, bei Gericht eingegangen am 4.10.2016, bewilligt werde. Diesen als Anhörungsrüge ausgelegten Antrag wies das SG mit Beschluss vom 24.1.2018 zurück (S 19 AS 3036/17 RG).
Der Bf hat im Anschluss selbst Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 19.9.2017 eingelegt. Beantragt wurde die Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 100,00 €, so dass sich eine Gesamtvergütung von 461,13 € ergebe. Eine Verfahrensgebühr in Höhe der doppelten Mindestgebühr erscheine angesichts des späten Beiordnungszeitpunktes vorliegend ausreichend.
Das SG hat mit Beschluss vom 3.4.2018 auf die Erinnerung der Bg den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des SG vom 19.9.2017 abgeändert und die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung auf insgesamt 782,43 € angehoben. Die Erinnerung des Bf blieb ohne Erfolg.
Unter Verweis auf § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG wies das SG darauf hin, hinsichtlich der Gebührenbemessung komme es auf die Tätigkeiten des Rechtsanwalts in dem Zeitraum an, in dem er im Rahmen der Prozesskostenhilfe dem Kläger beigeordnet war. Nach der Rechtsprechung des BayLSG könne in Bezug auf den Umfang des Vergütungsanspruchs der beigeordnete Rechtsanwalt nach § 48 Abs. 1 RVG sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab Wirksamwerden seiner Beiordnung ergeben. Maßgeblich sei derjenige Zeitpunkt, der im Beiordnungsbeschluss als Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Beiordnung festgesetzt sei. Die Entscheidung über den Zeitpunkt der Beiordnung sei für das Festsetzungsverfahren nach §§ 55, 56 RVG bindend (BayLSG, Beschluss vom 18.03.2015, Az. L 15 SF 241/14 E, Rn. 23 – juris; anders BayLSG, Beschluss vom 22.07.2010, Az. L 15 SF 303/09 B E, Rn. 21 – juris zu § 48 RVG a.F.). Dies zugrunde gelegt sei bezüglich der Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RV der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ab dem Zeitpunkt der Beiordnung als unterdurchschnittlich einzustufen. Zu berücksichtigen sei neben der Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung ein weiteres Schreiben sowie die Tätigkeit im Verfahren über die Prozesskostenhilfe (§ 48 Abs. 4 Satz 2 RVG). Letztere sei hinsichtlich der Darstellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers relativ aufwändig gewesen. Daneben berücksichtigte das SG die Erstellung der Klagebegründung, da der Antrag auf Prozesskostenhilfe zeitgleich mit der Klage(begründung) eingereicht wurde. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit bewertete das SG als durchschnittlich, die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber angesichts der finanziellen Situation des Klägers als leicht überdurchschnittlich. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers seien als unterdurchschnittlich zu bewerten. Ein besonderes Haftungsrisiko der Bg sei nicht ersichtlich. Demnach handele es sich gebührenrechtlich um einen unterdurchschnittlichen Fall, für den eine Verfahrensgebühr in Höhe von 200,00 € (zwei Drittel der Mittelgebühr) ausreichend und angemessen erscheine. In Bezug auf die Terminsgebühr (Nr. 3106 VV) sah das SG den Ansatz der Mittelgebühr (280,00 €) gerechtfertigt. Die Einigungsgebühr (Nr. 1006 VV) folge der Verfahrensgebühr und sei daher ebenfalls in Höhe von 200,00 € anzusetzen. Unter Abzug der hälftigen gezahlten Beratungsgebühr (- 42,50 €), dem zutreffenden Ansatz der Postpauschale (Nr. 7002 VV RVG) von 20,- € sowie der Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG; 124,93 €) berechne sich die festgesetzte Kostenerstattung von 782,43 €.
Dagegen hat nur der Bf am 24.5.2018 Beschwerde erhoben und beantragt, Verfahrens- und Terminsgebühr auf jeweils 100,- € festzusetzen. Für die Gebührenhöhe berücksichtigt werden dürfe nur die anwaltliche Tätigkeit ab dem im PKH-Bewilligungsbeschluss genannten Datum (2.6.2017). Der PKH-Bewilligungsbeschluss sei insoweit bindend. Ob der Bg die späte PKH-Bewilligung zu vertreten habe, spiele keine Rolle. Die ab dem 2.6.2017 entfaltete anwaltliche Tätigkeit lasse nur eine Verfahrens- und Einigungsgebühr von 100,- € als richtig erscheinen. Soweit nämlich das SG – wie hier – im PKH-Bewilligungsbeschluss einen von der Antragstellung abweichenden Bewilligungszeitpunkt festgelegt habe, gelte dies auch für die Berücksichtigung der im PKH-Verfahren entfalteten Tätigkeiten. § 48 Abs. 4 Satz 2 RVG könne nicht in dem Sinne interpretiert werden, als generell Tätigkeiten im PKH-Bewilligungsverfahren, also unabhängig vom Beiordnungszeitpunkt, bei der Bemessung der Gebühren in die Waagschale zu werfen seien. Hierfür spreche auch die Gesetzesbegründung zu § 48 RVG nach dem 2. KostRMoG. Die Klagebegründung sei demnach wegen des abweichenden Beiordnungszeitpunktes nicht zu berücksichtigen. Außerdem handle es sich bei dem Verfahren über die Prozesskostenhilfe und dem Verfahren, für das PKH bewilligt wurde, um dieselbe Angelegenheit (§ 16 Nr. 2 RVG).
Die Bg halten den Beschluss des SG für zutreffend und verweisen zur Begründung auf § 48 Abs. 4 Satz 2 RVG, der nicht alternativ, sondern kumulativ neben § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG stünde.
Im Übrigen weist der Senat ergänzend hin auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des Erinnerungsverfahrens mit dem Az. S 28 SF 474/17 E und die beigezogene Akte des SG mit dem Az. S 19 AS 2323/16.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat der an sich nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG zuständige Einzelrichter die Sache zur Entscheidung auf den Senat übertragen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG). Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
2. Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall die Regelungen des RVG in der ab dem 1.8.2013 geltenden Fassung gemäß dem Zweiten Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) vom 23.7.2013 (BGBl S. 2586, 2681 ff.), denn der unbedingte Auftrag i.S.v. § 60 Abs. 1 RVG ist den Bg nach dem 31.07.2013 erteilt worden.
3. Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 Euro übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
4. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Die Bg haben einen Anspruch auf Festsetzung einer Vergütung in Höhe von 782,43 €. Dies hat das SG in dem angefochtenen Beschluss vom 3.4.2018 zutreffend entschieden. Streitig im Beschwerdeverfahren sind die Höhe der Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG und ihr folgend der Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG.
a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen – wie hier – das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG. Bei Rahmengebühren bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1). Bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm ein Spielraum bzw. eine Toleranzgrenze von 20% zusteht (BSG, Urteil vom 1.7.2009, B 4 AS 21/09 R, BSGE 104, 30-41; zur Berechnung der 20%-Toleranzgrenze vgl. Beschluss des Senats vom 24.3.2020, L 12 SF 271/16 E). Im Fall einer nicht verbindlichen, d.h. nicht der Billigkeit entsprechenden Bestimmung der Gebühr durch den Rechtsanwalt, wird die Gebühr im Vergütungsfestsetzungsverfahren bestimmt. Der gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (Kostenbeamter), im Fall der Erinnerung das gemäß § 56 Abs. 1 RVG zuständige Gericht und im Fall der Beschwerde das Beschwerdegericht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG sind befugt und verpflichtet, die von dem Rechtsanwalt bestimmten Gebühren auf ihre Billigkeit hin zu überprüfen und bei Feststellung der Unbilligkeit die Gebühr selbst festzusetzen.
b) Unter Berücksichtigung dieser Kriterien erweist sich eine Festsetzung der Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV RVG) auf 200,00 € als noch zutreffend. Die Bg hatten ihrerseits die Gebühr zu hoch veranschlagt. Ihre Gebührenbestimmung entspricht nicht mehr billigem Ermessen und ist damit für die Staatskasse nicht verbindlich. Die von der Staatskasse beantragte Festsetzung auf die doppelte Mindestgebühr, mithin 100,00 € ist jedoch zu gering bemessen.
aa) Auch nach Auffassung des Senats kann bei der Bestimmung der Höhe der Verfahrensgebühr vorliegend zunächst nur die Tätigkeit der Bg im Klageverfahren berücksichtigt werden, die ab dem im PKH-Bewilligungsbeschluss genannten Datum der Beiordnung (2.6.2017) erfolgt ist (vgl. zur alten Rechtslage Beschluss des Senats vom 3.5.2018, L 12 SF 233/15).
Gemäß § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Umfang des PKH-Vergütungsanspruchs nach den Beschlüssen, durch die die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Er ist damit nach Grund und Höhe vom Umfang der Beiordnung abhängig (vgl. Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 50. Aufl. 2020, § 48 RVG Rn. 7 m.w.N.). Dabei ist die Entscheidung des in der Sache zuständigen Spruchkörpers über den Umfang der Bewilligung von PKH und der Beiordnung für das gesamte Festsetzungsverfahren vorgreiflich und bindend (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, § 55 Rn. 24; H. Schneider, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, § 48 Rn. 2). Eine inhaltliche Überprüfung und Korrektur dieser Entscheidung durch den für die Kostenfestsetzung zuständigen Spruchkörper ist damit nicht möglich (Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10.7.2015, L 2 SF 11/15 E, juris Rn. 23; so auch Beschluss des Senats vom 3.5.2018, L 12 SF 233/15).
Soweit in einem Verfahren Wertgebühren (§ 2 RVG) entstehen, wird der Beiordnungsbeschluss mit der Bekanntmachung an den beigeordneten Rechtsanwalt wirksam, sofern keine Rückwirkung angeordnet oder sonst erkennbar gewollt ist (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, § 48 Rn. 90). Für Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit hat der Gesetzgeber durch das 2. KostRMoG eine abweichende Regelung getroffen. In Angelegenheiten, in denen nach § 3 Abs. 1 RVG Betragsrahmengebühren entstehen, erstreckt sich die Beiordnung gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG auf Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Beantragung der Prozesskostenhilfe, wenn vom Gericht nichts anderes bestimmt ist. Enthält die Bewilligungs- und Beiordnungsentscheidung also keine ausdrückliche Bestimmung zum Umfang der Beiordnung, wirkt sie auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück. Sofern aber – wie hier im Bewilligungs- und Beiordnungsbeschluss des SG vom 14.6.2017 – ein abweichender Zeitpunkt bestimmt ist, erstreckt sich die Beiordnung nur auf die Tätigkeiten ab diesem Zeitpunkt. Im konkreten Fall können daher nach § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG bei der Ausfüllung der Kriterien nach § 14 Abs. 1 RVG nur Umstände im Klageverfahren ab dem Zeitpunkt der Beiordnung der Bg am 2.6.2017 berücksichtigt werden.
bb) Die zeitliche Zäsur durch die Bestimmung des Beiordnungszeitpunktes umfasst aber nicht die Tätigkeiten des Rechtsanwalts im PKH-Bewilligungsverfahren (aA Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 25.7.2017, L 8 AL 69/16 B KO und Beschluss vom 27.10.2020, L 5 AS 999/19 B; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17.6.2019, L 2 AS 241/18 B).
Nach § 48 Abs. 4 Satz 2 RVG erstreckt sich die Beiordnung ferner auf die gesamte Tätigkeit im Verfahren über die Prozesskostenhilfe einschließlich der vorbereitenden Tätigkeiten. Durch die mit dem 2. KostRMoG in § 48 Abs. 4 Satz 2 RVG erfolgte Änderung sollte erreicht werden, dass bei der Bemessung der Betragsrahmengebühr auch die Tätigkeit erfasst wird, die in diesem Rechtszug bereits vor dem Antrag auf Bewilligung von PKH geleistet worden ist. Die Motive zum 2. KostRMoG führen zu § 48 Abs. 4 aus (Bt-Drs. 17/11471, S. 270): „Der Aufwand, der im Verfahren über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe entsteht, wird nach Auffassung einiger Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit vom jetzigen Gesetzeswortlaut bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Rahmengebühren nicht berücksichtigt, weil nur die Tätigkeit ab der Bewilligung zugrunde zu legen sei (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 17. Juli 2008 – L 1 B 127/08 SK, NZS 2009, 534). Damit bestünde für den Rechtsuchenden eine Lücke für die kostenlose Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts, die dadurch geschlossen werden soll, dass auch die Tätigkeit im PKH-Bewilligungsverfahren von der bewilligten PKH erfasst wird. Wird der Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe gleichzeitig mit der Einreichung der Klage gestellt, dient die Fertigung der Klageschrift auch der Begründung des Prozesskostenhilfeantrags und ist daher bei der Bemessung der Gebühr zu berücksichtigen. Auch die Tätigkeit in dem Klageverfahren nach Stellung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bis zur Bewilligung soll grundsätzlich in die Bemessung der Gebühr einbezogen werden. Dem Gericht bleibt jedoch die Möglichkeit, im Bewilligungsbeschluss nach § 48 Absatz 1 RVG etwas anderes zu bestimmen. Hierfür muss jedoch ein besonderer rechtfertigender Grund vorliegen. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten hierfür Anlass gegeben hat. In Verfahren mit Betragsrahmengebühren ist die gesamte Tätigkeit bei der Bestimmung der konkreten Gebühr innerhalb des Rahmens zu berücksichtigen. Bei Wertgebühren spielt die Problematik keine Rolle, weil die zuvor im PKH-Bewilligungsverfahren entstandenen Gebühren entweder anzurechnen sind, oder in der Regel nach Bewilligung neu entstehen.“
Aus dieser Begründung wird deutlich, dass die Gesetzesänderung durch das KostRMoG zwei voneinander unabhängige Zwecke verfolgte. Zum einen sollte auch die anwaltliche Tätigkeit bei der Festsetzung der Gebührenhöhe berücksichtigt werden, die ab dem Zeitpunkt der Beantragung der Prozesskostenhilfe und vor dem Erlass des Beiordnungsbeschlusses erfolgt ist, umgesetzt in § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG. Diese Tätigkeit floss – wie oben unter 4) b) aa) beschrieben – bisher ohne ausdrückliche Rückwirkung des Beiordnungsbeschlusses nicht in die Gebührenbemessung mit ein. Darüber hinaus sollte die gesamte anwaltliche Tätigkeit im Verfahren über die Bewilligung von PKH einschließlich der vorbereitenden Tätigkeiten zu berücksichtigen sein und zwar unabhängig vom Zeitpunkt der Beantragung der PKH und der Klageerhebung. Die Einbeziehung der Tätigkeit im PKH-Bewilligungsverfahren findet sich in der Regelung des § 48 Abs. 4 Satz 2 RVG wieder.
Nach Auffassung des Senats bezieht sich die zeitliche Begrenzung durch die Bestimmung eines abweichenden Beiordnungszeitpunktes in § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG daher nur auf die bei der Gebührenfestsetzung zu berücksichtigenden Tätigkeit des Rechtsanwalts im Klageverfahren. Die nach 48 Abs. 4 Satz 2 RVG in die Gebührenbemessung einfließende Tätigkeit des Rechtsanwalts unterliegt der Begrenzung durch den abweichenden Beiordnungszeitpunkt nicht. Die Motive zum 2.KostRMoG unterscheiden ausdrücklich zwischen der anwaltlichen Tätigkeit im Klageverfahren und der anwaltlichen Tätigkeit im PKH-Bewilligungsverfahren. Auch der Wortlaut des Satzes 2 stützt die vom Senat vertretene Auffassung. Der Ausdruck „ferner“ bedeutet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch „außerdem, des Weiteren“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/ferner, abgerufen am 3.2.2020). Hieraus ist zu ersehen, dass § 48 Abs. 4 RVG unterscheidet zwischen der Tätigkeit im Klageverfahren, ggf. begrenzt durch einen konkreten Beiordnungszeitpunkt und „außerdem“ Tätigkeiten im PKH-Bewilligungsverfahren. Zudem erstreckt sich die Berücksichtigung der anwaltlichen Arbeit nach Satz 2 auf die „gesamte Tätigkeit“ des Anwalts im Verfahren über die Prozesskostenhilfe einschließlich der vorbereitenden Tätigkeiten im Gegensatz zur „Tätigkeit“ ab dem Zeitpunkt der Beantragung der PKH nach Abs. 4 Satz 1. Der Zusatz „gesamte“ Tätigkeit macht deutlich, dass eine Begrenzung auf einen Beiordnungszeitpunkt nach Antragstellung bei der Berücksichtigung der Tätigkeit im PKH-Verfahren gerade nicht gewollt war.
Mit dieser Auslegung setzt sich der Senat nicht darüber hinweg, dass die Entscheidung über den Zeitpunkt der Beiordnung für das Festsetzungsverfahren nach §§ 55, 56 RVG bindend ist, denn in Bezug auf die Berücksichtigung der Tätigkeiten im Hauptsacheverfahren (Klageverfahren) verbleibt es bei dem im Beiordnungsbeschluss genannten Zeitpunkt. Entgegen der Auffassung des Bf liegt in der Berücksichtigung der gesamten Tätigkeit im PKH-Bewilligungsverfahren auch kein Verstoß gegen § 16 Nr. 2 RVG. Nach § 16 Nr. 2 RVG ist das Verfahren über die Prozesskostenhilfe und das Verfahren, für das die Prozesskostenhilfe beantragt worden ist, dieselbe Angelegenheit, sodass für das PKH-Verfahren sowie das Hauptsacheverfahren dieselbe Gebühr nur einmal anfällt. Über die Festsetzung der Höhe der (einen) Gebühr trifft § 16 Nr. 2 RVG keine Aussage.
cc) Dies zugrunde gelegt ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als nur leicht unterdurchschnittlich zu werten. Zu berücksichtigen waren die im Hauptsacheverfahren ab dem Beiordnungszeitpunkt geleisteten Tätigkeiten der notwendigen Vorbereitung der mündlichen Verhandlung und dem Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des gerichtlichen Vergleichs. Hinzu kommt unter Einbeziehung der anwaltlichen Tätigkeit im PKH-Bewilligungsverfahren die Erstellung der Klagebegründung, da der Bg den Antrag auf PKH zeitgleich mit der Einreichung der Klageschrift samt Klagebegründung gestellt hat. Die Klagebegründung dient damit auch der Begründung der Erfolgsaussichten für die PKH-Bewilligung und ist im Rahmen der Kriterien des § 14 RVG zu berücksichtigen. Zudem hat der Kostenbeamte im PKH-Verfahren zum Nachweis der Bedürftigkeit des Klägers mit insgesamt fünf Anforderungsschreiben sehr kleinteilige Nachweise und Erklärungen zu Einzelposten verlangt, die der Bg mit dem Kläger besprechen und die Unterlagen nach Erhalt vor der Weitergabe an das Gericht zu überprüfen hatte. Diese zusätzliche, über das übliche Maß hinausgehende Tätigkeit im PKH-Verfahren wirkt sich vorliegend gebührenerhöhend aus.
In Bezug auf die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit (durchschnittlich), die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber (leicht überdurchschnittlich), die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers (unterdurchschnittlich) sowie das Haftungsrisiko teilt der Senat die Auffassung des SG und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Erinnerungsbeschluss, § 142 Abs. 2 Satz SGG.
Bei einem durchschnittlichen, einem leicht überdurchschnittlichen, einem leicht unterdurchschnittlichen und einem unterdurchschnittlichen Kriterium ist eine Festsetzung von 200,00 € gerade noch zutreffend und billig. Eine höhere Festsetzung des Gesamtergebnisses käme ohnehin wegen des Verbots der „reformatio in peius“ nicht in Betracht, da allein die Staatskasse Beschwerdeführer ist (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15. Juni 2016 – L 15 SF 92/14 E -, juris).
c) Die Bemessung der Einigungsgebühr erfolgt nach der gesetzlichen Anordnung der Nrn. 1000, 1005, 1006 VV RVG in Höhe der Verfahrensgebühr und damit auf 200,- €.
d) Die Höhe der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG sowie der Pauschale ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und deren Festsetzung auch zutreffend erfolgt.
5. Im Ergebnis stehen den Bg folgende Gebühren zu:
Nr. 3102 VV RVG 200,00 €
Nr. 3106 VV RVG 280,00 €
Nr. 1006 VV RVG 200,00 €
Abzgl. Hälfte Beratungshilfe Nr. 2503 VV RVG -42,50 €
Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
Zwischensumme 657,50 €
Nr. 7008 VV RVG 124,93 €
Gesamt 782,43 €
Die Beschwerde war zurückzuweisen.
6. Einer Entscheidung über die Kosten bedarf es nicht, weil das Verfahren über die Beschwerde gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden, § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
7. Der Beschluss ist unanfechtbar, eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).


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