Bankrecht

Belegenheit eines Aktienvermögens

Aktenzeichen  1 SchH 120/20

Datum:
8.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28029
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 23, § 1062 Abs. 2

 

Leitsatz

Ein Aktienvermögen ist am Ort der Verwahrung der Wertpapiere belegen.  (Rn. 14 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Das Verfahren wird an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main abgegeben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt, eine von einem Eil-Schiedsrichter angeordnete Maßnahme für vollziehbar oder vollstreckbar zu erklären und entsprechend Ordnungsmittel anzudrohen. Dazu trägt sie Folgendes vor:
Die in Singapur ansässige Antragstellerin stellte der auf den Seychellen ansässigen Antragsgegnerin zu 1) Geldmittel zur Verfügung, mit denen diese Aktien einer in München ansässigen SE (im Folgenden: Gesellschaft) erwerben und auf die Antragstellerin übertragen sollte. Die mit diesen Mitteln erworbenen Aktien werden zum Teil von der Antragsgegnerin zu 1) gehalten, zum Teil von der in Hongkong ansässigen Antragsgegnerin zu 2) und zu einem weiteren Teil von einem anderen mit der Antragsgegnerin zu 1) verbundenen Unternehmen. In der Folge schloss die Antragstellerin sowohl mit der Antragsgegnerin zu 1) als auch mit der Antragsgegnerin zu 2) Aktienübertragungsverträge, in denen sich die Antragsgegnerinnen verpflichteten, einen Großteil der Aktien auf die Antragstellerin zu übertragen; die Aktienübertragungsverträge enthielten Schiedsklauseln, nach denen Streitigkeiten im Zusammenhang mit den Verträgen einem in Hongkong unter der Schirmherrschaft des Hong Kong International Arbitration Centre (HKIAC) durchzuführenden Schiedsverfahren unterworfen werden.
Nachdem die Antragstellerin erfahren hatte, dass die Antragsgegnerinnen einen Teil der Aktien an einen Dritten veräußert hatten, beantragte sie beim HKIAC die Bestellung eines Eil-Schiedsrichters (emergency arbitrator) und den Erlass einstweiliger Maßnahmen gegen die Antragsgegnerinnen. Nach Anhörung der Schiedsparteien und mündlicher Verhandlung erließ der Eil-Schiedsrichter am 3. Juli 2020 in Hongkong einen Eil-Schiedsspruch (award / emergency relief), HKIAC/A20119, mit folgendem Inhalt:
91 Der [Antragsgegnerin zu 1] wird untersagt, die folgenden Handlungen oder eine der folgenden Handlungen vorzunehmen, sei es durch sie selbst oder durch ihre Erfüllungsgehilfen, ihre Vertreter oder anderweitig:
(1) Im eigenen Namen, im Namen der jeweils anderen oder anderweitig Schritte zu ergreifen, um in irgendeiner Weise die gegenwärtig in den Namen der [Antragsgegnerin zu 1] eingetragenen […] Aktien an [der Gesellschaft] und/oder deren nachweisliche Erträge und/oder Erlöse (einschließlich erzielter Dividenden oder anderer durch diese Vermögenswerte erzielter oder daraus resultierender Einnahmen) oder Teile davon zu veräußern, mit ihnen zu handeln, sie zu übertragen, sie als Sicherheit oder anderweitig zu belasten oder ihren Wert zu verringern;
(2) ohne die Zustimmung der [Antragstellerin] mittelbar oder unmittelbar mit einer der vorstehend in Absatz 91 (1) genannten Aktien an [der Gesellschaft] verbundene Befugnisse oder Rechte auszuüben.
92 Der [Antragsgegnerin zu 2] wird untersagt, die folgenden Handlungen oder eine der folgenden Handlungen vorzunehmen, sei es durch sie selbst oder durch ihre Erfüllungsgehilfen, ihre Vertreter oder anderweitig:
(1) Im eigenen Namen, im Namen der jeweils anderen oder anderweitig Schritte zu ergreifen, um in irgendeiner Weise die gegenwärtig in den Namen der [Antragsgegnerin zu 2] eingetragenen […] Aktien an [der Gesellschaft] und/oder deren nachweisliche Erträge und/oder Erlöse (einschließlich erzielter Dividenden oder anderer durch diese Vermögenswerte erzielter oder daraus resultierender Einnahmen) oder Teile davon zu veräußern, mit ihnen zu handeln, sie zu übertragen, sie als Sicherheit oder anderweitig zu belasten oder ihren Wert zu verringern;
(2) ohne die Zustimmung der [Antragstellerin] mittelbar oder unmittelbar mit einer der vorstehend in Absatz 92 (1) genannten Aktien an [der Gesellschaft] verbundene Befugnisse oder Rechte auszuüben.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 15. September 2020 zunächst beim Oberlandesgericht München beantragt,
1.die vom Eil-Schiedsrichter am 3. Juli 2020 angeordnete Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes, HKIAC-Eil-Schiedsspruch, HKIAC/A20119, für vollziehbar oder für vollstreckbar zu erklären und
2.den Antragsgegnerinnen zur Erzwingung der im HKIAC-Eil-Schiedsspruch, HKIAC/A20119, niedergelegten Verpflichtungen für jede Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von jeweils 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise Ordnungshaft oder aber Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten anzudrohen.
Zur örtlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts München hat sie ausgeführt, diese ergebe sich aus § 1062 Abs. 2 Alt. 3 ZPO, weil die Gesellschaft ihren Sitz in München habe und dort ihrer Geschäftstätigkeit nachgehe.
Nach Hinweis darauf, dass gemäß § 7 BayGZVJu in der seit dem 1. Mai 2020 geltenden Fassung für gerichtliche Entscheidungen in schiedsrichterlichen Angelegenheiten das Bayerische Oberste Landesgericht zuständig ist, und einem entsprechenden Antrag der Antragstellerin hat das Oberlandesgericht München das Verfahren mit Beschluss vom 24. September 2020 an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben.
Der Vorsitzende des Senats hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 28. September 2020 auf Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit hingewiesen, weil insbesondere nicht ersichtlich sei, dass sich die von der Eilmaßnahme betroffenen Aktien in Bayern befänden.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 29. September 2020, eingegangen am 1. Oktober 2020, die Auffassung vertreten, die örtliche Zuständigkeit des Senats sei gegeben, denn durch die schiedsrichterliche Eilmaßnahme seien insbesondere die aus den Aktien folgenden Teilhaberechte an der Gesellschaft betroffen; die Stimmrechte würden regelmäßig am Sitz der Aktiengesellschaft, hier München, ausgeübt. Hilfsweise beantragt sie die Verweisung des Verfahrens gemäß § 281 ZPO an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main; dazu trägt sie vor, dass es sich bei den Aktien der Gesellschaft um nennwertlose Inhaberaktien handele, über die eine Globalurkunde ausgestellt sei, die bei der Clearstream Banking AG mit Sitz in Eschborn im Bezirk dieses Oberlandesgerichts aufbewahrt werde.
II.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist für die Entscheidung örtlich nicht zuständig.
a) Es kann dahin stehen, ob die antragsgegenständliche Entscheidung des Eil-Schiedsrichters als vorläufige oder sichernde Maßnahme i. S. d. § 1041 Abs. 1 ZPO anzusehen ist oder als eigenständiger Schiedsspruch, der gemäß § 1061 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. dem Übereinkommen vom 10. Juni 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche für vollstreckbar erklärt werden kann. Denn § 1062 Abs. 2 ZPO ordnet für beide Fälle in gleicher Weise an, dass dann, wenn – wie hier – kein deutscher Schiedsort besteht, für die Entscheidungen das Oberlandesgericht (in Bayern gemäß § 1062 Abs. 5 Satz 1 ZPO i. V. m. § 7 BayGZVJu das Bayerische Oberste Landesgericht) zuständig ist, in dessen Bezirk der Antragsgegner seinen Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder sich Vermögen des Antragsgegners oder der mit der Schiedsklage in Anspruch genommene oder von der Maßnahme betroffene Gegenstand befindet, hilfsweise das Kammergericht.
b) Danach kann dem Vorbringen der Antragstellerin nicht die örtliche Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts entnommen werden.
aa) Keine der Antragsgegnerinnen hat ihren Sitz in Bayern (oder auch nur in Deutschland).
bb) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich Vermögen der Antragsgegnerinnen in Bayern befindet. Insbesondere befinden sich die von der Maßnahme betroffenen Gegenstände, die entsprechenden Aktien – die auch Vermögen der Antragsgegnerinnen darstellen – nicht in Bayern, sondern im Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main.
(1) Die Antragstellerin beruft sich hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit darauf, dass die Gesellschaft ihren Sitz in München habe und hier ihrer Geschäftstätigkeit nachgehe. Das ist indes für die örtliche Zuständigkeit gemäß § 1062 Abs. 2 ZPO ohne Belang; insbesondere wird dadurch nicht der Ort der Belegenheit des Vermögens (oder des von der Maßnahme betroffenen Gegenstands) in München begründet.
Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Vermögensbelegenheit in § 1062 Abs. 2 ZPO ist auf § 23 ZPO zurückzugreifen (vgl. Münch in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2017, § 1062 Rn. 19; vgl. auch Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 1062 Rn. 18 zur Belegenheit von Forderungen). Anders als etwa bei der Beteiligung an einer GmbH, deren Geschäftsanteile sowohl am Sitz der Gesellschaft als auch am Wohnsitz oder Sitz der Gesellschafter belegen sind, hat ein Aktionär keinen unmittelbaren ideellen Anteil am Vermögen der Aktiengesellschaft, er besitzt vielmehr in Gestalt von Inhaberaktien Wertpapiere. Sachenrechtlich betrachtet sind auch sammelverwahrte bzw. globalverbriefte Aktien Wertpapiere und keine bloßen Wertrechte (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2004, IXa ZB 24/04, BGHZ 160, 121 [juris Rn. 12 m. w. N.]). Ein derartiger Wertpapierbesitz stellt einen Vermögenswert i. S. d. § 23 ZPO dar, der jedoch unabhängig vom Sitz der Aktiengesellschaft ist. Für die Frage der Belegenheit eines solchen Vermögenswertes kommt es vielmehr darauf an, wo sich das den Vermögenswert verbriefende Inhaberpapier tatsächlich befindet (vgl. RG, # Urteil vom “2. Juni 1923, V 755/22, RGZ 107, 44 [46 f.]; Urt. v. 20. November 1903, Rev. VII. 288/03, RGZ 58, 8 [10]; OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 27. September 1995, 17 U 165/94, NJW-RR 1996, 186 [187, juris Rn. 8; insoweit von der Aufhebung durch BGH, Urt. v. 22. Oktober 1996, XI ZR 261/95 nicht berührt]; OLG Hamburg, # Urteil vom “1. Dezember 1976, 5 U 111/76, juris Rn. 45; KG, Beschluss vom 4. Juni 1968, 14 W 1533/65, IPRspr. 1968/1969 Nr. 179 a]; Toussaint in BeckOK ZPO, 38. Ed. Stand: 1. September 2020, § 23 Rn. 15; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 23 Rn. 19; Heinrich in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, ZPO, § 23 Rn. 11; Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 23 Rn. 10; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 23 Rn. 55; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 23 Rn. 7; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020, Rn. 1374e; Bendtsen in Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 23 Rn. 7; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 23 Rn. 29; Mankowski EuZA 2019, 386 [392]; vgl. auch Reinhart in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2020, § 354 Rn. 18; a. A. Kindler in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2018, Bd. 12, Int. Wirtschaftsrecht, Teil 10: Internationales Handelsund Gesellschaftsrecht Rn. 775 unter Berufung auf BGH, Urt. v. 5. Mai 1960, VII ZR 92/58, BGHZ 32, 256 [260], wo allerdings lediglich die Rechtsmacht eines Staats zur Konfiskation von Auslandsvermögen einer Gesellschaft ohne Erörterung der Verbriefung der Anteilsrechte behandelt wird, und Großfeld in Staudinger, EGBGB/IPR – Internationales Gesellschaftsrecht, Neubearbeitung 1998, Rn. 572, wo die Verbriefung der Anteilsrechte ebenfalls nicht erörtert wird). Danach ist der Sitz der Aktiengesellschaft, auf deren Aktien sich die antragsgegenständliche Entscheidung bezieht, ohne Belang.
(2) Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin darauf, dass durch die schiedsrichterliche Maßnahme neben den Aktien auch die aus diesen folgenden Teilhaberechte, insbesondere die durch die Aktien verbrieften Stimmrechte in der Hauptversammlung der Gesellschaft, betroffen seien. Wie die Antragstellerin selbst zutreffend ausführt, sind diese gesellschaftsrechtlichen Teilhaberechte in den Aktien verbrieft. Sie stehen daher ebenso dem Eigentümer der Aktien zu wie alle anderen sich aus der Beteiligung ergebenden Rechte, so dass sich wegen der Maßgeblichkeit des Sacheigentums insoweit keine abweichende Beurteilung der Belegenheit ergibt.
2. Da die von der Maßnahme betroffenen Aktien im Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aufbewahrt werden und sich damit dort sowohl Vermögen der Antragsgegnerinnen als auch die von der schiedsrichterlichen Maßnahme betroffenen Gegenstände befinden, ist dieses gemäß § 1062 Abs. 2 ZPO örtlich zuständig.
Eine bindende Verweisung gemäß § 281 ZPO, wie von der Antragstellerin beantragt, kommt mangels Rechtshängigkeit des Verfahrens nicht in Betracht.
Ein Vermögenswert in Form von globalverbrieften Aktien ist dort belegen, wo sich die Globalurkunde tatsächlich befindet.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben