Arbeitsrecht

Zusatzversorgungssysteme, Umwandlungsverordnung

Aktenzeichen  L 1 RS 3/13

Datum:
12.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 36348
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
AAÜG § 1 Abs. 1 S. 1
SpTrUG § 12
UmwVO § 7

 

Leitsatz

1. Bei einer ursprünglich rechtswidrigen Spaltung einer Wirtschaftseinheit (Volkseigener Betrieb – VEB) in mehrere Kapitalgesellschaften bestehen zum Stichtag 30.6.1990 mehrere Rechtssubjekte, wenn jedenfalls eine der neuen Kapitalgesellschaften bis dahin in das Register eingetragen und dadurch der Entstehungsmangel nach § 75 GmbHG, der in der DDR idF der Bekanntmachung vom 20.5.1898 bis zum 30.6.1990 weiter galt, geheilt war.
2. § 12 SpTrUG bestimmt weder aufgrund echter Rückwirkung fiktiv ein Element des Sachverhalts, an den § 1 Absatz 1 Satz 1 AAÜG anknüpfen könnte, noch regelt er gegenüber § 1 Absatz 1 Satz 1 AAÜG vorrangig an dessen Stelle mit unechter Rückwirkung ein Element des Tatbestandes, von dem die Anwendbarkeit des AAÜG abhängt.
3. Bestanden am 30.06.1990 sowohl ein VEB als auch eine privatrechtliche Kapitalgesellschaft, ist für die Anwendung des AAÜG entscheidend, ob das Arbeitsverhältnis des Versicherten beim VEB am Stichtag nach dem zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Arbeitsrecht der DDR aufgelöst war. Diesbezüglich sind insbesondere die Vorschriften der §§ 51 ff. AFB DDR zu prüfen.
4. Für die Annahme der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Versicherten und dem VEB genügt nicht der bloße Hinweis auf die Eingehung eines neuen – ggf. faktischen – Arbeitsverhältnisses.

Verfahrensgang

S 14 R 882/12 2013-08-30 GeB SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. August 2013 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juni 2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 4. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. April 2005 zurückzunehmen und für die Zeit vom 1. September 1973 bis 30. Juni 1990 die Zugehörigkeit des Klägers zur Zusatzversorgung für Angehörige der technischen Intelligenz anzuerkennen und die hierin erzielten Arbeitsentgelte durch Bescheid nach den gesetzlichen Vorschriften festzustellen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die gem. §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht mit Gerichtsbescheid vom 30.08.2013 die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 19.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2012 abgewiesen. Der Kläger erfüllt am Stichtag 30.06.1990 die Voraussetzungen für eine – vorliegend allein in Betracht kommende – fiktive Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG). Damit ist der Anwendungsbereich dieses Gesetzes (AAÜG) eröffnet. Die Beklagte hat damit im Ergebnis für den Zeitraum 01.09.1973 bis 30.06.1990 die Zugehörigkeit des Klägers zur Zusatzversorgung für Angehörige der technischen Intelligenz festzustellen und die hierin erzielten Arbeitsentgelte in gesetzlicher Höhe zu berücksichtigen.
I.
Der Kläger begehrt in zulässiger Weise im Wege der Kombination (§ 56 SGG) einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Var. 1 und 3 SGG), die Ablehnungsentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 19.03.2012 und den Widerspruchsbescheid vom 18.06.2012 (§ 95 SGG) aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, den bestandskräftigen (§ 77 SGG) Verwaltungsakt (§ 31 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) vom 04.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2005 über die Ablehnung seines Antrags auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem und der von in diesen Zeiten erzielten Arbeitsentgelte aufzuheben.
II.
Die insoweit erstrebte Rücknahme richtet sich nach § 44 SGB X, der auch im Rahmen des AAÜG anwendbar ist (§ 8 Abs. 3 S. 2 AAÜG; vgl. auch BSG Urteil vom 15.6.2010 – B 5 RS 6/09 R – Juris RdNr. 13 und ausführlich BSGE 77, 253, 257 = SozR 3-8570 § 13 Nr. 1 S. 5). Danach ist ein (i.S.v. § 45 Abs. 1 SGB X) nicht begünstigender Verwaltungsakt zurückzunehmen, soweit er (anfänglich) rechtswidrig ist. Der Verwaltungsakt ist immer mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (Abs. 2 S. 1), soweit er noch Rechtswirkungen hat, also noch nicht i.S.v. § 39 Abs. 2 SGB X erledigt ist. Die Rücknahme hat (gebundene Entscheidung) für die Vergangenheit zu erfolgen, wenn wegen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts „Sozialleistungen“ zu Unrecht nicht erbracht oder „Beiträge“ zu Unrecht erhoben worden sind (§ 44 Abs. 1 S. 1 SGB X). Das Gebot zur rückwirkenden Rücknahme gilt nicht in bestimmten Fällen der Bösgläubigkeit (Abs. 1 S. 2). Im Übrigen „kann“ (Ermessen) der anfänglich rechtswidrige Verwaltungsakt auch in sonstigen Fällen, also über die Fälle des Abs. 1 S. 1 hinaus, für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 2 S. 2).
Da sich § 44 Abs. 1 SGB X nur auf solche bindenden Verwaltungsakte bezieht, die – anders als die ablehnenden Verwaltungsakte im Bescheid vom 04.02.2005 und im Widerspruchsbescheid vom 22.04.2005 – unmittelbar Ansprüche auf nachträglich erbringbare „Sozialleistungen“ (§ 11 S. 1 SGB I) i.S. der §§ 3 ff und 18 ff SGB I betreffen (BSGE 69, 14, 16 = SozR 3-1300 § 44 Nr. 3), kann sich der Rücknahmeanspruch des Klägers vorliegend nur aus Abs. 2 ergeben. Nach dieser Vorschrift ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar (und damit zugleich bindend) geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (S. 1). Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (S. 2). Hiernach ist für alle im Bescheid vom 04.02.2005 verkörperten Ablehnungsentscheidungen, die in Bezug auf die nach dem Antrag begehrte Feststellung von Zeiten und Entgelten jeweils einzelne Verwaltungsakte i.S. des § 31 S. 1 SGB X sind und keinen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt haben (nicht begünstigende Verwaltungsakte i.S. von § 45 Abs. 1 SGB X), zu entscheiden, ob diese im Zeitpunkt ihres Erlasses (Bekanntgabe i.S. von § 37 SGB X) rechtmäßig waren.
Der Bescheid vom 04.02.2005 ist im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe rechtswidrig gewesen, weil für den Zeitraum 01.09.1973 bis 30.06.1990 die Zugehörigkeit des Klägers zur Zusatzversorgung für Angehörige der technischen Intelligenz festgestellt hätte werden müssen und die hierin erzielten Arbeitsentgelte in gesetzlicher Höhe festzustellen gewesen wären. Der Kläger hat somit Anspruch darauf, dass die Beklagte den Bescheid vom 04.02.2005 ab Antragstellung nach § 44 SGB X (hier: März 2012) zurücknimmt. Für die Zeit vor März 2012 ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger über die Rücknahme des Bescheids vom 04.02.2005 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Diese Besonderheiten des § 44 Abs. 2 SGB X hat die Beklagte bei der Umsetzung des Tenors der vorliegenden Entscheidung zu berücksichtigen.
III.
Nach § 8 Abs. 1 S. 1 und 2 und Abs. 2 AAÜG hat der für die Überführung der Ansprüche und Anwartschaften zuständige Versorgungsträger dem für die Feststellung der Leistungen zuständigen Träger der Rentenversicherung unverzüglich die Daten mitzuteilen, die zur Durchführung der Versicherung und zur Feststellung der Leistungen aus der Rentenversicherung erforderlich sind. Dazu gehören auch das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen des Berechtigten oder der Person, von der sich die Berechtigung ableitet, die Daten, die sich nach Anwendung von §§ 6 und 7 AAÜG ergeben, und insbesondere die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, und die als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung gelten (§ 5 Abs. 1 S. 1 AAÜG). Der Versorgungsträger hat dem Berechtigten den Inhalt der Mitteilung nach § 8 Abs. 2 AAÜG durch Bescheid bekannt zu geben (§ 8 Abs. 3 S. 1 AAÜG).
1. Allerdings hat der Versorgungsträger diese Daten nur festzustellen, wenn das AAÜG anwendbar ist (BSG, Urteil vom 09.04.2002, B 4 RA 31/01 R). Nach § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (§ 1 Abs. 1 S. 2 AAÜG). Dies setzt allerdings voraus, dass eine entsprechende Anwartschaft nach dem DDR-Versorgungsrecht zunächst einmal wirksam entstanden war. Zusatzversorgungssysteme sind die in Anlage 1, Sonderversorgungssysteme sind die in Anlage 2 genannten Systeme (§ 1 Abs. 2 und 3 AAÜG). Zu den Zusatzversorgungssystemen der Anlage 1 AAÜG zählt insbesondere die Altersversorgung der technischen Intelligenz -AvtI- (Anlage 1 Ziffer 1 AAÜG).
Zeiten der Zugehörigkeit zu dem Zusatzversorgungssystem der AVtI sind im Falle des Klägers nicht vorhanden. Solche Zeiten der Zugehörigkeit liegen nach § 4 Abs. 5 AAÜG vor, wenn eine in einem Versorgungssystem erworbene Anwartschaft bestand (§ 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 und 3 AAÜG). Der bundesrechtliche Begriff der Zugehörigkeit in § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG umfasst zunächst die konkret in ein Versorgungssystem der DDR Einbezogenen. Die Aufnahme in das Versorgungssystem der AVtI hing von vielfältigen Voraussetzungen ab und erfolgte grundsätzlich durch einen individuellen Einzelakt in Form konkreter Einzelzusagen (Versorgungszusagen), sonstiger Einzelentscheidungen oder Einzelverträgen. Lag ein solch individueller Einzelakt am 30.06.1990 vor, hatte der Begünstigte durch einen nach Art. 19 S. 1 Einigungsvertrag (EV) bindend gebliebenen Verwaltungsakt eine Versorgungsanwartschaft (BSG, Urteil vom 09.04.2002, B 4 RA 41/01 R). Für denjenigen, der in der DDR keinen Versicherungsschein über die Einbeziehung in die AVtI erhalten hatte, bestand nach deren Recht keine gesicherte Aussicht, im Versorgungsfall Versorgungsleistungen zu erhalten (BSG, Urteil vom 09.04.2002, B 4 RA 31/01 R). Durch § 22 Abs. 1 Rentenangleichungsgesetz der DDR vom 28.06.1990 (GBl DDR I 495) – RanglG – wurden die bestehenden Zusatzversorgungssysteme mit Wirkung zum 30.06.1990 geschlossen und Neueinbeziehungen verboten. Wegen dieser gesetzlichen Vorgaben bereits des DDR-Gesetzgebers konnte es beim Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Versorgungspositionen, die Vertrauensschutz in Anspruch nehmen konnten, nur geben, wenn sie bis zum 30.06.1990 rechtswirksam entstanden waren. Nur insofern kam eine Überführung in das bundesdeutsche Rechtssystem aus Vertrauensschutzgründen in Betracht, wobei allein die Vertrauensschutzaspekte die mit der Überführung verbundene Aufrechterhaltung der durch die Versorgungssysteme insbesondere gegenüber den nicht von ihnen erfassten Werktätigen der ehemaligen DDR begründeten Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Nicht ausreichend ist daher, dass irgendwann einmal Anwartschaften bestanden haben. Eine andere Setzung des Stichtags kommt gerade aus Gleichbehandlungserwägungen nicht in Betracht.
2. Nach inzwischen ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, welcher der Senat folgt, konnte eine Anwartschaft auf Versorgung im System der AVtI somit nur entstehen, wenn der Betroffene durch einen Akt des in der DDR zuständigen Versorgungsträgers ausdrücklich in das Versorgungssystem einbezogen wurde. Die Urkunde der Versorgungszusage hatte konstitutiven und nicht nur deklaratorischen Charakter (vgl. BSG, Urteil vom 27.07.2004, B 4 RA 6/04 R, Juris-RdNr. 30), sodass es gerade auf die rechtswirksame Begründung einer Anwartschaft bis zum 30.06.1990 ankommt, um auch bei Wegfall der Versorgungsvoraussetzungen von der bundesrechtlichen Fiktion der Aufrechterhaltung erfasst zu werden. Zwar ist dem Wortlaut der Vorschriften zur AVtI nicht ausdrücklich die konstitutive Funktion der Versorgungszusage zu entnehmen. Dies erschließt sich indes aus dem Regelungsgefüge. Nach den Vorgaben der 2. DB zur AVtl VO vom 24. Mai 1951 (DDR-GBl. 1951, 487) wurde das Verfahren über die Einbeziehung in das Versorgungssystem einheitlich sowohl für die obligatorisch einzubeziehenden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 2. DB zur AVtI VO) als auch für die fakultativ, auf Grund einer Ermessensentscheidung einbeziehbaren Werktätigen (§ 1 Abs. 1 S. 2 der 2. DB zur AVtI VO) geregelt. Danach musste allen in die AVtI Einbezogenen ein „Dokument über die zusätzliche Altersversorgung“ (Versorgungsurkunde) ausgehändigt werden (§ 3 Abs. 5 der 2. DB zur AVtI VO). Kann für die fakultativ einbezogenen Werktätigen, die also die Voraussetzungen für eine obligatorische Einbeziehung nach § 1 Abs. 1 S. 1 der 2. DB zur AVtI nicht erfüllten und nur aufgrund eines ermessensausübenden Staatsaktes eine Anwartschaft oder einen Versorgungsanspruch erlangen konnten, die Einbeziehung nur durch eine konstitutive Versorgungszusage erfolgen und ist nur ein einheitliches Verfahren und nur ein einheitlicher Rechtsbegriff einer solchen Versorgungsurkunde – „Dokument über die zusätzliche Altersversorgung“ – durch das DDR-Versorgungsrecht der AVtI geregelt gewesen, kann auch bei den obligatorisch einzubeziehenden Ingenieuren und Technikern der Charakter der Versorgungsurkunde kein anderer gewesen sein. Vor diesem Hintergrund folgt der Senat der auf diesem normativen Zusammenhang beruhenden ständigen Rechtsprechung des BSG zum Stichtag des 30.06.1990 (BSG, Urt. vom 27.07.2004, B 4 RA 6/04 R, RdNr. 30 ausdrücklich unter Bezugnahme auf die Regelung des § 3 der 2. DB zur AVtI). Insofern ist auch der rechtsvereinheitlichende Charakter einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung bei verschiedenen vertretbaren Rechtsauffassungen im Interesse der Rechtsklarheit und -sicherheit zu beachten.
Eine solche Urkunde liegt für den Kläger unstreitig nicht vor.
3. Ansprüche und Anwartschaften können nach der vom BVerfG als willkürfrei gebilligten (Beschluss vom 26.10.2005, 1 BvR 1921/04 u.a.) Rechtsprechung des früheren 4. Senats des BSG, welcher sich der 5. Senat des BSG im Ergebnis ebenfalls angeschlossen hat, auch dann als durch „Zugehörigkeit“ erworben angesehen werden, wenn nach der am 01.08.1991 (Inkrafttreten des AAÜG) gegebenen bundesrechtlichen Rechtslage ein „Anspruch auf Versorgungszusage“ bestanden hätte (BSG, Urteile vom 09.04.2002, B 4 RA 31/01 R; vom 10.04.2002, B 4 RA 34/01 R; vom 15.06.2010, B 5 RS 10/09 R; vom 19.07.2011, B 5 RS 7/10 R).
a) Dieser „fiktive Anspruch“ auf Begründung einer Anwartschaft besteht nach Bundesrecht nur, wenn nach den leistungsrechtlichen Regelungen des jeweiligen Versorgungssystems – mit Ausnahme des Versorgungsfalls – alle materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Zusatzversorgungsrente gegeben waren. Entscheidend ist, ob zum Stichtag der Tatbestand der Versorgungsordnungen, die insofern bis zum 31.12.1991 nachrangig und lückenfüllend („soweit“) als Bundesrecht anzuwenden sind, erfüllt war. Die Versorgungsordnungen sind dabei im Sinne verbindlicher Handlungsanweisungen für die Verwaltung als Tatbestände einer ohne Entscheidungsspielraum zwingend zu gewährenden Vergünstigung zu verstehen und sind auch nur insoweit Bundesrecht geworden.
Maßgeblich sind, soweit originäre bundesrechtliche Regelungen nicht eingreifen, die in der DDR grundsätzlich am 30.06.1990 geltenden „letzten Fassungen“ des Teils der Versorgungsregelungen, die am 03.10.1990 zu sekundärem Bundesrecht geworden sind (BSG, Urteile vom 15.06.2010, B 5 RS 10/09 R u.a. unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 09.04.2002, B 4 RA 3/02 R). Eines Rückgriffs auf eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 S.2 AAÜG (so BSG, Urteile vom 09.04.2002, B 4 RA 31/01 R und B 4 RA 41/01 R) bedarf es daher nicht (BSG, Urteile vom 15.06.2010, B 5 RS 10/09 R u.a.; BSG, Urteil vom 19.07.2011, B 5 RS 7/10 R). Dabei bleibt es wegen der den gesamten Anwendungsbereich der Versorgungsnormen umfassenden Stichtagsregelung auch im Rahmen des weiten („erweiternden“/ausdehnenden“) Verständnisses dabei, dass die genannten Voraussetzungen eines „Anspruchs“ auf Einbeziehung gerade am 30.06.1990 erfüllt sein mussten, wenn keine Anwartschaft sonst bestand.
Waren am Stichtag nicht alle Voraussetzungen für eine bloße Anwartschaft erfüllt, gab es nach DDR-Recht bei Schließung der Versorgungssysteme auch kein schutzwürdiges Vertrauen auf Begründung einer Versorgungsanwartschaft, das der Gesetzgeber des Einigungsvertrages hätte berücksichtigen können. Gesetzgebung und Rechtsprechung durften ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR anknüpfen und waren nicht etwa gehalten, sich hieraus ergebende Ungleichheiten zu Lasten der heutigen Steuer- und Beitragszahler zu kompensieren (BSG, Urteile vom 15.06.2010, B 5 RS 10/09 R u.a. unter Hinweis auf BSG Urteil vom 08.06.2004, B 4 RA 56/03 R; vgl. zum Stichtag des 30.06.1990 auch BSG, Urteil vom 29.07.2004, B 4 RA 12/04 R), die im Übrigen weitere nicht zu begründende Privilegierungen gegenüber den nur gesetzlich Versicherten der DDR geschaffen hätten.
b) § 5 Abs. 1 S. 1 AAÜG knüpft bei der Frage, ob eine Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem vorliegt, an das Recht der DDR an, sodass es insoweit auf die maßgebenden Vorschriften des Beitrittsgebietes ankommt. Es handelt sich hierbei grundsätzlich um die Gesamtheit der Vorschriften, die hinsichtlich des jeweiligen Versorgungssystems nach Anlage 1 und 2 AAÜG bestehen. Bezogen auf die AVtI sind dies die im streitigen Zeitraum gültige VO-AVltech vom 17.08.1950 (DDR-GBl. I 1950, 8440) und die 2.DB zur VO-AVltech vom 24.05.1951 (DDR-GBl. I 1951, 487).
Allerdings sind nicht alle Regelungen der AVtI zu Bundesrecht geworden. Dies gilt insbesondere für solche Regelungen, die eine bewertende oder eine Ermessensentscheidung eines Betriebes, Direktors, einer staatlichen Stelle der DDR etc., also eine fakultative Einbeziehung, vorsahen. Zu Bundesrecht sind nur diejenigen Vorschriften geworden, die als zwingende Bestimmungen gebundenen Verwaltungshandelns verstanden werden können (vgl. BSG, Urteil vom 10.04.2002, B 4 RA 18/01 R) und daher eine obligatorische Einbeziehung in ein Versorgungssystem vorsahen.
c) Danach war die AVtI eingerichtet für Personen, die
1. berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), und
2. eine entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung) und dies
3. in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (betriebliche Voraussetzung – vgl. BSG, Urteil vom 10.04.2002, B 4 RA 18/01 R).
Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt werden und jeweils im Sinne des Vollbeweises vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn die jeweilige Voraussetzung mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, also ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R, Juris-RdNr. 11, abgedruckt in SozR 3-3900 § 15 Nr. 3). Die Tatsache muss daher in so hohem Grade wahrscheinlich sein, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 128 RdNr. 3b unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, RdNr. 28, und BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, Juris-RdNr. 4).
4. Diese kumulativ zu erfüllenden Vorlaussetzungen haben beim Kläger am Stichtag 30.06.1990 zur Überzeugung des Senats vollständig vorgelegen.
a) Wie sich unzweifelhaft aus der Diplomurkunde der technischen Hochschule I. vom 04.10.1973 ergibt, war der Kläger berechtigt, den akademischen Grad eines „Diplom-Ingenieurs“ zu führen (vgl. § 48 des Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25. Februar 1965 – GBl. DDR I Seite 100). Mit Erwerb des Ingenieurtitels und er damit einhergehenden Berechtigung diese Berufsbezeichnung zu führen, hat der Kläger die persönliche Voraussetzung erfüllt.
b) Der Kläger hat zuletzt auch eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt. Dies ergibt sich aus den glaubhaften Schilderungen des Klägers sowie dem vorgelegten Funktionsplan für den VEB E. A-Stadt (Struktur.-Nr. 2.16.330). Danach war der Kläger als Abteilungsleiter Mess- und Prüftechnik beschäftigt. In seinen Zuständigkeitsbereich fielen „Fertigungsbereiche zur Einführung u. Einhaltung der Messu. Prüfvorschriften, technol. Ausrüstungen (Mess- und Prüfgeräte) auf Toleranzen u. Zuverlässigkeit“. Damit hat er als Abteilungsleiter Mess- und Prüftechnik auch die sachliche Voraussetzung für die Einbeziehung erfüllt.
Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass der Kläger berechtigt war, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, und eine entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt hat. Dies hat insbesondere die Beklagte gegenüber dem Senat mit Schreiben vom 28.08.2018 bestätigt.
c) Der Kläger hat am Stichtag 30.06.1990 auch die betriebliche Voraussetzung für eine fiktive Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) erfüllt. Der Kläger war am 30.06.1990 unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 07.12.2017 – – bei dem VEB E. A-Stadt und somit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie beschäftigt.
aa) Bei dem VEB E. A-Stadt handelt es sich auch um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie.
Die VEB hatten ihre Rechtsfähigkeit in der DDR zuletzt auf der Grundlage der Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe (KombinatsVO) vom 08.11.1979 (GBl. DDR Teil I 355) durch (Gründungs-) Anweisung zu dem dort genannten Zeitpunkt erlangt (§ 30 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 KombinatsVO). Sie waren berechtigt, Fonds des einheitlichen staatlichen Volkseigentums im Rahmen der Rechtsvorschriften und des Planes zu bilden, zu besitzen und zu nutzen sowie über sie zu verfügen (§ 31 Abs. 4 der KombinatsVO, vgl. BSG, Urteil vom 15. 06.2010 – Az.: B 5 RS 17/09 R, nach Juris).
Ein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie liegt vor, wenn der von ihm verfolgte Zweck auf die industrielle, massenhafte Fertigung, Fabrikation, Herstellung beziehungsweise Produktion (fordistisches Produktionsmodell) von Sachgütern ausgerichtet war (BSG, Urteil vom 09.04.2002 – B 4 RA 41/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 6 S. 35, S. 46 und S. 47; BSG, Urteil vom 23.08. 2007 – B 4 RS 3/06 R – Juris-Dokument, RdNr. 23). Es muss sich also um einen „Produktionsdurchführungsbetrieb“ gehandelt haben, der sein maßgebliches Gepräge durch die unmittelbare (Massen-)Produktion von Sachgütern erhalten hat (vgl. dazu explizit aus der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 – B 5 RS 1/11 R – JURIS-Dokument, RdNr. 20; BSG, Urteil vom 19. 07.2011 – B 5 RS 7/10 R – Juris-Dokument, RdNr. 24; BSG, Urteil vom 19.07. 2011 – B 5 RS 4/10 R – Juris-Dokument, RdNr. 25; BSG, Urteil vom 28.09. 2011 – B 5 RS 8/10 R – Juris-Dokument, RdNr. 19; BSG, Urteil vom 09.05.2012 – B 5 RS 8/11 R – Juris-Dokument, RdNr. 21; BSG, Urteil vom 09.05.2012 – B 5 RS 5/11 R – Juris-Dokument, RdNr. 21; BSG, Urteil vom 09.10. 2012 – B 5 RS 5/12 R – Juris-Dokument, RdNr. 23; BSG, Urteil vom 20.03.2013 – B 5 RS 3/12 R – Juris-Dokument, RdNr. 24).
Industrie und Bauwesen waren in der DDR die „führenden“ Produktionsbereiche (vgl. BSG, Urteil vom 09. 04.2002 – B 4 RA 41/01 R – SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S. 40). Erforderlich zur Erfüllung der betrieblichen Voraussetzung ist daher, dass die unmittelbare Eigenproduktion dem Betrieb das Gepräge verliehen hat (BSG, Urteil vom 06.05. 2004 – B 4 RA 44/03 R – Juris-Dokument RdNr. 18; BSG, Urteil vom 27.07.2004 – B 4 RA 11/04 R – Juris-Dokument RdNr. 18 f.), wobei es sich um Massenproduktion im Sinne von massenhaftem Ausstoß standardisierter Produkte, die hohe Produktionsgewinne nach den Bedingungen der sozialistischen Planwirtschaft ermöglichen sollten, gehandelt haben muss (BSG, Urteil vom 09.042002 – B 4 RA 41/01 R – SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 6 S. 35, S. 46; BSG, Urteil vom 08.06 2004 – B 4 RA 57/03 R – SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 3 S. 16; BSG, Urteil vom 23. 08. 2007 – B 4 RS 3/06 R – Juris-Dokument, RdNr. 23; BSG, Urteil vom 19.07.2011 – B 5 RS 1/11 R – Juris-Dokument, RdNr. 23; BSG, Urteil vom 19.07.2011 – B 5 RS 7/10 R – Juris-Dokument, RdNr. 27). Nach der VO-AVItech sollte nur die technische Intelligenz in solchen Betrieben privilegiert werden, die durch wissenschaftliche Forschungsarbeit und die Erfüllung technischer Aufgaben in den produzierenden Betrieben einen „schnelleren, planmäßigen Aufbau“ der DDR ermöglichen sollten (vgl. Präambel zur VO-AVItech). Dem lag das fordistische Produktionsmodell zu Grunde, das auf stark standardisierter Massenproduktion und Konstruktion von Gütern mit Hilfe hoch spezialisierter, monofunktionaler Maschinen basierte (BSG, Urteil vom 23.08. 2007 – B 4 RS 3/06 R – Juris-Dokument, RdNr. 23). Denn der Massenausstoß standardisierter Produkte sollte hohe Produktionsgewinne nach den Bedingungen der Planwirtschaft ermöglichen (BSG, Urteil vom 09.04. 2002 – B 4 RA 41/01 R – SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S. 35, S. 46 f.; BSG, Urteil vom 23.08.2007 – B 4 RS 3/06 R – Juris-Dokument, RdNr. 23).
Bei dem VEB E. A-Stadt handelt es sich unter Berücksichtigung dieser Vorgaben um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie. In diesem VEB wurden massenhaft MC80-Computer, Datenübertragungsgeräte, Kassettenmagnetbandgeräte, Computerbildschirme usw. produziert. Im Übrigen ist auch zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass es sich um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie gehandelt hat.
bb) Ob die betriebliche Voraussetzung in Bezug auf den Kläger auch am 30.06.1990 erfüllt ist, bestimmt sich danach, wer am maßgeblichen Stichtag Arbeitgeber im rechtlichen Sinne war (BSG, Urteil vom 16.03.2006 – Az.: B 4 RA 30/05 R m.w.N., nach Juris). Abzustellen ist hierbei nach ständiger Rechtsprechung des BSG gemäß den Vorgaben des Einigungsvertrages auf die tatsächlichen Gegebenheiten am 30.06.1990 (vgl. u.a.: BSG, Urteile vom 9. und 10.04.2002, a.a.O, Berchtold SGb 2018, 7 ff.). Das BSG knüpft hinsichtlich der „Arbeitgebereigenschaft“ u.a. an die Fondsinhaber- und Rechtsträgerschaft an. Arbeitgeber des Klägers war danach am 30.06.1990 der VEB E. A-Stadt und nicht die E.-GmbH.
aaa) Die ursprünglich vorgenommene Spaltung des VEB E. A-Stadt und Umwandlung der dadurch geschaffenen Betriebsteile in Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Eintragung in das beim Staatlichen Vertragsgericht geführte Register am 27.06.1990 war rechtswidrig (BSG Urteil vom 07.12.2017 -). Bei einer – ursprünglich – rechtswidrigen, weil von der vorliegend allein in Betracht kommenden Umwandlungs-Verordnung vom 01.03.1990 (GBl I S. 107) nicht vorgesehenen (BGH vom 27.05.1999 – VII ZR 245/97 – Juris RdNr. 12 mwN) Spaltung ein und derselben Wirtschaftseinheit (hier: VEB) in mehrere Kapitalgesellschaften (E.-GmbH und K.-GmbH), bestehen zum Stichtag mehrere Rechtssubjekte, wenn jedenfalls eine der neuen Kapitalgesellschaften bereits bis dahin in das Register eingetragen und dadurch der Entstehungsmangel nach § 75 GmbHG, der in der DDR bis zum 30.06.1990 idF der Bekanntmachung vom 20.5.1898 weiter galt (RGBl 846, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 10.08.1937, RGBl I 897), geheilt war (vgl. BGH vom 19.12.1994 – II ZR 174/93 – ZIP 1995, 322 = BGHR SpTrUG § 10 Abs. 3 S. 1 Alt. 1). Diese Wirkung ist für die E.-GmbH auf Grund der wirksamen Eintragung unabhängig von § 12 SpTrUG (so der BGH aaO und die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats – BR-Drs. 71/1/91 – in BT-Drs. 12/214; anders noch etwa Mayer, DB 1991, 1609 unter VI, 2) und ebenso unabhängig von der Eintragung der B. K.-GmbH am 27.06.1990 in der DDR nach deren Recht eingetreten. Dagegen hat der VEB E. A-Stadt mangels Erfüllung der Voraussetzungen von § 7 Umwandlungsverordnung vom 01.03.1990 (GBl I S.107), der von der Umwandlung in eine einzige juristische Person und dem vollständigen Übergang auf diese als Rechtsnachfolger ausgeht, über diesen Zeitpunkt hinaus auch am 30.06.1990 noch fortbestanden (BSG Urteil vom 07.12.2017 -). Die geheilte Gründung einer Kapitalgesellschaft als Teilrechtsnachfolger verhilft weder automatisch auch der zweiten Kapitalgesellschaft zu einer rechtlich wirksamen Existenz, noch vermag sie entgegen etwa Thüringer LSG vom 13.08.2014 Az.: L 3 R 1922/12, logisch und rechtlich gleichzeitig den vollständigen Untergang des umzuwandelnden VEB zu bewirken (BGH vom 23.11.1998 – II ZR 70/97 – WM 1999, 273 = NJW 1999, 1481, Juris RdNr. 9).
bbb) Damit bestand am Stichtag 30.06.1990 eine Koexistenz einer durch Eintragung wirksam gewordenen Kapitalgesellschaft und eines mangels Erfüllung der Beendigungsvoraussetzungen noch fortbestehenden VEB.
Diese Koexistenz steht auch in keinem erkennbaren Widerspruch zu einem gesellschaftsrechtlichen „Grundsatz der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit“ (so BSG Urteil vom 07.12.2017 -, SozR 4-8570 § 1 Nr. 21). Somit hat der VEB E. A-Stadt am 30.06.1990 noch fortbestanden. Bei diesem handelte es sich zu diesem Stichtag auch nicht um eine „leere Hülse“, weil erst am 01.07.1990 gemäß § 11 Treuhandgesetz kraft Gesetzes eine Übertragung der Fonds auf die GmbH stattgefunden hat.
cc) Das ursprünglich mit dem VEB E. A-Stadt mittels Arbeitsvertrag vom 20.09.1972 zum 01.09.1973 eingegangene Arbeitsverhältnis in der Fassung der jeweiligen Änderungsverträge ist weder unter Berücksichtigung der Vorgaben des BSG im Urteil vom 07.12.2017 – bis zum 30.06.1990 rechtswirksam beendet worden, noch ist es rückwirkend rechtswirksam auf die E.-GmbH übergegangen.
aaa) Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist weder im Wege der nach § 12 Abs. 1 S. 1 SpTrUG vom 5.4.1991 (BGBl I 854) geheilten Einzelübertragung noch auf Grund einer Universalsukzession nach § 7 S. 2 Umwandlungsverordnung auf die E.-GmbH übergegangen. Wegen den Einzelheiten diesbezüglich wird auf das Urteil des BSG, Urteil vom 07.12.2017 -, SozR 4-8570 § 1 Nr. 21 verwiesen. Ebenso greift vorliegend nach den Regelungen des intertemporalen Rechts nicht die inhaltlich § 613a BGB entsprechende Regelung des § 59a AGB DDR, die erst zum 1.7.1990 in Kraft getreten ist (vgl. etwa LAG Brandenburg vom 6.5.2004 – 3 Sa 59/04 – Juris).
bbb) Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit dem VEB E. A-Stadt ist am 30.06.1990 auch nicht nach dem zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen (Individual-)Arbeitsrecht der DDR aufgelöst worden.
Nach dem unstreitigen Vortrag der Beteiligten und dem dokumentierten Akteninhalt wurde das bestehende Arbeitsverhältnis mit dem VEB E. A-Stadt bis zum 30.06.1990 nicht gem. § 54 AGB DDR von einem der Arbeitsvertragsparteien gekündigt. Nach § 54 Abs. 4 AGB DDR war für eine wirksame Kündigung zwingend die Schriftform vorgesehen. Das gleiche galt nach § 56 Abs. 2 AGB DDR auch für die fristlose Kündigung. Diesbezüglich finden sich in den Akten keinerlei Anhaltspunkte noch wurde ein solcher Sachverhalt von den Beteiligten vorgetragen. Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen von § 51 (schriftlicher Aufhebungsvertrag), von § 49 (Änderungsvertrag), § 50 (Delegierungsvertrag), § 53 (Überleitungsvertrag) und § 61 (Berufung) AGB DDR vor. Dies wurde auch von der Beklagten nicht geltend gemacht.
Für die Annahme der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Kläger und dem VEB E. A-Stadt genügt auch nicht der bloße Hinweis der Beklagten auf die Eingehung eines möglichen neuen Arbeitsverhältnisses zur E.-GmbH (vgl. BSG Urteil vom 09.10.2012 – B 5 RS 9/11 – Juris). Dabei ist zunächst festzustellen, dass nach Auffassung des Senats gegen die Annahme eines konkludenten Arbeitsverhältnisses mit der E.-GmbH bereits spricht, dass der Inhalt des von der Beklagten reklamierten Arbeitsverhältnisses, insbesondere die wesentlichen Vertragsbestandteile des Umfangs der Aufgaben, der Arbeitszeit und der Vergütung, für den Kläger nicht hinreichend erkennbar waren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Annahme eines Doppelarbeitsverhältnisses aufgrund seines Ausnahmecharakters und der Gefahr von Interessenkollisionen klarer und eindeutiger Anhaltspunkte bedarf, woran es vorliegend zumindest bis zum Stichtag 30.06.1990 mangelt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die E.-GmbH bis zum 30.06.1990 zentrale Arbeitgeberpflichten erfüllt hat. So ist zB nicht nachgewiesen, dass die E.-GmbH etwaige Lohnzahlungen bis 30.06.1990 an den Kläger geleistet hat. Bei der Lohnzahlung handelt es sich jedoch um einen Kernbestandteil auch eines – faktischen – Arbeitsverhältnisses. Vielmehr geht aus dem beigefügten Sozialversicherungsausweis des Klägers hervor, dass Beginn und Ende der versicherungspflichtigen Tätigkeit im Kalenderjahr 1990 mit dem 01.01.1990 und 30.06.1990 auf einer Zeile eingetragen und mit VEB E. A-Stadt abgestempelt ist. Ebenso fehlen jedwede Anhaltspunkte dafür, dass von der E.-GmbH bis zum 30.06.1990 für den Kläger Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden.
Für den Kläger war es am Stichtag 30.06.1990 auch keinesfalls ersichtlich, dass zu diesem Zeitpunkt ein Übergang der Arbeitsverhältnisse stattgefunden hat. So wurde auch der vom Senat als Zeuge einvernommen Herr D. erst mit Anstellungsvertrag zum 01.07.1990 als Geschäftsführer der E.-GmbH ernannt. Bis 30.06.1990 war dieser nach seinen glaubhaften Aussagen als Betriebsleiter des VEB tätig. Die Produktion ist über den 30.06.1990 hinaus unverändert weitergelaufen. Zum Zeitpunkt der Privatisierung zum 01.07.1990 war die Belegschaft nicht taggenau informiert gewesen. Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts mit Beginn des Juli 1990 seiner Tätigkeit wie bisher und an seinem bisherigen Arbeitsort nachgegangen. Für ihm war zu diesem Zeitpunkt nicht rechtssicher erkennbar, dass er durch sein Weiterarbeiten nun in einem – faktischen – Arbeitsverhältnis zur E.-GmbH stehen würde.
Im Übrigen würde auch ein – faktisches – Arbeitsverhältnis mit der E.-GmbH nicht per se ein Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber (hier: VEB E. A-Stadt) beenden. Damit liegt keiner der vom BSG im Urteil vom 07.12.2017 -, SozR 4-8570 § 1 Nr. 21 genannten Beendigungstatbestände vor.
Damit war die Berufung des Klägers erfolgreich und die Beklagte entsprechend dem Tenor des Urteils verpflichtet, die Zeit vom 01.09.1973 bis 30.06.1990 als Zugehörigkeit des Klägers zur Zusatzversorgung für Angehörige der technischen Intelligenz und die hierin erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Bei der verfahrensrechtlichen Umsetzung des Tenors der vorliegenden Entscheidung sind die oben genannten (vgl. II) Besonderheiten des § 44 Abs. 2 SGB X zu berücksichtigen. Ferner hat die Beklagte nun die berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelte nach den gesetzlichen Bestimmungen zu ermitteln.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt im Sinne des Erfolgsprinzips, dass der Kläger mit seiner Berufung vollumfänglich erfolgreich war.
V.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Der Senat hat sich an den detaillierten Vorgaben des BSG im Urteil vom 07.12.2017 orientiert und diese umgesetzt.
Eine erneute Zulassung der Revision war daher nicht angezeigt.


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