Bankrecht

Insolvenzverfahren, Insolvenzverwalter, Berufung, Gesellschafterversammlung, Revision, Gesellschaft, Gesellschafterbeschluss, Gesellschafter, Forderung, Frist, Widerspruch, Aufhebung, Darlehen, Rechtshandlung, analoge Anwendung, Fortbildung des Rechts, gleichgestellte Forderung

Aktenzeichen  5 U 75/20

Datum:
15.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 50365
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

23 O 877/12 2020-01-30 Endurteil LGBAYREUTH LG Bayreuth

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 30.01.2020, Az. 23 O 877/12, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Bayreuth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma M. (im folgenden: Schuldnerin). Alleingesellschafterin der Schuldnerin war die Beklagte. Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung der Schuldnerin vom 28.09.2009 wurde der Jahresüberschuss der Schuldnerin zum 31.12.2008 in Höhe von 246.178,14 € festgestellt und beschlossen, den Jahresüberschuss in Höhe von 246.178,14 € auf neue Rechnung vorzutragen. Am 01.12.2009 fasste die Beklagte folgenden Gesellschafterbeschluss (B1): „Die Gewinnausschüttung für das Geschäftsjahr 2008 im Jahr 2009 beträgt 200.000,00 €. Die Ausschüttung erfolgt zum 01.12.2009.“ Am 09.12.2009 überwies die Schuldnerin an die Beklagte den ausgeschütteten Gewinn in Höhe von 200.000,00 € (K6).
Der Kläger verlangt von der Beklagten u.a. auf der Grundlage von § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO Zahlung des ausgeschütteten Gewinns in Höhe von 200.000,00 € an die Insolvenzmasse. Er hat im laufenden Prozess die Anfechtung der Zahlung erklärt.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, es handele sich bei dem vorgetragenen Jahresüberschuss um eine einem Darlehen gleichgestellte Forderung. Die Beklagte habe sich als stets allein handlungsberechtigte Alleingesellschafterin dafür entschieden, durch einen Gewinnvortrag auf neue Rechnung der Schuldnerin liquide Mittel zur Verfügung zu stellen und nicht an sich auszuzahlen. Das Landgericht hat sich der Rechtsauffassung des OLG Koblenz (Urteil vom 15.10.2013 – 3 U 635/13) für den Alleingesellschafter angeschlossen, dass der Anspruch des Gesellschafters eine einem Gesellschafterdarlehen gleichgestellte Forderung darstelle, wenn dieser in der Auflösung einer Gewinnrücklage oder einem Gewinnvortrag besteht.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
Die Beklagte hat gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 11.02.2020 zugestellte Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 30.01.2020 am 11.03.2020 Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist am 08.05.2020 begründet.
Sie ist der Ansicht, es handele sich bei dem Gewinnvortrag nicht um eine einem Darlehen gleichgestellte Handlung. Die Beklagte habe zum Zeitpunkt des Beschlusses, den Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen, keinen Anspruch auf Auszahlung des Gewinns gehabt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Gewinnanspruch der Beklagten noch nicht entstanden gewesen. Es habe lediglich ein mitgliedschaftlicher Anspruch auf Feststellung des Jahresabschlusses und Fassung eines Gewinnverwendungsbeschlusses bestanden. Der Auszahlungsanspruch des Gesellschafters auf die ausgeschüttete Dividende entstünde aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erst mit dem Gewinnverwendungsbeschluss und durch denselben. Insbesondere sieht sich die Berufung in ihrer Rechtsauffassung durch eine weitere Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020 (Az. II ZR 10/19, Rn. 61) bestärkt. Dort habe der Bundesgerichtshof nochmals ausdrücklich hervorgehoben, dass jede Forderung eines Gesellschafters auf Rückzahlung eines von ihm aus seinem Vermögen der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Geldbetrages darlehensgleich sei, sofern ein solcher Rückzahlungsanspruch durchgehend seit der Überlassung des Geldes bestand und sich Gesellschafter und Gesellschaft von vornherein einig waren, dass die Gesellschaft das Geld zurückzuzahlen habe. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht gegeben, weil mit dem Beschluss über den Gewinnvortrag der Gesellschafter der Gesellschaft keinen Geldbetrag aus seinem Vermögen zur Verfügung stelle.
Darüber hinaus widerspreche die analoge Anwendung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf Auszahlungen aus dem Eigenkapital der Wertung des Gesetzgebers, wonach Gesellschafter einen Liquiditätsüberschuss nur beanspruchen können, nachdem alle Insolvenzgläubiger vollständig befriedigt seien. Aus dem Eigenkapital resultierende Ansprüche nähmen somit die letzte Rangstufe ein. Die Umqualifizierung von Eigenkapital in Fremdkapital führe dazu, dass diese Ansprüche der Rechtsnorm des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zuzuordnen seien. Dies stehe in Widerspruch zur Rechtsordnung.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Endurteils des Landgerichts Bayreuth vom 30.01.2020 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger ist der Ansicht, die Zahlung der Schuldnerin sei anfechtbar. Insbesondere stünde dieser Auffassung die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020 (Az.: II ZR 10/19) nicht entgegen. Es sei unerheblich, ob die Gesellschafterfinanzierung durch Eigen- oder durch Fremdkapitalbeiträge erfolge. Bei der Auslegung von § 135 Abs. 1 InsO sei die Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters beachtlich. Dies habe der Bundesgerichtshof ausdrücklich in seinem Urteil vom 27.06.2019 (Az.: IX ZR 167/18, Rn. 26) festgestellt. Die Ansicht des OLG Schleswig (Urteil vom 08.02.2017, Az.: 9 U 84/16), dass eine analoge Anwendung der Regelungen über Gesellschafterdarlehen bei der Ausschüttung thesaurierter Gewinne ausgeschlossen sei, hält er für unzutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung und auf die Berufungserwiderung. Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung zur Insolvenzmasse in Höhe von 200.000,00 € zu. Die Anfechtungsvoraussetzungen des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind erfüllt. Das Landgericht hat zu Recht der Klage aus § 143 Abs. 1 InsO stattgegeben.
Gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.
Die angefochtene Zahlung vom 09.12.2009 fällt in diesen Zeitraum, denn der Eröffnungsantrag wurde am 31.03.2010 gestellt. Mit der Ausschüttung des Gewinnvortrags der Schuldnerin in Höhe von 200.000,00 € an die Beklagte als Gesellschafterin wurde eine Forderung aus einer Rechtshandlung zurück gewährt, die einem Gesellschafterdarlehen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO wirtschaftlich entspricht.
Der Senat schließt sich der Rechtsauffassung des OLG Koblenz in seinem Urteil vom 15.10.2013 – 3 U 635/13 für den Fall eines Alleingesellschafters an, dass der sachliche Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO eröffnet ist, wenn die Gesellschafter durch einen Gewinnvortrag auf neue Rechnung der Gesellschaft liquide Mittel zur Verfügung stellen. Im Streitfall hat die Beklagte als Alleingesellschafterin am 28.09.2009 beschlossen, den Gewinn 2008 zum 31.12.2008 in Höhe von 246.178,14 € für 2009 vorzutragen. Dadurch verblieb der Gewinn vorübergehend bei der Gesellschaft und ging in den verteilungsfähigen Gewinn über. Als Alleingesellschafterin hatte es die Beklagte aber jederzeit in der Hand, eine Gewinnverteilung tatsächlich durchzuführen. Das hat sie auch im Streitfall getan, indem sie am 01.12.2009 einen Gewinnverwendungsbeschluss getroffen hat, der in der Folgezeit tatsächlich durchgeführt wurde. Bei der gebotenen rein wirtschaftlichen Betrachtung hat dies für die Gesellschaft dieselben Folgen wie eine Auszahlung des Gewinns an den Gesellschafter verbunden mit einer anschließenden vorübergehenden Zurverfügungstellung des ausgezahlten Betrages an die Gesellschaft.
Richtig ist zwar, dass der Gewinnanspruch des Gesellschafters erst mit dem Gewinnverwendungsbeschluss entsteht. Würde man jedoch im Falle eines Alleingesellschafters, der jederzeit in der Lage ist, seinen Ausschüttungswillen durchzusetzen, für die Anwendbarkeit des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zwingend Fremdkapital voraussetzen, hätte ein Alleingesellschafter es in der Hand, durch geschickte Beschlussfassungen das Anfechtungrisiko aus § 135 InsO zu umgehen. Dies hat der Gesetzgeber im Rahmen des am 01.11.2008 in Kraft getretenen MoMiG nicht gewollt. Deshalb folgt der Senat auch nicht der vom OLG Schleswig im Urteil vom 08.02.2017 – 9 U 84/16 vertretenen Rechtsauffassung.
Die Gläubigerbenachteiligung nach § 129 InsO ist gegeben. Die Ausschüttung des Gewinns führte zu einer Bilanzverkürzung.
2. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 BGB (K9 und K 10)
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat lässt die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts zu. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, ob nicht ausgeschüttete Gewinne einer Gesellschaft einer Darlehensgewährung durch den Alleingesellschafter im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO gleichgestellt sind und die Ausschüttung des Gewinnvortrags damit der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Alt. 2 Nr. 2 InsO unterfällt, liegt bislang nicht vor und das OLG Schleswig (Urteil vom 08.02.2017 – 9 U 84/16) hält eine analoge Anwendung der Regelungen über Gesellschafterdarlehen für ausgeschlossen.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen

Europarecht

Schadensersatz, Ermessensentscheidung, Aussetzungsantrag, Kommission, Aussetzung, Fahrzeug, Vorabentscheidungsverfahren, Zeitpunkt, Beschwerde, Verfahren, Schriftsatz, Rechtssache, EuGH, Anspruch, Aussetzung des Rechtsstreits, erneute Entscheidung
Mehr lesen