Aktenzeichen 13 U 9056/21
Leitsatz
Verfahrensgang
28 O 4621/21 — LGMUENCHENI LG München I
Tenor
I. Der Senat beabsichtigt, das Berufungsverfahren im Hinblick auf den am 16.03.2022 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Vorlagebeschluss des Landgerichts München I – 3. Zivilkammer – vom 14.03.2022, Gz. 3 OH 2767/ 22 KapMuG, gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG auszusetzen. Dabei folgt der Senat nach gründlicher Prüfung im Wesentlichen den Erwägungen des 8. Zivilsenats im Beschluss vom 09.05.2022 im Verfahren 8 U 5530/21.
II. Es ist ferner beabsichtigt, die Höhe des Anspruchs, soweit er von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen ist (§ 8 Abs. 4 KapMuG), auf 37.449,34 € festzusetzen.
III. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis 10.06.2022. Die Stellungnahme des Beklagtenvertreters im Schriftsatz vom 02.05.2022 wurde bei diesem Hinweis bereits berücksichtigt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen des Kaufs von Aktien der W. AG in Anspruch.
Er behauptet, er habe im Zeitraum vom 29.03.2019 bis 30.06.2020 1990 Stück Aktien zum Preis von insgesamt 58.144,08 € (390 Stück vor dem 18.06.2020 und 1600 Stück nach dem 18.06.2020) gekauft und diese im Zeitraum vom 18.06.2020 bis 02.07.2020 für insgesamt 14.875,09 € wieder verkauft. Unter Berücksichtigung des Prinzips „first in first out “ergebe sich hinsichtlich der Aktien, die vor der Ad-hoc-Mitteilung vom 18.06.2020 gekauft worden sind, ein Schaden in Höhe von 37.449,34 € (42.576,14 € Kaufpreis – 5.126,80 € Erlös). Die Käufe ab dem 18.06.2020 hätten auf einer emotionalen Ausnahmesituation beruht und sind nicht streitgegenständlich. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die als Anlage K 31 vorliegende Schadensberechnung Bezug genommen.
Die Beklagte hat als Abschlussprüferin die Jahresabschlüsse der W. AG für die Geschäftsjahre 2015 – 2018 uneingeschränkt testiert. Ihr oblag auch die Prüfung der Konzernabschlüsse. Am 27.04.2020 wurde die für den 29.04.2020 geplante Veröffentlichung des Geschäftsberichts 2019 verschoben. Am 28.04.2020 wurde der KPMG-Sonderbericht veröffentlicht. Mit Ad-hoc-Mitteilung vom 18.06.2020 gab die W. AG bekannt, dass die Beklagte sie informiert habe, dass für Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden € noch keine ausreichenden Prüfnachweise vorhanden sind und die Abschlussprüfung daher nicht, wie geplant, bis 18.06.2020 abgeschlossen werden kann. Die W. AG teilte am 22.06.2020 ad – hoc mit, dass die genannten Bankguthaben auf Treuhandkonten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen, und am 25.06.2020, dass sie entschieden habe, Insolvenzantrag zu stellen. Die Beklagte versagte den Bestätigungsvermerk für den Jahresabschluss 2019. In der Zeit nach dem 18.06.2020 fiel der Kurs der W. Aktie stark.
Die Klagepartei trägt unter Auswertung des als Anlage K 15 vorgelegten KPMG-Sonderprüfungsberichts vom 27.04.2020 vor, die Beklagte habe ab dem Geschäftsjahr 2015 die Jahresabschlüsse nicht mehr testieren dürfen bzw. das Testat zumindestens einschränken müssen. Die Beklagte habe derart nachlässig geprüft, dass sie den Anlegern unter anderem aus § 826 BGB hafte; sie habe insbesondere bewusst eine einfache Prüfungshandlung, nämlich die Einholung einer Saldenbestätigung der jeweiligen Bank, nicht durchgeführt, sondern sich mit Bestätigungen des Treuhänders begnügt. Den Eintritt eines Vermögensschadens bei den Anlegern habe die Beklagte zumindestens billigend in Kauf genommen. Es sei selbstverständlich, dass die Anleger den positiven Prüfvermerken erhebliche Relevanz bei ihren Investitionsentscheidungen beigemessen hätten. Bei richtiger Testaterteilung wäre, wie im Juni 2020 geschehen, der Bilanzskandal aufgedeckt worden, der zum Einbruch des Aktienkurses auf Pennystock-Niveau führte (Blatt 20 des Schriftsatzes des Klägervertreters vom 28.09.2021 = Blatt 201 d. A.). Dann hätte die Klagepartei die streitgegenständlichen Wertpapiere nicht gekauft.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts München I vom 30.11.2021 Bezug genommen.
In der Berufungsinstanz vertiefte der Kläger seinen Vortrag auch unter Heranziehung des 2. Sachstandsberichts des Insolvenzverwalters vom 26.11.2021 (Anlage BK1) sowie des als Anlage BK2 vorgelegten sogenannten Wambach-Berichts.
II. Am 14.03.2022 erließ das Landgericht München I im Verfahren 3 OH 2767/22 KapMuG einen Vorlagebeschluss gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf diesen Beschluss, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 16.03.2022, Bezug genommen.
III. Der Senat beabsichtigt, das vorliegende Verfahren im Hinblick auf diesen Vorlagebeschluss gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG auszusetzen.
Danach setzt das Prozessgericht nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister von Amts wegen alle bereits anhängigen oder bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren noch anhängig werdenden Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt.
1. Das Berufungsgericht ist ebenfalls Prozessgericht i. S. d. § 8 KapMuG (Vorwerk/Wolf, KapMuG/Fullenkamp, 2. Aufl. 2020, KapMuG, § 8 Rn. 6 mwN, BGH, Beschluss vom 16.06 2020 – II ZB 30/19 -, Rn. 14, juris).
2. Ob die Vorlagevoraussetzungen der §§ 1 ff. KapMuG für die streitgegenständlichen Klageansprüche vorliegen, ist im Aussetzungsverfahren gem. § 8 KapMuG nicht zu prüfen (unten a); im Übrigen ist dies auch der Fall (unten b).
a. Eine Prüfung, ob für die Klageansprüche des auszusetzenden Verfahrens der Anwendungsbereich des 1 Abs. 1 KapMuG eröffnet ist, ist nach aktueller Rechtsprechung nicht veranlasst (BGH, Beschluss vom 16.06.2020 – II ZB 30/19 -, Rn. 20 f, juris entgegen BGH Beschluss vom 30.04.2019 – XI ZB 13/18, BeckRS 2019, 17221 Rn. 14, beck-online).
Die Voraussetzungen der Aussetzung sind in § 8 Abs. 1 KapMuG abschließend geregelt. Erforderlich ist lediglich das Vorliegen eines Vorlagebeschlusses, nicht jedoch, dass die geltend gemachten Klageansprüche in den Anwendungsbereich des KapMuG fallen. Für diese Auslegung spricht auch die Historie der Gesetzgebung (OLG München Beschluss vom 06.05.2022 – 8 U 5530/21, BeckRS 2022, 9764 Rn. 31-33, beck-online). Weiter wäre es prozessökonomisch nicht sinnvoll, wenn zwar das Oberlandesgericht (hier: das Bayerische Oberste Landesgericht) gemäß § 6 Abs. 2 KapMuG an den Vorlagebeschluss gebunden wäre, dem somit durchzuführenden Musterverfahren jedoch nicht alle von den Feststellungszielen abhängige Verfahren zugeführt würden. Schließlich wird die Frage, ob eine öffentliche Kapitalmarktinformation im Sinne des § 1 Abs. 2 Kap-MuG vorliegt, sinnvollerweise nicht in vielen Einzelverfahren, sondern nur einmal, nämlich im Musterverfahren abschließend geklärt.
b. Letztlich kann dies jedoch offenbleiben, denn der Anwendungsbereich des Kapi-talanleger-Musterverfahrensgesetzes ist eröffnet. Die nach Behauptung des Klägers unrichtigen Bestätigungsvermerke stellen öffentliche Kapitalmarktinformationen im Sinne des § 1 Abs. 2 KapMuG dar. Öffentliche Kapitalmarktinformationen sind gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KapMuG Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind und einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Die Aufzählung in § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 bis 6 KapMuG ist nicht abschließend (Vorwerk/Wolf, KapMuG/Radtke-Rieger, 2. Aufl. 2020, KapMuG § 1 Rn. 32).
Der Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers ist selbst eine öffentliche Kapitalmarktinformation. Der bestätigte Jahresabschluss ist in § 1 Abs. 2 Nr. 5 Kap-MuG als Beispiel hierfür ausdrücklich genannt. Der Bestätigungsvermerk ist zwar nicht Teil des Jahresabschlusses, jedoch ist er hierauf bezogen und enthält die Information, dass der durch das Unternehmen erstellte Jahresabschluss von einem Abschlussprüfer nach den hierfür geltenden Regeln mit dem sich aus dem Bestätigungsvermerk ergebenden Ergebnis geprüft worden ist. Zwar mag die Frage, ob ein Bestätigungsvermerk zu erteilen ist, von Bewertungen des Abschlussprüfers abhängen. Wenn, wie hier, ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk erteilt worden ist, beinhaltet dies im Sinne der Definition des § 1 Abs. 2 Satz 1 KapMuG die Information über die Tatsache, dass die Abschlussprüfung beanstandungsfrei durchgeführt worden ist. Dass die Abschlussprüfung keine Garantie dafür bietet, dass eine in Übereinstimmung mit § 317 HGB und unter Beachtung der vom IDW festgestellten deutschen Grundsätze ordnungsgemäßer Abschlussprüfung durchgeführte Prüfung eine wesentliche falsche Darstellung stets aufdeckt, sondern die Zielsetzung der Abschlussprüfung lediglich eine hinreichende diesbezügliche Sicherheit ist (Prof. Dr. M., Gutachten zur Frage, ob der Bestätigungsvermerk eine öffentliche Kapitalmarktinformation i. S. V. § 1 Absatz 1 S. 1 Nr. 1 KapMuG darstellt, vorgelegt als Anlage WHZ 3, S. 24 f), ändert hieran nichts. Es trifft nicht zu, dass sich der Aussagegehalt des Bestätigungsvermerkes in der eindeutig nicht das Tatbestandsmerkmal der Unternehmensdaten erfüllenden Einschätzung des Abschlussprüfers erschöpft (Professor Dr. M., a.a.O., S. 24/26). Vielmehr sind die Unternehmensdaten in den Jahresabschlüssen enthalten und der uneingeschränkte Prüfvermerk enthält die Tatsachenbehauptung, dass diese Unternehmensdaten im gesetzlich vorgegebenen – nicht auf absolute Sicherheit ausgelegten – Rahmen geprüft worden sind und – nach Einschätzung des Prüfers – nicht zu beanstanden waren.
Das Testat ist auch für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt. Mit seinem Testat bestätigt der Abschlussprüfer als „Garant der öffentlichen Rechnungslegung gegenüber der Allgemeinheit“, dass der Abschluss mit den Rechnungslegungsvorschriften und den gesellschaftsvertraglichen Vorschriften übereinstimmt (BeckOGK/Bormann, 15.11.2020, HGB § 316 Rn. 5). Der Abschlussprüfer nimmt eine öffentliche Funktion wahr, da es im öffentlichen Interesse liegt, dass die Rechnungslegung unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens vermittelt (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 – VII ZR 42/08 -, BGHZ 183, 323-340, Rn. 29; Röhl/Hidding, WM 2021, 1729, 1730).
3. Die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits hängt von den im Musterverfahren geltend gemachten Feststellungszielen ab.
Allgemein anerkannt ist, dass die Entscheidung des Rechtsstreits nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt, wenn die Sache ohne weitere Beweiserhebungen und ohne Rückgriff auf die Feststellungsziele eines Musterverfahrens entscheidungsreif ist (Vorwerk/Wolf, KapMuG/Fullenkamp, 2. Aufl. 2020, KapMuG § 8 Rn. 17).
Weitergehend hat der XI. Zivilsenat des BGH entschieden, dass der verfassungsrechtliche Grundsatz effektiven Rechtsschutzes eine Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG erfordere, nach der dem Prozessgericht bei der Prüfung dieser Frage keinerlei Beurteilungsspielraum zukomme, sondern eine Aussetzung nur dann in Betracht komme, wenn sich das Prozessgericht bereits die Überzeugung gebildet habe, dass es auf dort statthaft geltend gemachte Feststellungsziele für den Ausgang des Rechtsstreits konkret ankommen werde; gegebenenfalls müsse dies vor der Aussetzung durch eine Beweisaufnahme geklärt werden (BGH, Beschluss vom 30.04.2019 – XI ZB 13/18, m. abl. Anm. Lechner, WuB 2019, 591; a.A. z.B. auch Vorwerk/Wolf, KapMuG/Fullenkamp, 2. Aufl. 2020, KapMuG § 8 Rn. 13).
Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH ist es für die Frage der Abhängigkeit nach §§ 7 Satz 1, 8 Abs. 1 KapMuG dagegen maßgeblich, ob mit der Entscheidung über die Feststellungsziele in dem bereits eingeleiteten Musterverfahren eine Bindung des Prozessgerichts nach § 22 Abs. 1 Satz 1 KapMuG eintreten kann (BGH, Beschluss vom 16.06.2020 – II ZB 30/19 -, Rn. 16, juris). Dies setzt nicht voraus, dass der Ausgang des Rechtsstreits nur noch von der Entscheidung über die Feststellungsziele abhängt.
Letztlich kann diese Frage jedoch offenbleiben, denn der vorliegende Rechtsstreit ist nicht unabhängig von diesen Zielen entscheidungsreif und eine etwa erforderliche weitere Beweisaufnahme setzt jedenfalls eine Entscheidung über die Feststellungsziele voraus.
a. Die Klage ist schlüssig.
Der geltend gemachte Anspruch aus § 826 BGB setzt voraus, dass der Wirtschaftsprüfer seine Aufgabe qualifiziert nachlässig erledigt, zum Beispiel durch unzureichende Ermittlungen oder durch Angaben ins Blaue hinein, und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag legt, die angesichts der Bedeutung des Bestätigungsvermerks für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 20. Januar 2022 – III ZR 194/19-, Rn. 18, juris mwN).
Dies hat der Kläger unter Auswertung des als Anlage K15 vorgelegten KP-MG-Sonderprüfungsberichts vom 27.04.2020 sowie des als Anlage BK2 vorgelegten Wambach-Berichts substantiiert vorgetragen.
Er hat ferner vorgetragen, dass es zu den streitgegenständlichen Aktienkäufen nicht gekommen wäre, wenn die Beklagte die Bestätigung der Jahresabschlüsse bereits zu einem früheren Zeitpunkt verweigert hätte.
Schließlich hat der Kläger unter Bezugnahme auf die Anlage K 31 die Höhe des Schadens nachvollziehbar und schlüssig vorgetragen.
b. Der Schlüssigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger nicht konkret vorgetragen hat, die durch die Beklagten erteilten Testate gekannt und zur Grundlage seiner Investitionsentscheidungen gemacht zu haben. Auch nachdem das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen hat, eine „generelle“ – also unabhängig von der Kenntnis des Aktienkäufers von den uneingeschränkten Bestätigungsvermerken bestehende – Kausalität der uneingeschränkten Bestätigungsvermerke für die Aktienkaufentscheidungen reiche für eine Zurechnung nicht aus (Seite 14 des Urteils des Landgerichts München I vom 30.11.2021), hat der Kläger hierzu in der Berufungsinstanz (Seite 4 der Berufungsbegründung vom 25.02.2022 = Blatt 346 d. A.) lediglich ausgeführt, er sei davon ausgegangen, dass die Unternehmenszahlen stimmen; bei einer weltweit so anerkannten Gesellschaft wie der Beklagten gehe er davon aus, dass sie ihren Job richtig mache; er habe sich nie vorstellen können, dass da etwas nicht stimme, ansonsten hätte er nicht in die Aktien investiert. Bei diesem Vortrag bleibt, soweit er die Beklagte und ihre Bestätigungsvermerke betrifft, offen, auf welchen Zeitpunkt er bezogen ist, ob der Kläger also bereits vor dem jeweiligen Kaufentschluss die Bestätigungsvermerke kannte und in der geschilderten Weise bewertete oder ob es sich dabei um seine jetzige Sicht der Dinge handelt.
Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist eine „individuelle“ Kausalität jedoch nicht erforderlich. Die vom BGH zur Informationsdeliktshaftung, entwickelte Rechtsprechung ist entgegen der Auffassung des OLG Stuttgart (Urteil vom 29.09.2009 – 12 U 147/05-, Rn. 64, juris) auf fehlerhaft erteilte Bestätigungsvermerke eines Abschlussprüfers nicht übertragbar.
Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 03.03.2008 (II ZR 310/06 -, Rn. 15 – 17, juris) ausgeführt:
„Bei der Frage, welche Anforderungen an die haftungsbegründende Kausalität im Rahmen der Fallgruppe der sog. Informationsdeliktshaf – tung nach § 826 BGB auf dem Primärmarkt wie auch auf dem Se – kundärmarkt zu stellen sind, ist die – im Strafrecht geltende – reine Bedingungstheorie (condicio-sine-qua-non-Formel) ein untaugliches Instrument, weil im Zivilrecht – namentlich im Bereich des Rechts der unerlaubten Handlungen (§§ 823 ff. BGB) – auf die adäquate Kausalität und ergänzend auf den Schutzzweck der Norm abzustellen ist (vgl. nur: Palandt/Heinrichs, BGB 67. Aufl. Vorb. v. § 249 Rdn. 58 ff., 62 m.w.Nachw.; st. Rspr.: vgl. BGHZ 57, 137, 142; Sen.Urt. v. 11. November 1985 – II ZR 109/84, ZIP 1986, 14, 16 – jew. m.w.Nachw.). Geschützt wird sowohl im Bereich des Primärmarktes der sog. Verkaufsprospekthaftung als auch bei der den Sekundärmarkt betreffenden Informationsdeliktshaftung für fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen die Integrität der Willensentschließung des potentiellen Anlegers vor einer unlauteren irreführenden Beeinträchtigung durch falsche Prospekt- oder Ad-hoc-Publizität (Sen.Urt. v. 4. Juni 2007 – II ZR 147/05, ZIP 2007, 1560, 1563 Tz. 30 – ComROAD IV; v. 7. Januar 2008 – II ZR 229/05 und – II ZR 68/06, ZIP 2008, 407 ff. und 410 ff., jeweils Tz. 15 – ComROAD VI und VII).
aa) Dem entspricht es, dass der Senat bei der fehlerhaften Ad-hoc-Publizität des Sekundärmarktes im Rahmen des Tatbestan – des des § 826 BGB auf den Nachweis der konkreten Kausalität für den Willensentschluss des Anlegers selbst bei extrem unseriöser Kapitalmarktinformation nicht verzichtet und dementsprechend das enttäuschte allgemeine Anlegervertrauen in die Integrität der Markt – preisbildung nicht ausreichend sein lässt (vgl. BGHZ 160, 134 – In – fomatec I; Sen.Urt. v. 9. Mai 2005 – II ZR 287/02, ZIP 2005, 1270, 1274 – EM.TV; Sen.Beschluss vom 28. November 2005 – II ZR 80/04 aaO S. 682 Tz. 11 – ComROAD I; v. 28. November 2005 – II ZR 246/04, ZIP 2007, 680 Tz. 8 – ComROAD II; v. 26. Juni 2006 – II ZR 153/05 aaO S. 326 Tz. 5 – ComROAD III; Sen.Urt. v. 4. Juni 2007 – II ZR 147/05, ZIP 2007, 1560, 1562 Tz. 16 – ComROAD IV; v. 4. Juni 2007 – II ZR 173/05, ZIP 2007, 1564, 1565 Tz. 16 – ComROAD V; v. 7. Januar 2008 – II ZR 229/05 und – II ZR 68/06, ZIP 2008, 407 ff. und 410 ff., jeweils Tz. 16 – ComROAD VI und VII).
bb) Diese zur Vermeidung einer uferlosen Ausweitung des ohnehin offenen Haftungstatbestandes der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädi – gung unabdingbare, aus dem Schutzzweck der Norm abzuleitende Tatbestandseingrenzung gilt – entgegen der Ansicht des Berufungs – gerichts – auch insoweit, als es im Bereich des Primärmarktes um die Haftung für Prospektmängel nach den §§ 45, 46 BörsG a.F. (nunmehr §§ 44, 45 BörsG n.F.) und die gemäß § 48 Abs. 2 BörsG a.F. (nunmehr § 47 Abs. 2 BörsG n.F.) nicht ausgeschlossene weitergehende Deliktshaftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB geht.“
Die Haftung des Wirtschaftsprüfers für vorsätzlich sittenwidrig erteilte Prüfvermerke unterscheidet sich von den durch den BGH entschiedenen Fällen der Informationsdeliktshaftung jedoch in relevanter Weise.
Während die unzutreffenden positiven Verlautbarungen in den entschiedenen Fällen dazu dienten, die Einschätzung von Anlegern und des Marktes zum Wert des Unternehmens positiv zu beeinflussen, ist die Bestätigung des Jahresabschlusses eines Unternehmens der Normalfall, während die Versagung des Bestätigungsvermerkes die Einschätzung des Marktes in erheblichem Maße negativ beeinflusst und hier nach Vortrag des Klägers dazu geführt hätte, dass die 2020 nach Versagung des Bestätigungsvermerkes tatsächlich stattgefundene Entwicklung bis zur Stellung des Insolvenzantrags bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten wäre. Es geht also nicht nur um die Integrität der Marktpreisbildung, sondern um die Existenz des Unternehmens (so auch: OLG München, Beschluss vom 06.05.2022 – 8 U 5530/21, BeckRS 2022, 9764, Rn. 59, beck-online).
Darüber hinaus wird der Wirtschaftsprüfer im Gegensatz zu den Informanten der – oben zitierten BGH-Rechtsprechung – beispielsweise dem Vorstand des betroffenen Unternehmens – auch im öffentlichen Interesse tätig. Er beglaubigt gegenüber der Allgemeinheit, dass der Abschluss mit den Rechnungslegungsvorschriften und den gesellschaftsvertraglichen Vorschriften übereinstimmt (siehe oben BeckOGK/Bormann, 15.11.2020, HGB § 316 Rn. 5; BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 – VII ZR 42/08 -, BGHZ 183, 323-340, Rn. 29; Röhl/Hidding WM 2021 1729, 1730). Mit der Erteilung eines vorsätzlich sittenwidrigen Bestätigungsvermerkes verletzt der Abschlussprüfer daher auch ihm der Allgemeinheit gegenüber obliegende Pflichten. Es genügt daher, dass es aufgrund externer Gründe wie einer negativen Reaktion des Marktes oder einer Insolvenz des Unternehmens infolge einer hypothetischen Versagung des Bestätigungsvermerks nicht zu dem Erwerb der Aktien gekommen wäre; der Schutzzweck der Norm gebietet keine Beschränkung der Haftung nach § 826 BGB auf Fälle, in denen der Anleger den Bestätigungsvermerk selbst kannte und zur Grundlage seiner Investitionsentscheidung machte. Der Umstand, dass die Haftung des Abschlussprüfers gegenüber dem Unternehmen gemäß § 323 HGB begrenzt ist und potentielle Anleger nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig nicht in den Schutzbereich des zwischen dem Unternehmen und dem Abschlussprüfer geschlossenen Vertrages einbezogen sind (BGH, Urteil vom 15.12.2005 – III ZR 424/04 -, Rn. 12, juris), steht diesem Ergebnis nicht entgegen, denn die Haftungsvoraussetzungen des § 826 BGB sind wesentlich strenger als diejenigen einer vertraglichen Haftung.
c. Die Begründetheit der Klage hängt ausschließlich von den Feststellungszielen des Musterverfahrens ab.
(1) Dass der Kläger primär auf § 826 BGB als Anspruchsgrundlage abstellt, der Vorlagebeschluss aber bisher ausschließlich auf §§ 37b ff. WpHG a.F. i.V.m. § 830 Abs. 2 BGB abhebt, steht der Vorgreiflichkeit nicht entgegen. Entscheidend ist allein, dass die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch aus § 826 BGB von den Feststellungszielen abhängt. Darüber hinaus hat der Senat auf der Grundlage des Sachvortrags von Amts wegen auch andere Anspruchsgrundlagen zu prüfen.
(2) Die in dem Vorlagebeschluss unter A.I. als Feststellungsziele zur angeblichen Haupttat der W. AG angeführten angeblichen Unrichtigkeiten der Geschäftsberichte der W. AG entsprechen in der Sache denjenigen, die auch der Kläger unter Vorlage des KPMG-Berichts und des W.-Berichts mit zahlreichen Beweisangeboten (u.a. Zeugen und Sachverständigengutachten) geltend macht; dem tritt die Gegenerklärung der Beklagten schon nicht konkret entgegen; sie befasst sich nicht konkret mit dem Vortrag im vorliegenden Einzelfall.
(3) Die objektive und subjektive Sittenwidrigkeit durch qualifiziert nachlässige Prüfung der Beklagten unter Inkaufnahme, dass die eingeschränkten Bestätigungsvermerke unrichtig sind, ist Gegenstand des Feststellungsziels III. Danach habe die Beklagte, indem sie sich Originalkontoauszüge und Banksaldenbestätigungen zu den Treuhandkonten nicht zeigen lassen und/oder die Zahlungseingänge auf den Treuhandkonten nicht geprüft habe, die Unrichtigkeit des uneingeschränkten Bestätigungsvermerks billigend in Kauf genommen.
(4) Die Frage, ob der Vorlagebeschluss auch die haftungsbegründende Kausalität erfasst (so OLG München Beschluss vom 06.05.2022, – 8 U 5530/21, BeckRS 2022, 9764, Rn. 53, beck-online), kann ebenso offenbleiben wie diejenige, ob ein sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebender Erfahrungssatz bei Investments mit nicht rein spekulativem Charakter dafür spricht, dass die Anleger die Aktien in Kenntnis der verschwiegenen Machenschaften nicht gekauft hätten (so: OLG München Beschluss vom 06.05.2022 – 8 U 5530/21, BeckRS 2022, 9764 Rn. 54, beck-online).
Denn jedenfalls hängt die Beurteilung der Kausalität von den Feststellungszielen ab. Was passiert wäre, wenn die Beklagte zu einem bestimmten der streitgegenständlichen Zeitpunkte den Jahresabschluss der W. AG nicht bestätigt hätte, hängt davon ab, aus welchem Grund die Bestätigung zu versagen gewesen wäre, also davon, in welcher Hinsicht der Jahresabschluss gegebenenfalls unrichtig gewesen ist. Auch ein etwa erforderliches Sachverständigengutachten könnte nur auf dieser Grundlage eingeholt werden.