Arbeitsrecht

Widerspruchsverfahren, Rückforderungsbescheid, Widerspruchsbescheid, Ausbildungsleiter, Ausbildungsvertretung, Ausbildungszeit, Bevollmächtigter, Isoliertes Vorverfahren, Verwaltungsgerichte, Zuziehung eines Rechtsanwalts, Schriftsätze, Zwischenprüfung, Kostenentscheidung, Anwärterbezüge, Postzustellungsurkunde, Erstattungsfähigkeit, Befähigung zum Richteramt, Hinzuziehung eines Bevollmächtigten, Aufhebung, Vorläufige Vollstreckbarkeit

Aktenzeichen  AN 1 K 20.01565

Datum:
19.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2467
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 79 Abs. 1 Nr. 2
BayVwVfG Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 verpflichtet, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
3. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte durch die Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsätzen vom 12. Oktober 2020 und 9. November 2020 und der Beklagte mit Schriftsätzen vom 30. September 2020 und 8. Dezember 2020 zugestimmt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist begründet.
Dabei ist der Klageantrag im Schriftsatz vom 12. Oktober 2020 dahingehend auszulegen, dass lediglich Satz 2 der Ziffer 2 des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2020 aufzuheben ist, nicht aber die Kostengrundentscheidung der Ziffer 2 Satz 1 des Widerspruchsbescheides. Die Bevollmächtigte des Klägers machte diesbezüglich in allen Schriftsätzen deutlich, dass lediglich die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren angegriffen werde, nicht aber die Entscheidung, dass der Freistaat Bayern die Kosten des Widerspruchsverfahrens trage.
Der Kläger hat Anspruch darauf, den Beklagten unter Aufhebung der Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 zu verpflichten, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären. Die in Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern insoweit getroffene Ablehnungsentscheidung konnte daher keinen Bestand haben (§ 113 Abs. 5 Satz 1, § 79 Abs. Abs. 1 Nr. 2 VwGO).
Mit der Entscheidung über die Kosten des erfolgreichen Widerspruchsverfahrens hat der Beklagte zugleich darüber zu entscheiden, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war (Art. 80 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG).
Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren hängt von der Prüfung im Einzelfall ab und ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen (BVerwG, U.v. 28.4.2009 – 2 A 8.08 – NJW 2009, 2968 = BayVBl 2009, 735; B.v. 21.8.2003 – 6 B 26.03 – NVwZ-RR 2004, 5; B.v. 14.1.1999 – 6 B 118.98 – NVwZ-RR 1999, 357). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung wird auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Beschwerdeführer bestimmt (BVerwG, B.v. 27.2.2012 – 2 A 11/08 – juris Rn. 5).
Aus dem Begriff der „Notwendigkeit“ der Zuziehung eines Rechtsanwalts folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit im Vorverfahren eine Ausnahme bleiben müsste; der Gesetzeswortlaut gibt für eine solche Einschränkung keinen Anhaltspunkt. Insoweit ist nicht das Begriffspaar „Regel/Ausnahme“ maßgeblich, sondern vielmehr die gesetzgeberische Differenzierung, dass die Erstattungsfähigkeit nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen ist (BVerwG, B.v. 21.12.2011 – 1 WB 51/11 – juris Rn. 19 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 15.9.2005 – 6 B 39.05 – Buchholz 448.0 § 17 WPflG Nr. 12 und B.v. 1.6.2010 – 6 B 77.09 – juris Rn. 6).
Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf den Zeitpunkt der Bevollmächtigung abzustellen (BVerwG, B.v. 21.8.2018 – 2 A 6/15 – juris Rn. 5).
Dem entsprechend konnte es von dem Kläger zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung nicht erwartet werden, das Vorverfahren selbst zu führen.
Aufgrund der Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger in Hinblick auf die Höhe des Rückforderungsbetrages von 8.776,20 EUR und wegen der Schwierigkeit der Rechtsmaterie, die sich für das Gericht aus der Kombination von Auflagen nach Art. 75 Abs. 2 BayBesG und der Verweisung des Art. 15 Abs. 2 BayBesG auf die Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung ergibt, war es dem Kläger nicht zuzumuten, das Vorverfahren selbst zu führen.
Eine Änderung dieser Bewertung ist auch nicht unter Berücksichtigung, dass der Kläger seit 1. Oktober 2015 eine Ausbildung für die Dritte Qualifikationsebene der Fachlaufbahn Verwaltung und Finanzen mit dem fachlichen Schwerpunkt Steuer absolviert hat, veranlasst, denn aufgrund des erst einige Monate andauernden Fachhochschulstudiums konnten vertiefte Kenntnisse des Beamtenrechts beim Kläger nicht vorausgesetzt werden. Ansonsten würde die Annahme, dass ein Beamter aufgrund seiner rechtlichen Kenntnisse grundsätzlich in der Lage sein müsse, ein Vorverfahren selbst zu führen, zur Folge haben, dass bei einem Rechtsstreit eines Beamten über bzw. anlässlich seines Beamtenverhältnisses grundsätzlich nie die Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 3 BayVwVfG bzw. § 162 Abs. 3 Satz 2 VwGO vorliegen könnten. Diese Annahme steht jedoch schon nicht in Einklang mit der Rechtsprechung, dass z.B. bei der Anfechtung einer Regelbeurteilung die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren in der Regel nicht unvernünftig ist (BVerwG, U.v. 28.4.2009 – 2 A 8/08 – juris Rn. 21).
Letztlich musste sich dem Kläger auch nicht aufdrängen, dass für eine für ihn positive Entscheidung im Widerspruchsverfahren alleine eine nochmalige Darstellung oder Vertiefung des Sachverhaltes oder die Vorlage von Unterlagen ausreichen könnte. Denn dann wäre die Zuziehung eines Bevollmächtigten gerade nicht notwendig gewesen (Neumann/Schaks in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, § 162 Rn. 103).
Der Kläger hat im Rahmen der Anhörung mit Schreiben vom 28. November 2019 zum einen vorgetragen, dass er während des ersten Ableistens der Zwischenprüfung erkrankt sei und dabei an bereits seit vielen Jahren aufgetretenen, plötzlichen Kopfschmerzen gelitten habe, und zum anderen, dass er wegen dieser plötzlichen Kopfschmerzen und der besonderen Prüfungssituationen extreme psychische Probleme bekommen habe, die ihn in seinem Anschlussstudium im Sommersemester 2017 zu einem Krankheitssemester gezwungen hätten. Insoweit wurden gerade auch die Argumente, die letztlich die Aufhebung des Rückforderungsbescheides durch den Beklagten getragen haben, durch den Kläger – wenn auch knapp – bei der Anhörung vorgetragen.
Jedoch berücksichtigte der Beklagte im Rückforderungsbescheid vom 12. Dezember 2019 diese Einlassungen nur insoweit, dass festgestellt wurde, dass dem Kläger wegen der Erkrankung im ersten Termin der Zwischenprüfung 2016 ein Wiederholungstermin zugebilligt worden sei, allerdings keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, dass der Kläger bei dem Wiederholungstermin gesundheitliche Probleme gehabt habe und dass die in den Klausuren erzielten Leistungen auf gesundheitliche Probleme zurückzuführen seien.
Aufgrund dieser Feststellungen im Rückforderungsbescheid vom 12. Dezember 2019 durfte der Kläger davon ausgehen, dass der Beklagte die gesundheitlichen Gründe gerade nicht ausreichen lassen würde, um von einer Rückforderung abzusehen. Obwohl der Kläger in seinem Schreiben vom 28. November 2019 im Jahr 2017 zur Studierunfähigkeit führende psychische Probleme ausdrücklich erwähnt hatte, kam der Beklagte zu dem Ergebnis, dass zum Zeitpunkt der Widerholungsprüfung keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme vorlägen.
Aber auch die nachträgliche Erkenntnis, dass bereits die Vorlage des ärztlichen Attestes vom 16. Mai 2017 im Widerspruchsverfahren zur Aufhebung des Rückforderungsbescheides veranlasst hat, lässt die Notwendigkeit, einen Bevollmächtigten zuzuziehen, nicht entfallen. Denn zum einen ist maßgeblich für die Beurteilung der Notwendigkeit der Zeitpunkt der Bevollmächtigung, zum anderen war für den Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar, dass die Vorlage des Attestes ausreichend sein könnte, um eine positive Entscheidung für ihn zu erreichen. Zwar kann von einem in der öffentlichen Verwaltung tätigen Kläger erwartet werden, dass ihm bekannt ist, dass ein Sachvortrag auch durch die Vorlage von Belegen und Nachweisen untermauert wird, allerdings hat der Beklagte nicht zu erkennen gegeben, dass für das Absehen von einer Rückforderung die Vorlage eines Nachweises über eine psychische Erkrankung ausreichen würde. So hat der Beklagte im Rückforderungsbescheid ausschließlich darauf verwiesen, dass keine Anhaltspunkte auf gesundheitliche Probleme zum Zeitpunkt der Wiederholungsprüfung bestünden, nicht aber darauf, dass die Erkrankung nicht ausreichend nachgewiesen sei.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124, § 124a VwGO).


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