Arbeitsrecht

Weiterbeschäftigungsanspruch – streitwerterhöhende Berücksichtigung

Aktenzeichen  2 Ta 84/20

Datum:
4.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19886
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 42, § 45, § 63 Abs. 2, § 68 Abs. 1
BGB § 140
ArbGG § 78 S. 3

 

Leitsatz

Über einen im Bestandsstreit hilfsweise gestellten Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung treffen die Parteien nur dann eine bei der Streitwertfestsetzung nach § 45 Abs. 4 iVm Abs. 1 Satz 2 GKG zu berücksichtigende Regelung, wenn ein über den Entlassungstermin der angegriffenen Kündigung hinausgehender Bestand des Arbeitsverhältnisses verabredet wurde und der vereinbarte spätere Beendigungszeitpunkt bei Vergleichsabschluss bzw. Ablauf der Widerrufsfrist noch nicht verstrichen ist. (Rn. 15)

Verfahrensgang

10 Ca 767/20 2020-03-18 Bes ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Klägervertreter wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 18.03.2020, Az. 10 Ca 767/20, abgeändert.
2. Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 5.988,06 € und für den Vergleich auf 7474,46 € festgesetzt.
3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

A.
Die Parteien stritten im Wege der Kündigungsschutzklage um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen, Kündigung vom 27.01.2020, um Weiterbeschäftigung und um Zustimmung zur Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 34 Stunden.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit 16.01.2017 als Produktionshelferin beschäftigt. Das monatliche Bruttoeinkommen betrug 1.486,40 €. Arbeitsvertraglich war eine Arbeitszeit von monatlich 140 Stunden in Monaten mit 20 Arbeitstagen, 147 Stunden in Monaten mit 21 Arbeitstagen, 154 Stunden in Monaten mit 22 Arbeitstagen und 161 Stunden in Monaten mit 23 Arbeitstagen vereinbart. Die Klägerin begehrte die Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 34 Stunden.
Das Verfahren endete durch Abschluss eines Vergleichs mit Ablauf der Widerrufsfrist am 02.04.2020. Darin einigten sich die Parteien u.a. auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Grund der ordentlichen Kündigung zum 29.02.2020 und die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses mit bestimmten Beurteilungen.
Mit Beschluss vom 18.03.2020 setzte das Arbeitsgericht den Gegenstandswert für das Verfahren auf 5.945,60 € (= vier Monatsgehälter) und für den Vergleich auf 7.432,- € (= fünf Monatsgehälter) fest. Den Kündigungsschutzantrag bewertete das Arbeitsgericht dabei mit drei Monatsgehältern, den Teilzeitantrag mit einem Monatsgehalt und die Einigung über das Zeugnis im Vergleich ebenfalls mit einem Monatsgehalt. Den Weiterbeschäftigungsantrag bewertete das Arbeitsgericht nicht.
Mit Schriftsatz vom 06.04.2020 legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hiergegen Beschwerde ein. Der Teilzeitanspruch sei mit drei Monatsgehältern zu bewerten, der Weiterbeschäftigungsanspruch mit einem Monatsgehalt.
Mit Beschluss vom 26.05.2020 half das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor. Wegen der Einzelheiten wird auf den ausführlich begründeten Beschluss Bezug genommen (Blatt 52 der Akten).
Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis letztendlich zum 03.08.2020. Die Klägervertreten hielten mit Schriftsatz vom 03.08.2020 an ihrer Auffassung fest (Blatt 64 – 66 der Akten). Die übrigen Beteiligten gaben keine inhaltliche Stellungnahme ab.
B.
I.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 – 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 – 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Klägervertreter kann aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.
II.
Die Beschwerde ist zum Teil begründet. Im vorliegenden Fall haben die Parteien auch eine Einigung über den Weiterbeschäftigungsantrag getroffen, so dass er mit einem Monatsgehalt zu bewerten war. Der Teilzeitantrag ist mit dem Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrags (= 1.528,86 €) zu bewerten, da dieser Wert zwischen einem und drei Monatsgehältern liegt. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Gegenstandswerte für das Verfahren und den Vergleich zutreffend festgesetzt.
Bei der Wertfestsetzung folgt die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar. Im Einzelnen gilt folgendes:
1. Den Wert für die Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht zutreffend mit drei Monatsgehältern festgesetzt. Nach Ziff. I Nr. 21.1 Streitwertkatalog 2018 für die Arbeitsgerichtsbarkeit ist eine außerordentliche Kündigung, die hilfsweise als ordentliche erklärt wird (einschließlich Umdeutung nach § 140 BGB), höchstens mit der Vergütung für ein Vierteljahr zu bewerten, unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren Schreiben erklärt werden (vgl. z.B. LAG Düsseldorf 07.05.2018 – 4 Ta 124/18 mwN; GMP/Künzl ArbGG, 9.Aufl. § 12 ArbGG Rn 109). Einwendungen hat die Beschwerdeführerin insoweit auch nicht erhoben.
2. Der Weiterbeschäftigungsantrag war im vorliegenden Fall nicht zu bewerten.
a. Nach ständiger Rechtsprechung des LAG Nürnberg (z.B. 19.03.2020 – 2 Ta 15/20; 08.07.2016 – 4 Ta 78/16) und anderer Landesarbeitsgerichte ist der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung streitwerterhöhend nur dann gemäß § 45 Abs. 4 iVm. Abs. 1 Satz 2 GKG zu berücksichtigen, wenn über ihn entschieden worden ist, wenn der Antrag in einem Vergleich sachlich mitgeregelt wird und dieser eine Regelung über ihn enthält oder wenn der Antrag ausdrücklich als unbedingter Hauptantrag gestellt worden ist (vgl. BAG 13.08.2014 – 2 AZR 871/14 Rn 4, juris; 30.08.2011 – 2 AZR 668/11, juris; LAG Niedersachsen 24.01.2020 – 8 Ta 13/20 Rn 7 mit zahlreichen Nachweisen, juris). Dies deckt sich auch mit Ziff. I Nr. 18 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Im Zweifel ist der Weiterbeschäftigungsantrag im wohlverstandenen Kosteninteresse der Partei, dem der Rechtsanwalt verpflichtet ist, als Hilfsantrag auszulegen (LAG Nürnberg 19.03.2020 – 2 Ta 15/20; LAG Niedersachsen 24.01.2020 – 8 Ta 13/20).
b. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist nicht ausdrücklich als unbedingter Hauptantrag gestellt worden. Da das Verfahren durch Vergleich endete, erging über ihn auch keine Entscheidung.
c. Der Weiterbeschäftigungsantrag fiel wertmäßig auch nicht wegen der Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich gem. § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 GKG an. Denn ihn betreffend haben die Parteien im Vergleich keine Vereinbarung getroffen, die mit einer gerichtlichen Entscheidung im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG vergleichbar ist (vgl. BAG 13.08.2014 – 2 AZR 871/12). Dies wäre nämlich nur dann der Fall, wenn ein über den Entlassungstermin der angegriffenen Kündigung hinausgehender Bestand des Arbeitsverhältnisses verabredet wurde (vgl. LAG Nürnberg 19.03.2020 – 2 Ta 15/20) und der vereinbarte spätere Beendigungszeitpunkt bei Vergleichsabschluss bzw. Ablauf der Widerrufsfrist noch nicht verstrichen ist. Denn eine tatsächliche Beschäftigung ist nur für die Zukunft regelbar (LAG Baden-Württemberg 30.12.2015 – 5 Ta 71/15; LAG Köln 23.06.2016 – 4 Ta 118/16).
Nach Ziffer 1 des Vergleichs wurde das Arbeitsverhältnis zwar nicht durch die angegriffene außerordentliche Kündigung zum 27.01.2020, sondern erst durch die ordentliche Kündigung zum 29.02.2020 beendet, also zu einem um mehr als einen Monat späteren Termin als dem beabsichtigten Entlassungstermin. Der Vergleich wurde jedoch erst nach dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt abgeschlossen bzw. rechtswirksam.
3. Der Teilzeitantrag ist mit 1.528,86 € zu bewerten. Der Werte des Verfahrens und des Vergleichs erhöhen sich deshalb um jeweils 42,46 €.
a. Für die Bemessung des Gegenstandswertes bei einem Teilzeitbegehren eines Arbeitnehmers sind wegen der Vergleichbarkeit mit einer Änderungsschutzklage die Regeln über die Bemessung des Streitwertes bei einer Änderungskündigung heranzuziehen. Denn ebenso wie es bei der Änderungsschutzklage um den Inhaltsschutz des Arbeitsverhältnisses geht, will der Arbeitnehmer mit seinem Wunsch auf Reduzierung der Arbeitszeit in den Inhalt des Arbeitsverhältnisses eingreifen. Für die Streitwertfestsetzung ist die Klage des Arbeitnehmers auf Herabsetzung der Arbeitszeit daher lediglich das Gegenteil einer Klage, mit der er sich gegen eine Herabsetzung seiner Arbeitszeit durch eine Änderungskündigung des Arbeitgebers wehrt (LAG Nürnberg 04.02.2013 – 2 Ta 5/13 n.v.; LAG Nürnberg 08.12.2008 – 4 Ta 148/08 juris; LAG Hamburg 16.03.2011 – 7 Ta 4/11 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Änderungsschutzklagen sind als Streitigkeiten um wiederkehrende Leistungen gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG regelmäßig mit dem dreifachen Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistung zu bemessen. Bezieht sich das Teilzeitbegehren auf eine kürzere Laufzeit als drei Jahre (im vorliegenden Fall elf Monate), so ist dieser Zeitraum maßgeblich (§ 42 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz GKG). Gleichzeitig ist dabei allerdings zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen die in § 42 Abs. 2 GKG geregelte Streitwertobergrenze für Bestandsschutzstreitigkeiten zu beachten. Denn es wäre nicht zu rechtfertigen, dass der Streitwert einer bloßen Änderungsschutzklage den Wert einer Bestandsschutzklage, für die die Kappungsgrenze des § 42 Abs. 2 GKG gilt, übersteigen könnte. Der Wert könnte sonst in den Fällen, in denen es um den Verlust des gesamten Arbeitsverhältnisses geht, niedriger sein, als bei einem Streit lediglich um die Modalitäten des Arbeitsvertrages (LAG Nürnberg 04.02.2013 – 2 Ta 5/13 n.v.; LAG Hamburg 16.03.2011 – 7 Ta 4/11 m.w.N.).
Dem entsprechen auch die Empfehlungen des aktuellen Streitwertkatalogs. Nach Ziff. I Nr. 8 Streitwertkatalog 2018 richtet sich die Bewertung eines Antrags auf Arbeitszeitveränderung nach Ziff. I Nr. 4, also der Bewertung für Änderungskündigung und dem sonstigen Streit über den Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Nach Ziff. I Nr. 4.2. beträgt der Wert der Änderungskündigung mit Vergütungsdifferenz oder sonstigen messbaren wirtschaftlichen Nachteilen die 3-fache Jahresdifferenz, mindestens eine Monatsvergütung, höchstens die Vergütung für ein Vierteljahr.
b. Mit ihrem Antrag auf Reduzierung der Arbeitszeit auf 34 Stunden in der Woche begehrt die Klägerin eine Reduzierung ihrer vertraglichen wöchentlichen Arbeitszeit um eine Stunde. Denn die Umrechnung der arbeitsvertraglich vereinbarten monatlichen Arbeitszeit ergibt eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden. Ausgehend vom angegebenen Monatseinkommen (1.486,40 €) betrug der Stundenlohn 9,80 € brutto. Der Wert der 3-fachen Jahresdifferenz liegt bei 1.528,80 € (9,80 € × 52 Wochen × 3 Jahre). Dies ist die wirtschaftlich messbare Differenz. Da dieser Wert zwischen einem Monatsentgelt und dem Vierteljahresentgelt liegt, ist er für die Wertfestsetzung maßgebend.
4. Bei der Festsetzung des Vergleichswertes hat das Arbeitsgericht die Einigung über die Erteilung eines „guten“ qualifizierten Zeugnisses mit der Leistungsbewertung „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“ und der Verhaltensbeurteilung „stets einwandfrei“ zutreffend mit einem Monatsgehalt bewertet (Ziff. I Nr. 25.1.3 iVm Nr. 29.3 Streitwertkatalog).
C.
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.


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