Arbeitsrecht

Witwenrente – Mindestehedauer

Aktenzeichen  4 Sa 871/20

Datum:
8.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 15525
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 307 Abs. 1
AGG § 7 Abs. 2, § 10

 

Leitsatz

1. Die Beschränkung einer Witwenrente in einer betrieblichen Altersversorgung auf den Ehepartner, “mit dem der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Todes mindestens 12 Monate verheiratet war, es sei denn, er ist an den Folgen eines nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder an einer Krankheit gestorben, die erst nach der Eheschließung eingetreten ist”, benachteiligt den unmittelbar Versorgungsberechtigten nicht unangemessen iSd § 307 Abs. 1 BGB. (Rn. 30, 35 – 36 und 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine solche Beschränkung der Witwenrente ist auch nicht wegen Verstoßes gegen § 1 AGG nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. (Rn. 47, 49 und 53) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 Ca 14000/19 2020-07-30 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 30.07.2020, Az.: 22 Ca 14000/19, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist angesichts einer Beschwer in Höhe des Streitwerts von € 17.262,- nach § 64 Abs. II lit. b) ArbGG statthaft und mit den Schriftsätzen vom 04.09.2020 und 12.10.2020 innerhalb der Fristen des § 66 Abs. I S. 1 ArbGG eingelegt und begründet, die angesichts der Zustellung des Urteils am 10.08.2020 gem. §§ 64 Abs. VI ArbGG, 222 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 193 BGB am 10.09.2020 bzw. 12.10.2020 abliefen.
II.
Die Berufung ist unbegründet: Zutreffend hat das Erstgericht einen Anspruch der Klägerin auf die von ihr begehrte Hinterbliebenenrente verneint. Die Kammer folgt dabei der Begründung des Arbeitsgerichts, die sie sich ausdrücklich nach § 69 Abs. 2 ArbGG zu eigen macht.
Im Hinblick auf die Rügen der Berufung wird folgendes ergänzt:
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus § 4 Ziff. 1 des Pensionsvertrags; vielmehr hindert § 4 Ziff. 2 lit. c) einen solchen Anspruch.
Die Regelung ist nicht zu beanstanden; sie ist nicht unwirksam.
1. § 307 Abs. 1 S.1 BGB steht der Wirksamkeit nicht entgegen. Die Regelung benach teiligt den unmittelbar Versorgungsberechtigten nicht unangemessen.
Der Pensionsvertrag ist am Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB zu messen; er enthält allgemeine Geschäftsbedingungen.
a. § 307 Abs. 1 BGB ist nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB anwendbar, weil die Regelung des § 4 Ziff. 2 lit.c) des Pensionsvertrags von Rechtsvorschriften abweicht.
Eine solche Abweichung ist dann anzunehmen, wenn die Festlegung zu Leistungen der betrieblichen Altersversorgung von den im Betriebsrentengesetz angelegten Formen der Risikoabdeckung abweicht (BAG v. 19.02.2019, 3 AZR 150/18 Rn. 22 ff.- zitiert nach juris).
Kennzeichnend für eine Hinterbliebenenversorgung i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG ist die Absicherung eines für den Todesfall bestehenden typisierten Versorgungsinteresses des Arbeitnehmers. Maßgebend für dieses Versorgungsinteresse ist, in welchem Näheverhältnis der Arbeitnehmer zu den abzusichernden Personen steht. Für die Zusage einer Hinterbliebenenversorgung ist damit vertragstypisch, dass sie eine bestimmte Kategorie von Personen eines abgrenzbaren Näheverhältnisses zum Versorgungsberechtigten absichert. Es entspricht der im Gesetz angelegten Vertragstypik, dass diejenigen Personen von der Absicherung erfasst werden, die in einem der Kategorie entsprechenden Näheverhältnis zum Arbeitnehmer stehen. Schränkt der Arbeitgeber den danach betroffenen Personenkreis zulasten des Arbeitnehmers in einer Versorgungszusage ein, unterliegt diese Einschränkung der Angemessenheitskontrolle.
b. Eine derartige Einschränkung ist vorliegend gegeben. Die Arbeitgeberin hat die Zusage auf den Ehepartner beschränkt, mit dem der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Todes mindestens 12 Monate verheiratet war.
c. Diese Einschränkung benachteiligt den verstorbenen Ehemann nicht unangemessen.
(1) Unangemessen ist jede Benachteiligung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Bei der danach erforderlichen Berücksichtigung und Bewertung der beiderseitigen Interessen ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen (statt vieler BAG v. 19.02.2019, 3 AZR 150/18 Rn. 27 – zitiert nach juris, m.w.N.). Nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel vor, wenn eine Bestimmung wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(2) Vorliegend besteht ein Interesse des Versorgungsempfängers daran, seinen Ehepartner finanziell zu versorgen. Der Arbeitnehmer hat ein rechtlich geschütztes Interesse, dass das sich aus dem Näheverhältnis zu seinem Ehepartner ergebende typisierte Versorgungsinteresse in der Zusage einer Hinterbliebenenversorgung abgesichert ist.
(3) Diesem Interesse steht das berechtigte Interesse der Beklagten gegenüber, ihr mit dieser Zusage einhergehendes finanzielles Risiko zu beschränken. Durch lit. c) des Pensionsvertrags ist jenes in billiger Weise eingeschränkt.
(a) Berechtigterweise kann die Beklagte darauf rekurrieren, sog. Versorgungsehen nicht in den Leistungskatalog aufzunehmen und für die daraus Hinterbliebenen eine Versorgung auszuschließen. Ein solches Interesse ist grundsätzlich anzuerkennen und legitim (BAG v. 19.02.2019, 3 AZR 150/18 Rn. 33 – zitiert nach juris); denn in einem solchen Fall ist die Ehe weniger Ausdruck der Nähe der Partner als des Versorgungswunsches.
(b) Zur Herausfilterung derartiger Versorgungsehen kann die Beklagte auf eine typisierende Betrachtung zurückgreifen. Hier hat sie ebenso wie der Gesetzgeber in § 46 Abs. 2a SGB VI oder § 19 Abs. 1 S. 2 BeamtVG eine derartige Vermutung für solche Ehen aufgestellt, die bis zum Tod des Versorgungsempfängers weniger als 12 Monate gedauert haben.
(c) Die Regelung ist nicht deshalb unangemessen, weil sie eine von den genannten gesetzlichen Vorschriften abweichende Widerlegungsmöglichkeit vorsieht.
Es ist bereits zweifelhaft, ob für die Angemessenheit überhaupt eine Widerlegungsmöglichkeit erforderlich ist. Denn das Ergebnis der notwendigen Interessenabwägung liegt in der typisierten Vermutung der Versorgerehe durch das Abstellen auf eine – begrenzte – Ehedauer.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 19.02.2019 (3 AZR 150/18) nicht klar geäußert, ob eine Widerlegungsmöglichkeit notwendig ist. Es hat nur festgestellt, dass es im Hinblick auf die gesetzliche Regelung mildere Mittel als das Erfordernis einer zehnjährigen Ehedauer gibt, um derartige Konstellationen auszuschließen. Der EuGH hat die europarechtliche Regelung in Anhang VIII Art. 17 des Statuts der Beamten der Europäischen Union (Versorgungsordnung), wonach Witwen oder Witwer der europäischen Beamten eine Rente nur nach einer Ehedauer von mindestens einem Jahr erhalten und die eine Widerlegungsmöglichkeit nicht vorsieht, für angemessen angesehen, weil sie Missbrauchsfälle ausschließe (EuGH v. 19.12.2019, C-460/18 Rn. 89 f. – zitiert nach juris). Die Norm sieht keine Widerlegungsmöglichkeit der Einschätzung als Versorgerehe vor; sie gewährt einen Anspruch für Witwen oder Witwer, deren Ehe kürzer als ein Jahr währte, nur dann, wenn der Hinterbliebene für Kinder aus einer Ehe des Versorgungsempfängers gesorgt hat oder sorgt oder der Tod aufgrund einer durch die Berufsausübung resultierende Krankheit oder eines Unfalls eingetreten ist.
Vorliegend bedarf es darüber aber keiner abschließenden Entscheidung, weil im konkreten Pensionsvertrag eine Widerlegungsmöglichkeit vorgesehen ist. Sie gilt für den Fall des Unfalls oder einer Krankheit, die nach der Eheschließung entstanden ist. Damit sind aufgrund objektivierbarer Kriterien diejenigen Fälle bezeichnet, in denen die Kürze der Ehe, die Anknüpfungspunkt der Vermutung der Versorgerehe ist, regelmäßig nicht zum Zeitpunkt der Eheschließung absehbar und so nicht Grundlage der Eheentscheidung war.
Wie bei der Vermutung der Versorgungsehe kann auch die Ausnahme davon typisierend und ohne Beachtung des Einzelfalls geschehen. Dies gilt umso mehr, als der private Arbeitgeber, worauf die Beklagte hingewiesen hat, nicht wie im gesetzlichen Rentenrecht in einem Amtsermittlungsverfahren (§ 20 SGB X) die Voraussetzungen einer Ausnahme im Einzelfall erforschen kann. Indem der Pensionsvertrag auf objektive Kriterien abstellt, kann er Streitigkeiten vermeiden. Dass die Darlegungsund Beweislast für den Ausnahmetatbestand bei dem Ehepartner, der eine Rente fordert, liegt, stellt zwar auch eine Entlastung für den Arbeitgeber dar, macht aber die weitergehende inhaltliche Anforderung objektivierbarer Kriterien nicht unverhältnismäßig, weil sie nicht die wertende Entscheidung vermeidet, die durch diese entbehrlich wird.
2. § 4 Ziff. 2 it. c) des Pensionsvertrags ist auch nicht wegen Verstoßes gegen § 1 AGG nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.
a. Die Anforderung einer Mindestehedauer stellt eine mittelbare Diskriminierung wegen Alters dar. Zwar zielt sie nicht darauf, die Ehepartner vor allem älterer Versicherungsberechtigter von der Hinterbliebenenrente auszuschließen. Doch bewirkt sie, dass ältere Rentenberechtigte schlechter behandelt werden als jüngere, da mit fortschreitendem Alter, zu dem die Ehe eingegangen wird, das Risiko steigt, die Mindestehedauer nicht zu erreichen.
b. Diese Behandlung ist nach § 10 S. 1 AGG gerechtfertigt.
(1) Zu den legitimen Zielen i.S.v. § 10 S. 1 AGG gehören auch solche, die ein Arbeitgeber mit einer im Arbeitsvertrag vorgesehenen betrieblichen Altersversorgung anstrebt. Dementsprechend sind Ziele, die im Rahmen von Anliegen der Beschäftigungspolitik und des Sozialschutzes einen Ausgleich zwischen verschiedenen beteiligten Interessen schaffen sollen, um damit der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu dienen, als legitim anzusehen.
Dazu gehört auch, den unternehmerischen Belangen einer begrenz- und kalkulierbaren Belastung Rechnung zu tragen (BAG v. 03.06.2020, 3 AZR 226/19 Rn. 34 – zitiert nach juris; BAG v. 14.11.2017, 3. AZR 781/16 Rn. 33 – zitiert nach juris). Indem § 10 AGG erlaubt, in Versorgungsordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen und damit für diesen eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, verfolgt die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten. Es hält sich demnach im Rahmen dieses legitimen Ziels, wenn in einer Versorgungsordnung von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird. Das mit der Regelung verfolgte Ziel muss dabei nicht ausdrücklich benannt werden. Auch aus dem allgemeinen Kontext der Regelung können sich Anhaltspunkte ergeben, die es ermöglichen, den Zweck der Regelung festzustellen und dadurch Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Bestimmung zu überprüfen (BAG v. 03.06.2020, 3 AZR 226/19 Rn.35- zitiert nach juris; BAG. v. 19.02.2019, 3 AZR 215/18 Rn.39 – zitiert nach juris).
(2) Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Die Regelung des § 4 Ziff. 2 lit.c) des Pensionsvertrags zielt darauf ab, Versorgungsehen aus dem Anspruchsbereich der Hinterbliebenenrente auszunehmen. Hinsichtlich der Erforderlichkeit und Angemessenheit der Festsetzung wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. I ZPO.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen, insbesondere kommt dem Fall keine besondere über die Klärung der zwischen den Parteien streitigen Rechtsfragen hinausgehende Bedeutung i. S. d. § 72 Abs. II Nr. 1 ArbGG zu.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben