Arbeitsrecht

Zurückbehaltungsrecht, variable Vergütung

Aktenzeichen  1 HK O 516/17

Datum:
7.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 164745
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AktG § 84 Abs. 3 S. 4
HGB § 74 c
ZPO § 264 Nr. 2, § 592

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 325.000,00 zu zahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus
EUR
50.000,00
brutto
seit
dem
01.01.2017
EUR
50.000,00
brutto
seit
dem
01.02.2017
EUR
50.000,00
brutto
seit
dem
01.03.2017
EUR
25.000,00
brutto
seit
dem
01.04.2017
EUR
25.000,00
brutto
seit
dem
01.05.2017
EUR
25.000,00
brutto
seit
dem
01.06.2017
EUR
25.000,00
brutto
seit
dem
01.07.2017
EUR
25.000,00
brutto
seit
dem
01.08.2017
EUR
25.000,00
brutto
seit
dem
01.09.2017
EUR 25.000,00 brutto seit dem 01.10.2017
II. Im übrigen ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
V. Der Beklagten bleibt die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der Urkundsprozess ist gemäß § 592 ZPO statthaft. Es geht um einen Anspruch auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme. Sämtliche zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen können durch Urkunden bewiesen werden. Der Kläger hat hier auch für Grund und Höhe der Ansprüche den Urkundenbeweis auch insoweit angetreten, als der Sachverhalt unstreitig ist.
Die teilweise einseitige Erledigterklärung ist als Klageänderung von der ursprünglichen Leistungsklage zur Feststellungsklage gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässig. Das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers ist im Hinblick auf die Feststellung der Erledigung der Hauptsache gegeben.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung aus § 611 I BGB i.V.m. § 615 S. 1 BGB i.V.m. § 2 des Dienstvertrags vom 26.10.2012 (Anlage K 2) samt Anlage 1 zum Dienstvertrag vom 26.10.2012 (Anlage K 4) zu. In den Monaten Dezember 2016 bis September 2017 befand sich die Beklagte mit der Annahme der Leistung des Klägers in Annahmeverzug. Der Kläger muss sich lediglich das fixe Gehalt, das er durch sein neues Anstellungsverhältnis bei der … erhält in Höhe von 25.000,00 € monatlich ab März 2017 anrechnen lassen.
Das Zustandekommen des Dienstvertrages vom 26.10.2012 (Anlage K 2) und dessen Verlängerung bis zum 30.11.2019 durch Zusatzvereinbarung zum Dienstvertrag vom 26.10.2012 vom 21.12.2015 (Anlage K 3) sind unstreitig und vom Kläger durch Urkunden beweisbar.
Für eine vorzeitige Beendigung des Dienstvertrags trägt die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast. Die Wirksamkeit der erklärten außerordentlichen Kündigung ergibt sich nicht aus dem unstreitigen Sachverhalt. Der gleichzeitige Widerruf der Bestellung zum Vorstand stellt keinen außerordentlichen Kündigungsgrund dar. Zwar kann eine Gesellschaft mit dem Vorstandsmitglied im Anstellungsvertrag vereinbaren, dass ein Bestellungswiderruf stets auch einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags bildet. Eine derartige Vereinbarung enthält aber der Anstellungsvertrag mit dem Kläger nicht. Sie kann auch nicht aus § 9 Abs. 2 des Dienstvertrags hergeleitet werden, wie schon im Urteil des Landgerichts Augsburg vom 17.1.2017, 2 HK O 2771/16 (Anlage K 1) festgestellt wurde. Es bleibt daher bei dem Grundsatz, dass die Wirksamkeit von Bestellungswiderruf und Kündigung des Anstellungsvertrags eigenständig zu beurteilen sind.
Ein wichtiger Grund für die Kündigung des Dienstvertrags ist von der darlegungspflichtigen Beklagten nicht mit den im Urkundsverfahren zulässigen Beweismitteln zu führen.
Es liegt auch Annahmeverzug der Beklagten gemäß § 293 ZPO vor. Der Kläger hat seine weitere Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender mit Schriftsatz vom 9.8.2016 ausdrücklich angeboten. Die Beklagte behauptet selbst nicht, dass sie dieses Angebot angenommen habe. Es ist deshalb unstreitig, dass die Beklagte die angebotenen Dienste des Klägers nicht angenommen hat. Im übrigen hätte die Beklagte dem Kläger nach der Kündigung neue Arbeit zuweisen müssen, so dass nach § 296 BGB auch ein wörtliches Angebot erforderlich gewesen wäre.
Der Annahmeverzug der Beklagten wurde auch nicht dadurch beendet, dass der Kläger ein neues Anstellungsverhältnis als Vorstand bei einer anderen Gesellschaft, hier der … eingegangen ist. Dass hierin kein Fall der Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung seitens des Klägers liegt, ergibt sich bereits aus § 615 S. 2 3. Alternative BGB. Diese geht davon aus, dass sich der Dienstberechtigte weiter im Annahmeverzug befindet, obwohl der Dienstverpflichtete ein neues Anstellungsverhältnis eingegangen ist. Die Folge des neuen Anstellungsverhältnisses ist allein, dass sich der Kläger das Gehalt seines neuen Anstellungsverhältnisses anrechnen lassen muss. Ein widersprüchliches Verhalten des Klägers ist hierin nicht, wie von der Beklagten angenommen, zu sehen.
Die Höhe des monatlichen Grundgehalts des Klägers von 50.000,00 € brutto monatlich als solche ist unstreitig und wäre auch durch Urkunde nachgewiesen, nämlich durch Ziffer 1. der Anlage 1 zum Dienstvertrag des Klägers vom 26.10.2012 (Anlage K 4).
Der Kläger muss sich nach § 615 S. 2 3. Alternative BGB allerdings denjenigen Wert anrechnen lassen, den er durch das Eingehen seines neuen Anstellungsverhältnisses bei der … erhält. Zur Anrechnung kommt hier allerdings nur das monatliche Grundgehalt des Klägers von nunmehr 25.000,00 € brutto pro Monat, was seinen Gehaltsanspruch gegen die Beklagte auf 25.000,00 € brutto pro Monat ab März 2017 reduziert. Für die Höhe des Grundgehalts sowie das Eintrittsdatum in das neue Anstellungsverhältnis hat der Kläger erfolgreich den Urkundenbeweis durch Vorlage der Verdienstnachweise angetreten (Anlagen K 8, K 9, K 11, K 12, K 14 bis K 16).
Eine etwaige variable Vergütung kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht angerechnet werden, da der Kläger bislang noch keine variable Vergütung tatsächlich ausgezahlt bekommen hat, was durch die Vorlage der Verdienstnachweise belegt wurde. Eine variable Vergütung wäre auch noch nicht fällig. Der anzurechnende Wert im Rahmen von § 615 S. 2 BGB umfasst alles, was der Kläger kausal durch die Möglichkeit der freigewordenen Arbeitskraft erfasst, wozu grundsätzlich auch variable Vergütungsansprüche zählen. Tatsächlich hat der Kläger allerdings bislang lediglich sein fixes Monatsgehalt erlangt. Die Gefahr einer Überzahlung, die später umständlich über Bereicherungsrecht zurückgefordert werden müsste, und dadurch ein Liquiditätsrisiko des Klägers bedeutete, besteht nicht. Insoweit wird die Beklagte durch die Sicherheitsleistung des Klägers im Rahmen der vorläufigen Vollstreckbarkeit ausreichend geschützt.
Es besteht auch kein Zurückbehaltungsrecht entsprechend § 74 c HGB. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat der Kläger durch Vorlage der Verdienstnachweise ausreichend dahingehend Auskunft erteilt, dass er bislang keine variable Vergütung erhalten hat. Diese Auskunft ist auch prüffähig. Die vorgelegten Verdienstnachweise stellen den konkreten Nachweis dafür dar, dass der Kläger bislang keine variable Vergütung erhalten hat.
Auch der Feststellungsantrag ist begründet. Die ursprüngliche Leistungsklage war zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses nämlich zulässig und begründet und wurde erst nachträglich durch die Gehaltszahlung der … in Höhe von 25.000,00 € bezüglich des Monats März 2017 erledigt. Da die Gehaltszahlung erst nach Rechtshängigkeit der am 13.2.2017 eingegangenen Klage vom 10.2.2017, zugestellt am 7.3.2017, erfolgt ist, ist tatsächlich eine nachträgliche Erledigung eingetreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 4, 711 S. 1 ZPO.
Gemäß § 599 ZPO war der Beklagten die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorzubehalten.


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